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Veröffentlicht am 02.08.2017

Claire vom Meereslicht

Kein anderes Meer
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Mit ihrem Roman „Kein anderes Meer“ nimmt Edwidge Danticat uns mit auf eine Reise in ihre Heimat Haiti und lässt uns nicht nur teilhaben an haitischem Dasein und haitischer Kultur, sondern bietet einen ...

Mit ihrem Roman „Kein anderes Meer“ nimmt Edwidge Danticat uns mit auf eine Reise in ihre Heimat Haiti und lässt uns nicht nur teilhaben an haitischem Dasein und haitischer Kultur, sondern bietet einen tiefgründigen Einblick in das Leben der Menschen. Die von ihr geschaffenen Charaktere geben in ihrer Vielfalt ein Bild der fiktiven Stadt zwischen Meer und Bergen wider: Ville Rose – ein Name wie Musik, und doch befindet er sich im krassen Gegensatz zu seinen Bewohnern, die aus einer kleinen Minderheit von Mittel- und Oberschicht sowie der großen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze bestehen, die um das tägliche Überleben kämpfen. Ein Ort unermesslicher Schönheit und außerordentlichen Elends.

Im Mittelpunkt steht auf den ersten Blick Claire Limyè Lanmè, was Claire vom Meereslicht heißt - "Claire of the Sea Light" ist der Originaltitel des Romans. Er beginnt mit Claires siebtem Geburtstag. An diesem Tag versenkt eine drei oder vier hohe Monsterwelle den Fischer Caleb mitsamt seinem Kutter. Claire lebt mit ihrem Vater Nozias, ebenfalls Fischer, in einer winzigen Hütte. Ihre Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben, und so sind ihre Geburtstage jedes Jahr nicht nur glückliche Tage, sondern auch immer solche der Trauer. Die ersten drei Jahre wird Claire von Verwandten ihrer Mutter großgezogen. Dann holt Nozias seine Tochter wieder zu sich, um sich selbst der Herausforderung zu stellen, sein Kind von seinem dürftigen Einkommen zu versorgen. Und obwohl es ihm nicht an elterlicher Liebe oder Verantwortung und gutem Willen fehlt, erkennt er die Hoffnungslosigkeit seines Unterfangens, Claire eine sorgenfreie Existenz bieten zu können. Aus diesem Grund entscheidet er sich, Gaëlle, die Besitzerin des Stoffladens, zu überzeugen, Claire zu adoptieren. Denn aus seiner Sicht ist es das Beste, ein neues Elternteil zu finden, dem er vertraut, sich um Claire zu kümmern. Er selbst will auf der Suche nach einer besser bezahlten Arbeit fortgehen.

An diesem siebten Geburtstag stimmt Gaëlle zu, Claire zu sich zu nehmen; am Abend verschwindet Claire, und erst im letzten Kapitel erfahren wir, was mit ihr passiert. Bis dahin porträtiert die Autorin andere Bewohner der Stadt, und im Verlaufe dessen wird deutlich, dass im Grunde Ville Rose in ihrer menschlichen Vielfalt, brutalen Realität und miteinander kollidierenden Schicksalen die eigentliche Protagonistin des Romans darstellt.

Da ist die Stoffhändlerin Gaëlle, die als Spiegel für Nozias wirkt. Auch ihr Leben ist von Verlusten geprägt. Am Tag, an dem sie ihre Tochter Rose auf die Welt bringt, wird ihr Mann Laurent ermordet. Sieben Jahre später – es ist der vierte Geburtstag von Claire – stirbt Rose bei einem Autounfall.

Bernhard Dorien, der in Cité Pendue, einem armen, gefährlichen Außenbezirk von Ville Rose, dem „ersten Höllenkreis“, zu Hause ist und dessen Idealismus und die Verbindung zu Tiye, dem berüchtigten Anführer der Bande Baz Benin, schreckliche Konsequenzen für sein Leben und das von Gaëlle haben.

Bernards enger Freund Max Ardin Junior, ein wohlhabender junger Mann, der vor zehn Jahren ein Kind zeugte, von seinem Vater Max Senior nach Miami geschickt wurde, nun nach Haiti zurückkehrt und mit seiner Schuld konfrontiert wird.

