Augenöffnender Überblick
Beklaute FrauenDie meisten großen Entdeckungen, Erfindungen und Entwicklungen der Vergangenheit verbinden wir mit Männern. Dabei ist es nicht so, als wären Frauen untätig gewesen – ihr Einfluss wird nur seit jeher aus ...
Die meisten großen Entdeckungen, Erfindungen und Entwicklungen der Vergangenheit verbinden wir mit Männern. Dabei ist es nicht so, als wären Frauen untätig gewesen – ihr Einfluss wird nur seit jeher aus der Geschichte radiert oder mit Begriffen wie »Sekretärin«, »Ehefrau von ...« etc. abgetan. Diesen Frauen – Wissenschaftlerinnen, Autorinnen, Kämpferinnen, Künstlerinnen – wird hiermit die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie von Anfang an verdient hätten.
»Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt; vor allen anderen steht ein System, das sie aufhält.« Mit diesem Satz hab ich gleich schon im Klappentext von »Beklaute Frauen« eine Aussage bekommen, die sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Generell gab es so einige Passagen in dem Buch, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Die mir auch nochmal vor Augen geführt haben, wie begrenzt mein Horizont, meine Wahrnehmung eigentlich ist, obwohl ich das zu vermeiden versuche. Dabei hebt das Buch aber nicht den belehrenden Finger hoch, sondern klärt lediglich auf.
Ich finde es gut und richtig, wie viele verschiedene Bereiche dabei in diesem Buch aufgemacht werden. Es geht um Revolutionen und den Kampf um Rechte, um Physik und generell Naturwissenschaften, um Kunst, um die Ehe an sich, um Bildung, um Autorinnenschaft, … denn in jedem dieser Bereiche gibt es genug zum Thema zu sagen. Dabei bezieht sich Leonie Schöler auch immer wieder auf unsere heutige Zeit, vergleicht und verbindet mit der aktuellen Situation; und die letzten Kapitel bzgl. Bildung oder auch dem Internet setzen sich ganz explizit mit der Welt auseinander, in der wir in diesem Augenblick leben. So gibt »Beklaute Frauen« ein wirklich gutes Rundumpaket.
Außerdem findet die Autorin eine gute Balance zwischen dem Bericht von einzelnen Frauen, und ihrem Leben im Speziellen, und dem großen Ganzen. Die meisten Kapitel haben jeweils eine Frau im Fokus, wie zum Beispiel Mileva Marić oder Rosalind Franklin. Trotzdem gibt es auch breite Überblicke, und trotzdem wird immer wieder klargemacht, dass das keine 'Einzelschicksale' sind, auch wenn hier eben nur ausgewählte Frauen genannt werden (können). Das ganze hat System und das wird in dem Buch auch immer wieder herausgearbeitet. Diese ganze Mischung aus verschiedenen Oberbereichen, verschiedenen Frauen, verschiedenen Herangehensweisen hat mir extrem gut gefallen an dem Buch.
Man darf beim Lesen allerdings nicht vergessen, dass es immer noch ein Geschichtsbuch und die Autorin Historikerin ist. Das merkt man, das darf man auch merken; aber trotzdem hab ich mich (nach dem eingängigen Prolog) etwas schwer getan, ins Buch reinzufinden. Es geht mit dem Thema Revolutionen los, und dort wurden erstmal viele Zusammenhänge erklärt, die für mich zunächst etwas trocken wirkten. Die aber natürlich trotzdem wichtig sind. Generell gibt die Autorin auch immer einen Grundriss über die Situation, in der sich die »Protagonistinnen« des Kapitels befinden, damit man das ganze einordnen kann. Das ist nämlich unerlässlich, um die Zusammenhänge zu verstehen und die Gegebenheiten nachvollziehen zu können. Trotzdem liest es sich dadurch nicht gerade locker runter – wobei schon hier und da auch mal Alltagssprache und -Formulierungen auftauchen, und Leonie Schöler stets so schreibt, dass man es auch versteht, wenn man nicht im Thema ist. Das ist auf jeden Fall gelungen.
Ich habe mit diesem Buch einige Frauen neu kennengelernt, von denen ich hoffe, dass sie mir im Gedächtnis bleiben. Und ich hab auf jeden Fall wieder einiges daraus mitnehmen können. Es ist ein Geschichtsbuch, das nicht als lockere Abendlektüre funktioniert (was es auch gar nicht soll), aber meiner Meinung nach unbedingt gelesen werden sollte, weil ich es inhaltlich extrem wichtig finde und es wirklich gut gemacht ist. Ich bin froh, es gelesen zu haben und empfehle es auf jeden Fall weiter. 4,5 Sterne.