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Veröffentlicht am 17.05.2024

Schönheit irgendwo zwischen Atom und Stern

Das Fenster zur Welt
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Während des zweiten Weltkriegs begegnet der junge britische Soldat Ulysses in einem italienischen Weinkeller der sechzigjährigen Kunsthistorikerin Evelyn, die seine Sichtweise auf Kunst und dadurch auch ...

Während des zweiten Weltkriegs begegnet der junge britische Soldat Ulysses in einem italienischen Weinkeller der sechzigjährigen Kunsthistorikerin Evelyn, die seine Sichtweise auf Kunst und dadurch auch auf die Welt verändert. Seither verbindet die beiden trotz unterschiedlicher Lebensweise ein Band der Freundschaft. Nach dem Krieg hofft Ulysses im Londoner Eastend auf einen Neuanfang, doch seine große Liebe Peg hat sich inzwischen in einen amerikanischen Soldaten verliebt. So verlässt der Engländer eines Tages seine alten Bekannten in Col's Pub und kehrt mit Pegs Tochter Alys, dem wissbegierigen Cress und dem vorlauten Papagei Claude nach Florenz zurück.
Weder das harmonische Cover mit Zitrusfrüchten auf einem Fliesenrand und dem fliegenden Papagei in der Mitte, noch der Titel verraten einem, welch großartiger Roman sich hier verbirgt. Die Kapitel befassen sich chronologisch jeweils mit verschieden langen Zeitspannen, in denen man Details aus dem Leben der Protagonisten und der jeweiligen historischen Hintergründe erfährt. Winham schafft es von Anfang an, die Leser in den Bann der Geschichte zu ziehen. Die Sprache ist bildhaft, die zahlreichen Dialoge sind lebhaft gestaltet, und man wünscht sich, daran teilhaben zu dürfen. Oft ist der Text von Humor durchzogen – manchmal auf einzelne Wörter oder Sätze, manchmal auf ganze Passagen bezogen. Immer wieder wird auch auf bildende Kunst, Musik und Literatur verwiesen, einige Male auch auf E. M. Fosters Roman „Zimmer mit Aussicht“. Kursiv eingestreut betonen italienische Ausdrücke die Verbindung zum Sehnsuchtsland der Charaktere. Diese sind sehr detailliert und liebevoll herausgearbeitet, auch jene, die eine Nebenrolle im Roman spielen, kann man sich lebhaft vorstellen; sogar die Haustiere, allen voran der Papagei Claude mit seinem schier unerschöpflichen Shakespeare-Wortschatz.
Selbst Übersetzungsfehler können dem Lesegenuss nichts anhaben, wenn beispielsweise aus „vest“ statt Unterhemd eine Weste wird. Durch die Behandlung der vielfältigen Themen Freundschaft, Zusammenhalt, aber auch Enttäuschung, die oft damit einhergeht, schafft Sarah Winman eine wundervolle Atmosphäre. Trotz des Umfangs von über 500 Seiten kommt man durch die interessante Gestaltung einerseits schnell voran, möchte andererseits niemals zum Ende dieser Geschichte kommen; schließlich hat man bereits eine starke Verbindung zu den Protagonisten aufgebaut, die man ungern trennen möchte. Weder muss man Kunstliebhaber, noch italophil sein, um in diesem ruhigen Roman die Leichtigkeit und Lebensbejahung zu spüren - oft auch in den Worten zwischen den Zeilen.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Ein kurzes Inseljahr

Die Tage des Wals
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1938 träumt die achtzehnjährige Manod auf einer abgelegenen Insel vor Wales von einer Zukunft auf dem Festland. Als ein Wal strandet, deuten die Fischer dies als schlechtes Omen. Kurz darauf betreiben ...

