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Veröffentlicht am 26.04.2024

Authentischer Thriller mit tollem Setting

Fünf Winter
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Ich hab seit Jahren keinen Krimi oder Thriller mehr gelesen; zu oft wurde ich von der Auflösung am Ende enttäuscht, die mit dem sorgsam aufgebauten Spannungsbogen im Mittelfeld schlicht nicht mithalten ...

Ich hab seit Jahren keinen Krimi oder Thriller mehr gelesen; zu oft wurde ich von der Auflösung am Ende enttäuscht, die mit dem sorgsam aufgebauten Spannungsbogen im Mittelfeld schlicht nicht mithalten konnte. Die Spannung verpuffte einfach, entlud sich unterwegs wie ein schlapp gewordener Luftballon und zurück blieb eine frustrierte Linda. Und das wollen wir ja nicht! Schon etwas länger suchte ich nun DEN einen Thriller, der mich aus diesem mehr als bedenklichen Tief herausholen sollte, und was soll ich sagen? Gefunden!

„Fünf Winter“ von James Kestrel (übrigens ein Pseudonym) wartet mit einem spannenden, klug konstruierten Plot auf, der zugegebenermaßen ziemlich laut Blockbuster schreit, sich durch seine Vielschichtigkeit jedoch kaum kategorisieren lässt, weit mehr als eine bloße Kriminalgeschichte zu bieten hat. Das Setting fand ich persönlich sehr interessant, wir bewegen uns zwischen Hawaii und Japan im zweiten Weltkrieg, rund um den Angriff auf Pearl Harbor, die Figuren sind authentisch gezeichnet und saugten mich geradezu in den Plot hinein. Mit dem Protagonisten Joe McGrady hat Kestrel einen etwas raubeinigen, tragischen Helden geschaffen, der das Herz am rechten Fleck hat. Einen der Guten, den ich gerne an meiner Seite wüsste, wenn’s drauf ankommt, und den ich so schnell nicht vergessen werde.

Für Fans von Dennis Lehane und alle, die Lust auf einen wirklich guten Thriller haben. Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux. Herausgegeben von Thomas Wörtche.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Die Schönheit in den kleinen Dingen

Maud Martha
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„Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet.
Und Löwenzahn. Sie hätte auch ...

„Sie mochte Schokolinsen und Bücher und gemalte Musik (tiefblau oder zartsilbern) und den sich wandelnden Abendhimmel, von den Stufen der hinteren Veranda aus betrachtet.
Und Löwenzahn. Sie hätte auch Lotosblumen gemocht oder Sommerastern oder Japanische Iris oder Wiesenlilien - ja, auch Wiesenlilien, weil sie schon bei dem Wort «Wiese» begann, tiefer zu atmen, entzückt die Arme hochriss oder gern hochgerissen hätte, je nachdem, wer bei ihr war, hinauf zu dem, was da womöglich vom Himmel aus zuschaute. Aber hauptsächlich sah sie Löwenzahn. Gelbe Alltagsedelsteine, mit denen das geflickte grüne Kleid ihres Hinterhofs verziert war. Sie mochte diese nüchterne Schönheit, mehr noch aber ihre Alltäglichkeit, denn darin glaubte sie ein Abbild ihrer selbst zu erkennen, und es war tröstlich, dass etwas, was gewöhnlich war, gleichzeitig eine Blume sein konnte.“

So zauberhaft beginnt „Maud Martha“ von Gwendolyn Brooks, die als erste Schwarze für ihre Lyrik mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, und so einzigartig und poetisch geht es in ihrem einzigen Roman auch weiter. Bereits 1953 erschienen, hat der Manesse Verlag diesen nun zu unserem großen Glück von Andrea Ott ins Deutsche übersetzen lassen.

