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Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Geschichte einer Freundschaft

Raukland Trilogie
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Ronan ist Schwertkämpfer par excellence und scheint damit würdiger Nachfolge auf den Thron von Raukland zu sein. Allerdings will es das Schicksal anders. Weil er wegen eines angeblichen Rausches seine ...

Ronan ist Schwertkämpfer par excellence und scheint damit würdiger Nachfolge auf den Thron von Raukland zu sein. Allerdings will es das Schicksal anders. Weil er wegen eines angeblichen Rausches seine Männer nicht in eine Schlacht führen kann, fällt er bei seinem Vater, König Azel, in Ungnade. Nicht nur, dass dieser ihn auspeitschen und brandmarken lässt. Er schickt ihn auf die Insel Lannoch, damit er diese Raukland untertan macht. Nur dann kann er auch Rauklands König werden.

Ronan hat keine Wahl. Auf Lannoch erwartet ihn ein Jahr voller Prüfungen. Mit Waffengewalt kann er dort nichts ausrichten, und die Insel darf er nicht verlassen. Schließlich ist Bedingung dafür, rechtmäßiger König von Lannoch zu werden, die Erfüllung der von den ehemaligen Königen Lannochs niedergeschriebenen Aufgaben.

Hierfür braucht er einen Freund, den er auf der Insel finden muss, weil er hierher allein gekommen ist. Könnte es nicht von Vorteil sein, dass er gerade Liam das Leben gerettet hat? Würde da nicht jeder andere auch zum Freund werden? Tatsächlich erklärt sich Liam bereit, als Ronans Freund aufzutreten, verlangt im Gegenzug, dass Ronan ihn beschützt.

Aber was macht einen Freund aus?

Ronan ist völlig ahnungslos, schon bei der Aufforderung, den Namen seines "Freundes" zu nennen, versagt er. Bis zu seinem Ziel liegt ein langer Weg vor ihm...

Jordis Lank erzählt mit dem ersten Band ihrer Raukland-Triologie eine fantastische Geschichte, die jedoch erfreulich menschlich und tiefgründig ist. Denn die Autorin legt vor allem Wert auf eine Schilderung, wie aus zwei unterschiedlichen jungen Männern Freunde werden können.

Mit Ronan und Liam hat sie zwei vielschichtige Charaktere geschaffen, die beeindrucken.

Als Ronan auf Lannoch eintrifft und Merin, dem König, begegnet, ist sein Blick noch dunkel und unergründlich, sein Tonfall selbstbewusst und fordernd. Er ist für Merin wie ein Splitter, der unter die Haut fährt. Stechend und drückend, unangenehm, so dass er eigentlich entfernt werden müsste. Ein Grund, warum es der König dem jungen Krieger nicht leicht macht.

Zwar verfügt Ronan nicht nur über eine klare Denkweise und Entschlossenheit, sondern auch über eine ruhige Körperbeherrschung, Ausdauer, Mut und Zuversicht, mit der er das Schwert federleicht und virtuos führt. Er fechtet mit jeder Faser seines Körpers, mit seinem Herzen. Das ist großartig, beängstigend und faszinierend zugleich. Doch Zuneigung, Liebe und Freundschaft sind ihm zum großen Teil fremd. Das Leben als Kämpfer in Raukland hat ihn geprägt. Schon als Fünfzehnjährige ist er Anführer von Männern geworden, die wesentlich älter als er sind, wenngleich sein Charisma ihn befähigt, jeden zu bewegen, ihm in eine Schlacht zu folgen.

In diesem Jahr auf Lannoch lernt Ronan das Lachen und außerdem, dass es beglückend ist, einfach mal sorglos Spaß an etwas zu haben. Er kann jungenhaft sein und anderen eine Freude machen, zum Beispiel mit geschnitzten Weidenflöten. Er begreift, was es heißt, für andere einzutreten und dass es zudem Aufgaben gibt, die nur mit Hilfe anderer bewältigt werden können.

Was es bedeutet, einen Freund wie Liam zu haben, der im Gegensatz zu Ronan schwach ist. Zumindest was seine körperliche Kraft und seinen Mut betrifft. Liam scheut die Konfrontation für den Fall, dass es unangenehm wird. Seine Stärke ist eher innerer Natur. Er ist selbstlos, weiß jedoch um seine Fehlbarkeit und steht dazu. Gefühle sind ihm nicht fremd und er verleiht ihnen Ausdruck. Ob es die Bewunderung für Ronans Fertigkeiten oder seine eigenen Ängste sind. Im Laufe der Zeit begreift er, dass es gewisser Fähigkeiten bedarf, um in der Welt zu bestehen. Und dank seiner Beharrlichkeit und seiner geschickten Hände ist er in der Lage, das Schwert immer besser zu führen.