1938 träumt die achtzehnjährige Manod auf einer abgelegenen Insel vor Wales von einer Zukunft auf dem Festland. Als ein Wal strandet, deuten die Fischer dies als schlechtes Omen. Kurz darauf betreiben Edward und Joan aus Oxford ethnografische Studien auf der Insel. Die kluge und zielstrebige Manod ist fasziniert von den Wissenschaftern und wird deren Übersetzerin und Gehilfin. Diese Zweckgemeinschaft wird bald zu einer Art Freundschaft, aufgeladen ist mit Hoffnungen und Sehnsüchten.
Das Cover mit dem stilisierten Küstenabschnitt ist unscheinbar, die Seitenanzahl recht überschaubar. Dennoch hat es dieses Buch in sich und man sollte sich Zeit dafür nehmen, selbst wenn die Abschnitte recht knapp gehalten sind. So bleibt genügend Platz für eigene Überlegungen und Interpretationen. Rasch wechseln kurze Erzählungen der Ich-Erzählerin Manod mit Volksliedern oder Geschichten, die man auf der Insel den Kindern erzählt, und denen eine Quellenangabe angehängt ist. Die gewählte Sprache passt hervorragend zu einer abgelegenen Insel; die kurzen, etwas sperrigen Sätze lassen einen sofort die Kargheit der Insel, die wenigen Ereignisse, das Leben, das so wenig Raum für Entfaltung bietet, spüren. Und dennoch findet die Autorin in diesen kurzen Sätzen genügend Platz für großartige Sprachbilder. Darin verarbeitet sie das harte Leben der Fischer und den Aberglauben der Inselbewohner, aber auch die Überheblichkeit der beiden Wissenschafter vom Festland und deren romantisierte und verfälschte Sicht auf das Inselleben. Die Protagonistin Manod entpuppt sich dabei als überaus kluge und gewitzte junge Frau, die es durchaus schaffen kann, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Trotz der recht kurzen Zeitspanne, in der die Geschichte spielt, dann man ihre Entwicklung deutlich spüren.
Das Buch ist ein sehr gelungener Debütroman, einzigartig in seiner Form.

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Veröffentlicht am 11.04.2024

Der Zeichner von der Piazza del Mercato

Caffè sospeso
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Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene ...

Der Franzose Jacques Madelin bleibt nach einer enttäuschten Liebe in Neapel hängen, wo er fast jeden Tag im Café Nube die Schicksale der anderen beobachtet und auf Papier festhält. Sei es eine betrogene Ehefrau, ein Mann, der keinen Schlaf mehr findet oder eine junge Frau, die den geerbten Seidenschal ihrer Großmutter loswerden will.
In Neapel kann man einem Unbekannten einen Kaffee bezahlen, der sich gerade keinen leisten kann. In diese Tasse verpackt die Autorin nicht nur ein Stück Leben für den Geber und den Nehmer, sondern Erinnerungen, Anekdoten und Legenden einer Stadt, die selbst ein Gespür für das Schicksal zu haben scheint. Die Geschichten beziehen sich auf einen Zeitraum, der sich über einige Jahrzehnte erstreckt, dessen Episoden aber nicht chronologisch erzählt werden.
Als Leser ist man versucht, die Sichtweise des Protagonisten Jacques auf den Verfasser des Buchs zu übertragen. Immer wieder vermutet man daher auch einen Mann als Autor. Amanda Sthers führt die Leser durch die Wortwahl und manchmal durch die Darstellung der Frauen an der Nase herum. Wobei es letztlich natürlich egal ist, welches Geschlecht der Verfasser des Romans hat. Herausgekommen ist eine Sammlung sehr berührender Geschichten, die durch den Protagonisten und einige immer wieder auftauchende Personen zusammengehalten werden. Sthers beschreibt verschiedene Personen, aber auch deren Lebensraum, die Stadtviertel, macht Abstecher in die Ursprünge der Commedia dell´Arte, in die Machenschaften der Mafia, in die Mythologie, und allgemein in die Atmosphäre des lebensprallen Südens und dessen volkstümlicher Freude; es entstehen aber auch nachdenkliche Zeilen über das Leben und Sterben in Neapel. Ein Roman, der einen erfreut und gleichzeitig auch immer wieder zum Nachdenken anregt.

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Veröffentlicht am 06.04.2024

Alpines Kleinod und sein Klon

Selbe Stadt, anderer Planet
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Die Ärztin Johanna übernimmt nach dem Tod des Vaters dessen Praxis; im Elternhaus findet sie viele Erinnerungen, in der schöne Bergwelt des Salzkammerguts erwandert sie mit ihrer Zwillingsschwester, die ...

