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Veröffentlicht am 10.04.2024

Ein besonderes Buch

Dunkelschön
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Clara leidet an Agoraphobie und hat seit Jahrzehnten ihre Wohnung kaum verlassen. Doch dann tut sich plötzlich eine eigenartige Möglichkeit auf: Laut dem Nachlass ihres früheren Geliebten befinden sich ...

Clara leidet an Agoraphobie und hat seit Jahrzehnten ihre Wohnung kaum verlassen. Doch dann tut sich plötzlich eine eigenartige Möglichkeit auf: Laut dem Nachlass ihres früheren Geliebten befinden sich gleich zwei verschollene Manuskripte des spanischen Landesschriftstellers Miguel de Cervantes in Spanien verborgen. Clara packt das Jagdfieber. Doch wie soll sie allein und auf sich gestellt all diese Hürden zwischen Berlin bis nach Granada überwinden? Clara beschließt eine List und "heuert" den Teenager Ben an unter einem Vorwand, mit ihr gemeinsam diese Reise anzutreten. Was sie nicht weiß, Ben ist totkrank ...

Auf den Spuren erst ihres ehemaligen Liebhabers, später Cervantes und seinen wohl berühmtesten Charakter begibt man sich mit einem alten, klapprigen R4 auf die Reise, und man als Leser ist voll mit dabei. Und es ist ein Vergnügen, dieses Abenteuer zu lesen und somit quasi hautnah dabei zu sein.

Den Autoren gelingt vor allem die Charakterisierung ihrer beiden Helden hervorragend. Clara, die vom Leben gezeichnete und gebeutelte Frau, die seit 20 Jahren an ihre Wohnung gefesselt ist kommt dabei ebenso glaubhaft rüber wie der Teenager und oftmals hormongesteuerte Ben, dessen einziger Wunsch vor seinem Tod es ist, Sex mit einer Frau zu haben.

In mir kam vor allem bei der Wahl des R4 diverse Erinnerungen auf. Meine Schwester fuhr einen R4-Kastenwagen, zu dessen ... weniger stolzen Nachbesitzerin sie mich erkoren hatte - leider (oder Göttin sei Dank) kam ihrem Plan der TÜV dazwischen. Heute denke ich manchmal an die gute alte Klapperkiste zurück und denke mir, die Herzchengardinen würden mich mittlerweile so gar nicht mehr stören. Und immerhin, das Ding hatte einen riesigen Laderaum und fuhr tapfer seine vier Gänge.

Manche Dinge verfolgen habe ich festgestellt, als ich über dieses Buch gestolpert bin. Vor nicht allzu langer Zeit erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit Don Quijote und wie er mich damals gefesselt hat - im zarten Alter von 9 glaube ich. Und eingedenk des Alters der Geschichten, man denke daran, wie viel der Ritter von der traurigen Gestalt selbst 500 Jahre später noch Einlass und Einfluss auf unseren heutigen Sprachschatz hat. Nur allein der Gebrauch des Bildes vom Kampf gegen die Windmühlen - und Hand aufs Herz, wer hat sich nicht schon einmal so gefühlt?

In ihren Rollen aber tauschten Clara und Ben im Verlauf des Romans ihre Plätze. Ist es zu Beginn Clara, die gegen ihre eigenen Dämonen in Form einer starken Phobie ankämpfen muss, so wandelt sich gerade Ben im Laufe der Geschichte immer weiter vom hormongesteuerten Teenager zum jungen Helden. Beeindruckt war ich über seine Reaktion nach dem Stierlauf in Pamplona. Clara ist die einzige, die klar erkennt, dass er es tatsächlich gewagt hat, während die anderen enttäuscht sind von ihm, der seinen Stier, seinen eigenen Angaben zufolge, in der Flasche und nicht auf der Straße fand. Da war mehr Selbsteinsicht am Werk als man ihm zunächst zugetraut hätte.