Beide Protagonisten entwickeln sich im Verlauf der Handlung, vertiefen Wesenszüge. So werden sie langsam, aber stetig zu echten Freunden. Diese Entwicklung stellt die Autorin glaubhaft, überzeugend und mit Kunstfertigkeit dar. Dazu tragen im hohen Maße auch die sorgsam ausgearbeiteten Nebenfiguren bei, zu denen Eila, die Enkelin des Königs, und Gismo, Ronans Lieblingspferd, gehören. Denn obwohl das Augenmerk auf der Freundschaft zwischen Ronan und Lima liegt, lässt Jordis Lank Ronan auch zarte Liebesbande knüpfen, sehr dezent und sorgsam. Das erfreut die geneigte Leserin.

Die Orte des Geschehens sind überschaubar, doch der Autorin gelingt es mit ihrer detaillierten und intensiven Beschreibung Bilder beim Lesen zu erzeugen. Ihr Schreibstil ist klar und lebendig, zudem voller Energie, beispielsweise bei der Schilderung des Schwertkampfes. Hier punktet die Autorin mit ihrem Fachwissen, ohne den Leser zu überfordern. Außerdem wird die Geschichte mit humorvollen Momenten aufgelockert. Wenn beispielsweise ein gestandener Mann ein kleines Ei ausblasen muss, kann ein Schmunzeln nicht vermieden werden.

Was bleibt nach der Lektüre? Vor allen Dankbarkeit. Für eine wunderbare Geschichte, an deren Ende der Leser froh ist, dass er miterleben durfte, wie aus zwei Jungen Freunde werden. Fantastisch, aber immer auch gegenwärtig.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Baba Dunjas letzte Liebe

Baba Dunjas letzte Liebe
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Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass ...

Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass sie dort den Rest ihres Lebens verbringen will. Die Nähe zum Kernreaktor macht ihr nichts aus. Denn sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie ist alt, über neunzig, und das Gute für sie am Alter ist, dass sie niemand mehr um Erlaubnis fragen muss. Zum Beispiel, ob sie in ihrem alten Haus wohnen kann und ob sie Spinnennetze hängen lassen darf. Baba Dunja hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst. 'Der Tod kann kommen, aber bitte höflich." (Seite 12)

Für sie ist Tschernowo das Paradies, wenn auch ein verstrahltes. Besonders im Winter ist es stiller als still. "Wenn eine Schneedecke über allem liegt, sind sogar die Träume gedämpft, und nur die Dompfaffen springen durch das Gestrüpp und sorgen für Farbe in der weißen Landschaft." (Seite 32)

Hier läuft das Leben in ruhigen Bahnen ab. Für Baba Dunjas Nachbarin Marja, deren Hahn Konstantin gleich im Kochtopf landet. Sidorow, der noch mit hundert Jahren auf der Suche nach einer Frau ist. Lenotschka, die einen endlos langen Schal strickt und lächelt, wenn man sie anspricht, jedoch nicht antwortet. Das gebildete Ehepaar Gavrilov, das nicht auf Annehmlichkeiten verzichten muss. In Tschernowo verlangt niemand etwas von den Bewohnern. Es zählt das Heute, nicht das Morgen. Die Alten leben von der Selbstversorgung, das Gemüse wächst üppig in ihren Gärten. Nur nicht bei Petrow, der als letzter ein Häuschen im Dorf bezog und der seinen Krebs, von dem sein Körper komplett durchsetzt ist, nicht füttern will. Die Öfen werden mit Holz befeuert, Wasser spenden Brunnen, und an manchen Tagen gibt es auch Strom.