Louise George, eine bekannte und beliebte Radiomoderatorin, Lehrerin von Claire in der Schule von Max Ardin Senior und zeitweise desssen Geliebte, mit dem sie eine Rechnung offen hat. Sie ermöglicht es Bürgern von Ville Rose, in ihrer populären Radiosendung die eigene Geschichte zu schildern...

Edwidge Danticats Protagonisten sind fehlerhaft, aber menschlich, handeln auf einem schmalen Grad zwischen richtig und falsch. Während Nozias sich beispielsweise gezwungen sieht, seine Tochter aufzugeben, obwohl er sie eigentlich nicht verlieren möchte, muss Claire als Vertreterin vieler Kinder mit der Entscheidung leben, die andere Menschen für ihre Zukunft treffen.

Durch die verschiedenen Geschichten zeigt die Autorin eine Stadt, die von Gewalt, Leid und Tod, Korruption, Klassenunterschieden und sozialen Tabus geprägt ist, in der es jedoch durchaus auch Hoffnung, Träume, Liebe und Versöhnung und gute Absichten gibt.

Insgesamt ist der Tod - einerlei, ob er natürlichen, zufälligen oder kriminellen Ursprungs ist - in Ville Rose eine konstante und alltägliche Größe. Er taucht immer wieder in den Geschichten auf und verknüpft sie zum Teil miteinander. Leben und Tod stehen sich kontinuierlich gegenüber, wodurch die Autorin gleichzeitig die Fragilität des Lebens im Angesicht des Todes hervorhebt.

Danticats Roman ist geprägt von einem ruhigen Erzähltempo, ihre Sprache zeigt sich schnörkellos und klar, gleichwohl kraftvoll, poetisch und von enormer Tiefe. Sie verwendet sie, um komplizierte Verbindungen zu knüpfen, wenn sie sowohl Schönheit als auch Schrecken beschreibt. Die Einflechtung kreolischer Redewendungen und Worte schaffen den Reiz einer fremden Welt, erschweren allerdings zugleich das eine oder andere Mal das Lesen und Verständnis.

In ihrer Weise des Erzählens fordert uns die Autorin. Es erfolgt keine chronologische Abfolge. Vielmehr bewegt sich die Handlung von der Gegenwart bis zur nahen Vergangenheit, geht in die ferne Vergangenheit, um wieder in die Gegenwart zurückzukehren. So beginnt und endet die Geschichte mit Claires Geburtstag und damit nicht nur dem Todestag ihrer Mutter.

Am Schluss ihres eindrucksvollen und komplexen Romans erlaubt die Autorin ein wenig Zuversicht, unsicher zwar, aber vorhanden. Und daran möchten wir festhalten.

Veröffentlicht am 14.07.2024

Sommerzauber auf Sylt

Sommerzauber auf Sylt
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Verena wird nach fast zwanzig Ehejahren von ihrem Mann verlassen, nachdem sie durch einen Zufall erfahren hat, dass er bereits seit vielen Monaten mit seiner blutjungen Praktikantin Annika ein Doppelleben ...

Verena wird nach fast zwanzig Ehejahren von ihrem Mann verlassen, nachdem sie durch einen Zufall erfahren hat, dass er bereits seit vielen Monaten mit seiner blutjungen Praktikantin Annika ein Doppelleben führt. Verena ist am Boden zerstört. Deshalb trifft sie der „Verrat“ ihrer einstigen großen Liebe mit einem tiefen Stich im Herzen. Wie viele andere Frauen hat sich Verena wenig um ihr eigenes beruflichen Fortkommen bemüht, sondern sich um die Kinder und den Haushalt gekümmert. Das rächt sich nun.

Auch darum flüchtet Verena mit Hund Rudi aus dem Reihenhaus am Rande des Ruhrgebiets auf die Insel Sylt zu ihrer Tante Marlene, die in Wenningstedt Ferienwohnungen vermietet. Sie hofft, dass sie hier Ruhe findet und das Geschehen verarbeiten sowie sich über ihre Zukunft klar werden kann. Und sie lernt den Sylter Hanno kennen, bei jeder Begegnung spürt sie ein Knistern und Kribbeln im Inneren.

Wird dies ein Aufbruch in eine neues Leben?

Auf der Insel möchte Verena sich außerdem mit ihrer besten Freundin Caro treffen und gemeinsame Zeit verbringen.

