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Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Geschichte einer Freundschaft

Raukland Trilogie
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Ronan ist Schwertkämpfer par excellence und scheint damit würdiger Nachfolge auf den Thron von Raukland zu sein. Allerdings will es das Schicksal anders. Weil er wegen eines angeblichen Rausches seine ...

Ronan ist Schwertkämpfer par excellence und scheint damit würdiger Nachfolge auf den Thron von Raukland zu sein. Allerdings will es das Schicksal anders. Weil er wegen eines angeblichen Rausches seine Männer nicht in eine Schlacht führen kann, fällt er bei seinem Vater, König Azel, in Ungnade. Nicht nur, dass dieser ihn auspeitschen und brandmarken lässt. Er schickt ihn auf die Insel Lannoch, damit er diese Raukland untertan macht. Nur dann kann er auch Rauklands König werden.

Ronan hat keine Wahl. Auf Lannoch erwartet ihn ein Jahr voller Prüfungen. Mit Waffengewalt kann er dort nichts ausrichten, und die Insel darf er nicht verlassen. Schließlich ist Bedingung dafür, rechtmäßiger König von Lannoch zu werden, die Erfüllung der von den ehemaligen Königen Lannochs niedergeschriebenen Aufgaben.

Hierfür braucht er einen Freund, den er auf der Insel finden muss, weil er hierher allein gekommen ist. Könnte es nicht von Vorteil sein, dass er gerade Liam das Leben gerettet hat? Würde da nicht jeder andere auch zum Freund werden? Tatsächlich erklärt sich Liam bereit, als Ronans Freund aufzutreten, verlangt im Gegenzug, dass Ronan ihn beschützt.

Aber was macht einen Freund aus?

Ronan ist völlig ahnungslos, schon bei der Aufforderung, den Namen seines "Freundes" zu nennen, versagt er. Bis zu seinem Ziel liegt ein langer Weg vor ihm...

Jordis Lank erzählt mit dem ersten Band ihrer Raukland-Triologie eine fantastische Geschichte, die jedoch erfreulich menschlich und tiefgründig ist. Denn die Autorin legt vor allem Wert auf eine Schilderung, wie aus zwei unterschiedlichen jungen Männern Freunde werden können.

Mit Ronan und Liam hat sie zwei vielschichtige Charaktere geschaffen, die beeindrucken.

Als Ronan auf Lannoch eintrifft und Merin, dem König, begegnet, ist sein Blick noch dunkel und unergründlich, sein Tonfall selbstbewusst und fordernd. Er ist für Merin wie ein Splitter, der unter die Haut fährt. Stechend und drückend, unangenehm, so dass er eigentlich entfernt werden müsste. Ein Grund, warum es der König dem jungen Krieger nicht leicht macht.

Zwar verfügt Ronan nicht nur über eine klare Denkweise und Entschlossenheit, sondern auch über eine ruhige Körperbeherrschung, Ausdauer, Mut und Zuversicht, mit der er das Schwert federleicht und virtuos führt. Er fechtet mit jeder Faser seines Körpers, mit seinem Herzen. Das ist großartig, beängstigend und faszinierend zugleich. Doch Zuneigung, Liebe und Freundschaft sind ihm zum großen Teil fremd. Das Leben als Kämpfer in Raukland hat ihn geprägt. Schon als Fünfzehnjährige ist er Anführer von Männern geworden, die wesentlich älter als er sind, wenngleich sein Charisma ihn befähigt, jeden zu bewegen, ihm in eine Schlacht zu folgen.

In diesem Jahr auf Lannoch lernt Ronan das Lachen und außerdem, dass es beglückend ist, einfach mal sorglos Spaß an etwas zu haben. Er kann jungenhaft sein und anderen eine Freude machen, zum Beispiel mit geschnitzten Weidenflöten. Er begreift, was es heißt, für andere einzutreten und dass es zudem Aufgaben gibt, die nur mit Hilfe anderer bewältigt werden können.

