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Veröffentlicht am 08.04.2024

Eine kluge und berührende Lovestory über Zugehörigkeit und Diskriminierung in den modernen, politisch gespaltenen USA

Alles gut
5

Mit Alles Gut ist Cecilia Rabess ein kleines Kunststück gelungen! Vordergründig gerahmt von einer intelligenten, temporeichen Lovestory behandelt die Autorin gekonnt zentrale Konfliktlinien der Gegenwart ...

Mit Alles Gut ist Cecilia Rabess ein kleines Kunststück gelungen! Vordergründig gerahmt von einer intelligenten, temporeichen Lovestory behandelt die Autorin gekonnt zentrale Konfliktlinien der Gegenwart und gesellschaftliche Ungleicheitsdimensionen aus intersektioneller Perspektive.

Jess, hochintelligent und Mathegenie, schwarz, Frau, Halbwaisin, aus der unteren Mittelschicht will mehr vom Leben, besonders aber Anerkennung, die ihr in einer noch immer zutiefst ungerechten Gesellschaft aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe zu oft verwehrt wird. Ihr vermeintlicher Schlüssel dazu, und in einem kapitalistischen System vollkommen nachvollziehbar, ist Geld, und so sucht sie sich nach dem Collegeabschluss einen begehrten Analystenjob bei Goldman Sachs. Dort fällt sie zwischen weißen, männlichen Kollegen aus gutem Haus in jeder Hinsicht aus dem Rahmen, und kämpft sich trotzdem gegen alle Widerstände durch.

Mehr und mehr fühlt sie einen Konflikt in sich, ob die lang ersehnte finanzielle Anerkennung im prestigeträchtigen Job, das ist was sie tatsächlich glücklich macht. Doch von dem was sie glücklich macht, Engagement gegen diskriminierende Strukturen, wirklich etwas ändern, kann sie nicht leben und ihren Studienkredit abbezahlen. Dazu kommen die Worte und Prägungen ihres Vaters, eines alten Bürgerrechtlers, der Jess von klein auf für Diskriminierung und den Kampf gegen Ungerechtigkeit sensibilisiert hat. Auch dies ist ein Teil von Jess, den sie in ihrem Streben um Anerkennung durch Prestige und Geld immer mehr zu verleugnen droht.

Und in diese ohnehin bereits komplexe Gefühlslage kommt auch noch Josh, der alles zu repräsentieren scheint, was Jess ablehnt. Diese Dichotomie kommt exemplarisch in den jeweiligen Parteipräferenzen von Jess (Demokraten) und Josh (Republikaner) zum Ausdruck und ist als solches auch regelmäßiger Streitpunkt zwischen den beiden. Doch gleichzeitig ist da auch mehr, etwas das beide vereint und gegenseitig anzieht.

Was ist wirklich wichtig in einer Beziehung? Haben die beiden letztlich mehr gemeinsam als sie trennt? Unbedingt herausfinden und lesen!

Alles gut ist ein kluger Roman zum Nachdenken über gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen, der Frage was unsere Identität ausmacht und eine berührende Liebesgeschichte zugleich!

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Veröffentlicht am 06.04.2024

Die Chronologie einer toxischen Freundschaft und unverarbeiteter Traumata

Geordnete Verhältnisse
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Einzelgänger Philipp ist zehn Jahre alt als die junge Ukrainerin Faina in seine Klasse kommt. In ihren roten Haaren erkennt er sich selbst wieder und erkürt sie zu seiner zukünftigen besten Freundin: und ...

Einzelgänger Philipp ist zehn Jahre alt als die junge Ukrainerin Faina in seine Klasse kommt. In ihren roten Haaren erkennt er sich selbst wieder und erkürt sie zu seiner zukünftigen besten Freundin: und es gelingt! Beide Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen nähern sich an und werden enge Freunde. Doch während sich Faina nach und nach ein weiteres Umfeld aufbaut, ist Philipp vollkommen auf Faina fixiert.

Abwechselnd aus der Perspektive von Philipp und Faina erzählt, bekommen wir Einblicke in die komplexe, und das wird schnell klar, bald toxische Freundschaft der beiden, in der Faina mit Anfang 20 plötzlich schwanger vor Philipps Tür steht und Hilfe braucht.

