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Veröffentlicht am 01.05.2024

Selten so gelacht !! Coming of Age für Jungs und Erwachsene !!

Coming of Age with Chat GPT
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Coming of Age with Chat GPT oder Wie ich mit künstlicher Intelligenz zum Mann wurde

Dies ist der Erfahrungsbericht eines pubertierenden Heranwachsenden.

Da er niemanden hat, dem er seine Fragen bezüglich ...


Coming of Age with Chat GPT oder Wie ich mit künstlicher Intelligenz zum Mann wurde

Dies ist der Erfahrungsbericht eines pubertierenden Heranwachsenden.

Da er niemanden hat, dem er seine Fragen bezüglich Sexualität stellen kann, stellt er sie ChatGPT.

Schnell stellt er fest, daß Frau Gepetee, wie er die KI nennt, ziemlich strenge Moralvorstellungen hat und wenn seine Fragen schmutzige Wörter enthalten, werden diese von Frau Gepetee nicht beantwortet oder sie hält ihm eine Moralpredigt.

Schnell findet er heraus, welche Wörter er Frau Gepetee unterjubeln kann und es treibt einem tatsächlich die Schamesröte ins Gesicht, wenn man liest, wie unverblümt Frau Gepetee diese dann z.B. in den "Liebes"-Gedichten verwendet, die der Junge sich für seine Angebetete Schreiben läßt.

Die Künstliche Intelligenz scheint doch nicht so intelligent zu sein, wie alle meinen.

Mit Rat zur Seite steht ihm auch sein bester Freund Sören, der zwar noch nie eine Freundin hatte, aber dennoch alles über Mädchen, Frauen und Sexualität zu wissen scheint.

So tastet er sich auf dem holprigen Weg, den wir alle gehen mußten, mehr oder weniger blind voran bis er dann am Ende des Buches sein und ihr erstes Mal erlebt.

Möglichkeiten und Grenzen der KI auf dem heutigen Stand werden in diesem Buch auf äußerst unterhaltsame Weise dargestellt.

So viel gelacht habe ich schon lange nicht mehr.

Als Heranwachsender hätte ich für dieses Büchlein ohne Bedenken meinen linken Arm geopfert.

Anstatt ihre Kinder aufzuklären bräuchten Eltern ihren Kindern eigentlich nur dieses Büchlein in die Hand drücken. Die Jungs würden alles über das weibliche Geschlecht erfahren und die Mädchen wüßten, wie Jungs in dem Alter ticken.


Das Büchlein mit 72 Seiten und ist bestellbar direkt bei epubli über den Link https://www.epubli.com/shop/coming-of-age-with-chat-gpt-9783757544645 oder im Kulturkaufhaus https://www.kulturkaufhaus.de/de/detail/ISBN-9783757544645/Bernstein-Elon/Coming-of-Age-with-Chat-GPT#r455133-63154-459319:466092:400388

Von mir gibt's satte 5 Punkte da ich mich schon lange nicht mehr so amüsiert habe.

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Veröffentlicht am 24.04.2024

Ein außergewöhnlicher Lesegenuß und unbedingte Empfehlung für alle Zeitreisenden

Das andere Tal
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Bewertung zu "Das andere Tal" von Scott Alexander Howard


In meinen Augen ein literarisch ganz oben anzusiedelndes Werk in exzellentem Schreibstil !


Der Roman Das andere Tal des kanadischen Schriftstellers ...

Bewertung zu "Das andere Tal" von Scott Alexander Howard


In meinen Augen ein literarisch ganz oben anzusiedelndes Werk in exzellentem Schreibstil !


Der Roman Das andere Tal des kanadischen Schriftstellers Scott Alexander Howard spielt in einem kleinen abgeschotteten Tal.

Neben diesem Tal gibt es noch exakte Kopien des Tales, die im Osten und Westen angrenzen, zeitversetzt 20 Jahre vor und zurück. Und auch an diese Täler grenzen, wiederum auf der anderen Seite, exakte Kopie des Tales, um jeweils weitere 20 Jahre zeitversetzt in Zukunft und Vergangenheit, in endloser Reihe.