Baba Dunjas Kontakte zur Außenwelt bestehen aus gelegentlichen Busfahrten nach Malyschi. Dann erzählt ihr Boris, der Busfahrer, was er im Fernsehen gesehen hat. Viel über Politik. Die ist natürlich wichtig, doch Baba Dunja ist da pragmatisch, denn "es bleibt trotzdem immer an einem selbst hängen, die Kartoffeln zu düngen, wenn man irgendwann Püree essen will." (Seite 46)

Ab und an bekommt Baba Dunja Pakete von ihrer Tochter Irina. Diese ist Ärztin und lebt mit Enkelin Laura in Deutschland. Wenn Baba Dunja daran denkt, dass sie Laura (außer auf Fotos) noch nie gesehen hat, kommt Wehmut auf. Gut, dass gelegentlich Ehemann Jegor vorbeischaut, der aber nicht wirklich stört. Baba Dunja plaudert gern mit ihm. Seit er nämlich tot ist, ist er sehr höflich. Als er noch lebte, war das leider nicht so.

In die Idylle kommt Unruhe, als eines Tages ein Mann seine Tochter mitbringt. Recht schnell wird klar, dass das Kind als Spielball zwischen den getrennten Eltern steht. Das ist für Baba Dunja unhaltbar. Ein Kind hat in Tschernowo nichts zu suchen. Zwar ist Tschernowo ein schöner und guter Ort für seine Bewohner. Niemand wird fortgejagt. Nur wenn jemand noch jung und gesund ist, sollte er sich ein anderes Heim wählen. Schon gar nicht sollte ein kleines Kind aus Rache dem Tode geweiht werden.

Und daher dauert es nicht lange, das liegt der Mann tot auf der Erde, und Baba Dunja nimmt alle Schuld auf sich...

Mit viel Verständnis und Geradlinigkeit lässt Alina Bronsky Baba Dunja erzählen. Die im Grunde kleine Geschichte entfaltet eine große Wirkung. Sie ist poetisch, lebendig, weise und ehrlich, manchmal verschmitzt, dann wieder traurig und anrührend.

Baba Dunja "strahlt" - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Lebensfreude aus, die zu Herzen gehend ist. Mit Klugheit und Nachsicht schaut sie auf ihre Mitmenschen und ist der Mittelpunkt der eigenwilligen, schrulligen, sturen und manchmal auch exzentrischen Dorfbewohner, die trotzdem allesamt liebenswert in ihrer Gelassenheit, mit der sie ihr Dasein verbringen, erscheinen.

Man möchte sie in den Arm nehmen und fest drücken. Und auf jeden Fall ein langes Leben wünschen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Leben voller Möglichkeiten

Im Land der goldenen Sonne
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Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten ...

Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, zu entkommen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich erscheint...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise gehen, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Die Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser begreifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Der dreiundzwanzigjährigen Harriet Heron schnürt es im nebligen giftigen Dunst des viktorianischen Londons im wahrsten Worte die Luft ab. Sie leidet an Asthma und rechnet jeden Tag damit, den nächsten nicht mehr zu erleben. Sie wird behütet und geschützt, ist gleichwohl aber auch gefangen in diesem Kokon der Fürsorge und getrennt von den Dingen, die eine junge Frau ihres Alters kennenlernen sollte. Lediglich ihre seit ihrer Kindheit bestehende Faszination für Ägypten, besonders ihre Leidenschaft für Hieroglyphen geben ihr Halt.

Da sie vor ihrem Tod das ägyptische Theben sehen möchte, kann sie erst ihren Arzt und dann ihre Mutter Louisa davon überzeugen, dass ihr das Klima in Ägypten besser bekommt. Mit auf die Reise geht als Dritte im Bunde der Damen die unverheiratete, gottesfürchtige (Tante) Yael, Louisas Schwägerin, nicht minder naiv in ihrem Glauben und ohne Kenntnis, was sie im unbekannten Land erwartet.

Schon auf dem Schiff begegnen sie unterschiedlichen Menschen: dem Ehepaar Cox, das seine Hochzeitsreise macht, dem Maler Eyre Soane, den eine längst begraben geglaubte Vergangenheit mit Louisa zu verbinden scheint, dem deutschen Professor Eberhardt Wolf, der einen Flügel nach Ägypten transportiert.

Endlich in Alexandria angekommen, kann Harriet angesichts der sauberen Luft zunächst aufatmen. Yael, die bislang ihren Vater gepflegt oder „gefallene“ Mädchen betreut hat, findet einen neuen Lebenssinn. Sie eröffnet eine Klinik, in der die Augen der ägyptischen Kinder behandelt werden.

