Ein Buch über die Unterdrückung einer Religion
Der KreisDie Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Gruppe, die ursprünglich im nördlichen Irak, im nördlichen Syrien und in der südöstlichen Türkei lebten. Die Geschichte dieser Ethnie ist eine Geschichte der Unterdrückung ...
Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Gruppe, die ursprünglich im nördlichen Irak, im nördlichen Syrien und in der südöstlichen Türkei lebten. Die Geschichte dieser Ethnie ist eine Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung. Dies setzt sich bis heute fort - zuletzt durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), der die Versklavung und Ermordung der Jesiden mit dem Ziel ihrer Auslöschung propagiert hat.
Der Autor Jan Ilhan Kizilhan, Orientalist und Psychologe, hat sich auf den Schwerpunkt Traumatologie spezialisiert. Er beschäftigt sich hauptberuflich mit den Opfern der Terrormiliz IS und hat neben diversen Fachbüchern auch populärwissenschaftliche Bücher und Romane veröffentlicht In "Der Kreis" (einem symbolhaften Titel, deessen Bedeutung ich hier nicht auflösen möchte) bleibt der Thematik der religiösen und ethnischen Verfolgung aber auch hier treu. Nach dem Vorbild der jesidischen Heiligen Begê Samur (1894-1956) hat er seine Hauptfigur, die Heilerin Aziza erschaffen. Die Geschichte ist fiktiv und Kizilhan wechselt in einer interessanten Mischung zwischen der sachlichen Beschreibung der historischen und politischen Spannungslage zum Ende des Osmanischen Reiches und der manchmal fast märchenhaften tiefenpsychologischen Erzählung von Azizas Visionen hin und her. Das Buch ist anspruchsvoll und dennoch sehr gut zu lesen. Die Lesenden erfahren die Hintergründe der bis heute währenden Konflikte innerhalb des türkischen Staates. Nicht leicht zu verkraften sind die Beschreibungen der sexualisierten Gewalt gegen Frauen.
Ein großes Thema ist die Zwangsislamisierung der jesidischen Dörfer gegen Ende des Osmanischen Reiches. Aziza bleibt trotz aller Verlockungen und Widrigkeiten dem jesidischen Glauben treu. Hier beginnt für mich die schwierige Gratwanderung, denn auch der jesidische Glaube ist monotheistisch und weist strenge Regeln auf, die - nicht nur - Frauen bis heute unterdrücken. Aus diesem Grund bin ich bis zum Ende des Buches mit der Protagonistin Aziza nicht warm geworden. Auch sie ist nicht frei von Intoleranz, und bricht aus religiösen Gründen mit ihrer eigenen Familie. Auch ihre Visionen waren für mich eher befremdlich.
Insgesamt ist die Beschreibung der Wirren und der Gewalt in dieser historischen Umbruchphase zugleich lehrreich als auch dystopisch. Auf 366 Seiten beschreibt Kizilhan, was Menschen einander antun können, und wie die Religionen dazu missbraucht werden, dieses Handeln zu rechtfertigen. Keine leichte Unterhaltungslektüre, aber eine lesenswerte und verständliche Einführung in eine schwierige Thematik.