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Veröffentlicht am 04.04.2022

Von Menschen und Pinguinen

Miss Veronica und das Wunder der Pinguine
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Muss man erst 86 Jahre alt werden, um reden zu können, wie einem der Schnabel gewachsen ist, auch wenn man kein Pinguin ist? Oder liegt es daran, dass einem das Leben in diesen 86 Jahren immer wieder übel ...

Muss man erst 86 Jahre alt werden, um reden zu können, wie einem der Schnabel gewachsen ist, auch wenn man kein Pinguin ist? Oder liegt es daran, dass einem das Leben in diesen 86 Jahren immer wieder übel mitgespielt hat und man sich von Gott und der Welt im Stich gelassen fühlt?
Letzteres trifft sicherlich auch auf Veronica McCreedy zu. Die alte bärbeißig-bissige Lady fragt auf ihrem schottischen Landsitz, den sie ganz allein bewohnt, was von ihrem Leben bleibt, wenn sie nicht mehr ist, und muss feststellen, nicht viel. Auch wenn sie sich nach den Worten ihres Vaters bemüht, dass es Menschen gebe, die die Welt schlechter machten, solche, die keinen Unterschied machten, und solche, die die Welt besser machten, zu den letzteren zu gehören, muss sie feststellen, dass das Müllsammeln auf Spaziergängen an der schottischen Küste, sie nicht ganz dazu qualifiziert. Als sie im Fernsehen davon hört, dass die Pinguine bald zu den vom Aussterben bedrohten Arten gehören werden, beschließt sie, ihr nicht unbeträchtliches Vermögen einer Forschungsstation in der Antarktis zu vermachen. Allerdings nicht ohne einen Haken: Sie will selbst dorthin reisen, um sich vor Ort zu überzeugen, dass ihr Geld auch einer lohnenswerten Sache zukommt, falls sich nicht doch irgendwo noch ein Nachkomme und damit Erbe ihres Besitzes auftreiben lässt. Ja, falls …
Die Geschichte, wie die Pinguine Veronicas Herz erweichen – und schließlich nicht nur die Pinguine – und sie sich entschließt, ihre lange streng verschlossene Lebensgeschichte zu enthüllen, ist schon herzerwärmend und aufgrund der Ecken und Kanten ihrer Heldin nicht über Gebühr rührselig emotional. Immer wieder holen ihre schroffe Art und ihr vom Leben geschulter Sinn für schonungslose Offenheit und ein gewisser Sinn für Pragmatismus den Leser auf den Boden der Realität zurück. Ihr „Gegenspieler“ diesbezüglich ist der kleine Pinguinwaise Patrick oder auch Pip, der nicht nur Veronicas Herz erobert, sondern auch das der Leser, denn Tiere lügen nicht, sind nie falsch, sondern bedingungslos offen und zugewandt. Auch die anderen Charaktere des Romans wachsen dem Leser jeder auf seine Weise ans Herz und er ist beruhigt zu lesen, wie sich zum Ende hin alles in Wohlgefallen auflöst.
Der Stil der Autorin ist klar und warm, aber nicht kitschig oder sentimental. Sie schreibt lebhaft, locker und leicht, ohne Phrasen und schwülstige Lebensweisheiten. Der Leser fühlt sich stets gut unterhalten, und er kommt in seiner eigenen hektischen Alltagswelt für die Momente des Lesens immer einmal wieder zur Ruhe, wenn er abtaucht in die Welt von Veronica und den Pinguinen.

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2023

Schöne Strandbadlektüre

Das Strandbad am Wolzensee
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Luisa von Rochlitz lebt mit ihrer Familie im Sommersitz am Wolzensee. Der Zweite Weltkrieg hat der Familie Vermögen, Grundbesitz und Wohnhaus von den russischen Besatzern genommen. Das Familienoberhaupt ...

