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Veröffentlicht am 09.05.2024

Selten eine so gut gemachte Geschichte gelesen, großartig.

Das Tal der Blumen
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Sobald dicker Nebel über Akia auf der anderen Seite des Fjords aufgezogen ist, dauert es nur noch ein paar Stunden bis er Nuuk erreicht hat und dann scheint die Sonne in der Nacht einmal nicht.

Am Abend ...

Sobald dicker Nebel über Akia auf der anderen Seite des Fjords aufgezogen ist, dauert es nur noch ein paar Stunden bis er Nuuk erreicht hat und dann scheint die Sonne in der Nacht einmal nicht.

Am Abend vor ihrer Abreise nach Dänemark, enttäuscht sie problemlos ihre Anaana, um bei Maliina zu Abend zu essen. Maliina wird Rentier zubereiten, das sie selbst erlegt hat.

Obwohl Maliina sie mit ihren freundlichen Augen ansieht ist sie nervös, redet viel und stellt zu viele Fragen. Ob sie ein Teil Maliinas‘ Leben sein darf, ob Maliina in zehn Jahren immer noch lesbisch sein wird. Als sie neben ihr liegt sind die Worte Liebe und Hoffnung in ihr gefangen, sie kann sie nicht rauslassen.

But in the end a person needs more courage to live than to kill herself, schreibt Maliina in ihre Insta-Story, als ein fünfzehn jähriges Mädchen Selbstmord begangen hat. S.67

In Dänemark hat sie sich für das Studium der Anthropologie eingeschrieben. Sie musste weg aus Grönland, weg von ihrer Anaana, die auf ihr gluckt, aber keine Liebe zeigt, weg von ihrem Ataata, der nur vor sich hinbrummt und weg vor der Trauer, weil ihre Aanaa gestorben ist.

In Dänemark fühlt sie sich anders, mit ihrer schmutzig braunen Haut und ihren dunklen Schlitzaugen. Sie versteht den spöttischen Ton ihrer Kommilitoninnen nicht. Sie macht die Leute nervös, weil sie direkt und burschikos ist.

Fazit: Ich bin hin und weg von dieser großartigen Geschichte, die völlig zurecht ausgezeichnet wurde. Die Landschaftsbeschreibungen sind grandios. Die Thematik, dass etliche junge Menschen sich umbringen, weil sie depressiv sind und das Gesundheitssystem keine adäquate Hilfe anbietet schmerzt. Ganz Grönland scheint traumatisiert zu sein und diese Traumen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Die Protagonistin, deren Einsamkeit und Entwurzelung, sie in die totale Verzweiflung führt, ist so gut gezeigt. Und obwohl das Buch weh tut, hat es auch komische Momente. Die Autorin spielt phantasievoll mit Symbolen, die die düstere, aussichtslose Atmosphäre betonen. Schwarze Raben, die die Protagonistin begleiten. Räudige Hunde, die einen Friedhof bewachen und Plastikblumen, die Gräber schmücken. Diese Geschichte ist so anders, dass ich ihr Unmengen Leser
innen wünsche, die ihren Horizont erweitern wollen.

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Veröffentlicht am 07.05.2024

Was für eine fesselnde Geschichte

Jeanie und Julius
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Jeanie war sechzehn als sie die Schule ohne Abschluss verließ. Das rheumatische Fieber hatte sie erwischt und die Bakterien ihr Herz nachhaltig geschädigt. Ihre Mum Dot berschwor sie immer wieder, sich ...

Jeanie war sechzehn als sie die Schule ohne Abschluss verließ. Das rheumatische Fieber hatte sie erwischt und die Bakterien ihr Herz nachhaltig geschädigt. Ihre Mum Dot berschwor sie immer wieder, sich zu schonen und so häuften sich die Fehlzeiten. Sie hatte sich von Dot zeigen lassen, wie man den Garten bewirtschaftet. Ein paar Hühner wurden angeschafft, und dank den Gelegenheitsarbeiten ihres Bruders Julius hielten sie sich gerade so über Wasser. Doch dann fand Jeanie Dot auf dem Küchenfußboden, tot. Die Geschwister haben kein Geld, um Dot zu beerdigen. Derweil bahren sie sie auf einer Holztüre im Wohnzimmer auf, um eine Lösung zu finden.

