"Die Glasglocke" ist der einzige Roman der Dichterin Sylvia Plath und enthält viele autobiografische Elemente, welche mich sehr berührt haben. Wie auch Plath selbst verbringt Protagonistin und Musterstudentin Esther Greenwood einen Monat in New York bei einer Modezeitschrift. Was als größte Chance ihres Lebens beginnt, verwandelt sich schon bald in einen Albtraum und wird von schweren Depressionen überschattet. Nicht nur Esther beginnt im Buch eine Therapie mit den damals noch gebräuchlichen Elektroschocks, auch Plath musste sich diesen Behandlungen unterziehen, beendete ihr Leben jedoch 1963 selbst. Wie es für Esther Greenwood ausgeht, verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.
Ihren Weg zu verfolgen ist spannend und extrem emotional. Ich habe Esther schnell in mein Herz geschlossen und konnte ihre Gefühle, Ängste und Träume gut nachvollziehen. Sylvia Plath hat einen einfühlsamen und sehr bildlichen Schreibstil, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass sie sich sonst eher mit der Lyrik auseinandergesetzt hat. Esther ist an einem Punkt im Leben angekommen, an welchem sie sich über ihre Zukunft klar werden muss und folgendes Bild von einem Feigenbaum geht mir in diesem Zusammenhang nicht mehr aus dem Kopf:
"Ich sah, wie sich mein Leben vor mir verzweigte, ähnlich [einem] grünen Feigenbaum [...]. Gleich dicken, pupurroten Feigen winkte und lockte von jeder Zweigspitze eine herrliche Zukunft. Eine der Feigen war ein Ehemann, ein glückliches Zuhause und Kinder, eine andere Feige war eine berühmte Dichterin, wieder eine andere war eine brillante Professorin, die nächste war [eine] tolle Redakteurin, die übernächste war Europa und Afrika und Südamerika, eine andere Feige war Constantin und Sokrates und Attila und ein Rudel weiterer Liebhaber mit seltsamen Namen und ausgefallenen Berufen, eine weitere Feige war eine olympische Mannschaftsmeisterin, und hinter und über all diesen Feigen hingen noch viele andere, die ich nicht genau erkennen konnte.Ich sah mich in der Gabel dieses Feigenbaumes sitzen und verhungern, bloß weil ich mich nicht entscheiden konnte, welche Feige ich nehmen sollte. Ich wollte sie alle, aber eine von ihnen nehmen bedeutete, alle anderen verlieren, und während ich dasaß, unfähig, mich zu entscheiden, begannen die Feigen zu schrumpfen und schwarz zu werden und plumpsten eine nach der anderen auf den Boden unter mir." (S. 85f)
Ich möchte gleich noch ein Beispiel für den in meinen Augen fantastischen Schreibstil bringen, der Esthers Schmerz richtig greifbar macht und die depressive Abwärtsspirale besonders deutlich hervorhebt:
"Ich sagte Doreen, ich würde nicht zu der Schau oder zum Lunch oder zu der Filmpremiere gehen, ich würde aber auch nicht mit nach Coney Island kommen, sondern im Bett bleiben. Nachdem Doreen gegangen war, fragte ich mich, warum ich es nicht mehr schaffte, das zu tun, was ich eigentlich tun sollte. Darüber wurde ich traurig und müde. Dann fragte ich mich, warum ich es nicht mehr schaffte, das zu tun, was ich eigentlich nicht tun sollte, so wie Doreen, und darüber wurde ich noch trauriger und noch müder.Ich wusste nicht, wie spät es war, aber ich hörte das Hin und Her und die Rufe der Mädchen auf dem Gang, während sie sich für die Pelzschau fertig machten, und dann hörte ich, wie auf dem Gang wieder Stille einkehrte, und während ich auf meinem Bett lag und zu der leeren, weißen Decke hinaufstarrte, schien diese Stille immer größer zu werden, bis mir fast das Trommelfell platzte." (S. 36f)
Tatsächlich habe ich mir sehr viele Stellen markiert und lese diese auch einige Wochen nach Beenden des Buches immer wieder gerne durch.
Die Thematik ist natürlich erdrückend und hat mich mitgenommen, doch immer wieder wurden auch schöne, hoffnungsvolle und sogar witzige Momente in Esthers Leben beschrieben, die vor allem ihrem Humor und ihrer Intelligenz zu verdanken waren. "Die Glasglocke" ist keine leichte Lektüre, aber das Lesen lohnt sich. Ich kann das Buch jedem ans Herz legen, der etwas mehr über Depressionen und den Umgang mit dieser Krankheit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erfahren möchte.
Fazit:
Ein bewegender Roman über das Leben mit Depressionen in den 1950ern. Mir hat besonders der emotionale und bildliche Schreibstil von Sylvia Plath gefallen und der dadurch sehr einfühlsame Umgang mit einem so schwierigen Thema. Die Geschichte rund um Esther Greenwoods Schicksal enthält außerdem einige autobiografische Elemente, weswegen das Leseerlebnis für mich durch eine Recherche zu Plaths eigenem Leben noch einmal intensiver wurde. Ich zähle "Die Glasglocke" ab sofort zu meinen Lieblingsbüchern.