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Veröffentlicht am 28.04.2024

Armut im reichen Amerika

Armut
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In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben ...

In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben und trotz aller Mühen nur selten den Weg aus der Armut heraus finden. Desmond ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und trotz des wissenschaftlich-analytischen Ansatzes ist die Wut über Missstände gerade dann beim Lesen spürbar, wenn er von individuellen Schicksalen berichtet.

Armut in einer reichen Gesellschaft ist natürlich kein Sonderstellungsmerkmal der USA, auch in Deutschland ist der Reichtum höchst ungleich verteilt und die soziale Schere klafft zunehmend auseinander. Aber, und das ist der große Unterschied zwischen den USA und Europa, die Idee des Wohlfahrtsstaates hat in Amerika nie richtig Fuß gefasst. Dass eine Krankenversicherung oder eine Sozial- und Rentenversicherung in einer der reichsten Industrienationen der Welt nicht selbstverständlich sind, habe ich noch nie verstanden.

Desmond zeigt strukturelle Benachteiligungen auf, die vor allem Arme und dann besonders arme Schwarze und Latinos treffen - sei es beim Thema Wohnen, Zugang zur Bildung, aber auch buchstäblicher Ausgrenzung etwa durch Flächennutzungspläne. Die Rechenbeispiele, die er vorlegt, machen betroffen und wütend: Dass die Aufwendungen armer Amerikaner für Mieten und Lebenshaltungskosten kaum niedriger sind als die der Mittelklasse, dafür aber für ungleich miesere Verhältnisse, dem Slumlord sei Dank. Dass Vernachlässigung ganzer Stadtteile letztlich auch die Gesundheit der Bewohner gefährdet. Die Steuerabschreibungen und Zuschüsse, die bereits Wohlhabenden ein noch besseres Leben verschaffen, während zur Verringerung von Armut zu wenig getan wird.

Ja, dass es Klientel-Parteien gibt, die die Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Reichen so weit wie möglich abwenden wollen, das kennen wir auch aus Deutschland. Vom angespannten Wohnungsmarkt und der Miete, die gerade in den Großstädten das Gehalt auffrisst, ganz zu schweigen. Und Unternehmerkinder, die als Studenten Papas Firmenwagen fahren und in der abschreibungsfähigen Eigentumswohnung leben, während Kommilitonen zwischen Praktika und Jobben irgendwie das Studium schaffen müssen. Alles nicht fair und gerecht, aber so haarsträubend wie in den USA dann doch (noch?) nicht.

Insofern ist "Armut" auch eine Warnung, amerikanischen Verhältnissen in Europa die Tür zu öffnen. Denn die Verhältnisse sind so, dass die einen von der Armut der anderen profitieren und Ausbeutung zulassen. Und da muss man dann wiederum gar nicht erst nach Amerika blicken, sondern die Bedingungen der Scheinselbständigen auch in Deutschland genauer betrachten. Beim Lesen von "Armut" wird gleichzeitig klar, wie wichtig starke Gewerkschaften und Betriebsräte sind, um die Interessen gerade der im Niedriglohnbereich Beschäftigten durchzusetzen. Dass der Organisation der Arbeitnehmer in den USA auch im 21. Jahrhundert noch erhebliche Steine in den Weg gesetzt werden - und die Gewerkschaften selbst eine traurige rassistische Vergangenheit haben - zeigt, dass die klassische Tellerwäscherkarriere im angeblichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten letztlich nur ein Mythos ist. In der Welt, die Desmond beschreibt, sind die Möglichkeiten sehr, sehr begrenzt.

Veröffentlicht am 28.04.2024

Ganzheitlich für mehr Gesundheit

Die Bewegungs-Docs – Unser Programm für mehr Gesundheit und Leichtigkeit
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Bewegung, Ernährung, Achtsamkeit - mit einem ganzheitlichen Konzept gehen die "Bewegungs-Docs" Melanie Hümmelgen, Helge Riepenhof und Christian Sturm ihren Ratgeber an. Die drei Mediziner kommen aus verschiedenen ...

