Viel Liebe, geringe Fallhöhe
Zeilenflüstern (Sweet Lemon Agency, Band 1)Ich habe das Buch gelesen, weil es um einen Hörbuchsprecher geht und nach einer leichten Lektüre klang. Leider war's für mich zu leicht, zu schwärmerisch und eher ein Jugendbuch. Die Liebe steht klar im ...
Ich habe das Buch gelesen, weil es um einen Hörbuchsprecher geht und nach einer leichten Lektüre klang. Leider war's für mich zu leicht, zu schwärmerisch und eher ein Jugendbuch. Die Liebe steht klar im Mittelpunkt. Und es gibt sehr, sehr viele Themen, die das Buch aussführlich durch- und zerdenkt.
Rezi enthält Spoiler!
Worum geht es?
Klara hat gehörlose Eltern und hadert mit dieser Rolle. Außerdem hat sie nach einigen Rückschlägen ihren ersten Job bei einer Werbeagentur angefangen und ist unsicher, ob sie das hinbekommt. Ihre Stütze ist die Stimme eines Hörbuchsprechers, der sie jeden Nacht in den Schlaf begleitet. Als sich die beiden treffen, sprühen Funken. Doch auch Noel ist gescheitert: Der Schaupsieler ist nach einer Durststrecke wieder bei seinen Eltern eingezogen und kann sich nicht aufraffen, weiterzumachen. Zwei Menschen, die geschaffen sind, einander zu stützen.
Wie hat mir das Buch gefallen?
Als erstes aufgefallen ist mir, dass Klaras CODA-Dasein behandelt wird, aber nicht im Mittelpunkt steht. Ich fand das gut, weil das ein Teil ihrer Kultur ist, aber nicht ihr Leben definiert. Als Kind gehörloser Eltern muss sie oft die Vermittlerrolle zwischen der "hörenden" Welt und der Welt der Hörbehinderten einnehmen. Sie ist es gewohnt, Verantwortung zu tragen, kann diese aber schwer ablegen. Außerdem eckt sie in beiden Kulturen an. Interessant fand ich, dass sie oft laute Geräusche macht, weil diese in ihrer Kultur keine Rolle spielen. Deswegen hat sie manchmal Probleme mit Hörenden. Das klang für mich realistisch. Ich hätte aber gern mehr davon gelesen. Die Eltern spielen eher eine Nebenrolle, was ich später beim Thema "Abnabeln" nicht so gut fand.
Klara kämpft mit der Ablehnung und heilt langsam.
Im Gegensatz dazu ist Noels Probleme komplexer und ich hatte leider das Gefühl, dass es in 70 % des Buches um ihn geht. Noel kommt aus einer Handwerker-Familie, die sein Dasein als Schauspieler nicht wertschätzt. Er überdeckt das mit vermeintlicher Selbstsicherheit, spricht aber oft davon, dass er es nicht ist. Als er ein wichtiges Angebot für seine Ex-Freundin ablehnt, gibt er sich dem Selbtsmitleid hin und versinkt in Frust. Gerettet wird er nicht durch Klara, sondern durch ein Angebot seines Mentors.
Noel war für mich als Charakter interessant, aber nicht stimmig. Er redet ständig davon, arrogant zu sein, ist es aber nicht. Ohnehin sind die Figuren im Buch selten wirklich gemein, sondern eher selbstmitleidig. Er will ständig Rauchen, tut es aber oft nicht - ich wusste nicht, ob ich das witzig finde oder unnötig. Ich fand's interessant, dass er gern Theater spielt, aber TV usw. ablehnt. Ich hätte gern mehr über das Theater und seinen Ansatz gelesen, das ging aber unter. Stattdessen liest man die üblichen Phrasen, dass sich ein Schauspielender durchsichtig machen müsse. Das ist leider ein Klischee.
Gut fand ich den Konflikt mit der Familie. Denn dort wird klar, dass beide Seiten ihren Teil dazu beigetragen haben, dass Noel sich unwohl fühlt.
Ein Schwerpunkt des Buches ist das Kollektiv, vor allem in der Werbeagentur. Ob Feministin Franka, die überkorrekte Amelie, Chef-mit-Herz Felix oder Jesse, jeder hat eine Rolle und diese machen das Buch bunt. Vor allem Franka tritt immer wieder für Klara ein und legt sich gern mit Felix an. Auch wenn die Fallhöhe bei allen Konflikten gering ist, empfand ich Franka als Fels in der Brandung. Das hat großen Spaß gemacht, ich habe mich dort sehr wohl gefühlt.
Der zweite Schwerpunkt sind die Gefühle. Liebe wird in aller Ausführlichkeit geschildert, das Schwanken zwischen Zweifel und Freude, später Leiden. Ich wähnte mich deswegen eher in einem Jugendbuch und man hätte das Buch gern um 50 Seiten kürzen können. Es war nett zu lesen, aber irgendwann hatte ich genug davon. Außerdem nervte mich, dass die Figuren lieber denken als reden.
Die Ausführlichkeit betrifft auch die erotischen Szenen - sie sind wenig vorhanden, sind explizit, aber sanft geschildert. Aber auch sie ziehen sich sehr in die Länge, ohne, dass es interessant ist. Immerhin wird erwähnt, dass Klara ihren Körper nicht überall mag.
Was nicht hätte sein müssen, war die Nebengeschichte um einen Kunden, der Klara belästigt. Es fügte sich gut ein, wirkte aber wie ein Spannungspunkt, der nicht nötig war. Es ist ein wichtiges Thema, aber hier hätte man das weglassen können. Vor allem, weil es nach Klaras Rettung wieder nur um Noels Problem geht; sie selbst scheint das so gut verkraftet zu haben, dass sie danach problemlos körperlich werden kann.
Auch einen Ex-Freund Klaras fand ich unnötig, weil die Idee eines anderen CODAs toll war, aber sein Auftritt zu klein ist.
Allgemein hat mich gestört, dass Konflikte schnell gelöst werden oder nie so schlimm sind, dass ich als Leser:in leide. Ein Satz, der oft vorkommt ist "Ich habe mich damit gerechnet, dass ..." - und dann passiert es trotzdem. Deutlich wird das am Anfang, als Klara sich innerlich aufregt, dass niemand wertschätzt, wie anstrengend die Übersetzung von Gebärden ist - aber einige Moment später Noel genau DAS feststellt.
Die Geschichte spielt überwiegend in Frankfurt, viele Orte werden genannt. Als Einheimischer hat man sicher Spaß dabei. Dresden als zweiter Schauplatz wird erwähnt, die Stadt aber nicht beschrieben. Ich habe mich gefreut, dass endlich mal eine ungewöhnliche Kleinstadt im Mittelpunkt steht, aber letztlich hätte es auch Annaberg, Chemnitz oder Buxtehude sein können.
Fazit
"Zeilenflüstern" ist ein gemütlicher Liebesroman mit interessanten Themen. Man leidet nicht viel, die Liebe wird in aller Ausführlichkeit geschildert, nebenbei gibt es ein tolles Kollektiv. Meins war es nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass viele Leser:innen genau das lieben werden.