Clara, die sich vom Kampf gegen ihre eigenen Windmühlen zu einer Mentorin entwickelt für den jungen Ben, in dem sie mehr Potenzial erkennt als er selbst von sich glaubt besitzen zu können. Auf der anderen Seite bleibt Ben seiner Rolle als Sancho Panza treu selbst als er selbst schon lange ein Held ist und hilft Clara bei den täglichen Besorgungen, zu denen sie nicht fähig ist.

Es ist dann enttäuschend, als die beiden schließlich in Granada ankommen und alles anders kommt als gedacht. Die Reise wird abgebrochen und beide kehren zurück nach Berlin, denn für Ben haben sich Spenderorgane gefunden. Doch bis er schließlich in der Klinik dem Chefarzt gegenübersteht ist es bereits zu spät und die Organe vergeben. Als Leser fühlt man diese Enttäuschung geradezu körperlich, erlebt Bens anschließendes Siechtum mit und wünscht sich nichts mehr als den kräftigen jungen Mann vom Jakobsweg zurück.

Das Leben ist unfair, die große Erkenntnis, die bereits Cervantes für seinen Don Quijote aufstellte. Doch entgegen dem guten Don, der sich schlicht weigerte, die Realität anzukernnen, stellt sich Ben der seinen. Und wieder einmal übernimmt Clara das Ruder und ein vorletzter Haken wird geschlagen. Es kann nicht immer alles glücklich enden, das Leben besteht aus nichts anderem als schlechten Entscheidungen in noch schlechteren Situationen.

Was mir besonders gefiel an diesem Roman war der Humor, über den beide, Clara und Ben, ausgestattet sind und der vielleicht auch etwas früher dazu führt, dass sie beide so gut miteinander auskommen. Sie versuchen zu kämpfen gegen ihre eigenen Windmühlen - nur jede Windmühle zieht im realen Leben eine Erkenntnis nach sich, die sehr oft zu einem sehr zynischen Weltbild führt (fragt mich, laut einer Freundin bin ich die Meisterin des Zynismus). Man weiß, man verliert, gleich in welche Richtung man sich wendet, doch man kämpft weiter, wenn man sich auch oft genug fragt, warum man es eigentlich tut.

Was ebenfalls nicht unerwähnt blieben sollte sei an dieser Stelle erwähnt: Hervorragend geschilderte Action-Szenen, die das Kopfkino so richtig in Gang setzen. Klasse geschildert!

Alles in allem bleibt ein Roman, der nachdenklich macht, während er gleichzeitig sehr unterhaltsam ist. Es ist keine leichte Kost, die hier serviert wird, aber als Leser klebt man geradezu an den Seiten. Selten sind mir Charaktere so nahe gekommen wie Clara und Ben. Ein besonderer Roman.

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Veröffentlicht am 31.10.2023

Bücher, Kriege und Kaiser

Gottes Plagen
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Johannes ist Knappe bei den Johannitern und ausgesandt in der wichtigen Mission, den Kaiser zu warnen über die herannahenden Türken, die sich bereit machen, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ...

Johannes ist Knappe bei den Johannitern und ausgesandt in der wichtigen Mission, den Kaiser zu warnen über die herannahenden Türken, die sich bereit machen, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu stürmen. Auf seinem Weg nach Graz, wo der Kaiser gerade residiert, trifft Johannes auf die Königin Helena, die gerade vor den Türken flieht. Helena, hochschwanger, hat gerade mitansehen müssen, wie ihr Ehemann von den marodierenden Kriegern aus dem Morgenland geköpft wurde. Nun machen sie Jagd auf sie - und damit auch auf Johannes.

Dies ist erst der Anfang eines ungeahnten Schicksals, das die beiden immer wieder auseinanderreisst, um sie wieder zusammenzuführen. Und Johannes ahnt nicht, in welche Schlangengrube er in Graz geraten wird ...