Maud Martha ist Schwarz und ein Mädchen zuerst, dann eine Frau; keine allzu guten Vorraussetzungen im rassistisch durchtränkten Amerika der 1950er-Jahre. In kleinen Anekdoten entfaltet sich ihr Leben vor uns, ein enges Leben, dem Begrenzungen aufgezwungen werden und an dem sie sich immer wieder stößt. Doch was ist das Besondere an diesem schmalen Buch, worin besteht der Zauber? Ich glaube, es ist die übersprudelnde Lebenskraft der Protagonistin, ihre innere Selbstsicherheit, die bewegt und inspiriert, und ihrer Zeit weit voraus ist. Deren Verweigerung, sich an Regeln zu halten, an den Rand der Gesellschaft drängen und klein halten zu lassen. Maud Marthas Fähigkeit, dem Alltag Poesie abzuringen, die Schönheit in den kleinen Dingen und in sich selbst zu sehen, wirklich zu sehen, wirklich zu fühlen. Ich behaupte, wer Jaqueline Woodson gerne liest, wird „Maud Martha“ lieben. Und alle anderen auch.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ganz viel Liebe für dieses Debüt

Nincshof
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Wir befinden uns im Jahre 2023 nach Christus. Die ganze Welt ist im Berühmtheitswahn. Die ganze Welt? Nein! Ein von munteren Rebellen bevölkertes Dorf in Österreich hört nicht auf, dem Erinnertwerden Widerstand ...

Wir befinden uns im Jahre 2023 nach Christus. Die ganze Welt ist im Berühmtheitswahn. Die ganze Welt? Nein! Ein von munteren Rebellen bevölkertes Dorf in Österreich hört nicht auf, dem Erinnertwerden Widerstand zu leisten. Nincshof liegt genau an der Grenze zu Ungarn im Burgenland, ein winzig kleines Dorf im Schilf. Die Sommer sind flirrend heiß und in genau so einem Sommer trägt sich auch diese Geschichte zu, die von leuchtenden Irrziegen und Oblivisten erzählt, von alten Legenden und neuen Dorfbewohnern, vom Erinnern und Vergessen und der Chance, die in beidem steckt. Erna Rohdiebl, Isa Bachgasser, Selma Sadić – „Nincshof“ ist bevölkert von klugen, emphatischen Frauen, die auf der Suche sind nach, ja, nach was eigentlich? Nach Glück irgendwie, dem Gefühl der Zugehörigkeit und echtem Zusammenhalt. Nach der unbedingten Anwesenheit im eigenen Leben würde Mariana Lekys Selma so treffend sagen.

Liebe Johanna, ich danke dir für diese märchenhafte Geschichte, die mich innerlich ganz arg gewärmt hat und aus der so viel Herzblut tropft, für all den groben Unfug, den du dir ausgedacht hast. Diese Liebeserklärung an die Menschen und das Erzählen, all die schönen Bilder, die du in meinem Kopf erzeugt hast. Für mich ist „Nincshof“ ein richtiger Feelgood-Dorfroman, der mich bestens unterhalten und in seiner Skurrilität tatsächlich an Mariana Leky erinnert hat, was wirklich eine Ehre ist. Ich hab so gelacht (an dieser Stelle herzlichste Grüße an die prustende Dame aus Reihe eins bei der Premiere letzte Woche, I get it now), hab mitgefühlt und mitgefiebert, mich einfach in die Geschichte hineinfallen lassen. Ganz viel Liebe für dieses Debüt!

„Auf ihrer Terrasse stand Erna Rohdiebl, blickte in den Himmel und erfreute sich an diesem flammenden Blau, das sich wolkenlos über einem weiteren lähmenden Julitag bog. Wahrscheinlich war es der Genügsamkeit geschuldet, die sich langsam an einen heranschlich und irgendwann nicht mehr fortging, während eines langen, mal gelebten, mal ertragenen Lebens, dass Erna Rohdiebl in jeder Jahreszeit, in jedem noch so brummenden Sommer, in jedem noch so klirrenden Winter etwas zu finden wusste, woran sie sich erfreuen konnte.“ S. 274

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein Liebesbrief für Jung und Alt

Das Lied des Stars
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Der Star macht sich auf, über all das Schöne zu singen, das er sieht, seine Freude daran weiterzutragen. Alle sollen es wissen. Und tatsächlich hören die anderen Tiere seinen bezaubernden Gesang, sein ...

Der Star macht sich auf, über all das Schöne zu singen, das er sieht, seine Freude daran weiterzutragen. Alle sollen es wissen. Und tatsächlich hören die anderen Tiere seinen bezaubernden Gesang, sein Jubilieren, und sie erzählen dem Star von der Schönheit ihrer eigenen Welt, und so wächst das Lied und verlässt die persönliche Ebene des Vogels. Eine poetische Hymne auf das Leben entsteht, eine zarte Melodie, die die Lesenden gefangen nimmt und dazu einlädt, eigene Gedanken hinzuzufügen.