Doch Louisa will zurück nach London, auch um Soane und den Erinnerungen und Geistern ihrer Jugend, die er weckt, auszuweichen. Als in Alexandria die Stürme beginnen, verschlechtert sich Harriets Gesundheitszustand. Erneut kann sie die Mutter überreden, Ägypten nicht zu verlassen, sondern vielmehr nach Luxor weiterzureisen. Yael hingegen will ihre Kinderklinik nicht aufgeben und bleibt in Alexandria zurück.

In Luxor begegnet Harriet dem mit Ausgrabungen beschäftigten Eberhardt Wolf wieder und entdeckt in dem Ägyptologen eine verwandte Seele, nachdem dieser begreift, dass Harriets Interesse echt und nicht bloß das einer Touristin ist. Sie fertigt Kopien der von ihm ausgegrabenen Hieroglyphen an und hilft, deren Bedeutung zu entschlüsseln. Auch Soane taucht in Luxor wieder auf und interessiert sich für Harriet.

Unterdessen wächst angesichts der sozialen Verhältnisse im Land die Unruhe in der Bevölkerung, so dass eine Rückkehr nach England zunehmend unmöglich wird...

Wendy Wallace überrascht mit einer lebendigen, atmosphärisch dichten Geschichte, die von einer intensiven und sorgfältigen Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund zeugt. Sie vermag es, dem Leser die herbe, gleichwohl mystische Schönheit Ägyptens ins üppigen Farben, die von Wind und Sand erfüllte Luft und die starke Hitze zu vermitteln. Während das neblige London die dunkle Seite darstellt, scheint Ägypten hell und voller Licht zu sein. Doch diese Schönheit täuscht.

Denn Ägypten ist im 19. Jahrhundert eine brutal unterdrückte Nation unter osmanischer Herrschaft, ein Land, das sich am Rande der Revolte befindet, es entwickelt sich eine wachsende nationalistische Bewegung wider die horrenden Steuern, die Sklavenarbeit und Unterdrückung, im Grunde entsteht der hier der erste „arabischen Frühling“.

In dieser Zeit gehen die drei Frauen, ohne es zu ahnen, auf eine Reise, die eine jede von ihnen verändert. Zunächst tragen sie das starre Korsett ihrer Herkunft und sind geprägt vom Anstand und der Moral ihrer Zeit. Eindrucksvoll schildert die Autorin, wie sie sich von den Zwängen befreien, die die viktorianischen Gesellschaft vor allem den Frauen auferlegt.

Alle Figuren wirken echt und aus dem Leben gegriffen. Ihre Gedanken, Gefühle und Motivation sind nachvollziehbar durch Handlungen und Aussagen dargestellt. Dabei ist der Erzählstil der Autorin sehr ausgewogen und nie übertrieben, klar und sensibel und durchaus poetisch.

"Der Himmel war gigantisch. Eine silbrige Riesenschale über ihrem Kopf, an deren Rändern sich perlmuttfarbene Wolkenfinger bis an den Horizont zogen. Um sie herum glitzerte und wogte das Meer. Es wirkte gewaltig. Rein und lebendig." (Seite 50)

Die drei im Mittelpunkt stehenden weiblichen Protagonisten Harriet, Lousia und Yael sind von ungleichem Charakter, und so reagieren sie auch völlig unterschiedlich auf das für sie fremde exotische Land.

Yael und Louisa haben nichts gemein. Während Louisa von dunkler Aufsehen erregender Schönheit ist, die noch immer jedem ins Aug fällt, allerdings weder Zeit für Wohltätigkeitsarbeiten noch für Bibelstudien hat, legt Yael weder auf ihr äußeres Erscheinungsbild größeren Wert noch ist sie an der Welt des Spirituellen interessiert. Hingegen Louisa lässt sich von Stimmen ihrer bereits verstorbenen Mutter leiten, misst diesen große Bedeutung zu. Außerdem ist nicht nur in ihrem Wunsch, ihre Tochter zu schützen, gefangen, sondern auch in der eigenen Vergangenheit und der Pflicht, den guten Ruf zu wahren. Aber sie verändert sich, und dies geschieht in einer für den Leser greifbaren Art und Weise.

Gleiches gilt für Yael. Allerdings ist sie, die die meisten Vorbehalte gegen die Reise hat, es, die letzten Endes über sich hinauswächst, als sie der Armut und Unterdrückung der ägyptischen Bevölkerung begegnet. Sie handelt, entdeckt ihre eigenen, beträchtlichen Fähigkeiten und emanzipiert sich, breitet die Flügel aus, bekommt Ausstrahlung und Souveränität und lebt eine Toleranz im Glauben, die bewundernswert ist.