Finster war es weniger, das Mittelalter, aber voller Konflikte und Streitigkeiten. Und gerade gegen Ende des Mittelalters, als von Florenz aus allmählich die Renaissance beginnt, spielt dieser Roman. Für den Autor, Robert Preis, war es ein Herzenswunsch, denn er wuchs in Graz auf und wollte schon immer etwas über dessen Geschichte schreiben.

Die Handlung ist komplex und atemberaubend, teils sehr grausam, was aber nicht schrecken sollte, diesen Roman zu lesen. Es ist die Zeit, die grausam ist, so führt Preis nur das auf, was tatsächlich gang und gäbe war. Menschen wurden gevierteilt und geköpft, ihnen wurden grausame Wunden geschlagen, die sie mal mit viel Glück überlebten, mehr aber an ihnen erlagen. Nur allein die Schlachtenszenen sind es wert, sich diesen Roman zu kaufen. Ich gebe zu, ich persönlich habe nie bessere gelesen. Man ist mitten im Schlachtengetümmel, das Blut spritzt, Gliedmaßen werden abgetrennt, Pferde und Männer sterben.

Das alte Reich klammert sich noch an das Althergebrachte, und doch schleichen sich bereits die ersten Vorboten der Neuen Zeit heran in Form von Patriziern, die den neuen Stand des Geldadels begründen und so hoch steigen können, dass sie selbst zu Beratern eines Kaisers werden. Dies ist das Beispiel von Johannes' Halbbruder Balthasar, der, wenn ich den Anmerkungen Glauben schenken darf, sogar auf einer wahren Figur beruht. Und Balthasar nimmt wirklich, gemeinsam mit einigen wenigen anderen, zuviel Einfluss auf den Kaiser, das muss Johannes gegen Ende schließlich begreifen.

Die Figuren, gerade die von Johannes und Helena, sind lebendig, haben ihre Schwächen und Stärken und versuchen einfach nur ihre Leben zu leben, was nicht immer gelingt. Dass die beiden, oder später nur noch Johannes allein, ständig vom Regen in die Traufe geraten, ist ja auch der Sinn eines Romans. Man will seine Leser schließlich bei der Stange halten. Dennoch denken beide auch äußerst modern, was auch gefährlich ist und ein weiterer Hinweis auf den Zeitenumbruch, der beginnt.

Stände waren im Mittelalter alles. Man war was man war, von Adel oder unfreier Bauer. Wie ein Kaiser allerdings annehmen kann, die Bauern würden große Teile ihrer Ernten unterschlagen und sich daran bereichern, wenn man ständig damit rechnen muss, von Türken getötet und die Felder verbrannt zu werden ist mir immer noch schleierhaft. Und als Johannes in seiner Wut die Wahrheit spricht, kann er froh sein, dass der Kaiser nicht anwesend ist. Das hätte vermutlich wirklich seinen Kopf gekostet, wenigstens.

Johannes trifft nicht nur den Kaiser, auch die äußerst reale Vorlage für all die Blutsauger dort draußen darf er besuchen: Vlad Draculea, oder besser bekannt als Vlad Tepec oder Vlad der Pfähler. Im Auftrag des Kaisers reist Johannes nämlich nach Ungarn, um den dort Inhaftierten zu besuchen mit der Frage, ob Friedrich III. ein gutes Wort für den Walachen einlegen soll oder nicht. Und was Johannes dort anfindet erinnert (im guten Sinne!) an niemand geringeren als Hannibal Lecter. Oh, wie ich diesen Teil geliebt habe! Die Gespräche der beiden lesen sich dermaßen spannend, dass man an den Seiten geradezu klebt, um ja nichts zu verpassen.