Ein Besuch der anderen Tälern wird nur in Ausnahmefällen genehmigt. Zu groß ist die Gefahr, daß die Kausalkette der Ereignisse gestört wird, mit verheerenden Folgen für eines der Täler, bis hin zur Auslöschung.

Im ersten Teil des Romans lernen wir im „gegenwärtigen“ Tal Odile unsere 16 jährige Hauptfigur und ihre Freunde kennen. Ein schüchternes Mädchen, das nur schwer Anschluß findet. Die Jugendlichen stehen am Ende ihrer Schulzeit und müssen sich für eine Ausbildung entscheiden.

Odile bewirbt sich beim Conseil, der Regierung des Tales, die auch über die Reiseerlaubnis entscheidet.

Um unerlaubte Reisen in Vergangenheit oder Zukunft zu verhindern sind alle Täler von einem gesicherten und bewachten Zaun umgeben.

Odile erfährt die ersten Liebesgefühle und beginnt zarte Bande zum gleichaltrigen Edme zu knüpfen.

Zufällig beobachtet Odile Besucher aus der Zukunft, erkennbar an den schwarzen Masken und Kutten die sie tragen müssen. Anhand des Habitus der Besucher erkennt sie, daß es sich um Edmes Eltern handeln muß und, daß der einzig denkbare Grund für ihren Besuch nur der nahende Tod Edmes sein kann. Als Odiles Lehrerin am Conseile von dieser Sichtung erfährt, wird Odile bei Strafe verboten, Edme zu warnen. Als Edme tödlich verunglückt bricht Odile ihre Ausbildung als Conseillière ab.

Der erste Teil ist mehr ein Coming-of-Age-Roman und eine Gesellschaftsbeschreibung, als ein Zeitreise-Abenteuer. Aber sehr interessant sind all die Detailfragen, die sich bei der Thematik der Zeitreisen in die benachbarten Täler ergeben. Es ist wirklich spannend zu lesen, wie diese abgeschlossene Welt aufgebaut ist und funktionieren kann.

Das Coming-of-Age von Odile wird bemerkenswert einfühlsam beschrieben.

Im zweiten Teil begegnen wir nun der 20 Jahre älteren, also der 36-jährigen Odile. Genaugenommen befinden wir uns nun also im Tal, das östlich an das im ersten Teil beschriebene grenzt.

Edmes Tod und Odiles Schuldgefühle, da sie ihn nicht gewarnt hatte, haben unsere Hauptfigur derart aus der Bahn geworfen, daß sie sich aufgegeben und einen Posten bei der Gendarmerie angenommen hat, die die Grenze bewacht. Eine Stellung die eigentlich für die Gescheiterten der Gesellschaft vorgesehen ist.

Ihr Leben dort ist entbehrungsreich, stumpf und von demütigenden Anfeindungen geprägt und so scheint Odile, nach Edmes Tod, über Jahrzehnte, einen Akt der permanenten Selbstbestrafung vorzunehmen.

Wie sehr sich Odile in die Gegebenheiten ihres tristen Daseins gefügt hat und wie sehr sie abgestumpft ist, wird sichtbar, als sie den Mord ihres Vorgesetzten an Lucie bedenkenlos hinnimmt, einer flüchtenden Frau, die sie noch von ihrer Schulzeit kannte, und sogar noch zu ihrem Vorteil nutzen will.

Würde der Roman hier enden, so würden wir dieses Buch tief deprimiert zur Seite legen.

Doch ein fulminantes, packendes und unglaublich spannendes Ende dieses Debüt-Romanes gibt uns unsere Hoffnung zurück und es stellt sich nur noch eine Frage: Wann kommt der zweite Roman von Scott Alexander Howard.