Luisa von Rochlitz lebt mit ihrer Familie im Sommersitz am Wolzensee. Der Zweite Weltkrieg hat der Familie Vermögen, Grundbesitz und Wohnhaus von den russischen Besatzern genommen. Das Familienoberhaupt und der jüngste Bruder haben den Krieg nicht überlebt. Luisas Mann ist schwer traumatisiert und verwundet aus dem Krieg heimgekehrt. Ihr älterer Bruder gilt noch als vermisst. So nimmt Luisa mit Hilfe ihrer Schwiegermutter die Geschicke der Familie in die Hand. Sie muss Geld verdienen, um neben ihrem Mann auch ihre eigene Mutter, ihre Schwägerin und deren Sohn über die Runde zu bringen. Langsam geht es im Deutschland zu Beginn der 50er Jahre wieder aufwärts. Von daher kommt Luisa auf die Idee am Wolzensee ein Strandbad zu eröffnen, das ihrer Familie das Überleben sichern sollen. Mit viel Kreativität und Geschäftssinn und mit der tatkräftigen Unterstützung des handwerklich begabten Paul Rößler stürzt sie sich in die neue Aufgabe gegen immer wieder neue Widerstände. Gibt es für Luisas Träume eine Zukunft? Und gibt es für sie die Chance auf ein wenig Glück in dieser für ihre Familie nicht einfachen Zeit?
Es gelingt der Autorin mit ihren Beschreibungen des Treibens am Wolzensee auf der einen Seite die herrlich unbeschwerte Zeit eines Kindheitssommers heraufzubeschwören: Badevergnügen, Treetbootfahren, erfrischende Brause in heißen Sommern – und das alles vor einer landschaftlich reizvollen Kulisse eines unberührten Fleckchens Natur. Auf der anderen Seite packen den Leser aber die immer aufs Neue packenden Wendungen des Schicksals der Bewohner am Wolzensee. Die Figurenkonstellation ist geschickt gewählt, dass Spannung, Drama und Gefühl die Handlung stets weiter vorantreiben und der Leser sich von der Geschichte packen lässt. Lediglich gegen Ende wird es mir dann doch ein wenig zu melodramatisch und die den Jahreszeiten so sehr verpflichtete heimelige Atmosphäre geht ein wenig im Sturm der Gefühle und dem Hin- und Hergeworfensein der Protagonisten unter. Hier wäre unter Umständen Weniger mehr gewesen. Aber auf jeden Fall gute Unterhaltung für die Stunden auf der Liegewiese, wenn man sich ab und an eine Abkühlung im See gönnen kann.

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  • Gefühl
Veröffentlicht am 13.06.2024

Stunde null der Frauen

Die kurze Stunde der Frauen
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Dass diese Stunde null der Frauen genauso ein Mythos ist wie die Stunde null für Deutschland nach dem Krieg macht schon der Titel von Miriam Gebhardts neuem Sachbuch „Die kurze Stunde der Frauen“ deutlich. ...

Dass diese Stunde null der Frauen genauso ein Mythos ist wie die Stunde null für Deutschland nach dem Krieg macht schon der Titel von Miriam Gebhardts neuem Sachbuch „Die kurze Stunde der Frauen“ deutlich. Sie räumt darin – nicht neu – mit dem Mythos der Trümmerfrauen auf, die Deutschland aus dem Nichts neu erschufen. Und sie fragt, wieso sich die Frauen nach einer kurzen Phase der Selbst- und Mitbestimmung wieder in die alte Rolle mit den drei Ks – Kinder, Küche, Kirche zurückdrängen ließen. Dazu trägt sie interessante Fakten und Kurzbiographien von Frauen zusammen, die die Stunde null mitgestalteten. Meist eher mitgestalten mussten, weil die Männer nicht (mehr) da waren, gefallen, gefangen genommen oder gebrandmarkt. Dagegen wurde ein Bild von der unschuldigen Frau aufgebaut, ideologisch unverdächtig, weil politisch inaktiv, das nun geeignet war, ein demokratisches Deutschland auf den Trümmern zu errichten. Dass auch dieses Bild eher ideologischen als realistischen Ursprungs war, wird in den Darstellungen Miriam Gebhards deutlich. Zwar gab es – schon vor der Stunde null – politisch engagierte Frauen, die für Mit- und Selbstbestimmung kämpften. Aber viele Frauen waren eben auch froh, als sie die Verantwortung für Familie, für die Beschaffung des Lebensunterhaltes und auch für politische Fragen wieder den Männern überlassen konnte. Dass sie nicht darin bestärkt wurden, die ihnen auferzwungenen Rollen nach dem Zweiten Weltkrieg weiter einzunehmen, war in West- wie auch in Ostdeutschland, wenn auch aus unterschiedlichen ideologischen Gründen, ähnlich.
Die Darstellung Gebhardts scheint wertfrei zu sein. Sie gliedert sich in verschiedene Bereiche: Trümmerfrau, Mutter, Ehefrau, Frau in Ost und West, Arbeitnehmerin, Frau des öffentlichen Lebens. Dennoch kommt es – in der Natur der Sache liegend, denn keine Frau ist nur Arbeiterin, nur Frau, nur Ehefrau, nur Mutter, nur Arbeiterin – zu Redundanzen in dem ewig gleichen Fazit: Die Stunde der Frauen währte nicht lang, war nicht gewollt, sondern aus der Not geboren und von daher auch schnell wieder freiwillig beendet, nicht aber ohne Spuren in der Gesellschaft zu hinterlassen, auch wenn diese lange brauchten, sichtbar zu werden, sich aber bis heute noch nicht vollends durchgesetzt haben. Denn auch heute noch regiert eher – aus unterschiedlichen Gründen – die Stunde der Männer. Und so klingt auch durch Gebhardts Darstellung, die weder die Frauen heroisiert noch die Männer verteufelt, bisweilen ein leicht ironisch-kritischer Zug, der sich vor allem gegen eine Geschichtsbildung richtet, die die Frauen für eine bestimmte Sichtweise auf eine schwierige Anfangsstunde instrumentalisiert.