Nachvollziehbar wird auch der Wandel von Harriet geschildert. Anfangs ist sie in London eine sterbenskranke, schwache junge Frau. In Ägypten lernt sie mit der Zeit das Atmen, gewinnt Kraft, Zuversicht und Unabhängigkeit. Dabei ist die Entwicklung langsam, kommt nicht als Wunder einer plötzlichen Heilung daher und weist zudem Rückschläge auf.

Harriet und damit auch dem Leser wird bewusst, dass die Welt ungeheuer schön und voller Möglichkeiten und Abenteuer sein kann. Dass sich die Leben der Menschen nicht nur in ihrer Länge unterscheiden, sondern vor allem in ihrer Intensität, im ungleichen Grad an Schönheit, Freude und Genuss. Dass es wichtig ist, sich nicht einfach nur ein langes Leben zu wünschen, sondern eines, das Belang hat, ein Leben (und eines Tages auch einen Tod) nach eigenen Vorstellungen.

Veröffentlicht am 21.10.2024

Zerbrechliche Träume

Die Porzellanmanufaktur – Zerbrechliche Träume
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1966 teilt die Mauer Deutschland mittlerweile seit fünf Jahren in zwei Staaten, und Autowerkstattbesitzer Gustav nutzt seine weitgehende Reisefreiheit und schmuggelt lebende Güter über die Grenze von der ...

1966 teilt die Mauer Deutschland mittlerweile seit fünf Jahren in zwei Staaten, und Autowerkstattbesitzer Gustav nutzt seine weitgehende Reisefreiheit und schmuggelt lebende Güter über die Grenze von der DDR in die Bundesrepublik. Ein gefährliches Unterfangen.

Bei den Thalmeyers arbeiten in der Manufaktur gut vierzig Personen, wenngleich auch die Nachfrage nach Porzellan nachgelassen hat. Dem Wirtschaftswunder ist ein wenig die Luft ausgegangen. Doch Marie, verantwortlich für die Verwaltung der Manufaktur und Sophie, zuständig für den Außendienst, haben schon einige Schlachten geschlagen und private Verluste erlitten. Aber die Geschäfte führen sie klug, und sie wollen das Familienunternehmen in fünfter Generation erhalten. Müssen sie sich den veränderten Wünschen der Konsumenten anpassen, oder sollen sie wieder etwas wagen? Denn das ist bisher immer ihre Stärke gewesen. Es anders zu machen als die anderen und dadurch zwei Kriege und unzählige Krisen zu überstehen.

Das Verhältnis von Marie zu ihrer Tochter Jana ist angespannt, innige Augenblicke sind eher selten. Jana wird flügge und verlässt die heimatlichen Gefilden Richtung München, um Jura zu studieren. Der „Backfisch“ ist froh, endlich der kleinbürgerlichen Enge der Provinz zu entgehen und wild entschlossen, all das nachzuholen, was sie bislang versäumt zu haben glaubt.

Dank Onkel Joachim, der als Künstleragent viel unterwegs ist, bekommt sie in seiner Wohnung ein eigenes Zimmer mit Balkon. Die tolle Großstadt lockt mit neuen Möglichkeiten und Gefahren. Das ahnt Jana allerdings noch nicht. Jetzt erst einmal gibt sie sich Mühe, bei allem dabei zu sein.

Joachim Thalmeyer, fungiert nach wie vor als stiller Teilhaber und überlässt es seinen Schwestern, sich um die Porzellanmanufaktur zu kümmern. Seine Welt sind die Musik und das Fernsehen, und seine Künstler machen alle ausnahmslos Karriere.

Dauerfeind Karl Metsch ist gestorben und hat den Staffelstab der Feindschaft an seinen Sohn Abel weitergegeben, der bereits vor dem Tod des Vaters die Geschäfte an sich gerissen hat, tatkräftig unterstützt von seiner nimmermüden Mutter Alexandra.

