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Veröffentlicht am 29.08.2023

Die Fräuleins von Hamburg

Traumfrauen. Petticoat und große Freiheit -
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Tricksen und Schummeln - das hat Klara Paulsen schon als Kind auf dem Schwarzmarkt gelernt. Der Vater im Krieg gefallen, die Mutter hart arbeitend und gesundheitlich angegriffen - das waren in der Nachkriegszeit ...

Tricksen und Schummeln - das hat Klara Paulsen schon als Kind auf dem Schwarzmarkt gelernt. Der Vater im Krieg gefallen, die Mutter hart arbeitend und gesundheitlich angegriffen - das waren in der Nachkriegszeit keine guten Voraussetzungen für einen gelungenen Start ins Berufsleben. Insbesondere nicht für eine junge Frau, denn Berufstätigkeit von Frauen wurde damals als eine vorübergehende Episode betrachtet:

"Sie sehen ihre Aufgabe darin, einen Mann zu heiraten, Kinder zu bekommen und einen Haushalt zu führen. Das ist so was, wie der Sinn des Lebens." (S. 191)

Eine erfolgreiche Karriere war für Frauen in dieser Welt nicht vorgesehen. Sie sollten allenfalls assistieren und den Männern den Rücken freihalten, ob nun als Hausfrau oder als Untergebene. Doch dieses Rollenverständnis wird durch eine neue Generation Frauen in Frage gestellt. Und da der Chauvinismus ihnen oft keine andere Wahl lässt, heißt es Tricksen und Schummeln. Und eine mindestens ebenso gute Leistung wie die männlichen Kollegen zu erbringen, um nur einen Bruchteil der Anerkennung zu bekommen.

"Petticoat und große Freiheit" ist der Auftakt einer neuen Reihe mit dem Titel "Traumfrauen", die vom Leben im Hamburg der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts erzählt. Und erzählen kann Anna Jansen! In einer lockeren und lebendigen Weise beschreibt sie die soziale Situation der damaligen Zeit, Wohnverhältnisse, fehlende soziale Absicherung, Armut. Zugleich beschreibt sie den Mut und die Kühnheit der jungen Frauen, die sich dennoch auf den Weg machen. Die sich von alten Chauvis nicht unterbuttern lassen, die wild und lebensfroh sind, Petticoats tragen, bei Elvis und Bill Haley in Ekstase geraten und das Leben genießen wollen; Das ganze in einer Zeit, in der es noch eine rigide Gesetzgebung gab, und die sogenannte Kuppelei ebenso strafbar war wie Homosexualität.

So gut mir weite Teile des Buches gefallen haben - es gibt dennoch ein paar Mankos. So haben sich einige Fehler eingeschlichen, die spätestens im Lektorat hätten auffallen müssen. Ich möchte sie hier nicht erwähnen, um die Handlung nicht vorwegzunehmen. Denn eine Leseempfehlung spreche ich trotzdem aus. Auch wenn es mich ärgert, dass das Ende ziemlich abrupt kommt und nicht alle Fäden aufgelöst wurden. Stattdessen gibt es einen etwas plumpen Cliffhänger, der es eigentlich erforderlich macht, den Folgeband ebenfalls zu lesen. Ich fühle mich dadurch genötigt und nicht positiv angespornt "Minirock und neue Zeiten" ebenfalls zu lesen.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Elbmarsch-Krimi Nummer sechs

Düstergrab
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Es fällt schwer, ein Buch zu bewerten, auf das mit großer Vorfreude gewartet hat, und das dann die hohen Erwartungen nicht ganz so erfüllt, wie erhofft. "Düstergrab" ist der sechste Band der Elbmarsch-Krimireihe ...

Es fällt schwer, ein Buch zu bewerten, auf das mit großer Vorfreude gewartet hat, und das dann die hohen Erwartungen nicht ganz so erfüllt, wie erhofft. "Düstergrab" ist der sechste Band der Elbmarsch-Krimireihe um Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn. Als Fan der Reihe und der Autorin weiß ich, dass ich bei Romy Fölck sehr gute und spannende Unterhaltung erwarten kann. Ich mag ihre Beschreibungen von Land und Leuten, ihre gekonnten Plots, die immer bis zum Ende spannend sind und die gut recherchierte Darstellung der polizeilichen Ermittlungsarbeit. All das begegnet uns auch in diesem Band. Romy Fölck spielt mit unterschiedlichen Zeit- und Handlungssträngen und schafft es immer wieder, die Leserschaft auf falsche Fährten zu führen. Auch die Erzählstränge zum Privatleben der beiden Hauptprotagonisten sind, wie gewohnt, gut in die Geschichte integriert. Frida und Bjarne sind sympathische Menschen, und wenn man die Vorbände gelesen hat, dann ist es ein bisschen wie ein Treffen mit alten Bekannten.
Aber leider kommt "Düstergrab" aus meiner Sicht nicht an die fünf Vorgänger heran. Der Plot wirkt mir zu konstruiert und die Auflösung kommt mir dann einfach zu schnell und überraschend. Ein bisschen wirkt es so, als ob das Buch unter Zeitdruck fertig werden musste. Außerdem gibt es diesmal einige Redundanzen im Text, die durch ein sorgfältigeres Lektorat hätten vermieden werden können.
Zudem bleibt ein wichtiger Charakter bis zum Ende für mich zu unscharf, seine inneren Konflikte und Beweggründe erschließen sich mir nicht.
Das macht "Düstergrab" nicht zu einem schlechten Buch, und ich vergebe vier Sterne. Ich freue mich auf Band 7 und werde ihn auf jeden Fall lesen.
Neulingen empfehle ich zuerst die anderen fünf Bände zu lesen und verspreche ihnen großartige Krimiunterhaltung.