Caro ist Lehrerin und seit zwei Jahren Single. Die Begegnung mit ihrem neuen Nachbarn Ben, der anfangs nervt, dann aber Interesse an ihr offenbart, aktiviert offensichtlich ihre Partnersuch-Hormone. Warum sonst sollte ihr plötzlich die Attraktivität von Michael, ihrem Kollegen auffallen, der nicht nur über gutes Aussehen, sondern auch über einen hervorragenden Charakter verfügt. Er ist engagiert, feinfühlig, lustig und kann kochen. Ein Problem gibt es jedoch: die blonde Referendarin Julia hängt wie eine Klette an Micha und scheint sämtliche Annäherungsversuche zu torpedieren.


Daniela Gesing baut ihre Geschichte „Sommerzauber auf Sylt“ mit Themen auf, die zwar nicht neu sind, aber tagtäglich passieren können. Sie macht dies in einer gelösten und trotz der angesprochenen Probleme unbeschwerten Erzählweise aus Sicht von Verena und Caro, und das vor allem mit viel Sympathie und Empathie für ihre Protagonistinnen.

Wenngleich einige Missverständnisse in ihrem Auftreten leicht überzogen wirken, verhindert es die Autorin mit glücklicher Hand, in eine klischeehafte Darstellung abzurutschen, weil sie die Schilderungen nicht überstrapazierend ausbaut.

Bei der Gestaltung der im Fokus stehenden Figuren hat mir besonders gefallen, dass Verena nach ihrer anfänglichen Erschütterung, ihrer Ohnmacht hinsichtlich des Verhaltens von Jan sowie den zwischenzeitlichen Zweifeln daran arbeitet, dies alles hinter sich zu lassen, um ihr zerstörtes Selbstwertgefühl wieder zu errichten. Sie schwankt zwischen der Trauer, dass das Gewohnte verloren geht und der Erkenntnis, dass sie eigentlich immer gewusst und damit die Augen vor der Wahrheit verschlossen hat, dass Jan und sie nicht wirklich zueinander passen. Verena kann sich ihre Emotionalität bewahren, und meine Bewunderung gilt auch ihrer neuen Eigenständigkeit und Eigenverantwortung.

Caro hingegen hat sich mit der Tatsache arrangiert, dass wohl Familie und Kinder für sie nicht (mehr) in Frage kommen. Unvermittelt steht sie im Fokus von zwei Männern, und der Autorin gelingt es gut, jenes, in Caro herrschende Dilemma, sich ihrer Empfindungen für Ben und Micha bewusst zu werden, sie zu sortieren und zu gewichten, mit Plausibilität zu beschreiben.

Daniela Gesing zeigt in „Sommerzauber auf Sylt“ in beachtlicher und ermutigender Weise, dass ein Neuanfang jederzeit ein von Erfolg gekröntes Wagnis sein kann.

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Veröffentlicht am 16.06.2024

Die List der Grafentochter

Die List der Grafentochter
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Das frühe Mittelalter übt auf mich eine besondere Anziehung aus. Dabei ist der hierin zu erforschende historische Hintergrund eine Herausforderung, weil die vorhandenen Materialien doch eher spärlich sein ...

Das frühe Mittelalter übt auf mich eine besondere Anziehung aus. Dabei ist der hierin zu erforschende historische Hintergrund eine Herausforderung, weil die vorhandenen Materialien doch eher spärlich sein und Informationen sich vor allem auf große Namen beschränken dürften.

Isabel Voss hat sich dieser Aufgabe angenommen und sie gut gemeistert. „Die List der Grafentochter“ ist ein in gefälliger Art und Weise geschriebener historischer Roman, in dem uns ausgehend von einer genauen Recherche Geschichte und weit zurückliegende Ereignisse mit spürbarer Erzählfreude näher gebracht und wir auf ungewöhnliche Persönlichkeiten – einst tatsächlich existierende und fiktive – aufmerksam gemacht werden.

Die stellenweise lebhafte und abenteuerliche Handlung und die Entwicklung der einzelnen Charaktere sind nachvollziehbar gestaltet, binden uns als Leser in das Geschehen ein und bauen deutliche Möglichkeiten für Sympathie und Antipathie auf.

