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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.05.2024

Tolle Sprache und fantastisches Setting

Die Tage des Wals
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1938. Manod lebt mit ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester auf einer walisischen Insel. Die Geschichte beginnt, als ebendort ein Wal strandet und gleichzeitig zwei Wissenschaftler vom englischen Festland ...

1938. Manod lebt mit ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester auf einer walisischen Insel. Die Geschichte beginnt, als ebendort ein Wal strandet und gleichzeitig zwei Wissenschaftler vom englischen Festland anreisen um das Leben auf der Insel zu dokumentieren. Wir tauchen mit einer bildgewaltigen Sprache in das Leben auf dieser kleinen Insel, auf der die Menschen von Fischerei, Hummerfang und auch ein wenig Schafzucht leben, ein. Manod möchte aus dieser Welt ausbrechen, möchte mehr vom Leben und hebt sich von den restlichen Inselbewohnern durch ihr Wissen und sprachlichen Fähigkeiten (sie arbeitet als Dolmetscherin für die Wissenschaftler, da sie neben walisisch auch englisch spricht) ab. Sie ist erst 18 Jahre alt, nimmt aber seit dem Tod ihrer Mutter bereits eine Art Mutterrolle für ihre kleine Schwester ein. In den wenigen Tagen, die hier abgebildet werden, macht sie eine enorme Entwicklung durch, weshalb man diese Geschichte durchaus als Coming of Age einordnen kann.

Für mich besticht das Buch vor allem durch die Sprache, die Art der Erzählung (es werden immer wieder die Notizen der Wissenschaftler eingewoben) und das großartige Setting. Im Nachwort wird darauf hingewiesen, dass es eine ähnliche Dokumentation, wie es im Buch beschrieben ist auch tatsächlich über eine reale Insel gegeben hat. Dabei wurde das Leben der Inselbewohner nicht korrekt wiedergegeben. Man merkt bereits während des Lesens die Diskrepanz zwischen Realität und Dokumentation, unter anderem durch Manods Kommentare und Aufzeichnungen der Forscher. Mit dem Wissen aus dem Nachwort sieht man die beiden Engländer noch einmal mit anderen Augen.

Mir hat der Ausflug auf die walisischen Inseln, in die raue Natur, zu Kälte, Nässe und einem lebensbedrohlichen Meer wahnsinnig gut gefallen und ich empfehle das Buch allen, die sich in eine ganz andere Welt entführen lassen möchten.

Veröffentlicht am 05.05.2024

Was wäre, wenn…

Und alle so still
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…Frauen nicht mehr in der Lage und Willens sind alle die Aufgaben zu übernehmen, die die Gesellschaft ihnen seit Jahrhunderten ungefragt abverlangt?

Diese Szenario wird auf sehr eindrückliche und mitreißende ...

…Frauen nicht mehr in der Lage und Willens sind alle die Aufgaben zu übernehmen, die die Gesellschaft ihnen seit Jahrhunderten ungefragt abverlangt?

Diese Szenario wird auf sehr eindrückliche und mitreißende Art hier beschrieben. Man fragt sich stets wieviel ist hier Fiktion und was ungeschöhnte Realität, wenn sich die Hälfte der Gesellschaft kollektiv verweigert. Ganz besonders im Gedächtnis hängen geblieben ist mir die Antwort der Frauen auf die Feststellung, dass ja dann keiner mehr die Kinder oder pflegebedürftige Personen versorgt, wenn sie es nicht tun: Ja. Dieses eine Wort sagt so viel aus. Ja, man weiß, dass es kein anderer tun wird, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man einfach nicht mehr kann.
Und so gibt es ein Vielfaches an Momenten in diesem Buch, in denen genau das ausgesprochen wird, was ich mir gedacht habe. Das ist irgendwie beängstigend aber gleichzeitig auch unglaublich bestärkend: ich bin nicht die Einzige.

Das Buch kann und will keine allumfassende Lösung für ein Problem finden, für das es keine einfache Lösung gibt. Aber es zeigt, was definitiv nicht zielführend ist: hier noch ein Gesetz und da noch eine Verordnung von einer Personengruppe (weiße Männer; ich sage jetzt bewusst nicht alte) beschlossen, die nicht betroffen ist. Doch liegt nicht auch viel in unseren eigenen Händen? Kann fehlender Anerkennung entgegengetreten und Entlastung dadurch geschaffen werden, in dem sich Frauen in einer Gemeinschaft organisieren, unterstützen und bewusst die Gesellschaft andere Frauen suchen? Ein intensives Gedankenexperiment, dass mich bewegt zurücklässt. Unbedingt lesen!

Veröffentlicht am 05.05.2024

Tolle Fortsetzung um Lennard Ipsen

Nebel über Rønne
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Ein Flugzeug mit drei toten Passagieren an Bord landet im beschaulichen Bornholm. Lennard, Britta und Tao müssen schnellstmöglich die rätselhaften Todesumstände aufklären, denn ihnen sitzt das Festland ...

Ein Flugzeug mit drei toten Passagieren an Bord landet im beschaulichen Bornholm. Lennard, Britta und Tao müssen schnellstmöglich die rätselhaften Todesumstände aufklären, denn ihnen sitzt das Festland in Form von Lennards ehemaligen Kollegen im Nacken, die den Fall übernehmen wollen; schließlich ist anzunehmen, dass die Inselpolizei mit einem solchen Fall überfordert sein wird.

Um es vorneweg zu nehmen: das hier ist der fantastische zweite Teil der Geschichte um Lennard Ipsen. Und er ist sogar noch besser als der erste (der mir schon wahnsinnig gut gefallen hat), weil es wieder eine wunderbare Liebeserklärung an die Insel ist! Wenn Landschaft und Personen beschrieben werden, kann man nicht anders als dringend die Buchung für den Sommerurlaub stornieren und ein Ticket für die Fähre nach Rønne lösen zu wollen.