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Nette Sommergeschichte

Die Kranichfrauen
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Die Freundinnen Anna und Paula erleben einen ereignisreichen Sommer am Ammersee zur Zeit der amerikanischen Besatzung in München. Sie sollen für die Amerikaner ein Sommercamp auf dem Gelände des ehemalgen ...

Die Freundinnen Anna und Paula erleben einen ereignisreichen Sommer am Ammersee zur Zeit der amerikanischen Besatzung in München. Sie sollen für die Amerikaner ein Sommercamp auf dem Gelände des ehemalgen Yachtclubs von Paulas Vater errichten. Dort lehren sie die Kinder Segeln, Schwimmen, aber auch Nähen und allerlei Dinge über die Natur. Und lernen dabei auch etwas über sich selbst und ihre Träume vom Leben: Anna möchte Boote bauen, Paula Lehrerin werden, nicht ganz einfach in einer Zeit, als die Männer langsam aus dem Krieg wiederkehrten und ihre alte Rolle in der Gesellschaft zurückverlangten, während sie die Frauen wieder auf die ihnen angestammten Plätze in Kirche, Küche und bei den Kindern zurückverwiesen.
Am Anfang entwickelt sich die Story etwas schleppend, aber zunehmen nimmt sie an Fahrt und auch an Tiefe auf. Aus den Figurenkonstellationen ergeben sich spannende Ent- bzw. Verwicklungen um Liebe, Sehnsucht und Selbstverwirklichung. Die beiden Mädchen treffen auf Kriegsheimkehrer, einen Juden, der ins gelobte Land auswandern möchte, aber Angst vor dem Wasser hat und auf die Amerikaner, die mit dem Bewusstsein der siegreichen Besatzer den Deutschen ein amerikanischen Lebensgefühl vermitteln, aber auch die Sonnenseiten des Siegers auskosten wollen. So beanspruchen sie die „Kranich“, Paulas geliebtes Segelboot, als Siegestrophäe für sich. Das kann Paula nicht zulassen, und mit Anna schmiedet sie einen Plan.
Mit gut leserlichem Ton, wenn auch manchmal mit ein wenig einfacher Rührseligkeit schreibt die Autorin mit dem Roman „Die Kranichfrauen“ einen netten, unterhaltsamen Sommerroman, der dem Leser das Lebensgefühl und die Stimmung im Nachkriegsdeutschland mit besonderem Blick für die sich wandelnde Rolle der Frau vermittelt.

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Veröffentlicht am 21.04.2024

Ungeheurlich

Der Teufel von Tempelhof
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ist weniger der Mord als der Grund, warum er geschah.
Die Krimi-Reihe um Leo Wechsler und sein Team geht in die neunte Runde. Die Krimis von Susanne Goga sind nicht für ein blutrünstiges Publikum geschrieben ...

ist weniger der Mord als der Grund, warum er geschah.
Die Krimi-Reihe um Leo Wechsler und sein Team geht in die neunte Runde. Die Krimis von Susanne Goga sind nicht für ein blutrünstiges Publikum geschrieben oder für die Fans von düsteren Psychothrillern. Im Vordergrund steht eher das historische Kolorit, das Berlin der 20er Jahre. Aber stiller als in Volker Kutschers Krimireihe. Dabei gelingt es der Autorin immer wieder, spektakuläre Details der damaligen Zeit auszugraben und zu einem spannenden Fall zu machen. Die Krimis sind nicht rasant oder actionreich, aber haben - gerade wie der neueste - häufig eine dramatische Wendung zum Schluss. Auch im "Teufel vom Tempelhof" blickt man mit Leo Wechsler ungläubig in den Abgrund menschlichen Tuns. Ein toter Artz an einem sagenumwobenen Berliner Weiher, ein aus einer Besserungsanstalt entlaufenes Mädchen und eine Dame der High Society, die eigentlich nichts verbindet, sind in den Fall verwickelt. Lange ist Leo Wechsler auf einer falschen Spur, alle Wege, die er einschlägt, enden im Nichts. Und dann gibt es ein zweites Opfer, und dann auch noch ein drittes. Ein wenig frustriert auch den Leser den immer neuen Irrgang der Abteilung Gennat der Berliner Mordkommission, auch wenn das Abtauchen in das Berlin der damaligen Zeit für manches entschuldigt.
Schmerzlich vermisst man auch in diesem Band die Familiengeschichte Leo Wechslers, die viele der vorherigen Bände so sympathisch gemacht hat. Hier hat sie eher eine Randexistenz.
Aber insgesamt verspricht auch der neunte Band ein eher interessantes als spannendes und kurzweiliges Lesevergnügen, bei dem man nicht dümmer wird.

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