Was es bedeutet, einen Freund wie Liam zu haben, der im Gegensatz zu Ronan schwach ist. Zumindest was seine körperliche Kraft und seinen Mut betrifft. Liam scheut die Konfrontation für den Fall, dass es unangenehm wird. Seine Stärke ist eher innerer Natur. Er ist selbstlos, weiß jedoch um seine Fehlbarkeit und steht dazu. Gefühle sind ihm nicht fremd und er verleiht ihnen Ausdruck. Ob es die Bewunderung für Ronans Fertigkeiten oder seine eigenen Ängste sind. Im Laufe der Zeit begreift er, dass es gewisser Fähigkeiten bedarf, um in der Welt zu bestehen. Und dank seiner Beharrlichkeit und seiner geschickten Hände ist er in der Lage, das Schwert immer besser zu führen.

Beide Protagonisten entwickeln sich im Verlauf der Handlung, vertiefen Wesenszüge. So werden sie langsam, aber stetig zu echten Freunden. Diese Entwicklung stellt die Autorin glaubhaft, überzeugend und mit Kunstfertigkeit dar. Dazu tragen im hohen Maße auch die sorgsam ausgearbeiteten Nebenfiguren bei, zu denen Eila, die Enkelin des Königs, und Gismo, Ronans Lieblingspferd, gehören. Denn obwohl das Augenmerk auf der Freundschaft zwischen Ronan und Lima liegt, lässt Jordis Lank Ronan auch zarte Liebesbande knüpfen, sehr dezent und sorgsam. Das erfreut die geneigte Leserin.

Die Orte des Geschehens sind überschaubar, doch der Autorin gelingt es mit ihrer detaillierten und intensiven Beschreibung Bilder beim Lesen zu erzeugen. Ihr Schreibstil ist klar und lebendig, zudem voller Energie, beispielsweise bei der Schilderung des Schwertkampfes. Hier punktet die Autorin mit ihrem Fachwissen, ohne den Leser zu überfordern. Außerdem wird die Geschichte mit humorvollen Momenten aufgelockert. Wenn beispielsweise ein gestandener Mann ein kleines Ei ausblasen muss, kann ein Schmunzeln nicht vermieden werden.

Was bleibt nach der Lektüre? Vor allen Dankbarkeit. Für eine wunderbare Geschichte, an deren Ende der Leser froh ist, dass er miterleben durfte, wie aus zwei Jungen Freunde werden. Fantastisch, aber immer auch gegenwärtig.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Baba Dunjas letzte Liebe

Baba Dunjas letzte Liebe
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Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass ...

Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass sie dort den Rest ihres Lebens verbringen will. Die Nähe zum Kernreaktor macht ihr nichts aus. Denn sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie ist alt, über neunzig, und das Gute für sie am Alter ist, dass sie niemand mehr um Erlaubnis fragen muss. Zum Beispiel, ob sie in ihrem alten Haus wohnen kann und ob sie Spinnennetze hängen lassen darf. Baba Dunja hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst. 'Der Tod kann kommen, aber bitte höflich." (Seite 12)

Für sie ist Tschernowo das Paradies, wenn auch ein verstrahltes. Besonders im Winter ist es stiller als still. "Wenn eine Schneedecke über allem liegt, sind sogar die Träume gedämpft, und nur die Dompfaffen springen durch das Gestrüpp und sorgen für Farbe in der weißen Landschaft." (Seite 32)

Hier läuft das Leben in ruhigen Bahnen ab. Für Baba Dunjas Nachbarin Marja, deren Hahn Konstantin gleich im Kochtopf landet. Sidorow, der noch mit hundert Jahren auf der Suche nach einer Frau ist. Lenotschka, die einen endlos langen Schal strickt und lächelt, wenn man sie anspricht, jedoch nicht antwortet. Das gebildete Ehepaar Gavrilov, das nicht auf Annehmlichkeiten verzichten muss. In Tschernowo verlangt niemand etwas von den Bewohnern. Es zählt das Heute, nicht das Morgen. Die Alten leben von der Selbstversorgung, das Gemüse wächst üppig in ihren Gärten. Nur nicht bei Petrow, der als letzter ein Häuschen im Dorf bezog und der seinen Krebs, von dem sein Körper komplett durchsetzt ist, nicht füttern will. Die Öfen werden mit Holz befeuert, Wasser spenden Brunnen, und an manchen Tagen gibt es auch Strom.