Der Fall, den die drei Ermittler zu lösen haben, ist etwas kniffelig und mehrfach bin ich der falschen Fährte gefolgt. Am Ende hab ich mir mal wieder gedacht „hätte man drauf kommen können“, aber nein, ich komme natürlich wieder mal nicht drauf. Das spricht ja immer für einen guten Krimi, wenn man als erfahrener Krimileser eben nicht hinter die Auflösung kommt, finde ich.
Ich komme nicht umhin noch einen Aspekt, den ich beim ersten Teil schon so positiv hervorheben musste, noch mal zu wiederholen: die Protagonisten sind absolut authentisch und ganz normale Menschen. Hier steht ganz eindeutig die Geschichte und das Setting und nicht irgendwelche abgedrehten Charaktere, mit denen man sich nicht identifizieren kann, im Vordergrund. Gerade beim Umgang Lennards mit seinen Töchtern musste ich oft schmunzeln und habe mich ertappt gefühlt.

Ich hoffe jetzt auf jeden Fall, dass es ein Wiedersehen mit Lennard geben wird und kann bis dahin diese Buch und seinen Vorgänger sehr empfehlen!

Veröffentlicht am 27.04.2024

Intensiv und fesselnd

Geordnete Verhältnisse
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Philipp und Faina sind, seit Faina als Kind mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, die besten Freunde. Diese Freundschaft wandelt sich im Laufe des Buches und mündet in einer ...

Philipp und Faina sind, seit Faina als Kind mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, die besten Freunde. Diese Freundschaft wandelt sich im Laufe des Buches und mündet in einer absoluten Abhängigkeit und Toxizität, die ihresgleichen sucht.

Diese Geschichte ist einfach krass. Für mich trifft es das ziemlich genau, weil es vor Extremen strotzt und es mich als Leserin fassungs- und nahezu sprachlos zurücklässt. Das Buch führt uns in die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche und da das Setting das Ganze so nahe an mich heranbringt (Philipp und ich haben im gleichen Jahr Abi gemacht und deutsche Systeme und Denkweisen werden sehr authentisch wiedergegeben) ist es unglaublich bedrückend.

Die Erzählung jeweils aus Sicht von Philipp und Faina ist sehr sehr gut gelungen. Ich habe die ganze Zeit versucht zu verstehen wie es zu solch einer Eskalation kommen könnte, dass es dazu kommt ahnt man von Anfang an. Philipp wird durch seinen POV nicht sympathischer und diese Erzählsicht hat auch nicht das Ziel sein Handeln zu entschuldigen. Vielmehr bringt es eine unglaubliche Intensität und Grausamkeit in die Erzählung.
Wenn man eine Triggerwarnung aussprechen wollen würde, würde diese wahrscheinlich die gesamte erste Seite des Buches einnehmen, daher sollte man vor dieser Lektüre einfach wissen, dass man sich auf richtig harte Kost einlässt, die allerdings so wahnsinnig gut erzählt wird, dass man gleichzeit schreien und weinen will. Mich beschäftigt die Geschichte seit Tagen und das wird sicherlich auch noch eine Zeit so bleiben.

Veröffentlicht am 20.04.2024

Intensive Familiengeschichte mit Sogwirkung

Treibgut
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Adam Gardener, PhD, renommierter Walforscher, hat, nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt der gemeinsamen Tochter Abby, seine beiden Kinder alleine großziehen müssen. Als sein 70er Geburtstag vor der ...

Adam Gardener, PhD, renommierter Walforscher, hat, nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt der gemeinsamen Tochter Abby, seine beiden Kinder alleine großziehen müssen. Als sein 70er Geburtstag vor der Tür steht, will er der Wissenschaftswelt beweisen, dass er es noch drauf hat. Er setzt die Medikamente, die er aufgrund seiner manisch-depressiven Störung nimmt, ab, um seinem Genie freien Lauf zu lassen. Doch das ist nicht das einzige Geheimnis, das sich bis zu seiner großen Geburtstagsfeier Bahn bricht.

De facto ist es eine Geschichte über die beiden Kinder Adams, Abby und Ken, die unter der psychischen Erkrankung ihres Vaters und dem Tod ihrer Mutter eine große Last auf ihren Schultern tragen. Dass diese erst Jahrzehnte später überhaupt einmal von den beiden aufgearbeitet wird, zeigt schon, welche Explosionsgefahr sich dahinter verbirgt. Das Unheil schaukelt sich von Seite zu Seite herauf, bis an Adams Geburtstag alles auf dem Tisch liegt und klar ist, dass es nicht mehr so weiter gehen kann wie zuvor.

Diese Entwicklung ist unglaublich spannend anzusehen. Ich war davon gefesselt und bin durch die Seiten geflogen. Besonders gut hat mir gefallen, dass die weiblichen Protagonistinnen hier besonders stark herausgearbeitet sind, während die Herren der Schöpfung eher unangenehm auffallen. Die Persönlichkeiten der Männer sind durch die Krankheit (Adam) und das Kindheitstrauma (Ken) bestimmt, wodurch ich zwar Verständnis für die beiden hatte, sie aber dennoch unsympathisch sind. Ich denke hier wurde ganz bewusst der Fokus auf die Frauen gelegt, da jede von ihnen auch ihr Päckchen mit sich trägt, sie aber gefestigt und vor allem durch ihren internen Zusammenhalt viel besser mit den Widrigkeiten des Lebens klarkommen und sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen.

Von mir gibt es definitiv eine große Leseempfehlung für Liebhaber von feministischen, tiefgründigen Familiengeschichten!