Nun versucht Abel Metsch als Verleger der regionalen Zeitung „Oberfränkische Stimme“ seine Macht auszuspielen und neue Intrigen zu ersinnen. Der erklärte Widersacher der Thalmeyers schafft es bis zum Bürgermeister. Wird es ihm letzten Endes gelingen, seine Erzfeinde zu bezwingen und die verfluchten Thalmeyers aus Selb zu jagen, ihre Porzellanmanufaktur in den Konkurs zu treiben oder gar selbst zu übernehmen?


Wie schon in den Vorgängerbänden der Reihe „Die Porzellanmanufaktur“ legt Stefan Maiwald auch im dritten Band „Zerbrechliche Träume“ nicht nur den Fokus auf die Vorgänge in und um die Porzellanmanufaktur, sondern bindet das Zeitgeschehen und die herrschenden Gegebenheiten in der Bundesrepublik der Sechziger Jahre ein.

Deshalb bin ich wieder begeistert von seiner hervorragenden Recherchearbeit. Insbesondere gefällt mir, wie er mit scheinbar leichter Hand geschichtliche und gesellschaftliche Momentaufnahmen in einer Fülle aufbereitet, die das Wissen erweitert, ohne die Wirkung eines Sachbuches zu versprühen. Nur wenn der Autor – wie aus meiner Sicht beim Thema Golf – zu sehr in die Tiefe geht, nimmt die Leseaufmerksamkeit etwas ab.

In „Zerbrechliche Träume“ bleibt Stefan Maiwald von Anfang an seinem gewählten Erzählstil treu und schildert den Verlauf der Ereignisse stringent, dynamisch und in kurzen Kapiteln klar strukturiert. Er verzichtet dieses Mal – mit wenigen Ausnahmen – bei den Perspektivwechseln auf diejenigen in die Vergangenheit und beschränkt sich diesbezüglich in der Handlung auf gelegentliche Hinweise.

Der Autor schafft in seiner mittlerweile gewohnten Handschrift ein authentisches und buntes Bild der damaligen Zeit und Umstände und paart sie mit stimmungs- und humorvoller Lockerheit.

Seine bekannte Figurenriege, deren Charakterisierung er verfeinert und teilweise mit weiteren Konturen versehen hat, ergänzt er mit den Auftritten neuer fiktiver und daneben einiger realer Persönlichkeiten. Beispielsweise wird Koch Paul Bocuse in die Handlung eingebunden, und Mime Klaus Kinski darf in unverkennbarer Weise einen bezeichnenden Auftritt haben.

Leider heißt es nunmehr Abschied nehmen von der Familie Thalmayer, von ihren Wegbegleitern, Freunden und Feinden. Ich habe ich gefreut, dass ich sie über einen großen Zeitraum ihrer Lebens begleiten durfte. Vielleicht gibt es ja irgendwann noch einmal ein „Wiedersehen“.

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Veröffentlicht am 17.09.2024

Weihrauch und Schwert

Tankred: Weihrauch und Schwert
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Wir schreiben das Jahr 882. Seit ihrer Vertreibung aus England sind die Dänen auf Beutezug im Rheinland. Vor allem auf die reichen Klöster haben sie es abgesehen, denn dort finden sie überhaupt keine Gegenwehr. ...

Wir schreiben das Jahr 882. Seit ihrer Vertreibung aus England sind die Dänen auf Beutezug im Rheinland. Vor allem auf die reichen Klöster haben sie es abgesehen, denn dort finden sie überhaupt keine Gegenwehr. Aber auch vor den schlecht gesicherten und kaum verteidigten Städten machen sie keinen Halt, und immer hinterlassen sie rauchende Trümmer.

Nun stehen sie vor den Toren des Klosters Prüm in der Westeifel. Dessen Mönche sind rechtzeitig geflohen, nachdem sie ihre anfängliche Verteidigungsbereitschaft angesichts mangelnder Erfolgsaussichten ad acta gelegt haben.

Allein Tankred bleibt zurück. Der Bibliothekar sorgt sich um die Bücher der Abtei, sie sind sein zweites Leben. Deshalb möchte er sie retten, bevor er Prüm ebenfalls den Rücken kehrt

An diesem 6. Januar 882, dem Epiphaniastag, entscheidet sich Tankreds Schicksal, und er tritt seinen Rückweg in sein altes Leben an. Aus Tankred, dem Benediktinermönch und Bibliothekar, wird wieder Tankred, der Sohn des Grafen Thegan, ein zum Kämpfen erzogener und ausgebildeter Krieger.