Baba Dunjas Kontakte zur Außenwelt bestehen aus gelegentlichen Busfahrten nach Malyschi. Dann erzählt ihr Boris, der Busfahrer, was er im Fernsehen gesehen hat. Viel über Politik. Die ist natürlich wichtig, doch Baba Dunja ist da pragmatisch, denn "es bleibt trotzdem immer an einem selbst hängen, die Kartoffeln zu düngen, wenn man irgendwann Püree essen will." (Seite 46)

Ab und an bekommt Baba Dunja Pakete von ihrer Tochter Irina. Diese ist Ärztin und lebt mit Enkelin Laura in Deutschland. Wenn Baba Dunja daran denkt, dass sie Laura (außer auf Fotos) noch nie gesehen hat, kommt Wehmut auf. Gut, dass gelegentlich Ehemann Jegor vorbeischaut, der aber nicht wirklich stört. Baba Dunja plaudert gern mit ihm. Seit er nämlich tot ist, ist er sehr höflich. Als er noch lebte, war das leider nicht so.

In die Idylle kommt Unruhe, als eines Tages ein Mann seine Tochter mitbringt. Recht schnell wird klar, dass das Kind als Spielball zwischen den getrennten Eltern steht. Das ist für Baba Dunja unhaltbar. Ein Kind hat in Tschernowo nichts zu suchen. Zwar ist Tschernowo ein schöner und guter Ort für seine Bewohner. Niemand wird fortgejagt. Nur wenn jemand noch jung und gesund ist, sollte er sich ein anderes Heim wählen. Schon gar nicht sollte ein kleines Kind aus Rache dem Tode geweiht werden.

Und daher dauert es nicht lange, das liegt der Mann tot auf der Erde, und Baba Dunja nimmt alle Schuld auf sich...

Mit viel Verständnis und Geradlinigkeit lässt Alina Bronsky Baba Dunja erzählen. Die im Grunde kleine Geschichte entfaltet eine große Wirkung. Sie ist poetisch, lebendig, weise und ehrlich, manchmal verschmitzt, dann wieder traurig und anrührend.

Baba Dunja "strahlt" - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Lebensfreude aus, die zu Herzen gehend ist. Mit Klugheit und Nachsicht schaut sie auf ihre Mitmenschen und ist der Mittelpunkt der eigenwilligen, schrulligen, sturen und manchmal auch exzentrischen Dorfbewohner, die trotzdem allesamt liebenswert in ihrer Gelassenheit, mit der sie ihr Dasein verbringen, erscheinen.

Man möchte sie in den Arm nehmen und fest drücken. Und auf jeden Fall ein langes Leben wünschen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Leben voller Möglichkeiten

Im Land der goldenen Sonne
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Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten ...

Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, zu entkommen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich erscheint...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise gehen, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Die Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser begreifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, auszuweichen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich wird...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Denn Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Alle Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil der Autorin sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei im Mittelpunkt stehenden weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser greifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Armut und Unterdrückung der ägyptischen Bevölkerung begegnet. Sie handelt, entdeckt ihre eigenen, beträchtlichen Fähigkeiten und emanzipiert sich, breitet die Flügel aus, bekommt Ausstrahlung und Souveränität und lebt eine Toleranz im Glauben, die bewundernswert ist.

Nachvollziehbar wird auch der Wandel von Harriet geschildert. Anfangs ist sie in London eine sterbenskranke, schwache junge Frau. In Ägypten lernt sie mit der Zeit das Atmen, gewinnt Kraft, Zuversicht und Unabhängigkeit. Dabei ist die Entwicklung langsam, kommt nicht als Wunder einer plötzlichen Heilung daher und weist zudem Rückschläge auf.

Harriet und damit auch dem Leser wird bewusst, dass die Welt ungeheuer schön und voller Möglichkeiten und Abenteuer sein kann. Dass sich die Leben der Menschen nicht nur in ihrer Länge unterscheiden, sondern vor allem in ihrer Intensität, im ungleichen Grad an Schönheit, Freude und Genuss. Dass es wichtig ist, sich nicht einfach nur ein langes Leben zu wünschen, sondern eines, das Belang hat, ein Leben (und eines Tages auch einen Tod) nach eigenen Vorstellungen.

Veröffentlicht am 10.02.2025

Das 13. Opfer

Kohle, Stahl und Mord: Das 13. Opfer
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Seit vor vierunddreißig Jahren im Schacht Ludwig des Essener Kohlebergwerk Wilhelmshöhe bei einem Grubenunglück zwölf Kumpel verschüttet wurden, ist Werner Flemming nie das Gefühl losgeworden, in eine ...

