Düstere, fesselnde Atmosphäre
Es war einmal …
… ein See, der nie zufriert, in dem nichts lebt, in dem nie jemand schwimmt. Dort draußen in dem toten Wald, in dem ein toter Wolf vor einer einsamen Hütte wacht.
»Geh nicht hin, sagen ...
Es war einmal …
… ein See, der nie zufriert, in dem nichts lebt, in dem nie jemand schwimmt. Dort draußen in dem toten Wald, in dem ein toter Wolf vor einer einsamen Hütte wacht.
»Geh nicht hin, sagen sie, aber hier bist du und wirst wiederkommen, du weißt es. Der See hat seine Fäden um dich gesponnen, du bist ihm ins Netz gegangen.« S.14
Doch Karoline wird magisch davon angezogen und von Sam, der zurückgekehrt ist. Sam, der Krähenjunge, der gar kein Junge ist und nie einer war, den eine seltsame Stille umgibt. Von dem alle in der Bäckerei reden und doch schweigen. Der Enkel von der Anna, die vor vielen Jahren von einem reichen Münchner im Cabrio mitgenommen wurde. Märchen, denkt sich Karolina, sie erzählen nichts als Märchen. Doch dann spürt sie Sams unheimliche Aura, der sie sich nicht entziehen kann.
Auch wir Leser*innen können uns nicht dem unheimlichen, schaurigen Sog entziehen, der entsteht, wenn die Autorin viele Stimmen zu Wort kommen lässt. Menschen, die Sam kannten oder auch nur die Gerüchte über ihn, dem scheinbar alles gelingt, der auftaucht und verschwindet, der die Gabe hat, Menschen anzuziehen.
»Und dann hat er mich angesehen, mit diesem ganz speziellen Sam-Blick, bei dem du automatisch die Arme hochreißen willst zur Abwehr. Aber es hilft ja nichts, du kommst nicht von ihm los, nicht weiter als die Motten vom Licht. Nur das Sam kein Licht gibt, nicht die kleinste Spur davon.« S.127
Menschen sterben und die Leute wissen, dass Sam der Schuldige ist, allein, weil er in ihrer Nähe war. Oder wollen sie es nur wissen? Sie legen die Fährte, der die Polizei folgen soll, nur damit alles wieder so wird, wie es war, bevor das Gewitter den See erschaffen hat, von dem es heißt, gefrorene Blitze lägen noch immer auf dessen Grund.
Es ist ein atmosphärisches Debüt, dass hier die Autorin auf unkonventionelle, poetische Weise erzählt. In vielen Perspektiven versucht sie Sams Geschichte und seinem Wesen auf den Grund zu gehen. Spinnt viele Fäden, die sich verknüpfen oder auch nicht, hebt die Chronologie der Ereignisse auf und lüftet doch nie den Nebelschleier ganz. Etwas Mystisches, Dunkles schwebt beim Lesen ständig über einem, greift nach einem und irgendwann lässt man sich einfach treiben.
Alte Familiengeschichten, wabernde Gerüchte, Tod, Verlust und Leid – um all das dreht sich die Geschichte und lässt sich doch nicht greifen. Ebenso wenig lässt es sich in irgendein Genre einordnen – muss es auch gar nicht. Ob nun Schauergeschichte, modernes Märchen oder Krimi, man muss sich nur drauf einlassen.
Wer die Atmosphäre von Tannöd mochte, oder Geschichten, die die Grenzen zur Wirklichkeit aufheben, mit der Wahrnehmung spielen, findet im Krähenjungen eine sehr lesenswerte Geschichte. Mich hat sie absolut gefesselt.