Bewegung, Ernährung, Achtsamkeit - mit einem ganzheitlichen Konzept gehen die "Bewegungs-Docs" Melanie Hümmelgen, Helge Riepenhof und Christian Sturm ihren Ratgeber an. Die drei Mediziner kommen aus verschiedenen Disziplinen - Kardiologie, Internistik, Orthopädie und haben also nicht nur Herz und Kreislauf, sondern auch Stoffwechsel, Muskulatur und Gelenke im Blick.

Der Ratgeber gibt zahlreiche Erläuterungen, wie etwa Muskulatur oder ausreichend Schlaf und Stressvermeidung ganz konkrete Auswirkungen auf die organische Gesundheit, das Wohlempfinden und nicht zuletzt die Lebenserwartung haben. Er unterstützt zugleich beim Reboot, um wieder mobil und fit zu werden, erklärt die Unterschiede von Kraft- und Ausdauertraining und welche Auswirkungen sie jeweils für den Organismus haben.

Ein drei-Wochen-Programm bietet mit kurzen und machbaren Übungen den Übergang in ein beweglicheres, gesünderes Leben: Von der Basis-Fitness über eine Feel-Good-Woche, in der Achtsamkeit, Atmen, Stretching größere Bedeutung zukommt und der Turbo-Fitness. Daneben gibt es kurze Übungsprogramme für bestimmte Krankheitsbilder, etwa Bluthochdruck, Diabetes, aber auch Knieschmerzen oder Hüftarthrose. Auch ein Selbsthilfeprogramm gegen Kopfschmerzen ist dabei. Klar stellen die Bewegungsdocs aber auch: wer eine schwerere Vorerkrankung hat, sollte vor der Aufnahme eines Trainings auf jeden Fall erst mal mit Arzt oder Ärztin reden.

Damit auch beim Thema Ernährung auf leichte und gesunde Kost gesetzt wird, gibt es auch einen kurzen Rezeptteil. Der Schwerpunkt des Ratgebers mit zahlreichen erläuternden Grafiken liegt aber eindeutig beim Thema Bewegung. Dabei sind die Autoren motivierend und zeigen anschaulich, wie unabhängig vom Lebensalter es nie zu spät ist, vom Sofa hochzukommen und die Muskeln wieder zu üben. Für überzeugte Fitnessaktive sicher zu niedrigschwellig, aber Couch Potatoes mit dem willen zur Veränderung finden hier einen sanften Einstieg, um wieder aktiv zu werden.

Veröffentlicht am 26.04.2024

Zerbrechlicher Beziehungsreigen

Das glückliche Paar
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Der Waterford-Schwan, den die Pianistin Celine in Naoise Dolans Roman "Das glückliche Paar" an ihrem Hochzeitstag beim Klavierspiel zerbricht, ist schon ziemlich symbolisch. Denn Schwäne haben üblicherweise ...

Der Waterford-Schwan, den die Pianistin Celine in Naoise Dolans Roman "Das glückliche Paar" an ihrem Hochzeitstag beim Klavierspiel zerbricht, ist schon ziemlich symbolisch. Denn Schwäne haben üblicherweise zu ihrem Partner eine lebenslange Bindung. Celines Verlobter Luke hingegen war schon auf der eigenen Verlobungsfeier plötzlich verschwunden. Trotzdem halten die beiden ein Jahr an ihren Hochzeitsplänen fest.

Freunde und Ex-Partner*innen, was mitunter auf dasselbe hinauskommt, sind wie ein Chor in der griechischen Tragödie mit ihren Kommentaren, ob und warum nicht Celine und Luke heiraten sollten. Reicht Liebe für ein ganzes Leben? Vor allem, wenn der eine eigentlich kein Mensch für Beziehungen ist und die andere alles ihrem Klavierspiel unterordnet?