Die Autorin hat mit der Hauptfigur, der thüringischen Grafentochter Gunhild, eine bemerkenswerte junge Frau gewählt, die im Jahr 785 nicht nur im familiären Umfeld souverän agiert, sondern auch auf „politischer“ Ebene sowohl im in Teilen schwierigen Umgang mit dem Männern in Führungspositionen wie auch gekrönten Häuptern einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Und dies durchaus im Bewusstsein, welchen Platz sie als Frau in der Hierarchie einnimmt.

Dabei wird Gunhild der herausragende Vorzug zuteil, dass sie als Tochter eines thüringischen Grafen von diesem sehr geschätzt und mit entsprechenden Aufgaben betraut wird. Zwar ist ihr Vater Hardrad eine historische Person, er wurde jedoch wie einige weitere Figuren von der Autorin zu Gunsten der Ereignisse verändert.

Ich gebe allerdings zu, dass ich ein wenig an Gunhilds Perfektionismus kratzen möchte, damit eine kleine Schwäche zu Tage tritt. Denn auch eine erstaunliche Grafentochter von Gunhilds Format sollte nicht nur mutig, klug, weitsichtig und (willens)stark sein.

Außerdem betrachte ich die Darstellung von Empfindungen insgesamt als sehr zurückhaltend. Diesbezüglich wird die Vorstellung vor allem von meinen eigenen Wünschen und Hoffnungen (mit) getragen.

Unabhängig davon greift Isabel Voss in ihrem Roman Konflikte auf, die sich aus der Führung eines umfassenden Reiches ergeben. Im Mittelpunkt steht Karl der Große, der im Jahre 800 zum Kaiser gekrönt wird und der seine Ziele, seine Macht auszubauen, das Reich der Franken zu vergrößern und das Christentum zu verbreiten, zu seinen Lebzeiten in hohem Maße verwirklichen konnte.

Auch aus diesem Grund ist „Die List der Grafentochter“ eine lohnende und mit beachtlichem Unterhaltungswert verbundene Lektüre.

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Veröffentlicht am 23.04.2024

Venezianischer Fluch

Venezianischer Fluch
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„Die Krähe legte ihren Kopf schief und starrte die verängstigte und unterkühlte junge Frau neugierig an. Sie beobachtete alles, was in den nächsten Minuten geschah.“

Eine junge Frau ist von einer Brücke ...

„Die Krähe legte ihren Kopf schief und starrte die verängstigte und unterkühlte junge Frau neugierig an. Sie beobachtete alles, was in den nächsten Minuten geschah.“

Eine junge Frau ist von einer Brücke gestürzt. Und während Luca Brassoni, Commissario Capo bei der venezianischen Polizei, seinen freien Tag hat, liegt bei seiner Ehefrau Carla Sorrenti, der federführenden Gerichtsmedizinerin der Stadt, ein neuer Fall auf den Tisch. Schnell stellt sich heraus, dass Antonella Carracci, so der Name der Toten, entgegen der ersten Annahmen nicht selbst gesprungen oder versehentlich gefallen ist, sondern ihr Körper Kampfspuren aufweist. Folglich ist klar, dass sie gestoßen und ermordet wurde.

Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach dem Täter, sondern auch, ob der Zettel, den das Opfer bei sich hatte und der von einem Fluch spricht, von Bedeutung ist.

Die Sache wird persönlich, als Carla in ihrer Tasche eine Fetischpuppe findet. Obwohl sie im wahrsten Sinne des Worte eine realistische und rational denkende Person ist, ihr Flüche und Aberglauben ein Graus sind, bekommt sie plötzlich schreckliche Angst.

Will jemand die Arbeit der Polizei blockieren? Möglicherweise die Familie Perroni?

Antonella Carracci hat nämlich als Rezeptionistin im Hotel der Familie gearbeitet und war mit deren Sohn Carlo verlobt. Die Begeisterung von Patriarchin Magda Perroni hielt sich diesbezüglich in Grenzen, um nicht zu sagen, sie war nicht vorhanden. Das rückt die Familie ins Zentrum der polizeilichen Ermittlungen, zumal auch das Hotel mit einem angeblichen Fluch belastet sein soll, was für erhebliche Verunsicherung der Menschen sorgt.

Auffällig ist zudem das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder, die mit Distanz und Abwehr reagieren und die Geduld der Polizei herausfordern. Die Perronis sind alteingesessene Venezianer, genießen einen angesehenen Ruf und pflegen einflussreiche Beziehungen. Darum dauert es nicht lange, bis Silvia Bertuzzi, die Leiterin der Dienststelle, vom Bürgermeister bedrängt wird und von ihrem Team zügig Ergebnisse erwartet werden.