Natürlich kann man vom Autor nicht erwarten, daß er diese Geschichte in logischer Hinsicht nach allen Seiten wasserdicht macht. Also Fragen nach dem Woher des Benzins für den Autobus oder der Ersatzteile für die Gerätschaften des Alltags, werden nicht beantwortet.

Aber ein äußerst interessantes Gedankenexperiment ist es allemal, veranschaulicht es doch auf einfache Weise die Theorie, daß Zeit eine Illusion ist. Alles findet gleichzeitig statt, nur eben auf einer Unzahl verschiedener Frequenzen. Vergleichbar mit einem Radio, wo man immer nur einen Sender hören kann, obwohl Tausende Stationen gleichzeitig senden.

Der Stil – Ein Lesegenuß auf höchstem Niveau

Was mich an diesem Buch sofort begeistert hat, ist der exzellente Schreibstil des Autors. Jedes Wort ist genau da, wo es hingehört. Wie bei einem gut komponierten klassischen Musikstück stimmen Tempi, Betonungen, Satzlängen und Satzmelodie. So wird, unabhängig vom erzählten Stoff, das Lesen selbst zum Genuß. Wenn man es genau betrachtet, findet oft mehr Detailbeschreibung, als Handlung statt. Dennoch empfand ich das Lesen als unglaublich spannend und wollte das Buch kaum aus der Hand legen. Die Metaphern sind kleine Meisterwerke, passend und immer genau auf den Punkt. Als Leser fühlt man sich getragen und der Autor versteht es, Dialoge so geschickt in indirekter Rede auszuführen, daß diese den Lesefluß in keinster Weise beeinträchtigen.

„Das andere Tal“ ist eine absolute Empfehlung und ich bin überzeugt davon, daß dies nicht der letzte Roman von Scott Alexander Howard sein wird, in dessen Genuß wir kommen.

Das Einzige, was ich als Leser an diesem Roman vermißt habe, war ein rotes Lesebändchen, passend zum schönen rot-orangen Ganzleineneinband des bekannt handlichen Diogenes-Buches.

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Veröffentlicht am 11.09.2024

Wortgewaltige, fesselnde Beschreibung von Gewalt und Hoffnungslosigkeit im sozialen Brennpunkt. Ein literarisches Juwel.

Als wir Schwäne waren
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"Als wir Schwäne waren" von Behzad Karim Khani

In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland ...

"Als wir Schwäne waren" von Behzad Karim Khani

In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen mußte, sein Aufwachsen in einem von Gewalt geprägten Problemviertel im Ruhrgebiet.

Dieses vergleicht er mit einem sich selbst überlassenen Aquarium aus dem es nur die Wenigsten heraus schaffen. Obwohl er dieses Aquarium der Gewalt, Lieblosigkeit und Hoffnungslosigkeit verlassen will, möchte er auch nicht Teil der Welt außerhalb des Aquariums sein, da er sich auch der Sphäre der „normalen“ deutschen Gesellschaft nicht zugehörig fühlt.

Und so möchte sich Reza, sein Alter Ego im Roman, in der Trennscheibe dieser beiden Welten einrichten und diese soll so dick wie möglich sein.

Genau genommen ist dieses Buch eine chronologische Aneinanderreihung von kleinen, oft nur wenige Seiten umfassenden Essays die schlaglichtartig das Leben von Reza und seine kriminelle Entwicklung beleuchten, bis er es mit zwanzig Jahren schafft, sich diesem Leben zu entwinden und nach drei Jahren harter Arbeit, seine neue Heimat in Berlin findet.

Die knappen Kapitel machen das Lesen kurzweilig und abwechslungsreich, wenngleich auch bisweilen tagebuchartig. Doch zeigt es mir, daß der Autor ein Gunstvoller ist, denn er schenkt uns Lesenden Beobachtungen, Erkenntnisse und Weisheiten in konzentrierter Form, manch anderer Autor hätte diesen Stoff auf 500 Seiten aufgebläht.