Dass nicht nur Braut und Bräutigam, sondern auch die Mehrheit des Freundeskreises queer sind und die mögliche Partnerwahl sich dabei noch mal multipliziert, macht es nicht einfacher. Es ist ein zerbrechlicher und gleichzeitig dynamischer Beziehungsreigen, der sich nicht nur aus der Sicht von von Luke und Celine, sondern auch aus der Perspektive von Celines Schwester sowie Lukes Mitbewohnerin und Mitbewohner aus Uni-Zeiten (mit beiden hatte er etwas) in dem Buch entfaltet. Während der Countdown für die Hochzeit läuft, wächst die Nervosität. Glücklich bin ans Ende ihrer Tage, oder ist alles ein Riesenfehler?

Sollen, ja können Celine und Luke heiraten? Was wird überhaupt von Ehe und Beziehung erwartet, und welche Ansprüche stellen Liebende aneinander? Bedeutet eine Beziehung Erfüllung oder Beschneidung von Freiheit? Kann man sich überhaupt für einen einzigen Menschen entscheiden? In der Verlagsankündigung wird Dolans Roman als Sittengemälde ihrer Generation bezeichnet, als Porträt moderner Beziehungen. Dabei geht es doch letztlich um Fragen, Zweifel und Gefühle, die nicht auf die Gen Z beschränkt sind (auch wenn die das vielleicht glaubt).

"Das glückliche Paar" seziert den Gefühlswirrwarr genau beobachtend und mit humorvoller Anteilnahme. Auch die konventionelleren Nebenfiguren wie Celines Onkel und Tante sind liebevoll gezeichnet.

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Veröffentlicht am 24.04.2024

Ein Fall, bei dem jeder verliert

Todesblues
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Newark könnte man wohl als die Stiefschwester New Yorks bezeichnen - die meisten Besucher kennen nur den Flughafen und fahren von dort direkt nach Manhattan. Newark ist glanzloser, unspektakulärer und ...

Newark könnte man wohl als die Stiefschwester New Yorks bezeichnen - die meisten Besucher kennen nur den Flughafen und fahren von dort direkt nach Manhattan. Newark ist glanzloser, unspektakulärer und in Valerie Wilson Wesleys Roman "Todesblues" düster und mit einem Erbe der Gewalt, das vor allem für die afroamerikanische Bevölkerung seit der Zeit der Rassenunruhen in unguter Erinnerung ist.

Bei dem Buch handelt es sich um eine Wiederauflage, ursprünglich hat Wesley ihren Roman wohl in den 90-ern geschrieben. Doch beim Lesen wird klar: Die Themen von Black Lives Matter, die Herausforderungen und Risiken für junge Schwarze Männer waren auch damals schon aktuell, Tamara Hayle, Ex-Polizistin, Privatdetektivin und alleinerziehende Mutter eines Teenager-Sohnes, nimmt ihren neuen Fall nur zögernd an. Eine ältere Frau will wissen, wer ihren Sohn ermordet hat. Für die Polizei hat der Fall keine hohe Priorität gehabt, vermutet sie. Denn Shawn war ein Drogendealer und Waffenschieber, einer, den außer seiner Mutter kaum jemand vermissen dürfte, einer, dessen Leben ein gewaltsames Ende gewissermaßen vorgezeichnet hat.

Bei ihren Ermittlungen stellt Tamara fest, dass Shawn zwei Söhne hat - den 13jährigen Rayshawn, dessen Mutter selbst ein ziemliches Gewaltproblem hat, und ein Baby von Gina, einer "schwarzen Prinzessin", deren Vater als Polizist eine beachtliche Karriere hinter sich hat und der den Liebhaber seiner Tochter strikt abgelehnt hat. Mit Rayshawn hatte sie sogar schon vor der Übernahme des Falls zu tun - der Junge versuchte, sie mit vorgehaltener Pistole auszurauben. Ein weiterer schwarzer Teenager, dessen Weg vorgezeichnet scheint?

Je tiefer Tamara in den Fall einsteigt, desto unangenehmere Wahrheiten findet sie über alle Beteiligten heraus, allen voran Shawn. Und sie kann eine Eskalation nicht verhindern, an deren Ende es nur Verlierer geben wird, Insofern hat "Todesblues" ein bißchen etwas von einer griechischen Tragödie an sich und der titelgebende Blues zieht sich von der düsteren und teils hoffnungslosen Stimmung her durch das ganze Buch.