Seit vor vierunddreißig Jahren im Schacht Ludwig des Essener Kohlebergwerk Wilhelmshöhe bei einem Grubenunglück zwölf Kumpel verschüttet wurden, ist Werner Flemming nie das Gefühl losgeworden, in eine Unterwelt voller Gefahren und Unwägbarkeiten abzutauchen. Damals – im Oktober 1988 – war er zu jenem Zeitpunkt auch unter Tage, wurde aber gerettet und ist aus dem Berg zurückgekehrt. Von dem verschütteten Dutzend hingegen fehlt jede Spur. Das hat den Bergmann geprägt.

Nun soll der alte Schacht zu einem Besucher-Bergwerk ausgebaut werden, und Werner begleitet einen jungen Elektrotechniker zur Überprüfung der Stromkabel. Doch der Berg ruht nicht. Werner droht ein Déjà-vu, nachdem es zu einem Wassereinbruch kommt und die Skelette der vermissten Bergarbeiter freigelegt werden. Außerdem hält Werner plötzlich einen weiteren Schädel in den Händen, und dieser offenbart ein Einschussloch. Opfer Nummer 13 wurde ermordet.

Damit beginnen die Ermittlungen der Essener Mordkommission. An der Spitze der Soko steht Kriminalhauptkommissarin Elin Akay, die unter anderem von Kriminaloberkommissar Holger Sieburg und der forensischen Psychiaterin Dr. Jana Fäller unterstützt wird.

Die beiden Frauen sind seit Kindertagen beste Freundinnen, ihre Väter waren ebenfalls Bergmänner, was die Kommunikation mit den Kumpel wesentlich erleichtert dürfte. Denn vermutlich ist einer von ihnen ein Mörder. Oder gibt es vielleicht die Chance, dass der Täter außerhalb dieser eingeschworenen Gemeinschaft zu finden ist?

Eventuell ist die Tat in Zusammenhang mit den unsauberen Finanzgeschäften des Opfers, der viele Bergleute um ihre Ersparnisse gebracht hat, zu sehen?

Werner Flemming, der vielleicht wesentliche Hinweise geben könnte, ist nach dem Fund erneut traumatisiert. Schon bei dem so lange zurückliegenden verheerenden Grubenunglück hatte es keinerlei psychologische Hilfe für die gerettetem Männer gegeben.

Nach und nach offenbaren sich die Geheimnisse, die nicht nur tief im Inneren des Berges verborgen sind …


Martin Conrath arbeitet in „Kohle, Stahl und Mord. Das 13. Opfer“ mit Wechseln zwischen den Zeitebenen, die sich anfänglich (noch) nicht erschließen. Das belebt aber ungemein die Lektüre und bietet auf diese Art umfangreiche Hintergrundinformationen, die wir zunächst abspeichern und im Verlauf der Handlung zur Auflösung verdichten können.

Mit einem überzeugenden Erzählton, der zu fesseln vermag, bleibt er nahe an der Wirklichkeit, reichert den Verlauf der Geschichte mit überraschenden Wendungen an. Hier erweist sich insbesondere die Beschreibungen von den Örtlichkeiten und Arbeitsmethoden sowohl über als auch unter Tage als detailreich und ebenso für Unkundige nachvollziehbar. Außerdem bindet der Autor in das Geschehen verschiedene gesellschaftliche und soziale Aspekte ein.

Die Figurenriege ist umfangreich und erhält immer wieder Zuwachs. Gleichwohl ist es möglich, den Überblick zu behalten. Die Darstellung gelingt, auf menschliche Stärken und Schwächen des Einzelnen wird vom Autorin in passender Weise eingegangen.

Die Sympathie, die Martin Conrath für seine im Mittelunkt gerückten Protagonistinnen Elin und Jana empfindet, die beide in ihrem Beruf gefordert werden, dies allerdings gern tun, ist spürbar und überträgt sich auch auf den Leser. Er nimmt sich Zeit für sie und Darstellung der Beziehungen zu ihrem Umfeld.

Die forensische Psychiatrie ist ein interessantes Gebiet der Medizin, und ich habe Jana als eine Person schätzen gelernt, die ihre Tätigkeit sehr engagiert und fokussiert ausübt. Nach den Schilderungen des Autors kann ich mir vorstellen, mit welch beeindruckender Präsenz und Selbstkontrolle sie vor Gericht auftritt. Sie ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters noch näher gerückt.

