Als Janine bei 'vergessene Schätze' damals dieses Buch vorgestellt hat, war mir ziemlich schnell klar, dass ich es unbedingt lesen möchte, denn ihre Rezension hat mich schon sehr neugierig gemacht.
Schon sehr früh fing ich an, mir Textstellen zu markieren, die mir einfach unheimlich gut gefielen. Die Autorin hat einen super Schreibstil, der zwar ruhig / leise daherkommt, aber dennoch voll einschlägt - nicht zuletzt, weil er sehr bildhaft ist.
"Es gefiel dir, unser Leben mit einem Wasserlauf zu vergleichen. »Jetzt sind wir ein Gebirgsbach«, sagtest du, »springen ungestüm zwischen Felsblöcken, bilden Wasserfälle, und unser Plätschern und Rauschen hallt von den Gipfeln bis ins Tal. Eines Tages jedoch werden wir Flüsse in der Ebene sein - ruhig, breit und träge -, und wir werden gar keine Geräusche mehr machen außer dem Rascheln, das der Wind erzeugt, wenn er durch die Weiden streicht.«
»Wird das langweilig sein?«, fragte ich.
»Nein, ganz natürlich.«" (S.16)
Auch lässt sie ihre Figuren immer wieder die richtigen Fragen stellen - selbst wenn sie keine Antworten darauf bekommen / erwarten.
"»Warum leben wir?«" (S.16)
"Oft habe ich mich gefragt, ob die Einsamkeit die Sensibilität erhöht oder ob man die Einsamkeit wählt, weil man zu sensibel ist" (S.40)
Dass Susanna Tamaro ihre Hauptfigur Matteo in der Ich-Form erzählen lässt, macht dieses Buch unheimlich persönlich. Er spricht quasi zu seiner verstorbenen Frau, erzählt ihr das Leben, was er nun ohne sie leben muss und fragt sie / sich, wie sie es in diesem Augenblick empfinden würde.
Wer nun meint, er bekommt hier einen Roman präsentiert, der sich damit beschäftigt, dass jemand seine Trauer nicht überwinden kann und anfängt, mit Toten zu reden, dem sei gesagt, dass man es eher so sehen sollte, als wenn Matteo ein (Tage)Buch an seine Frau schreibt.
Ich persönlich finde diesen Weg gut gewählt und mir war das daher nicht zu viel, weil das Übernatürliche wirklich nicht thematisiert wird. Da ich auch schon einen sehr schweren Verlust hinnehmen musste, konnte ich mich gut in den Protagonisten hineinversetzen. Seine Trauer und Wut und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit konnte ich perfekt nachvollziehen.
"»Sie waren doch Arzt, Kardiologe, nicht wahr?«, [...]
»Ja.«
»Sie brachten Herzen in Ordnung.«
»In den Grenzen des Möglichen.«
»Nun, das machen Sie ja jetzt auch, oder? In gewisser Weise bringen Sie Herzen wieder in Ordnung, nicht wahr?«
»Mit dem Skalpell war es einfacher«, erwiderte ich." (S. 182 / 183)
Das Einzige, was mir nicht so richtig gefallen hat und was ich schon voraussah, war das Ende. Aber das tut der Geschichte an sich keinen Abbruch.
Für mich ist dieses Buch wirklich das Richtige gewesen. Es behandelt ein trauriges Thema auf sehr würdevolle Weise. Es zeigt einen Weg auf, mit diesem Thema umzugehen, der vielleicht nicht immer der beste ist, der jedoch teilweise auch helfen kann und sehr nachvollziehbar bleibt.
"Auf jede Tragödie folgt eine Flut von »Wenns«, und diese Fragen wiegen schwer wie ein Rucksack voller Steine, und wer die Tragödie miterlebt hat, trägt ihn für immer auf den Schultern. Wenn man sich an den »Wenns« entlanghangelt - als ob es ein Seil wäre, das uns zugeworfen wird, um uns zu retten -, wird einem klar, dass auf ein »Wenn« stets ein weiteres folgt und noch dann noch eines und noch eines. Man streckt die Hand aus, überzeugt, es sei das letzte, und findet immer noch weitere, sodass man sich zuletzt, bevor man erschöpft umfällt, ergeben muss. Das einzig gültige »Wenn«, das alle anderen in sich birgt, ist nur eines: Wenn ich nie geboren worden wäre." (S. 72 / 73)
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