Politik und Intrigen spielen in diesem Roman ebenso eine nicht gerade kleine Rolle, reißen sie Johannes doch regelmäßig von Helenas Seite. Der Ausflug an die Donau war nur die erste von vielen Reisen, die er zu bestehen hat. Und als er aufsteigt zum Georgsritter wird ihm endlich gewährt, auf was er so lange pochte: Männer in Waffen. Doch nicht gegen die Türken muss Johannes ziehen, sondern gegen die eigenen Leute. Aufgeschreckt von seiner eigenen Taktik sendet Friedrich ihn aus, gerade die Bauern wieder zurück auf den Acker zu bringen, denn es droht ein Aufstand. Und widerwillig und voller Abscheu fügt Johannes sich einmal mehr.

Wer heute Freund ist, ist morgen der Feind. Nicht nur gegen Aufstände muss Johannes kämpfen, nein, auch gegen seine engsten Freunde, als diese sich dem Kaiser entziehen und ihm die Fehde erklären. Und wieder sieht Johannes sich machtlos und als Spielball höherer Kräfte. Wieder wird die Gefahr aus dem Osten ignoriert und das eigene Lager nachhaltig geschwächt.

Als dann aber die Türken wirklich kommen, da flieht der Kaiser und lässt Graz schutzlos zurück. Und wieder ist es Johannes mit einer bunt gewürfelten Schar, der die Stadt rettet. Nicht unbedingt im Kampf, aber er hat sich bereits auf seiner eigenen Burg ein Meldesystem ausgedacht, das nun in Anwendung gebracht wird - Signalfeuer, die von Burg zu Burg gegeben werden, um Hilfe herbeizurufen. Was aber macht macht der oberste Georgsritter in der gleichen Zeit, als Johannes seinen Hals riskiert vor den Mauern der Stadt? Er plant im Auftrag des Kaisers ein Gemälde in Auftrag zu geben.

Mit dem Krieg kommen auch Heuschreckenschwärme, die die Ernte vernichten, und schließlich die Pest. Vom Adel scheint das niemanden zu stören, auch dass die Angriffe aus dem Osten immer weitergehen interessiert noch immer niemanden. Die Menschen sind verzweifelt, noch niemand ist da, um sich um sie zu kümmern.

Am Ende schließt sich der Kreis und man kann nur hoffen, das Johannes, mittlerweile ein erfahrener Ritter mit Frau und Kindern, doch noch ein wenig Frieden genießen kann. Verdient hat er es sich auf jeden Fall.

Ein gut recherchierter Roman mit spannender Handlung und gut gezeichneten Charakteren, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte.

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Veröffentlicht am 25.10.2023

Alles was das Herz begehrt

Zwielicht 18
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Das Magazin Zwielicht geht in die 18, Runde, und was für eine! Die Anthologie wartet mit allem auf, was man sich vorstellen kann. Horror und Grusel vom Feinsten, zwei gute Artikel, die das ganze abrunden. ...

Das Magazin Zwielicht geht in die 18, Runde, und was für eine! Die Anthologie wartet mit allem auf, was man sich vorstellen kann. Horror und Grusel vom Feinsten, zwei gute Artikel, die das ganze abrunden. Von Neu-Autor zum Klassiker ist alles vertreten. Wer wirklich gute, überwiegend deutsche Phantastik lesen möchte, der ist hier gut aufgehoben.

Doch im einzelnen:

Tobias Lagemanns Geschichte ist nicht Alt und Rostig, nein. Aber das Mittel seiner Wahl ist es, und erschreckt noch dazu die heimische Jugend bis ins Mark. Ein gelungener Auftakt, der den Ton für den Rest des Buches gibt.

Christian Blum weiß, So schreiten keine ird'schen Weiber. Nein, tun sie nicht. Aber nicht alles ist irdisch, was daherkommt, oder doch? Leg dich nie an mit denen, die vor uns kamen, das könnte böse ausgehen. Böse Geschichte, im positiven Sinne.

Mit Arthur Machen gibt es dann auch gleich den ersten Klassiker mit seiner Kurzgeschichte Ritual. Wir bleiben hier im gleichen Tenor, oder ist es ein anderer? Auf jeden Fall aber zeigt sich hier die Macht der Suggestion.