"Todesblues" ist ein durchaus sozialkritischer Kriminalroman, in dem es auch um institutionellen Rassismus, Vernachlässigung sozialer Probleme und toxische Männlichkeit geht. Dabei wird dem Alltag der Privatdetektivin zwischen prekärem Berufsalltag und der Herausforderung, ihren Sohn alleine großzuziehen, viel Platz eingeräumt. "Todesblues" ist auch eine Bestandaufnahme einer Gesellschaft, in der die Chancen ungleich verteilt sind und Perspektivlosigkeit zu schlechten Entscheidungen führt.

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Veröffentlicht am 21.04.2024

Poetischer Wohlfühlroman

Das Fenster zur Welt
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Mit "Das Fenster zur Welt" hat Sarah Winman einen poetischen Wohlfühlroman mit märchenhaften Elementen geschrieben, in dessen Mittelpunkt Liebe und Freundschaft stehen - die Gefühle für andere Menschen ...

Mit "Das Fenster zur Welt" hat Sarah Winman einen poetischen Wohlfühlroman mit märchenhaften Elementen geschrieben, in dessen Mittelpunkt Liebe und Freundschaft stehen - die Gefühle für andere Menschen ebenso wie die Liebe zu Kunst und Literatur, eingebettet in die Schönheit von Florenz und der Toskana. Hier ist es auch, wo sich in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs die 64 Jahre alte Kunsthistorikerin Evelyn und der junge britische Soldat Ulysses treffen und der aus dem Londoner East End stammende Ulysses zum ersten Mal Zugang zur Kunst der Renaissance erfährt.

Die Handlung folgt den beiden, die durch soziale Herkunft ganz unterschiedlichen Welten angehören. Evelyn, die Kunst und Frauen liebt, gerät dabei zunächst ein bißchen in den Hintergrund, während sich der Fokus auf Ulysses Welt in Hackney richtet - der Pub, in dem er ein Auskommen findet, seine Frau Peg, die sich während Ulysses Abwesenheit in einen amerikanischen Soldaten verliebt hat, von ihm ein Kind bekommen hat und irgendwie eine verlorene Seele ist, der alte Cress, irgendwie die gute Seele des Viertels, ein Mann, der mit Bäumen spricht, der cholerische Pubwirt Col und seine geistig behinderte Tochter, der Musiker Pete, der ein bißchen Boheme in die Kneipe bringt. Nicht zu vergessen Claude, der Papagei, des Shakespeare zitiert und ein eigenes Bewusstsein hat.

Ein unerwartete Erbschaft bringt Ulysses zurück nach Florenz - und er geht nicht alleine, sondern wird begleitet von Cress, Claude und der "Kleinen", Pegs mittlerweile acht Jahre alter Tochter. Peg, von der er längst geschieden ist, hat ihm die Vormundschaft über die kleine Alys hinterlassen, die künstlerisch talentiert und eine alte Seele in kindlicher Gestalt ist.

Zwischen London und Florenz spielt die Handlung, wobei nicht immer so viel passiert als vielmehr harmoniert. Freundschaften werden geschlossen, die Verbindung zur Vergangenheit gepflegt, zugleich spiegelt mit den vergehenden Jahren der Roman auch den Kulturwandel wider, von Beatnik-Zeit bis Anti-Vietnamkrieg-Bewegung. Es wird Jahrzehnte dauern, bis Ulysses und Evelyn sich wiedersehen werden, auch wenn sie sich oft nur knapp verpasst haben. "Das Fenster zur Welt" ist auch ein Appell für Toleranz, Menschen so zu nehmen, wie sie sind und verschiedenen Arten von Liebe das gleiche Verständnis entgegenzubringen.

Ist das mitunter allzu rosarot gezeichnet und ein bißchen kitschig? Möglicherweise, aber es passt zu diesem Buch, dass ein bißchen wie eine heiße Schokolade mit Sahne ist, versöhnend und tröstend mit einer Welt, die meist nicht so ist wie im Roman.

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