Ab dem Moment, den er nicht mehr als Mönch hinter Klostermauern verbannt ist, treibt ihn noch etwas an: Die Sorge um seine Schwester Judith, den einzigen Menschen aus der Verwandtschaft, der ihm etwas bedeutet. In Wahrheit ist es Tankred allein, der weiß, wo Judith lebt, genau genommen derjenige, der weiß, dass sie überhaupt lebt

Trotz aller Hoffnung kommt er zu spät. Judith ist nicht mehr in Aachen, wo er sie in Sicherheit glaubte, sie wurde von Dänen entführt

Gemeinsam mit seinem neuen Gefährten Gauzbert folgt er der Spur der Dänen, immer in der Hoffnung, dass Judith wegen ihrer Besonderheit – zwei verschiedenfarbige Augen –, nicht als Sklavin verkauft wird.

Die Reise ist beschwerlich, nicht nur die winterlichen Witterungsverhältnisse machen ihnen zu schaffen. Sie müssen ebenso ständig auf der Hut vor den Dänen sein, die ihren Weg kreuzen.

Tatsächlich entdecken sie Judith in den Fängen des Dänen Ivar, ein unberechenbarer und gewalttätiger Unhold, der selbst von seinen eigenen Leuten als irre betrachtet wird. Eine Befreiung stellt sich dadurch als viel schwieriger heraus, als angenommen …


Mit „Weihrauch und Schwert“ startet Michael Römling die Reihe um seinen Helden Tankred, für die er sich eine Epoche der wenig bekannten deutschen Geschichte ausgesucht hat und eher selten Mittelpunkt historischer Romane.

Von Anfang an fasziniert seine Darbietung der Ereignisse, weil er hier nicht nur fundiertes historischen Wissens einbettet, sondern auch einen mitreißenden und überzeugenden Erzählton anlegt und diesen dauerhaft zu halten vermag, dessen thematisch notwendige Ernsthaftigkeit mittels humorvoller Szenen aufgelockert, so dass ein vereinzelter Ausflug in die moderne Sprache verziehen wird.

Der Autor ist in der Lage, uns mit detaillierten Bildern Einblicke in die damaligen, geschichtlich überlieferte Vorgänge zu gewähren und paart diese mit einer fesselnden Handlung, in der seine fiktiven Figuren neben einstigen Persönlichkeiten agieren.

Überhaupt sind es die sorgsam und unverwechselbar ausgearbeiteten Charaktere, vordergründig Tankred in seinem Zwiespalt, indes auch alle anderen von Gauzbert und Lupus, Fidis und Folchar, bis hin zu den familiären und dänischen Gegenspielern, die den Roman zu einer unterhaltsamen Lektüre machen.

Der Roman profitiert von der Erzählweise seines Protagonisten aus der Ich-Position heraus. So befinden wir uns als Leser mitten im, an Tempo zunehmenden Geschehen und sind in die Abenteuer im Grunde hautnah involviert.

Die Schilderungen des im Kloster zum Manne gereiften Tankreds sind facettenreich, offen und ehrlich, manchmal deftig im Ausdruck, meist direkt und schmuck-, aber nicht emotionslos. Hinsichtlich der ihm anvertrauten Menschen offenbart Tankred seine weiche Seite und begegnet ihnen mit Rührung und Liebe sowie der unbedingten Entschlossenheit, besonders die zerbrechlichen Leben zu verteidigen.

Einst hatte er, der Sohn eines Adligen, einen Menschen getötet und wurde in die klösterliche Verbannung nach Prüm geschickt. Dort arrangiert sich der junge Mann, anfänglich noch zerfressen von Hass und Wut, mit seinem Los, erfährt Erfüllung in seiner Tätigkeit als Bibliothekar und verbringt einen Großteil seiner Zeit in der Abtei – immerhin zwölf Jahre – damit, sich mit Wissen „vollzusaugen“ und dieses Wissen bei Tag und Nacht zu verarbeiten, zu notieren, nachzuschlagen, abzugleichen, zusammenzufassen und umzuformulieren.

Indes will es das Schicksal anders. Von einen Tag auf den anderen wird Tankred vom beschaulichen Dasein als Mönch, als Denker und Freund der Wissenschaft zurück katapultiert ins Leben als Kämpfer, hinein in ein Spiel aus Macht und Intrigen, bei dem wir ihn im Folgeband weiterhin gerne begleiten.

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