Am nächsten Tag steht Rawsons Frau vor der Tür. Rawson gehört das heruntergekommene Cottage in dem sie schon so lange wohnen und Jeanie hasst ihn. Jetzt will seine Frau zweitausend Pfund Mietrückstände eintreiben. Jeanie weiß jedoch, dass sie mietfrei wohnen, weil Rawson ihren Vater auf dem Gewissen hat. Zumindest war das die Version, die Dot ihnen erzählt hat. Ihr Bruder hätte die Rawson sicher hinhalten können, doch der ist in den Ort hinuntergeradelt, um den Arzt zu rufen, damit er den Totenschein ausstellt.

Dots beste Freundin Bridget ist eine der Arzthelferinnen und erfährt so vom Tod ihrer Freundin. Sie bietet Jeanie an, sie in die Stadt zu fahren, um weitere Papiere zu beantragen. Auf der Fahrt erfährt die verzweifelte Jeanie, dass Dot sich von Bridgets Mann Geld geliehen hat. Die nächsten Tage allerdings, werden Jeanies Herz erst richtig auf die Probe stellen.

Fazit: Was für eine fesselnder Ideenreichtum. Was für ein Drama. Die Autorin erzählt diese Geschichte, die immer schlimmer wird völlig unprätentiös. Sie reiht verschiedene Szenen aneinander, bis ein angemessen glaubhaftes Elend fassbar wird. Sie lässt Bilder entstehen und führt mich mitten hinein, in dieses Leben, die marode Wohnsituation, die feindlich gesinnten Menschen, Armut, Verlust und Verzweiflung. Ich leide mit Jeanie und Julius mit, frage mich, wann der Albtraum endlich aufhört, hoffe, bange und zürne. Die letzten 50 Seiten beschenkt mich die Autorin dann mit einer Kehrtwende, die so viel Leichtigkeit und Lebensfreude mit sich bringt, dass sie imstande ist, meine Traurigkeit aufzulösen. Danke für dieses emotionale Feuerwerk.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Eine sehr gelungene Satire

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
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Im Hof vom Gratschbacher Hof, dem Gasthaus ihrer Eltern, der Heimat der elfjährigen steht also nun der LKW, der all ihr Hab und Gut in seinem großen Inneren aufnehmen und sie von hier fort bringen wird. ...

Im Hof vom Gratschbacher Hof, dem Gasthaus ihrer Eltern, der Heimat der elfjährigen steht also nun der LKW, der all ihr Hab und Gut in seinem großen Inneren aufnehmen und sie von hier fort bringen wird. Fort von der schönen Luca, die ihr den Rücken zugedreht hat und in ihrer eigenen Landessprache langsam rückwärts zählt. Die Beine der Mutter schreiten großschrittig an ihrem Versteck vorbei, um hier und da einzugreifen, zu korrigieren, sich aber auch auf die Stufen zu setzen und zu stöhnen.

Sie erinnert ein Klassenfoto von neunzehnhundertneunundachtzig, da war der Franzi noch dabei. Zuerst hatte sie ihm eine gepatscht, weil er was blödes zu ihr gesagt hatte. Dann war ihr schlechtes Gewissen so groß, dass sie ihn zum Waldhaus eingeladen hatte. Dort hatte er sich bereit erklärt, sich Kopfüber in den Brunnen zu wagen, während die anderen Kinder ihn abseilten. Dann kam das Seil ohne den Franzi wieder nach oben und sie mussten die Feuerwehr rufen.

Sie hört Luca immer noch zählen und sieht jetzt außerdem, aus ihrer Position, die krampfadrigen Beine der Stubenhofoma das Gatter passieren. Man sieht ihr die schlechte Laune gleich am Gangbild an und da schimpft sie auch schon auf die Mutter und ihre Geldgier, weil sie den Hof verkauft hat.