Die Situation erweist sich als kompliziert, als sich im Hotelbereich ein weiterer Mord ereignet und außerdem Carlo Perroni verschwindet ...


"Venezianischer Fluch" ist mein erster Kriminalroman von Daniela Gesing, obwohl Luca Brassoni und seine Kollegen bereits das neunte Mal ermitteln. Die Geschichte bietet das, was ich von diesem Genre erwarte: ein differenziert konstruierter Plot mit Opfer(n), energischen Ermittlern, nachvollziehbarer Spurensuche, vielen Verdächtigen, falschen Fährten, interessanten Geheimnissen und nicht zu vergessen mit unterschiedlichen Emotionen.

Daniela Gesing hat eine angenehme Erzählweise, in der mich lediglich am Anfang die diversen italienischen Bezeichnungen irritiert und meinen Lesefluss beeinträchtigt haben. Ansonsten ist die Handlung nachvollziehbar dargestellt, und die Schilderung der Ereignisse und Ermittlungen erfolgt mit einen wirksamen Spannungsbogen. Daneben gelingt es der Autorin, die Neugier hinsichtlich einiger rätselhafter Wechsel in die Sichtweise des identitätslosen Täters hoch zu halten und ein paar Überraschungsmomente einzubauen.

Hervorzuheben ist außerdem die gekonnte Beschreibung die örtlichen Schauplätze. Hierdurch ist vor meinem geistigen Auge ein lebendiges Bild von Venedig entstanden, ohne dass ich die Lagunenstadt bislang in der Realität kennengelernt habe.

Der Roman punktet mit Figuren, die Daniela Gesing überzeugend gestaltet hat. Als besonders wohltuend empfinde ich es, dass sympathische Menschen mit einem normalen Familienleben, bei dem Organisationstalent gefragt ist, agieren sowie Kollegen ihre Arbeit ohne Konkurrenzdenken gemeinsam erledigen und auftretende Meinungsverschiedenheiten gleichberechtigt klären. Natürlich gibt es auch diejenigen Charaktere, bei denen auf eine Begegnung verzichtet werden könnte, weil ihre negativen Eigenschaften überwiegen. Doch in gewissen Maß habe ich auch bei diesen geringe positive Wesenszüge entdeckt, wenngleich das ohne Übertreibung sehr schwer gewesen ist.

Nach der Lektüre habe ich den Eindruck, dass neben dem Kriminalfall die Konflikte von Menschen, die in Verbrechen involviert werden, im Mittelpunkt stehen.

Luca Brassoni ist bald Vater von zwei Kindern. Meines Erachtens nach ist er aus diesem Grund darauf bedacht, dass die Ermittlungen seine Familie nicht beeinträchtigen, was allerdings nicht unbedingt funktioniert, weil seine Ehefrau Carla in den Fokus gerät.

Magda Perroni hingegen hält die Zügel straff in der Hand, von den Meinungen ihres Ehemannes Bernardo und ihrer Kinder Livia und Carlo lässt sie sich nicht beeinflussen. Sie gerät in den Strudel der Ereignisse, die alles verändern.

"Venezianischer Fluch" ist ein unterhaltsamer Kriminalroman, den ich gerne gelesen habe, so dass ich mich auf ein "Wiedersehen" mit der venezianischen Mannschaft samt Picco, dem tierischen Profiler, freue.

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Veröffentlicht am 12.12.2023

Zerbrechlicher Frieden

Die Porzellanmanufaktur – Zerbrechlicher Frieden
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Die Porzellanmanufaktur der Familie Thalmeyer im oberfränkischen Selb hat eine lange Tradition. Zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist es jedoch nicht einfach, die Produktion am Laufen zu halten, fehlt ...

Die Porzellanmanufaktur der Familie Thalmeyer im oberfränkischen Selb hat eine lange Tradition. Zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist es jedoch nicht einfach, die Produktion am Laufen zu halten, fehlt es hauptsächlich am dafür notwendigen Rohstoff Kaolin, zumal ein Konkurrenzkampf um die Reserven mit dem mächtigen Papierfabrikanten Karl Metsch besteht.