Wie mit einer Armbrust aus kurzer Distanz abgefeuerte Pfeile schlagen hier manche Worte und Sätze beim Leser ein. Als wolle uns der Autor mit Gewalt aus dem Sessel kippen, in dem wir es uns nur allzu bequem gemacht haben. So lesen wir teilweise mit offenem Mund voller Entsetzen ob der Gefühls- und Lieblosigkeit, ob der Gewalt einer Parallelgesellschaft. Und dennoch kann ich manche Zwangsläufigkeit wie, daß z.B. der Mangel an Markenklamotten und -schuhen direkt in die Prostitution führt, nicht als Automatismus anerkennen. Den Großteil der Gewalt, die in diesem Viertel quasi als Lebenseinstellung zelebriert wird, haben die dort Lebenden durch das Erlebte mitgebracht, sie ist nur teilweise auf das Verhalten der Gesellschaft außerhalb des Aquariums zurückzuführen.
Als Leser komme ich mir fast vor wie ein Boxer. Manche Sätze sind wie ein Schlag gegen die Brust, der mir den Atem nimmt, in den Magen und mich fast zusammenbrechen läßt oder voll auf die Zwölf.

Doch nicht alle Schläge treffen, manche Metaphern, Vergleiche, Wortschöpfungen sind nur angetäuscht, begeistern beim erstmaligen lesen, aber verpuffen, laufen ins Leere und sind bei näherer Betrachtung nicht zu Ende gedacht.
Doch schon lange habe ich mir nicht mehr so viele großartige Sätze, Wortschöpfungen und Metaphern aus einem Buch aufgeschrieben, um ihrer nicht verlustig zu gehen.

Die Eltern haben studiert, doch wird nur das Abitur der Mutter in Deutschland anerkannt und der Vater, Soziologe, muß den Lebensunterhalt nachts mit Taxifahren und tagsüber als Kioskverkäufer verdienen, kreist in sich selbst in der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen wie dem Nationalsozialismus. Doch ein Dialog zwischen Vater und Sohn findet nicht statt.

Seltsam fremd untereinander kommt mir die Familie vor. Was sie im Heimatland erlebt haben, und woher die Gewaltbereitschaft des Sohnes kommt, bleibt im Dunkeln. Vieles bleibt im Dunkeln.

Doch auch Reza treibt die Frage um, in welchem Land er denn da nun gelandet ist und da möchte ich einen Satz zitieren, den er über Deutschland schreibt:

„Dieses Monster, das mal alles um sich herum zu töten versucht hat und jetzt in der Ecke sitzt und sich ritzt in der verlogenen, giftigen Hoffnung, dass ihn die anderen wieder zu sich rufen“
und noch einen Satz, der zeigt, wie er sich in diesem Land fühlt und sieht:

„ Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht „

Trotz seiner nur 192 Seiten ist dieses Buch wesentlich gehaltvoller als viele 600 Seiten umfassenden Romane, es wirkt stellenweise wie ein Konzentrat.

Dieser Roman ist ein ganz außergewöhnliches Stück Literatur und ich würde am liebsten 5 Sterne vergeben. Doch da kommt bei mir der Pädagoge durch, der nicht will, daß sich dieser großartige Autor auf fünf Sternen ausruht und der ihm zuruft „Du kannst noch viel, viel mehr. Du hast uns hier viel, aber nur einen Teil deines literarischen Talentes offenbart ! In Dir schlummert ein literarischer Vulkan auf dessen Ausbruch wir einen Anspruch haben !“

Dieses Buch ist meine unbedingte Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 09.09.2024

Äußerst amüsante Analyse urdeutscher Befindlichkeit !

Aus dem Haus
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Von klugscheisser
Aus dem Haus von Miriam Böttger

Der Roman „Aus dem Haus“ ist wie ein zielsicherer Schuss aus 1000 Meter Entfernung genau ins Schwarze. Und dieses Schwarze kann man nur als „Das Deutsche“ ...