Octavie Wolters Liebesbrief für Jung und Alt wird auf außergewöhnlich schöne Weise vom Design des Buches gestützt und so wundert es mich nicht, dass dieser literarische Schatz von der Stiftung Buchkunst zu einem der schönsten Bücher des Jahres gekürt wurde. Ich darf euch als Botschafterin zwei der ausgezeichneten Bücher vorstellen und freue mich sehr über dieses Privileg, das ich mit wirklich großartigen Buchmenschen teile.

„Das Lied des Stars“ ist ein großformatiges Bilderbuch, das mit seinem robusten, etwas rauen Pappeinband aus der Masse hervorsticht. Die gelb kolorierten Details des Vogels heben sich deutlich ab und signalisieren „hier bin ich, schau mich an!“. Und dieser Aufforderung leistet man nur zu gerne Folge, weshalb ich mich auf Anhieb für die Vorstellung dieses Buches entschieden habe. Die Illustrationen der Schriftstellerin zum Text strecken sich großzügig über die Doppelseiten und sind in Schwarz und Weiß gehalten (bis auf Schnabel und Beine des kleinen Poeten natürlich, die blitzen weiterhin fröhlich gelb auf). Die Grafiken sind nicht überfrachtet und doch sehr ausdrucksstark, scheinen sich dem Betrachter beim Umblättern entgegen zu wölben und ein Eigenleben zu entwickeln. Die Künstlerin hat sich für die Technik des Linolschnitts entschieden, für das faszinierende Spiel mit den Gegensätzen Hell und Dunkel als Kontrast zu der bunten Vielfalt unserer Welt.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Von der Brüchigkeit des Glücks

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
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Ein junges Mädchen, das sich und seine Bedürfnisse zurückstellt, um die der kleinen Schwester aufzufangen. Ein abwesender Vater. Eine Mutter, die nicht in der Lage ist, die Familie zusammenzuhalten, Sicherheit ...

Ein junges Mädchen, das sich und seine Bedürfnisse zurückstellt, um die der kleinen Schwester aufzufangen. Ein abwesender Vater. Eine Mutter, die nicht in der Lage ist, die Familie zusammenzuhalten, Sicherheit zu bieten. Liebe und Verlust. Woran erinnert uns der Plot noch gleich? Natürlich, ihr wisst es alle, an Caroline Wahls „22 Bahnen“. Schnell drängt sich der Vergleich beider Debüts auf und mich dünkt, nicht bloß Schwimmbad-Cover trenden in diesem Jahr ganz gewaltig, sondern auch Geschichten über vernachlässigte Mädchen, über Schwesternschaft und weibliche Selbstermächtigung. Umgesetzt sind beide Romane allerdings ziemlich unterschiedlich und ich bin definitiv Team Dini und Katha (sorry, Ida und Tilda, geht nicht gegen euch persönlich).

Ich habe „ATDWVDWDS“ gerade zugeschlagen, mich in eine Decke gekuschelt (ja, im August) und so traurig-melancholisch-froh gefühlt, kennt ihr das? Ich geb’s offen zu, ich dachte zuletzt, Bücher, geschrieben von jüngeren Menschen als ich es bin über deutlich jüngere Menschen als ich es bin, sind einfach nix mehr für mich. Ich bin rausgewachsen, kann mich nicht mehr (und noch nicht wieder) mit den jungen Leuten und den Nöten ihrer Zeit identifizieren. Klingt irgendwie bekloppt, aber dachte ich halt. Hab mich geirrt. Auch dieses abgehärtete Herz ist nicht gefeit vor solch rohen Worten, so starken Bildern wie Sina Scherzant sie direkt über mir ausgeschüttet hat. Hier, nimm und fühl, du alte Schachtel. Vor einer so intensiven, kraftvollen Stimme, vibrierend und summend, anders kann ich es nicht beschreiben. Die Geschichte tastet die fragilen Grenzen zwischen den Menschen und der Welt ab, die Brüchigkeit des Glücks; sie lebt, wächst und atmet und man hält selbst die Luft an, möchte keine Regung verpassen und spürt genau, all das ist echt. Sie erzählt von den Spuren, die manche Begegnungen in uns hinterlassen, von Ellenbogen, die sich miteinander verhaken, statt gegeneinander zu stoßen. Aber bitte lest einfach selbst.

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