Lisa-Katharina Hensel sucht nicht Den Schatten, aber sie erzählt davon. Ihre Protagonistin hat mit den Nachwirkungen einer Organtransplantation zu kämpfen - auf die etwas andere Art. Etwas vorhersehbar, aber gut geschrieben.

Michael Tillmann berichtet von den Reihen von Spukhäusern wie Traumlandschaften und setzt seinen Protagonisten inmitten von ihnen aus. Ein Highlight der Anthologie!

Der nächste Klassiker findet sich mit Algemon Blackwoods Der Bengel. Für die damalige Zeit mag sie gruselig sein, für mich hier und heute war sie eher herzerwärmend. Eine schöne kleine Geistergeschichte.

Julia A. Jorges hat nicht Zweierlei Blut, zumindest hoffe ich das. Mit Lovecraft'schen Monstern an der Nordsee ist sie sicherlich nicht die erste. Aber die erste, die mich zumindest mit einem Plottwist überraschen konnte. Sehr gut geschriebener Horror, der sich allmählich in die Realität ergiest.

Karin Reddermann findet ihre Geschichte Merkwürdig, oder so zumindest findet ihr Protagonist die neue Diät seiner Frau. Herrlicher schwarzer Humor vom Feinsten, der den meinen genau getroffen hat. Daher: Highlight!

Und wieder ein Klassiker, zudem einer, den ich vorher nicht kannte. Laurence Kirk war mir bisher kein Begriff. Seine Geschichte Dr. Macbeth ebenfalls nicht. Oh, wie oft hatte ich während der Lektüre Margaret Rutherford vor Augen! Herrlich!

Erik Hauser erzählt vom Allesschluck. Was sich so alles in finsteren Kellern einnisten kann ist wirklich phantastisch. Wie der Untertitel sagte: Eine Geschichte für BÖSE Kinder.

Achim Stößer erzählt von Der kleinen Schwester des Todes und entführt den Leser in eine zukünftige Welt, in der Weltraumforscher vor eine unmögliche Wahl gestellt werden. Gut geschrieben, guter Plot, überraschende Wendung und damit das dritte Highlight.

Jasper Nicolaisen hat den Wunsch nach Freundschaft mit den Anglern. Das war einmal ein vollkommen anderes Herangehen an die Großen Alten, noch dazu eines, das ich sehr geschätzt habe, denn damit rechnete ich wahrlich nicht. Highlight Nummer 4.

Lennox Lethe ist Der Nächste in der Reihe und berichtet über eine Achterbahn auf einem Rummel. Die war böse und gut! Ich liebe solche schwarzen Nettigkeiten, wenn ich auch sicherlich nie wieder eine Achterbahn betreten werde, vor allem nicht die letzte Reihe.

Ein weiterer Klassiker wartet auf mit Winston K. Marks, von dem ich ebenfalls noch nie etwas gehört hatte. Umso mehr amüsierte ich mich über seine Geschichte Die Körperformer kommen!

Mit Edward Frederic Besnon folgt sofort der nächste Klassiker. Seine Geschichte Die Schritte berichten über einen skrupellosen Geschäftsmann im kolonialen Ägypten, der mehr bekommt, als er sich dachte. Viel mehr. Am Ende dachte ich nur: Ausgleichende Gerechtigkeit.

Émile Erckmann und Alexandre Chatrian sind weitere Klassiker. Ihre Geschichte Die Bienenkönigin berichtet von einem Wanderer, der in den schweizer Bergen in einem Chatot strandet. Ein paar Gottesbezeugungen weniger hätten es für mich alte Hexe auch getan. Mir persönlich ist diese Geschichte ein wenig zu zuckersüß.