Von klugscheisser
Aus dem Haus von Miriam Böttger

Der Roman „Aus dem Haus“ ist wie ein zielsicherer Schuss aus 1000 Meter Entfernung genau ins Schwarze. Und dieses Schwarze kann man nur als „Das Deutsche“ bezeichnen.

Mit kluger Ironie und einem gehörigen Schuß Sarkasmus beschreibt die ZDF-Journalistin Miriam Böttger in ihrem Debütroman ihre Eltern und analysiert und zerlegt dabei auch noch gleich die restliche Familie.

Dreh- und Angelpunkt ist das HAUS oder das Scheißhaus, wie es von der Familie bezeichnet wird. Dieses scheint ein Eigenleben zu führen und ist Sinnbild für das gefühlte Unglück der Familie.
Doch nicht das HAUS ist das eigentliche Problem, sondern dessen Bewohner, also die Eltern der Autorin, die mit ihrem urdeutschen Hang zur Morbidität und zum Jammern ihr objektiv im Wohlstand verbrachtes Leben schwarzreden und sich einem vermeintlichen Schicksal ergeben, dessen Ursache ausschließlich sie selbst sind.

Genuß, Freude, Liebe, wunderbar, herrlich, schön, gerne, ja, hell, friedlich, Danke, Segen, all das sind Wörter, die im Wortschatz dieser Familie nicht vorkommen. Deren jeweiliges Gegenteil jedoch in mannigfaltiger Ausprägung.

Doch kaum ist das Verhaßte verloren oder preisgegeben, wird es über den grünen Klee gelobt und schmerzlich vermißt und nun ob dieses Verlustes gejammert. In der Gegenwart aber hat sich alles immer gegen einen verschworen und man ist permanent unglücklich und den Gezeiten des Lebens hilflos ausgeliefert. Mit „Man hätte eben … „ beginnt jeder zweite Satz der Eltern.

Ich habe mich in meinen verschiedenen Lebensphasen sowohl in der Tochter, als auch teilweise in den Eltern wiedererkannt und denke, daß es vielen Lesern so gehen wird.

Mit langen Sätzen, die sich teilweise über eine halbe Seite erstrecken, hat mir die Autorin ein besonderes Lesevergnügen geschenkt, denn ich liebe derartige literarische Satz-Konstrukte. Vor allem, wenn diese so stilsichere und kluge Wort- und Satzschöpfungen sind, wie in diesem Buch. Diese hier sind der reine Genuß, wie eine wunderbare Melodie in Variationen.

Schade, daß es nur 220 Seiten hat, ich hätte noch ewig weiterlesen können. Beim Lesen so herzhaft gelacht habe ich schon lange nicht mehr. Ihr Sinn für Ironie und Sarkasmus ist einfach großartig und der Kontrast zwischen dem Thema und dem frischen Schwung mit dem sie schreibt äußerst reizvoll.

Ich habe dieses Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen, also mit der einzigen Haltung die uns eigentlich gegenüber dem Leben bleibt. Diesem lächerlichen Trauerspiel der menschlichen Existenz mit einiger Distanz die lustige Seite abzugewinnen, lehrt uns dieses Buch auf äußerst amüsante Weise. Und ich denke, auch Loriot würde dieses Buch lieben.

Ich hoffe, daß nun bald weitere Werke von Miriam Böttger erscheinen, fast wünsche ich mir, daß sie Ihren Job beim ZDF an den Nagel hängt.

Dieses großartige Debüt erhält von mir satte Fünf von Fünf Sternen. Es ist meine ausgesprochene Kaufempfehlung. Es ist auch ein ideales Geschenkbuch.

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Veröffentlicht am 24.04.2024

Feinsinnige und poetische Familienanalyse

Treibgut
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Im Roman Treibgut von Adrienne Brodeur lernen wir zunächst die Mitglieder einer, auf den ersten Blick, beneidenswerten Familie kennen.

Da ist Adam Gardner (69), brillanter Walforscher kurz vor seiner ...