Für mich war das Buch wie ein Rausch, so einnehmend lässt Lana Lux uns die zerstörerische Dynamik zwischen den beiden erleben und legt dabei gleichzeitig Schicht für Schicht die tiefen Traumata Phillips und Fainas frei. Dabei erzählt sie mit Faina auch eine Suche nach weiblicher Selbstbestimmung in Familie, Freundschaft und nicht zuletzt unserer Gesellschaft.

Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 30.03.2024

Ein warmherziges und lebenskluges Lesererlebnis im atmosphärischen Neapel

Caffè sospeso
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Was für ein warmherziges und lebenskluges Buch! Alles beginnt mit dem jungen Jacques, ein nach einer unglücklichen Liebe in Neapel gestrandeter Franzose. Jacques hat Domizil über dem Café Nube bezogen ...

Was für ein warmherziges und lebenskluges Buch! Alles beginnt mit dem jungen Jacques, ein nach einer unglücklichen Liebe in Neapel gestrandeter Franzose. Jacques hat Domizil über dem Café Nube bezogen und verbringt dort seine Tage schreibend und zeichnend. Und so lernen wir Seite für Seite durch seine Wahrnehmung in verschiedenen Geschichten jeweils die Gäste des Cafés, ihre Träume, Hoffnungen, Verluste und Wünsche kennen. Dabei begegnen uns hin wieder fast etwas magische, surreale Momente, sodass einigen Geschichten etwas märchenhaftes in moderner Form anhaftet. Scheint es zunächst die einzelnen Geschichten und Personen agieren unabhängig voneinander, tauchen die Figuren doch oft immer wieder in anderen Geschichten auf, sodass sich Stück für Stück ein Porträt dieses Ausschnitts der Stadtgesellschaft Neapels um das Café Nube bildet.

Der Caffé Sospeso, bildet dabei ein zentrales Motiv über den eigentlichen „aufgeschobenen“ Kaffee hinaus, ein Zeichen der Großzügigkeit und Menschlichkeit, das sich auch auf andere Lebenssituationen übertragen lässt und in verschiedener Form so immer wieder in den Geschichten auftaucht.

Die Beschreibungen von Neapel sind wirklich gelungen, man fühlt sich als Leserin in die Stadt versetzt, als ob dies eine weitere Hauptfigur ist, fast als handelndes Subjekt erscheint die Stadt in der Geschichte.
Für mich war Caffé Sospeso ein echtes Wohlfühlbuch, das jedoch nicht minder zum Nachdenken über das Leben anregt.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Dicht, schmerzhaft und unglaublich gut!

Sieben Sekunden Luft
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In Sieben Sekunden Luft begleiten wir Selah auf vier verschiedenen Zeitebenen, durch eine schwere Kindheit mit traumatischen Erlebnissen, einer Phase großer Verlorenheit Anfang 20, einer akuten Lebenskrise ...

In Sieben Sekunden Luft begleiten wir Selah auf vier verschiedenen Zeitebenen, durch eine schwere Kindheit mit traumatischen Erlebnissen, einer Phase großer Verlorenheit Anfang 20, einer akuten Lebenskrise Mitte 30 und zuletzt dem Weg zu sich selbst und mit einer Versöhnung auch mit ihrer Vergangenheit.

Bereits in den Kindheitserinnerungen wird deutlich, dass Selahs Aufwachsen bei einer alleinerziehenden und schwierigen Mutter von vielen Entbehrungen und Verletzungen, und gleichzeitig viel zu viel Verantwortung für einen kleinen Menschen geprägt ist. Dies hinterlässt Wunden, die sich ihren Weg bis ins Erwachsenenalter bahnen. Die Identifikation und Entfremdung Selahs wird gekonnt und eindrucksvoll auch über die jeweilige Erzähl-Perspektive beschrieben. Während als Kind ein Ich erzählt, wechselt die Perspektive später in Du und die dritte Person, bevor wieder aus einer Ich-Identität heraus die Handlung begleitet wird.

In Selahs Schicksal werden die strukturellen Verankerung und gesellschaftlichen Praktiken von Klassismus, Misogynie, Heteronormativität, Queerfeindlichkeit und sozialer Benachteiligung schonungslos offengelegt und in ihren intersektionell wirkenden, individuellen und schmerzhaften Auswirkungen und Prägungen auf das Individuum herausgearbeitet.

Die Sprache ist so unglaublich dicht erzählt, jeder Satz, jedes Wort bedeutungsschwer, stellenweise verfolgt man Selahs Schicksal durch die Erzählweise fast wie im Rausch, leidet mit ihr, fühlt mit ihr und ist nach dem Lesen angesichts dessen auch mit ihr erschöpft. Sieben Sekunden Luft ist kein Buch für zwischendurch, ich musste immer wieder pausieren, aufgrund der dichten Erzählweise, jedoch auch um mich selbst zu distanzieren, so bedrückend ist das Erleben Selahs.