Den Abschluss des Geschichten-Teils bildet kein anderer als H.G. Wells mit Der graue Mann. Irgendwie düster, wie er hier die Zukunft schildert, und bedrückend.

Zum Abschluss erwarten den Leser noch zwei Artikel:

Karin Reddermann schreibt einen kurzen Abriss über die Geschichte unserer felinen Freunde, womit sie bei mir natürliche offene Türen einrennt. Neues habe ich dem Artikel leider nicht entnehmen können, aber er war gut und flüssig geschrieben und sehr informativ.

Jo Piccol schreibt über Hanns Heinz Ewers und seine doch früher sehr kontroversen Geschichten und sein nicht minder schillerndes Leben. Dort fand ich einiges über den verstorbenen Autoren, was ich noch nicht wusste, ich gebe allerdings auch zu, dass ich mich noch nicht sehr ausführlich mit Ewers beschäftigt habe. Ein wenig langatmig, aber definitiv informativ.

Eine gelungene Zusammenstellung diverser Autoren, ob alt oder neu. Eine Anthologie oder ein Magazin, je nachdem, wie man es sehen möchte, das sich lohnt, im Bücherregal zu haben.

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Veröffentlicht am 16.03.2024

Packendes Abenteuer

Der Taliban
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Sara ist neu in der "Sisterhood", einer Geheimorganisation, die sich verschrieben hat, gutes zu tun. Als ein Freund von Sara in Afghanistan vor laufender Kamera hingerichtet wird, schickt man sie an den ...

Sara ist neu in der "Sisterhood", einer Geheimorganisation, die sich verschrieben hat, gutes zu tun. Als ein Freund von Sara in Afghanistan vor laufender Kamera hingerichtet wird, schickt man sie an den Ort des Geschehens, denn der Freund stand in Verbindung mit der Sisterhood und war im Besitz von Informationen. Saras Auftrag: Diese Informationen sicherstellen und die Ehefrau ihres Freundes Casim zu exfiltrieren ...

Der Titel sprach mich an. Schon seit der Zerstörung der stehenden Buddhas von Bamiyan (also einige Monate vor 9/11) recherchiere ich über diese Terror-Gruppe und versuche, deren Handlungsweisen zu verstehen. Insofern dachte ich, dieser Roman könnte vielleicht hilfreich sein.

Vorweg sollte ich vielleicht erwähnen, dass dies der dritte Teil einer Thriller-Reihe ist. Ab und an wird auf vergangene Abenteuer der Heldin Sara hingewiesen, aber eher in dem Maß, dass man als Erstleser nicht davon gestört, sondern eher animiert wird, sich diese beiden ersten Bände zuzulegen. Es sind bessere Randnotizen, die den einen oder anderen Glimmer auf Vergangenes wenden, ohne den Lesegenuss zu stören. Persönlich halte ich das für eine sehr gute Lösung, denn auf diese Weise können auch neue Leser gewonnen werden, auch wenn der Zyklus bereits vorangeschritten ist.

Owen begibt sich in diesem Roman auf ein heißes Eisen. Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 hat sich das bisschen Fortschritt, dass das Land vormals hatte, ins Gegenteil gewandt. Gäbe es nicht Autos, Handys und Strom, könnte man glatt von einem Rücksprung ins finsterste Mittelalter sprechen. Die selbsternannten Gotteskrieger beherrschen Afghanistan vor allem mit Terror, was sich selbstverständlich auch bis in die Familien zieht. Hier gelingt Owen es, die Angst und das Misstrauen glaubhaft zu schildern. Man fühlt als Leser die Beklemmung, ja die Angst der Familie, die Unsicherheit, wem noch vertrauen zu können und wem nicht.