Im Roman Treibgut von Adrienne Brodeur lernen wir zunächst die Mitglieder einer, auf den ersten Blick, beneidenswerten Familie kennen.

Da ist Adam Gardner (69), brillanter Walforscher kurz vor seiner Pensionierung, sowie sein Sohn Ken (42,) der erfolgreiche Immobilienentwickler auf dem Sprung in den Senat und seine Tochter Abby (38), die schwangere Malerin kurz vor ihrem künstlerischen Durchbruch. Diese, sowie Ken’s Frau Jenny (mit ihren bezaubernden 12-jährigen Zwillingstöchtern Tessa und Franny) werden, in sich abwechselnden, Kapiteln beschrieben, die mit dem jeweiligen Namen betitelt sind.

In vier Monaten ist der 70. Geburtstag des egozentrischen Patriarchen und so strebt alles auf diesen Tag zu.

Broudaine beschreibt ihre Protagonistin so treffend, daß man das Gefühl hat, bereits jeden von ihnen schon Jahre zu kennen.

Exquisite Landschafts- und Naturbeschreibungen bereichern diese kluge Familienanalyse, der es nicht an Humor fehlt. Klug und immer genau auf den Punkt.

Schon zu Anfang läßt uns die Autorin hinter die Fassade blicken:

Adam versucht mit Psychopharmaka seine bi-polare Störung zu steuern, Ken ist traumatisiert vom Tod seiner Mutter als er vier Jahre alt war und seine einzige Motivation ist, es den anderen zu zeigen, da er als Kind gemoppt wurde und nie die Anerkennung seines Übervaters bekam. Abby ist verhuscht und ohne Selbstvertrauen. Der Grund dafür wird sich noch zeigen. Zudem kriselt es in Ken’s Ehe mit Jenny.

Schnell treten weitere Protagonisten hinzu: Steph (38), Polizistin aus einfachen Verhältnissen, die erst jüngst, als sie zum ersten Mal Mutter wurde, erfahren hat, daß sie die Frucht eines Fehltritts von Adam ist, der aber davon keine Ahnung hat. Sie ist lesbisch und mit Toni verheiratet.

Das bedingungslose Akzeptieren dessen, was Eltern und Familie einem Kind zumuten, ist ein Überlebensmechanismus, der sich im Laufe der Evolution zur Arterhaltung herausgebildet hat. Die Natur sagt, Hauptsache überleben, schließlich kann sich auch ein stark traumatisierter Mensch im Erwachsenenalter noch reproduzieren und zur Erhaltung der Spezies beitragen.

Wie stark unsere Kindheitstraumata unser Handeln als Erwachsene beeinflussen, ist das Kernthema dieses großartigen Romans.

In einer Art Schälvorgang legt die Autorin Schicht um Schicht frei, bis die (Kindheits-) Traumata zum Vorschein kommen. Doch findet dies nicht in einer theoretisch-verkopften Analyse statt, sondern die Autorin versteht es meisterhaft alles locker fließend zu beschreiben und offenzulegen, indem sie uns einfach am Leben, Fühlen und Denken der Protagonisten teilhaben läßt. Dazwischen werden, wie von einem unsichtbar im Hintergrund arbeitenden Metronom, immer wieder Wahrheiten gesetzt, die genau ins Schwarze treffen.

Der Roman spielt auf Cape Cod einer Landzunge, die in den Atlantischen Ozean ragt, mit seiner reichen maritimen Geschichte, traditionellen Fischerdörfern, einer lebendigen Kunstszene und einer sommerlichen Flut von Touristen und Walbeobachtern. Die Bewohner sind geprägt vom Meer und seinen Gezeiten. Ein ständiges Fließen und Verändern, das sich auch auf die Menschen auswirkt.

Den ganzen Roman hindurch bezaubert uns die Autorin auch mit einfühlsamen Stimmungs- und Naturbeschreibungen, die sie organisch und ganz nebenbei einfließen läßt und so werden wir wie auf einer Woge durch die Handlung getragen und haben als Lesende das Gefühl, uns tatsächlich dort aufzuhalten.