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Veröffentlicht am 09.02.2023

Ein Buch über die Unterdrückung einer Religion

Der Kreis
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Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Gruppe, die ursprünglich im nördlichen Irak, im nördlichen Syrien und in der südöstlichen Türkei lebten. Die Geschichte dieser Ethnie ist eine Geschichte der Unterdrückung ...

Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Gruppe, die ursprünglich im nördlichen Irak, im nördlichen Syrien und in der südöstlichen Türkei lebten. Die Geschichte dieser Ethnie ist eine Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung. Dies setzt sich bis heute fort - zuletzt durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), der die Versklavung und Ermordung der Jesiden mit dem Ziel ihrer Auslöschung propagiert hat.

Der Autor Jan Ilhan Kizilhan, Orientalist und Psychologe, hat sich auf den Schwerpunkt Traumatologie spezialisiert. Er beschäftigt sich hauptberuflich mit den Opfern der Terrormiliz IS und hat neben diversen Fachbüchern auch populärwissenschaftliche Bücher und Romane veröffentlicht In "Der Kreis" (einem symbolhaften Titel, deessen Bedeutung ich hier nicht auflösen möchte) bleibt der Thematik der religiösen und ethnischen Verfolgung aber auch hier treu. Nach dem Vorbild der jesidischen Heiligen Begê Samur (1894-1956) hat er seine Hauptfigur, die Heilerin Aziza erschaffen. Die Geschichte ist fiktiv und Kizilhan wechselt in einer interessanten Mischung zwischen der sachlichen Beschreibung der historischen und politischen Spannungslage zum Ende des Osmanischen Reiches und der manchmal fast märchenhaften tiefenpsychologischen Erzählung von Azizas Visionen hin und her. Das Buch ist anspruchsvoll und dennoch sehr gut zu lesen. Die Lesenden erfahren die Hintergründe der bis heute währenden Konflikte innerhalb des türkischen Staates. Nicht leicht zu verkraften sind die Beschreibungen der sexualisierten Gewalt gegen Frauen.

Ein großes Thema ist die Zwangsislamisierung der jesidischen Dörfer gegen Ende des Osmanischen Reiches. Aziza bleibt trotz aller Verlockungen und Widrigkeiten dem jesidischen Glauben treu. Hier beginnt für mich die schwierige Gratwanderung, denn auch der jesidische Glaube ist monotheistisch und weist strenge Regeln auf, die - nicht nur - Frauen bis heute unterdrücken. Aus diesem Grund bin ich bis zum Ende des Buches mit der Protagonistin Aziza nicht warm geworden. Auch sie ist nicht frei von Intoleranz, und bricht aus religiösen Gründen mit ihrer eigenen Familie. Auch ihre Visionen waren für mich eher befremdlich.

Insgesamt ist die Beschreibung der Wirren und der Gewalt in dieser historischen Umbruchphase zugleich lehrreich als auch dystopisch. Auf 366 Seiten beschreibt Kizilhan, was Menschen einander antun können, und wie die Religionen dazu missbraucht werden, dieses Handeln zu rechtfertigen. Keine leichte Unterhaltungslektüre, aber eine lesenswerte und verständliche Einführung in eine schwierige Thematik.

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Veröffentlicht am 28.11.2022

Mörderische Spannung im Sauerland

Katz und Mord
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Bereits 2017 erschien mit “Katz und Mord” der erste Sauerland-Krimi um Hauptkommissarin Anne Kirsch. Damals der Debütroman der Autorin Mareike Albracht, gibt es mittlerweile drei Folgebände, die (leider) ...

Bereits 2017 erschien mit “Katz und Mord” der erste Sauerland-Krimi um Hauptkommissarin Anne Kirsch. Damals der Debütroman der Autorin Mareike Albracht, gibt es mittlerweile drei Folgebände, die (leider) 2022 allesamt neue Cover erhalten haben. Zumindest für den ersten Band fand ich das ursprüngliche Cover absolut gelungen und passend zum Inhalt.