Dass Owens Heldin Sara noch dazu eine Frau und Ex-Soldatin der Bundeswehr ist, macht das ganze Szenario zu purem Sprengstoff. Frauen in Afghanistan sind entrechtet, besser ist es nicht zu sagen. Dabei beziehen die Taliban sich auf diverse Koran-Suren. Die Rezensentin gehört zu den Gottlosen, die es gewagt haben, den Koran zu lesen. Besagte Stellen haben nichts, aber auch gar nichts, mit der Entrechtung von Frauen zu tun, ganz im Gegenteil. Aber wer Bildung im allgmeinen unterdrückt und selbst vermutlich kaum mehr in der Lage ist, seinen eigenen Namen zu schreiben, den stört das nicht. Vielleicht täten die Taliban statt dessen einmal einen Blick nach Kambodscha gut. Wer Bildung unterdrückt, der wird irgendwann den Preis zahlen. Kambodscha hat das hinter sich und ich wage zu bezweifeln, dass irgendeiner der sogenannten selbsternannten Gotteskrieger etwas ähnliches erfahren möchte.

Insofern ist es gerade gut, dass Sara eine Frau ist, noch dazu eine, die weiß, wie sie sich zur Wehr setzen kann und dies auch tut. Mir als Leserin zauberte es ein Lächeln auf die Lippen, als Sara ihren Befreiungsschlag in dem Folteranwesen beginnt und dort einigen "Gotteskriegern" mehr als nur ein Veilchen verpasst.

Auch wenn mir persönlich schlecht wird, wenn ich Sätze wie "sie ist doch nur eine Frau" und ähnliche lesen muss, so bringt die Autorin hier klar und deutlich zum Ausdruck, wie das Denkmuster der Taliban verläuft. Dabei lassen die selbsternannten "Gotteskrieger" gern aus, dass es Frauen sind, die Kinder zur Welt bringen. Auch wenn es unmöglich ist für die weibliche Bevölkerung, so frage ich mich schon seit Jahrzehnten, was passieren würde, würden die Frauen in solchen Gemeinschaften einfach ihre Sachen packen und gehen. Mal sehen, wie lange dieser Satz dann noch Bestand hat und wie viele Männer dann wohl Kinder gebären.

Was mir persönlich auch gut gefiel war Saras Gewissen, ihre Gefühle und Gedanken über die Familie, die sie in Deutschland zurückgelassen hat, gerade über ihre eigene Tochter. Das war glaubhaft geschildert und passte sehr gut in das Szenario.

Alles in allem eine packende Geschichte mit glaubwürdigen Charakteren, gut geschilderter Action (ja, den musste ich noch ansprechen) und einer schlüssigen Handlung.

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Veröffentlicht am 05.04.2024

Das unsichtbare Opfer

Das Flüstern des Totenwaldes (Thriller)
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Eine knappe Woche weg vom Polizeidienst und dem ganzen Computerkram, so wie jedes Jahr. Das war die Prämise für Boris. Zusammen mit fünf früheren Studienkollegen will er den Grundländer Forst durchwandern. ...

Eine knappe Woche weg vom Polizeidienst und dem ganzen Computerkram, so wie jedes Jahr. Das war die Prämise für Boris. Zusammen mit fünf früheren Studienkollegen will er den Grundländer Forst durchwandern. Doch bereits im ersten Nachtlager wird klar, die Gruppe ist in Gefahr und Hilfe kann nicht informiert werden aufgrund einer mangelnden Netzabdeckung.

Einen Tag nachdem Boris mit seinen Freunden in den Wald zog, werden die Kollegen in die Nähe des Waldes gerufen. Dort ist die Leiche einer Frau aufgetaucht, verstümmelt und das Gesicht mit Lippenstift verschmiert.

Wer war die Tote? Und besteht ein Zusammenhang mit der Wandergruppe um Boris? Henning Gerlach und Lena Freyenberg beginnen zu ermitteln ...