Die Stubenhofoma, heute zu alt um die Tochter zu watschen, ist mit ihrem fahlen Gesichtsausdruck, die Wurzel der Aversion ihrer Enkelin. S. 36

Im Religionsunterricht hatte sie erfahren, dass das Rotkehlchen ja deswegen die rote Brust habe, weil es bei dem Herrn Jesus am Kreuze verweilt hatte und ein Blutstropfen, der sich, wegen der Dornenkrone von dessen Stirn gelöst hatte, das Rotkehlchen traf.

Fazit: Diese Scharade auf ein Dorf in Österreich hat mir so gut gefallen. Julia Jost macht sich Luft, lässt alles raus. Sie erzählt über die menschlichen Abgründe, die sich in einem Dorf nicht so gut verheimlichen lassen, wie in der Anonymität einer Stadt. Pädophilie in der katholischen Kirche, Homophobie der Dorfbewohner, Bigotterie und Faschismus. Und in all diesen Untiefen, findet ein junges Mädchen, das viel lieber ein Junge wäre, ihren Sinn des Lebens. Die Geschichte ist so lustig und bissig erzählt, dass ich sie als Satiere verstehe. Ein wirklich gut gelungenes Debüt.

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Veröffentlicht am 24.04.2024

Große Erzählkunst

Prima facie
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Tony durchschaut das Gesetz der Straße, hier im Gerichtssaal jedoch, erkennt er keinerlei Zeichen. Er hat Angst. Seine Furcht lässt diesen großen, gewalttätigen Jungen zu ihr aufschauen, seine Sinne sind ...

Tony durchschaut das Gesetz der Straße, hier im Gerichtssaal jedoch, erkennt er keinerlei Zeichen. Er hat Angst. Seine Furcht lässt diesen großen, gewalttätigen Jungen zu ihr aufschauen, seine Sinne sind geschärft. Seine Tatoos hat er, wie empfohlen unter einer Schicht Polyester von Primark verborgen. Er ist gerade fünfundzwanzig Jahre geworden.

Tess steht da, Rücken gerade, guter Stand, kalkuliert und berechnend. Der Richter beobachtet wie sie heranpirscht. Mögen die Spiele beginnen. Tess wiegt den einzigen Zeugen, der glaubt gesehen zu haben, dass Tony zuerst zugeschlagen hat, in Sicherheit, wickelt ihn ein, stellt sich ein wenig ungeschickt an. Er fühlt sich überlegen, wird Wachs in ihren Händen, formbar, unvorsichtig. Und schon verwickelt er sich in Widersprüche.

Tess ist Anwältin, hat sich auf Strafrecht spezialisiert. Sie ist zugleich gefürchtet und geachtet, erlaubt sich einfach keine Fehler. Der Weg hierher war hart. Mit einem Stipendium ehrte man ihre vorherigen Leistungen. Die meisten hielten das für Glück. Sie lässt sich ihre Herkunft nicht anmerken. Den prügelnden Vater, der verschwand, bevor Tess alt genug war, um die Hand auch gegen sie zu erheben. Ihr Bruder Johnny wurde mit siebzehn verurteilt, hatte nicht das Glück, würdig vertreten zu werden. Ihre Ma putzt seit Tess denken kann. Sie hat sie selten ohne Uniform und Namensschild gesehen. Johnny und Ma haben sie nach Cambridge gebracht, damit sie sich einrichten konnte. Da saßen sie zu dritt auf ihrem Bett und schauten zu Boden. Es war eine tiefe Liebe zwischen ihnen, das konnte Tess spüren, nur zeigen konnte sie keiner.

Wärend der ersten Vorlesung sitzt sie zwischen Mia und einem verwegen gutaussehenden Typen. Die Professorin erklärt ihnen, dass jeder dritte im Saal, das Jurastudium vorzeitig abbrechen wird, jeder dritte. Das wird nicht Tess sein, nicht in dieser Sache, aber in einer anderen. Tess wird die eine von jeder dritten sein.

