Atmosphärischer Krimi um Familiengeheimnisse
Verlassen„Verlassen“ von Eva Björg Ægisdóttir ist ein sehr gelungener Krimi, der sich durch einen flüssigen und mühelosen Schreibstil auszeichnet. Schon das sehr stimmungsvolle Cover mit dem schwarz-weißen Motiv ...
„Verlassen“ von Eva Björg Ægisdóttir ist ein sehr gelungener Krimi, der sich durch einen flüssigen und mühelosen Schreibstil auszeichnet. Schon das sehr stimmungsvolle Cover mit dem schwarz-weißen Motiv eines einsamen Boots im Schatten der Berge vermittelt eine düstere Atmosphäre und hat meine Neugier geweckt.
Anlässlich des 100. Geburtstag des bereits verstorbenen Familienoberhaupts und Unternehmensgründers Ingólfur Hákonarson versammelt sich die Familie für ein Wochenende in einem abgelegenen Hotel, um seiner zu gedenken. Während jedes Familienmitglied versucht, seine Probleme zu verbergen, beginnen die Fassaden allmählich zu bröckeln. Als ein Schneesturm aufzieht und ein Gast verschwindet, übernimmt Kriminalpolizist Sævar die Ermittlungen und deckt die dunklen Geheimnisse der Familie auf.
Jede Familie, jeder Person hat ihre Geheimnisse. Doch das vergessen wir gerne, wenn wir in den Medien nur die guten Seiten zu sehen kriegen. Wir vergessen, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat. Eindrucksvoll und gekonnt nimmt Ægisdóttir genau das als zentrales Thema für ihren Krimi auf - die verschiedenen Facetten von Geheimnissen und Abgründen auf, ohne dabei die Geschichte zu überfrachten oder den Leser zu überfordern. So spricht sie Themen wie die Gefahren von Social Media und den Medien allgemein ebenso an wie Betrug und Alkohol- und Drogenkonsum. Die Aktualität der Themen trägt sehr zur Spannung des Buchs bei!
Diese Spannung baut Ægisdóttir geschickt auf. Trotz der Vielzahl an Charakteren, die anfangs überwältigend wirken könnten, sorgt der am Anfang des Buchs eingefügte Stammbaum für einen klaren Überblick. Der Erzählstil wechselt zwischen verschiedenen Perspektiven und Erzählweisen, durch die die Geschichten der einzelnen Charaktere hervorragend miteinander verknüpft werden – mal aus der Sicht der betroffenen Figur, mal aus der Sicht einer anderen Figur. Ægisdóttir meidet dabei unnötige Wiederholung der Geschichten, sodass der Lesefluss angenehm bleibt. Die Plottwists sind bis auf wenige Ausnahmen nicht vorhersehbar, so dass das Buch bis kurz vor Ende seine Spannung behält.
Die hervorragende Gestaltung der Charaktere lässt beim Lesen klare Bilder entstehen; der Leser lernt die Figuren sehr gut kennen. Nicht zuletzt die Perspektivwechsel verleihen jedem Charakter dabei eine besondere Tiefe. Besonders gut haben mir die Figuren Lea, Tryggvi und Petra gefallen – mit ihnen konnte ich mich am ehesten identifizieren, ihre Gefühle und Verhaltensweisen konnte ich am besten nachvollziehen.
„Verlassen“ ist bereits der vierte Roman in Ægisdóttirs Island-Krimi-Reihe und lässt sich sehr gut auch ohne Vorkenntnisse der vorhergehenden Bände lesen!