Die Ärztin Johanna übernimmt nach dem Tod des Vaters dessen Praxis; im Elternhaus findet sie viele Erinnerungen, in der schöne Bergwelt des Salzkammerguts erwandert sie mit ihrer Zwillingsschwester, die immer in Hallstatt geblieben ist. Die vermeintliche Idylle leidet allerdings an Overtourism.
Strategieberater Ren besucht seine frühere Heimat Österreich im Auftrag der chinesischen Regierung, um Hallstatt zu erkunden, das die chinesischen Touristen gern besuchen. Die tatsächliche Hallstatt-Kopie in China macht die Einwohner des österreichischen Originals fassungslos und Johanna samt Zwillingsschwester neugierig auf die spiegelverkehrte Kopie.
Der Buchtitel beherrscht in bunten Lettern die Zeichnung der Stadt am See, die wie ein Werbeplakat aus dem letzten Jahrhundert anmutet. Die Geschichte rund um die Stadt im Salzkammergut und deren Kopie wird alternierend (teils innerhalb der Kapitel) über Johannas Leben und über den Ich-Erzähler Ren dargestellt. Der Roman ist drei Teile gegliedert und umfasst kurze Kapitel mit aussagekräftigen Überschriften. Der Name der Stadt „Hallstatt“ kommt erst im dritten Teil, und auch hier nur selten vor. An allen anderen Stellen wird der Touristenmagnet nur umschrieben. Meindl verwendet oft verschachtelte Sätze, etliche Wortspiele und viele Gedanken der Protagonisten, die sich manchmal überschlagen; und sie bedient sich an sehr vielen Stellen in ihrem Debütroman einer humorvollen Sprache. Die verschiedenen Handlungsstränge sind gut miteinander verknüpft, die Anekdoten der Traditionsbewussten und der Modernen reißen sehr viele Themen an, dennoch wirkt das Werk nicht überladen. Dem Besuch der beiden Schwestern in der nachgebauten Stadt wird gerade soviel Platz eingeräumt, wie diese Kopie verdient. Insgesamt handelt es sich bei dem Roman um ein Buch, das man wegen seiner Sogwirkung nicht gerne aus der Hand gibt.

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Die Kissen-Verschwörung

Der ganz besondere Saft
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Mario untersucht mit seinem Kollegen Tristan ein neuartiges Sargkissen mit integriertem Blutkonservenhalter. Da etliche Nutzer unter Tagschlafstörungen und Fangzahnverkürzungen leiden, gehen die beiden ...

Mario untersucht mit seinem Kollegen Tristan ein neuartiges Sargkissen mit integriertem Blutkonservenhalter. Da etliche Nutzer unter Tagschlafstörungen und Fangzahnverkürzungen leiden, gehen die beiden Vampirprodukttester den Ursachen nach und entdecken nicht nur mysteriöse Lügen, Särge und Blutkonserven, sondern sogar Knoblauchpressen, die damit in Zusammenhang stehen.
Eine Blutkonserve am Cover des Vampirromans scheint schon etwas ungewöhnlich. Man fragt sich, ob die Nachtgestalten nicht mehr selber zubeißen und erfährt während des Lesens so einige weitere Besonderheiten im Leben eines Vampirs, die bisher noch unerforscht – oder jedenfalls unveröffentlicht - schienen. In angenehmer Sprache und mit lebhaften Dialogen unterstrichen, lässt der Autor die Welt der Nacht vor dem Auge des Lesers auftauchen. Wie gewohnt liegt der Antrieb des Autors im Unterhalten seines Publikums. Und dieses wird auch in diesem Buch nicht enttäuscht; sehr humorvoll schildert Manderley das Leben der Untoten, deren Wohnungen und Arbeitsplätze, und letztlich auch deren Charakterzüge, die gar nicht so sehr von uns Menschen abweichen. Bekanntes über Vampire vermischt sich dabei mit außergewöhnlichen Situationen und Eigenheiten, die man so gar nicht erwartet. Wer hätte gedacht, was sich in unseren Städten während der Nachtstunden – und eigentlich doch vor unser aller Augen – so alles abspielt.
Man muss nicht unbedingt zu den Hartgesottenen und Unerschrockenen zählen, um an dieser Geschichte seine reine Freude zu haben. Man braucht nur Humor und den Willen, sich einige Stunden witziger Unterhaltung ins Haus zu holen – oder wo immer man sonst (in sicherer Umgebung) lesen will ...

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