Fazit: Was für ein Debüt. Suzie Miller entführt mich in die Welt der augenscheinlichen Gerechtigkeit. Die Protagonistin ihrer Ich-Erzählung, ist so brilliant, wie perfektionistisch, glaubt alles in ihrem Leben unterliege ihrer Kontrolle und gewinnt daraus eine Sicherheit, die sie in ihrer Herkunftsfamilie nicht hatte. Ihr Ehrgeiz beflügelt sie zu enormen Erfolgen, die ihren Selbstwert heben. Es könnte nicht besser laufen, doch dann erlebt sie einen Kontrollverlust, der alles infrage stellt, ihr Leben, sie selbst, ihre Arbeit, ihr Glaube an Gerechtigkeit. Ich habe ihr die Geschichte in vollem Umfang abgekauft, genau das passiert jeder dritten Frau. Suzie Miller hat intensive Gefühle in mir ausgelöst, mich miterleben lassen, wie sich das Schreckliche anfühlt und was es mit eine*m macht, das ist große Schreibkunst. Eine riesige Leseempfehlung für diesen feministischen Roman.

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Veröffentlicht am 22.04.2024

Grandios erzählt

Service
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Nach dem Gespräch mit Mel wandern Hannahs Gedanken zurück in die Zeit im „T“, vor zehn Jahren. Sie erinnert die besoffenen, anzüglichen, reichen Männer, die niemand zurecht wies. Daniel brüllte oft in ...

Nach dem Gespräch mit Mel wandern Hannahs Gedanken zurück in die Zeit im „T“, vor zehn Jahren. Sie erinnert die besoffenen, anzüglichen, reichen Männer, die niemand zurecht wies. Daniel brüllte oft in der Küche herum, schmiss Töpfe durch den Pass, schrie Unflätigkeiten. Trotzdem war sie für ihn etwas besonderes, das spürte sie. Ihr fallen so viele Momente ein, in denen sie hätte gehen sollen, bevor sie es bereuen würde zu bleiben, sie blieb. Es gab viele gute Zeiten, wenn sie wieder erfolgreich eine Schlacht geschlagen hatten, die Stimmung im Team, alle wie in Trance, das Trinkgeld, das so oft, fast unverschämt viel war, so als hätte man Gott weiß was dafür getan.

Daniel hatte sich seine Karriere über Jahrzehnte hart erarbeitet. Sein Sohn erfuhr es aus dem Internet, noch bevor sie es ihm sagen konnten. Er rief ihn Vergewaltiger. Der Schmerz war gewaltig. Als er wieder atmen konnte versuchte er zu erklären, dass sich Frauen, seit Menschheitsgedenken, zu erfolgreichen Männern hingezogen fühlen. Julie verdrehte die Augen. 80 % Stornierungen, wegen dieser Schlampe, zwingen ihn dazu, sein sonst mehrfach belegtes Restaurant, im Herzen Dublins zu schließen. Es ist ein wirtschaftliches Desaster.

Für die Verhandlung soll er seine Geschichte aufschreiben: Arbeiterfamilie, zwei Brüder, sein Vater verschwand in einem Sarg, als er zehn war. Wie schlecht die Mutter nach ihrem zwölf Stunden Job gekocht hat. Verbranntes Lamm, mit Bohnen an Bohnen auf Bohnen. Kein Wunder, dass er Koch geworden ist.

Die Stimme in seinem Kopf ist derzeit so zornig. S. 48

Fazit: Da hat Sarah Gilmartin großes Kino geschaffen und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sie nicht übertrieben hat. Der enorme Druck, dem alle Mitarbeiterinnen ausgesetzt sind. Sich gegenseitig zu Höchstleistungen aufputschen. Die Stimmung aufgepeitscht von Perfektionismus. So elegant und stilvoll wie im Gastraum ist es hinter den Kulissen ganz und gar nicht. Da wird gebrüllt, Köche und oder Vorgesetzte werden handgreiflich und sexistisch. Ein Hexenkessel. Ich freue mich persönlich, dass Sarah Gilmartin so fachkundig über dieses Metier schreibt. Ebensogut hat mir die Erzählperspektive gefallen, die aus Sicht der drei Protagonistinnen erzählt und jeder Sichtweise bewertungsfrei Raum gibt. Das Erzähltempo während dem Service, spiegelt den Druck gut wieder. Das eigentliche Anliegen, einen feministischen Beitrag zur #metoo Debatte zu leisten, ist absolut gelungen. Von Herzen meine Leseempfehlung.

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