Die Beschreibung der Figuren kommt so natürlich und lebensecht daher, daß diese uns nach kürzester Zeit vertraut sind.

Adrienne Brodeur bringt das Kunststück fertig, uns sowohl die Tablettensucht des manischen Adam, als auch die Traumata und tiefsitzenden Verletzungen von Ken und Abby so zu beschreiben, wie sie von diesen zu Beginn des Romans empfunden werden: Als Selbstverständlichkeit, als eine Unwichtigkeit mit der man sich nicht sonderlich zu beschäftigen braucht. Traumata scheinen immer mit Verdrängung einherzugehen.

So findet im Verlauf des Buches gleichzeitig auch beim Leser der Erkenntnisprozess der traumatisierten Protagonisten statt, daß es sich bei dem, was in ihrer Kindheit stattfand, um alles andere als Lappalien handelt und daß die Traumata so schwerwiegend sind, daß sie das gesamte Leben und Handeln als Erwachsene zu bestimmen und überschatten scheinen. Diese Autorin schaut genau hin, und nicht wieder weg, sobald es zu unangenehm wird.

Wie beim Essen nehme ich mir auch beim Lesen gerne Zeit, um den Genuß zu strecken. Doch dieses Buch habe ich verschlungen.

Der Stil ist fließend, so natürlich und unaufdringlich und selbstverständlich wie das Ein- und Ausatmen des Meeres mit Ebbe und Flut. Die an genau passender Stelle eingestreuten Bemerkungen sind klug und witzig, was einem als Leser leider selten begegnet.

Die Dialoge sind so lebensecht und figurenspezifisch, daß die direkte Rede (in meinen Augen die Königsdisziplin beim Schreiben) von den Lesenden an keiner Stelle als störend empfunden wird.

Die Autorin beschenkt uns den ganzen Roman hindurch mit klugen und poetischen Metaphern.

Hier eine kleine Leseprobe für die poetische Sprache, die uns durch den Roman trägt und die klugen Erkenntnisse, die uns als Lesende zu Teil werden:

„Er hielt sich die (Fechterschnecken-) Schale ans Ohr, horchte ihrer Stimme, diesem Nachhall von Zeit und Wahrheit, und sah den Jungen – sein jüngeres, lange verschwundenes Ich – das Gleiche tun. Und so, die Schale an ihrer beider Ohren, versank Adam in der sanften Glückseligkeit des Schlafs, lauschte dem uralten Zwiegespräch zwischen Mathematik und Magie, zwischen Leben und Tod.“

So ganz nebenbei und sehr klug behandelt die Autorin auch Fragen der bildenden Kunst und des künstlerischen Ringens und Schaffens. Eine unbedingte Bereicherung.

Wenn wir ein Buch kaufen, dann ist das dem Buchen einer Reise ähnlich. Vorher können wir uns entscheiden, ob wir es tun oder nicht. Doch dann müssen wir großenteils akzeptieren, wo wir hingeführt werden und was uns gezeigt wird. Im Leben gibt es kein Recht auf Vollkommenheit und so ist es durchaus möglich, daß wir einen wunderbaren, unvergesslichen Urlaub erleben und dennoch das für den Abschluß der Reise groß angekündigte Feuerwerk recht mau ausfällt.

So hat die Autorin in meinen Augen bei der Beschreibung des großen Ereignisses des 70. Geburtstages von Adam, auf den ja im Buch alles zusteuert, eine große Chance vertan, indem sie die tragische Komik, die sich durch das Aufeinanderprallen der verschiedenen Charaktere und Erwartungshaltungen ergibt, zu wenig zelebriert. Schade, wo sie doch den ganzen Roman über gezeigt hat, über welch klugen und feinsinnigen Humor sie verfügt.