Doch worum geht es? Im sauerländischen Örtchen Bontkirchen an der Grenze zwischen NRW und Hessen gibt es kurz hintereinander zwei Todesfälle. Zuerst stirbt eine alte Dame an einer Pilzvergiftung, dann wird ein unbeliebter Junggeselle erschossen. Während der Dortmunder Kommissar Thorsten Seidel mit Unterstützung des jungen Briloner Kollegen Anton Hellmann ganz offiziell ermittelt, begibt sich seine Kollegin Anne Kirsch ganz eigenmächtig nach Bontkirchen. Sie mietet sich vor Ort in eine Pension ein, um fern der Großstadt den Trennungsschmerz einer frisch zerbrochenen Liebe zu überwinden und dabei undercover zu ermitteln. Verwicklungen sind dabei vorprogrammiert.

Mareike Albracht beschreibt kundig das Sauerland und seine Bewohner mit all ihren Eigenarten - den herben Charakter, die Nachbarn, die sich sehr für das Privatleben ihrer Mitmenschen interessieren, eine gewisse Konfliktfreudigkeit, aber auch das Gesellige, Schützenfest, Kirmes, Jagdgenossen und Canasterclub, sowie eine orientierungslose Jugend, die dem Rausch ebensowenig abgeneigt ist, wie die älteren Semester. Die Grenze zum Klischee ist da, aber wer einmal im Sauerland gefeiert hat, weiß um die Realität. Landschaft und Personen werden gut beschrieben, der Stil ist eingängig und lebendig.

Insgesamt hat mir dieser Krimi sehr gut gefallen und mich neugierig auf die Folgebände gemacht. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt und die Spannung war durchweg gegeben. Einen kleinen Abzug muss ich aber aufgrund der zeitlichen Sprünge machen, die leicht für Verwirrung sorgen, und aufgrund eines kleinen inhaltlichen Fehlers. Dennoch vergebe ich gerne 4 Sterne für diesen schönen Regionalkrimi.

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Veröffentlicht am 10.04.2024

Drei Frauenleben

Das Geheimnis von Dikholmen
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Michaela Abresch entführt uns in ihrem Frauenroman “Das Geheimnis von Dikholmen” auf eine kleine schwedische Schäreninsel. Die Erzählung beginnt im Jahre 1960 mit einer geheimnisvollen Frau, die ihren ...

Michaela Abresch entführt uns in ihrem Frauenroman “Das Geheimnis von Dikholmen” auf eine kleine schwedische Schäreninsel. Die Erzählung beginnt im Jahre 1960 mit einer geheimnisvollen Frau, die ihren Mann und ihre Kinder verlässt, um diese zu schützen. Offenbar leidet sie an einer psychischen Krankheit: sie hört schon seit ihrer Kindheit Stimmen.

"Niemals wirst du uns entkommen. Wir bleiben bei dir, in dir, wohin auch immer du fliehst” (S. 35)

Dann ist da Inga, die 1968 ziemlich blauäugig die Flucht nach Dikholmen angetreten ist. Aus einer wohlhabenden Familie im städtischen Umfeld stammend hat sie keine Vorstellung vom Leben auf einer Schären-Insel, ist aber mutig genug, dieses Leben anzutreten, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen.

Und zuletzt Lillemor, die an der Lahn wohnt, aber aus Schweden stammt. Sie hat einen schweren Verlust erlitten, über den sie trotz langjähriger Therapie noch nicht hinweg gekommen ist. Ihre Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, was ich sehr stimmig finde. So erfahren wir nach und nach ihre Lebensgeschichte und erleben gleichzeitig, wie sie sich im Jahre 2019 zu einer mehrtägigen Wanderung aufmacht.

Michaela Abresch gelingt es, diese drei Frauenschicksale mit jeweils eigenen komplexen Handlungssträngen nach und nach zu verbinden. Sie hat einen angenehmen Erzählstil, schafft auch durch ihre Landschaftsbeschreibungen eine schöne Atmosphäre und führt uns durch die Lebensgeschichten ihrer drei Protagonistinnen.

Hier setzt aber mein leichtes Unbehagen mit dem Buch ein. Die Frauen in diesem Buch nehmen die Männer in ihrem Leben so hin, wie sie sind und arrangieren sich mit ihrer jeweiligen Situation. Den Schmerz des Lebens und die Last des Alltags alleine tragen sie alleine. So müssen sich die Männer nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegen. Sätze wie dieser formuliert die Autorin nur als Gedanken:

“Hinausfahren zu können, weg von Stegesund, von Dikholmen, raus aufs Meer. Frei zu sein, selbst Entscheidungen zu treffen, von niemandem abhängig zu sein, nie wieder.” (S. 404)

Ein Diskurs erwächst daraus nicht. So bleibt die Geschichte beständig auf einer individualisierenden Ebene.

Gut hat mir gefallen, dass das Altern und Kranksein hier nicht keinem Tabu unterliegen, sondern realistisch dargestellt werden.

Am Ende werden alle Stränge aufgelöst, ohne dass offene Enden bleiben. Allerdings wirkt manches dabei etwas konstruiert und vorhersehbar, es gibt für meinen Geschmack zu viele Zufälle und etwas zu viel Melodramatik.

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