Daneben ist auch mein Bild von Elin positiv. Mir gefallen ihre Ansätze und Ansichten im der Zusammenarbeit und das Verständnis im Umgang mit den Kollegen im Team, das bis auf eine Ausnahme funktioniert.

Martin Conrath ist beachtlicher Reihenstart gelungen, „Kohle, Stahl und Mord. Das 13. Opfer“ präsentiert sich als Lektüre mit hohem Unterhaltungswert.

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Veröffentlicht am 05.02.2025

Mir fällt gerade ein ...

»Mir fällt gerade ein...«
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Meine erste bewusste Erinnerung an Manfred Krug – neben den Erzählungen meiner Eltern – war die eines Märchenkönigs. Drosselbart entsprach so gar nicht dem klassischen Bild und sang dazu noch. Damit füllte ...

Meine erste bewusste Erinnerung an Manfred Krug – neben den Erzählungen meiner Eltern – war die eines Märchenkönigs. Drosselbart entsprach so gar nicht dem klassischen Bild und sang dazu noch. Damit füllte er seine Rolle des Königs, der als Spielmann das Herz der stolzen Prinzessin erweichen kann, allerdings sehr gut aus.

Singen konnte er also und schauspielern auch. In der DDR war der Stahlarbeiter, der mit seinen Auftritten als Schauspieler und Sänger bleibende Eindrücke hinterließ, beliebt und eine „kleine“ Berühmtheit, und als er 1977 ausreisen musste, ist sicher nicht nur ihm der Abschied schwergefallen.

Manfred Krug knüpfte in der Bundesrepublik an seinen Erfolg an und mit „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“ und dem „Tatort“ schrieb er Fernsehgeschichte. Selbst seine Karriere als Sänger blieb nicht auf der Strecke.

Und nicht nur das. Manfred Krug war zudem ein passionierter Flohmarktbesucher und beharrlicher Sammler von Antiquitäten und Kuriositäten. Daneben ein sorgfältiger Zeitungsleser, Fernsehgucker, großartiger Tagebuchschreiber und Notierer von vielen Beobachtungen und Anmerkungen, Erkenntnissen und Weisheiten, Anekdoten und schrägen Momente, Geistesblitzen und Assoziationen.


An diesen zum Teil verblüffenden Einsichten dürfen wir teilhaben, wenn wir das Büchlein „Mir fällt gerade ein …“ zur Hand nehmen. Bemerkenswert an diesem von Lektorin Krista Maria Schädlich zusammengestellten wundersamen Sammelsurium ist die Vielfalt des Interesses von Manfred Krug.

Mit einer Neugier und Leidenschaft auf die (Um)Welt betrachtet er Menschen und Tiere, Zeitungen und Nachrichten, Fernsehsendungen, Filme und Dreharbeiten, speichert erstaunt und begeistert Wissenswertes, führt haargenaue Auflistungen von Flohmarktfunden, äußert seine unverblümten Auffassungen und Meinungen zu Politikern, Künstlern und Handwerkern und vermittelt mit diesen im Kern eventuell unwichtigen, im Inhalt indes unentbehrlichen Dingen manch verblüffende Sichten hinter die Fassade eines selbstbewussten Mannes und Menschen.

"Im Dresdener Zoo gibt es eine Riesenschildkröte 'Arnoldi', die eines der 18 letzten Exemplare ist. Das Tier, ein Männchen, stammt von den Galapagos-Inseln und ist 140 Jahre alt. Es hat damit die Hälfte seiner Lebenserwartung hinter sich und soll jetzt auf die Inseln zurückkehren, die Art retten helfen."

Seine Ergänzung findet das Büchlein durch die Radierungen des Malers und Grafikers Moritz Götze, der bereits den Krugschen Lyrikband „66 Gedichte – Was soll das?“ illustriert hat.

Das Sammelsurium, dieses amüsante und liebenswürdige Durcheinander, ermöglicht es, dem Menschen Krug nahe zu kommen und seine Begeisterung für Absurditäten und das Ausgefallene sowie seinen speziellen nachdenklichen Blick auf das Leben in zwei deutschen Staaten und die Welt kennenzulernen, auch wenn vielleicht der Hintergrund der ein oder anderen Anmerkung verborgen bleiben wird.

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