Sieben Sekunden Luft war für mich ein unbequemes und schmerzhaftes Buch, dass mich nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich vollkommen überzeugt hat!

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Was Familie mit uns macht - ein berührender Roman über Mütter und Töchter, weibliche Selbstbehauptung und intergenerationale Traumata

Wir sitzen im Dickicht und weinen
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Traurig, schmerzhaft und lebensnah erzählt Felicitas Prokopetz eine Familiengeschichte über vier Generationen. Im Fokus stehen dabei die Frauen der Familie, das Streben nach weiblicher Selbstbehauptung, ...

Traurig, schmerzhaft und lebensnah erzählt Felicitas Prokopetz eine Familiengeschichte über vier Generationen. Im Fokus stehen dabei die Frauen der Familie, das Streben nach weiblicher Selbstbehauptung, dessen Auswirkungen auf Mutterschaft und nicht zuletzt die Komplexität von Mütter-Töchter Beziehungen.

Valerie ist Ende 30, alleinerziehend, ihr Sohn Tobi gerade 16, da erkrankt ihre Mutter Christina schwer an Krebs. Die seit jeher angespannte Beziehung zwischen Mutter und Tochter, wird damit einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. Diese Grenzsituation lässt auf beiden Seiten alte Wunden aufbrechen, Christinas frühe Verzweiflung an der Mutterrolle und einem noch immer konservativen gesellschaftlichen Frauenbild, die sich nicht mit ihrem Bedürfnis für Autonomie vereinbaren hat lassen, und Valeries Kindheitsgefühle aus daraus erlebter Vernachlässigung, Verletzung und Kränkung, die sie durch ihre Mutter aushalten musste, offenbaren so die Dysfunktionalität aber auch Komplexität der Beziehung.

In Rückblicken wird ergänzend zu Valerie zum einen die Geschichte von Christinas eigenem Aufwachsen und ihrer eigenen entbehrungsreichen Rolle als Valeries alleinerziehende Mutter erzählt. Zum anderen lernen wir auch Christinas Mutter Martha in ihrer Mutterrolle und Valeries Großmutter väterlicherseits Charlotte und deren Aufwachsen kennen.

Dabei beweist die Autorin ein Gespür für das Sowohl-Als-Auch komplexer sozialer Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern in denen Verletzungen und Glück zuweilen nebeneinander stehen.

Prokopetz arbeitet Schicht für Schicht, Generation für Generation heraus, wie die verschiedenen Frauen mit ihrer Rolle als Frau und Mutter in einem zutiefst patriarchalen-konservativen Milieu hadern. Ihr Leiden und die Unzufriedenheit, die sich daraus ergeben, bekommen viel zu oft die Töchter zu spüren. So wird deutlich wie unbewusst die eigenen Traumata in der Erziehung weitergegeben werden. Auffällig ist: jede der porträtierten Frauen ist, unabhängig ob in Partnerschaft oder nicht, weitgehend allein mit diesem Kampf um weibliche Selbstbehauptung und der Verantwortung als Mutter.

Für all dies braucht Felicitas Prokopetz nur relativ wenige Zeilen und Worte, der Roman ist mit rund 200 Seiten recht schmal. Oft finden wir nur Andeutungen in der Erzählung, nicht alle Beziehungen, Konflikte und Herausforderungen werden im Detail hergeleitet und erläutert. Für mich ist dies eine weitere Stärke des Buchs, denn die Autorin schafft es mit wenigen Worten, komplexe Beziehungsmuster herauszuarbeiten und so zum Nachdenken anzuregen. Die Leerstellen schaffen Raum für Interpretation und letztlich auch Variationen von Mütter-Töchter-Beziehungen ohne, dass dabei die Essenz der Erzählung verloren geht.
Wer eine detailreich erzählte Familiengeschichte erwartet, wird jedoch eventuell enttäuscht werden.

Wir sitzen im Dickicht und weinen lässt gekonnt und sensibel erzählt ein Familienporträt durchzogen von intergenerationalen Traumata und komplexen Mutter-Töchter-Beziehungen entstehen, das unbedingt lesenswert ist und weitere Veröffentlichungen der Autorin mit Spannung erwarten lässt.

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