Der Wald, und damit meine ich die richtige Wildnis, nicht die hübsch aufgeforsteten und ständig betriebenen Forste, sondern wirklich den Wald, gibt es kaum noch in Deutschland. Manche Gehölze haben aufgrund ihrer schieren Größe zumindest ein Stück weit die Wildnis bewahrt, vor der unsere Vorfahren sich gegruselt haben und aus denen der schiere Terror in Dörfer und kleine Städte zu spülen schien. Ist man in einem solchen wilden Wald erlebt man ein Stück Vergangenheit, fühlt sich besagten Vorfahren näher als in jeder, und sei sie noch so mittelalterlich anzusehenden Stadt. Der Wald lebt, und er beherbergt noch heute Tiere, die wir in unserer Zivilisation kaum noch kennen. Bären nicht mehr, und Wölfe sind rar in Deutschland, wandern aber langsam wieder ein (die Rezensentin wohnt in einer Gegend, in der gerade wieder Wölfe einwandern, und hier sind selbst die Bauern froh darüber, sie zurück zu sehen - zumindest noch). Doch natürliche Feinde des Menschen sind in den Wäldern Deutschlands keine mehr anzutreffen.

Wer ist der natürliche Feind des Menschen hier in dieser doch sehr zivilisierten Welt, in der sich gerade Wölfe wieder eine winzige Nische zu erschließen versuchen? Wölfe dann wohl kaum. Wildschweinen sollte man besser aus dem Weg gehen, sie können zu einer Gefahr werden. Aber ist nicht der größte Feind des Menschen der Mensch selbst?

Was mich vor allem interessierte an diesem Roman, neben dem Setting in einem nicht "aufgeräumten" Wald, der sich als, wenn auch durchaus überschaubare, Wildnis erschließt, ist das Konzept des Autoren. Es geht nicht, oder nicht nur, um den Serienkiller, nein. Da ist noch jemand. Jemand, der dort nicht hingehört, dem Zeit seines Lebens ein falsches Bild der Gesellschaft suggeriert wurde. Wie weit können Recht und Unrecht verdreht werden, wenn man keine Möglichkeit hat, der Wahrheit auf den Grund zu gehen? Wie sehr kann ein Mensch verschwinden, ja unsichtbar werden, wenn es um die Gesellschaft an sich geht?

Die Botschaft hier ist erschreckend, aber diverse Studien haben gezeigt, dass sie durchaus der Wahrheit entsprechen. So erinnert der Roman mit seinem "Zehn-kleine-Negerlein"-Konzept um die Wandergruppe stark an einen üblichen Slasherfilm. Erst wenn man tiefer schaut erkennt man das wahre Opfer zwischen den Toten: den Unsichtbaren, der die Gesellschaft nicht versteht, weil er so gut wie nie in ihre gelebt hat und dem die letzten zwanzig Jahre lang ein vollkommen verqueres Weltbild suggeriert wurde.

In einer Zeit, in der man reale von Fake-News kaum noch unterscheiden kann, in der man dem Journalismus nicht mehr trauen kann, wo liegt die Wahrheit? Wie verdreht ist sie wirklich? Im Fall von Robin sehr.

Die Einwohner des Dorfes hat Schwarz ausgesprochen gut skizziert mit der besonderen Art, die Dorfbewohner eben haben. Doch das wahre Potenzial kommt erst gegen Ende des Romans, in der Klimax, wirklich zum Ausdruck, und hier verbreitet sich ein Schrecken, der über jeden handelsüblichen Thriller oder Horror hinausgeht. Den Ansatz hat Schwarz hier sehr gut geschrieben, dennoch hätte ich persönlich mir am Ende etwas mehr gewünscht statt eines Berichtes. Aber ja, es ging nie um den unsichtbaren Robin, es ging um die Wandergruppe und um das Ermittlerduo Gerlach und Freyenberg. Und was das angeht, so hat der Autor seinen Job zu hundert Prozent erfüllt.

Die Wahrheit über den Schrecken, der bleibt im Wald. Dort, wo finstere Gestalten wandern, Ausgeburten unserer Phantasie - oder doch Wirklichkeit?

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