Schreibende müssen nicht jede aufgeworfene Frage eines Romans beantworten, man darf durchaus das ein oder andere offen lassen. Doch wenn sich ein Buch dadurch auszeichnen läßt, daß sich die Wahrheitsliebe und Aufklärung als einer der roten Fäden durch das Werk zieht, dann kann man als Autorin nicht einfach am Ende die Beantwortung der Kernfrage nur andeuten, sie muß explizit und unmissverständlich ausgesprochen werden. Man kann sich dann auch nicht einfach hinter US-amerikanischer Prüderie verstecken, um Leser nicht zu verprellen, denen es unangenehm wäre, wenn sie nicht die Möglichkeit bekämen, eine unangenehme Wahrheit zu verdrängen. Daß man als Leser will, daß eine so bedeutende Frage vom Autor nicht unbeantwortet bleibt, hat nichts mit voyeuristischer Neugier zu tun, sondern ist dem Umstand geschuldet, daß die Lesenden ein Recht auf diese Wahrheit haben, um das Geschehene beurteilen und einordnen zu können.

Mir erscheint es ein wenig so, als wäre der Autorin gegen Schluß zu, etwas die Puste ausgegangen.

Wie leider so oft, beschreiben der Klappentext und die Kurzbeschreibung auf der Rückseite des Umschlages den Charakter des Buches nicht ganz zutreffend. Das Buch ist wesentlich reichhaltiger, als man nach dieser Beschreibung erwartet.

Nicht nur der exzellente Inhalt, sondern auch die Gestaltung des Buches mit den türkisfarbenen Vorsatzblättern und dem stimmig zum Inhalt gestalteten Schutzumschlag mit einer Strandszene mit Himmel und Meer in verschiedenen Türkisschattierungen, sowie die professionelle sehr gute typographische Gestaltung, lassen mich den Roman mit Freude in meinem Regal mit den Lieblingsbüchern unterbringen.

Das Buch erhält von mir 4,5 von 5 Sternen. Gerne hätte ich die 5 Sterne vergeben, doch muß ich einen halben Stern für die nur angedeutete Beantwortung der Kernfrage und das Verschenken der Steilvorlage bei der Geburtstagsparty in Abzug bringen.

Eine der Botschaften dieses Buches ist für mich, daß sich eine Familie nicht primär über das gemeinsame Blut definiert, sondern über die Liebe, die die Menschen einander geben und, daß ein liebevoller Mensch in bescheidenen Verhältnissen ein besseres Familienoberhaupt ist, als ein egozentrisches Genie.

Diese sensible, unbeschwerte und dennoch tiefschürfende Beschreibung einer Familie mit ihrer strukturellen Problematik, wie sie ähnlich in vielen Familien vorkommt, ist ein überaus kluges und wahrhaftiges, poetisches Kleinod. In meinen Augen daher eine unbedingte Leseempfehlung.

Die Autorin Adrienne Brodeur ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Redakteurin, bekannt für ihre Memoiren und ihre Arbeit als Literaturagentin. Sie ist Autorin des Bestsellers "Wild Game: My Mother, Her Lover, and Me" (2019), in dem sie ihre eigene Erfahrung aufarbeitet, als ihre Mutter eine Affäre mit ihrem Stiefvater begann und sie in ihre Geheimnisse einbezog. Brodeur ist auch Mitgründerin und ehemalige Executive Director der Aspen Words, einer gemeinnützigen Organisation, die sich der Förderung von Literatur und Schreibkunst verschrieben hat.

Der Roman Treibgut von Adrienne Brodeur umfasst 464 Seiten und ist 2024 zum Preis von 24,- Euro bei Kindler erschienen. Das Original in englischer Sprache erschien 2024 unter dem Titel Little Monsters bei Random House 2024 als Taschenbuch und bei Hutchinson Heinemann als Hardcover.

Weitere Bücher von Adrienne Bordeur in deutscher Übersetzung:

Wild Game – Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich (2020)

Das Männer-Camp (2007)

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