Als Patriarch Ludwig Thalmeyer überraschend stirbt und es vom seit Ende 1944 in Russland verschollenen Sohnes Joachim keine Nachricht gibt, liegt es an Marie, der ältesten Tochter, die Geschicke der Fabrik in die Hand zu nehmen. Kein leichtes Unterfangen. Die Zeiten sind nach wie vor unruhig. Und als junge Frau scheint sie sich auf „verlorenem Posten“ zu bewegen. Denn die Männer haben das Sagen. Außerdem brauchen die Menschen andere Dinge als feines Porzellan.

Doch trägt Marie nicht allein Verantwortung für die Fabrik und die Arbeiter und deren Familien, sondern sie muss auch für die bei ihnen einquartierten Flüchtlinge sorgen.

Marie, wegen ihrer hellen makellosen Haut „Porzellankind“ genannt, hat sich schon immer mehr für die Manufaktur interessiert als ihr – für die Nachfolge vorgesehener – musikalischer Bruder. Darum stellt sie sich mit Ernsthaftigkeit der Herausforderung, den damit verbundenen Aufgaben und neuen Verpflichtungen. Hilfe erhält sie einerseits von ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Sophie, die aber zugleich das neue Leben in vollen Zügen genießen möchte, und andererseits von der amerikanischen Besatzungsmacht. Es ist besonders Militärgouverneur John McNarney, auf dessen Unterstützung sie zählen kann. Und nicht nur das …


Mit „Zerbrechlicher Frieden“ startet die Reihe „Die Porzellanmanufaktur“ von Stefan Maiwald, in deren Mittelpunkt mit Marie und ihrer Schwester Sophie zwei Frauen stehen, die sich in einer von den Männern regierten Welt behaupten und trotz aller widrigen Umstände und Niederlagen versuchen, ihren Traum von einem eigenständigen Leben zu verwirklichen.

Das ist mit einiger Mühsal verbunden. Deutschland und seine Menschen erholen sich nur langsam von den Folgen des Zweiten Weltkrieges und setzen alles daran, den Verlust von Angehörigen zu verarbeiten und den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Obwohl seit Mitte 1947 die Versorgungslage in den von den besetzten Zonen spürbar besser wird, ist der Mangel allgegenwärtig und Schwarzmarktgeschäfte blühen. Daneben gibt es immer noch jene, die ihr eigenes Fortkommen im Sinn haben und sich selbst am nächsten sind.

Dem Autor gelingt sprachlich klar und verständlich unter Einbindung historischer Informationen und Ereignisse eine authentische Darstellung, die vor allem von Schilderung des Alltags mit den Problemen profitiert. Unbedingt muss in dem Zusammenhang die Schneiderei von Frau Helgard hervorgehoben werden, in der der Dorfklatsch immer neue Nahrung erhält. Das ist mit einem Augenzwinkern erzählt und nimmt der herrschenden Situation mit etwas Humor die Schwere.

Stefan Maiwald macht deutlich, dass in manchen Köpfen der Krieg noch nicht vorbei ist. was sich in Aggressionen und Vorurteilen gegen Flüchtlinge äußert, obwohl diese vielfach die fehlenden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ersetzen.

Hinsichtlich seiner Figuren ist es dem Autor geglückt, sie vielfältig zu charakterisieren und die Beziehungen zueinander aufzuschlüsseln. Einige Positionen von Gut und Bösen sind sehr offensichtlich verteilt, wobei gerade die „Feinde“ deutliche Strukturen erfahren, wenn sie geblendet von Hierarchie, Ideologie und Machtgelüsten moralisch verdorben agieren oder Intrigen spinnen. Wiederum befinden sich andere Personen in Grauzonen und machen einen gewissen Reiz in der Geschichte aus.

Während des Verlaufs der Handlung wechseln die Schauplätze, und Stefan Maiwald gewährt Rückblicke in die facettenreiche Vergangenheit einzelner Figuren. So erhalten wir Einsicht in ihre Motivationen und Gefühle und werden in Entwicklungen eingebunden.

Es sei allerdings auch angemerkt, dass im gegenwärtigen Geschehen das eine oder andere Mal intensive Emotionen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen herausgefiltert werden müssen.

Insgesamt ist „Zerbrechlicher Frieden“ ein gelungener und unterhaltender Auftakt einer Trilogie, bei der der nächste Band mit Freude zur weiteren Lektüre erwartet werden kann.

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