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Veröffentlicht am 26.04.2024

Warmherzige Geschichte über die Liebe

Flamingo
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Daniel wächst alleine bei seiner jungen Mutter Eve auf, die sich mit gerade einmal 16 Jahren für Ihr Kind und damit gegen ihre Eltern, ihre Herkunftsfamilie entschied. Seitdem sind die beiden sich selbst ...

Daniel wächst alleine bei seiner jungen Mutter Eve auf, die sich mit gerade einmal 16 Jahren für Ihr Kind und damit gegen ihre Eltern, ihre Herkunftsfamilie entschied. Seitdem sind die beiden sich selbst genug, immer unterwegs wechseln sie den Wohnort wie andere ihre Kleidung, Halt und Liebe finden sie lange Zeit nur beieinander. Bis sie in Abigail Gardens Nr. 3 landen, dem Haus direkt neben dem der chaotischen Familie Marsh. Die Marshs, das sind Sherry und Leslie, Pauline und Rae. Sie alle werden bald zu einer Art Bonusfamilie, gehen wie selbstverständlich beieinander ein und aus, und während Daniel in Leslie eine liebevolle Vaterfigur findet, entsteht zwischen Eve und Sherry, dieser fabelhaften, von innen heraus leuchtenden Frau eine tiefe Bindung, die alles bedeutet und alles riskiert.

Wieder einmal ist es Rachel Elliott gelungen mich zu bezaubern, mit ihren Worten zu umarmen, fest einzuhüllen. „Bären füttern verboten“ hat mich bereits 2021 mit einem diffusen Glücksgefühl zurückgelassen und mit ihrem neuen Roman „Flamingo“ ist der Autorin nun ganz ähnliches geglückt. Doch was ist eigentlich ihr Geheimnis? Sie erschafft Figuren die ohne Zweifel Sonderlinge sind, spleenig und vom Leben gezeichnet, leicht neben der Spur. Die am Abgrund stehen, nur einen Schritt vor dem Aus. Und die doch beherzt nach dem Leben greifen, es in die eigenen Hände nehmen, dem Glück des Moments nachspüren und los! Diese Bejahung, dieser Mut rührt mich, bewegt etwas in mir, zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.

Eine warmherzige Geschichte über die Liebe, über Eltern und Kinder, gebürtige wie selbst gewählte. Über Mütter und ihre Geheimnisse, ihr Leben abseits der Mutterschaft. Über Menschen und all das, was sie sind, all die unterschiedlichen Visonen ihrer selbst. Über die Wahrheit und das Verborgene. Die Schönheit des Lebens und die Bürde, die es einem manchmal zu tragen zumutet. Große Leseempfehlung!

Aus dem Englischen von Claudia Feldmann.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Berührende Schwesterngeschichte

22 Bahnen
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Caroline Wahl ist DER Shootingstar des deutschsprachigen Novitäten-Himmels in diesem Frühjahr, an ihrem Debütroman „22 Bahnen“ führt bei Bookstagram schlicht kein Weg vorbei. Schon das Cover ist ein echter ...

Caroline Wahl ist DER Shootingstar des deutschsprachigen Novitäten-Himmels in diesem Frühjahr, an ihrem Debütroman „22 Bahnen“ führt bei Bookstagram schlicht kein Weg vorbei. Schon das Cover ist ein echter Hingucker, der Inhalt verspricht eine kraftvolle Geschichte über die Selbstermächtigung zweier Schwestern. Klingt richtig gut, ist auch gut, für mich persönlich aber kein Highlight.

Tilda ist Mitte 20, studiert Mathematik und arbeitet im Supermarkt ihres Heimatortes an der Kasse. Zum Ausgleich schwimmt sie regelmäßig ihre 22 Bahnen im Schwimmbad, taucht einfach mal ab, und kümmert sich ansonsten rührend um ihre 10jährige Schwester Ida. Die Mutter der beiden kämpft schon lange mit einer Alkoholsucht, wobei kämpft es nicht ganz trifft, sich der Sucht hingibt wäre passender, da ist wenig Elan, wenig Anpacken, wenig Verstehen der prekären, einem Kind kaum zumutbaren Situation. Ein Zustand, der sich im Verlauf der Geschichte auch nicht wirklich verändert, was mich etwas ratlos und unbefriedigt zurückließ. Ansonsten passiert allerdings so einiges auf diesen 200 Seiten. Wir lernen die jüngere Tilda kennen, begleiten sie und ihre beste Freundin Josie bis zum tragischen Ende eines wunderbaren Sommers, der ihr Verhältnis überschattet. Und dann ist da noch Viktor, der junge Mann mit dem verschlossenen Blick, der neuerdings im Schwimmbad auftaucht. Der sie an diesen vergangenen Sommer erinnert, an ein ganz ähnliches Augenpaar, das sie nicht vergessen kann, und an die Schuld, die schwer auf ihr lastet. Doch ganz langsam wagt Tilda sich zu öffnen und, wenn auch noch zaghaft, an eine eigene Zukunft zu glauben.

„22 Bahnen“ ist Liebesgeschichte, Familiengeschichte und Coming of Age-Roman, wollte sehr viel und hat für mich deshalb nicht ganz funktioniert. Die Geschichte der Schwestern, diese liebevoll-neckische, irgendwo ambivalente Beziehung hat mich berührt, hätte aber mehr Tiefe vertragen können, einen längeren Atem, bohrendere Finger; da wäre ich so gerne intensiver eingetaucht. Mein Fazit also: ein Buch, das ich gerne gelesen habe, mit dem ich vor 10 Jahren aber vermutlich noch mehr hätte anfangen können und das mir nicht allzu lange im Gedächtnis bleiben wird.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Berührt mein Mutter- und fest verwurzeltes Heimatherz

So weit der Fluss uns trägt
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Iola, Colorado, Anfang der 1940er Jahre. Victoria, genannt Torie, ist gerade 12 Jahre alt als ihre Mutter bei einem Unfall stirbt. Zur Trauer des Mädchens gesellt sich bald die sichere Gewissheit, keine ...

Iola, Colorado, Anfang der 1940er Jahre. Victoria, genannt Torie, ist gerade 12 Jahre alt als ihre Mutter bei einem Unfall stirbt. Zur Trauer des Mädchens gesellt sich bald die sichere Gewissheit, keine Verbündete mehr zu haben, in einem Haushalt, nein, in einer Welt voller Männer, unsichtbar werden zu müssen. Viel Zeit und Raum, den Verlust zu beklagen, bleibt der Familie ohnehin nicht; die Jahreszeiten bestimmen den Alltag auf ihrer Pfirsichfarm am Gunnison River, die Natur sichert ihr Einkommen und duldet keinen Aufschub. Über die Liebe, die Leidenschaft und ihre Tücken weiß die junge Frau nichts, stürzt sich mitten hinein als sie Wilson Moon trifft, einen Außenseiter, einen Geächteten ob seiner indigenen Herkunft, und sich Hals über Kopf verliebt. Victorias weitere Leben ist geprägt von dieser innigen Verbindung und der zu ihrer rauen Heimat – wie ein Fluss fließt es unaufhaltsam und findet seinen Weg; ihr Schicksal, tief verwurzelt mit der Erde, dem Land, das es berührt. Ein Kind entsteht und wächst unter erschwerten Bedingungen auf, mitten hinein in eine Gesellschaft voller Vorurteile und Unruhen; der Vietnamkrieg steht bevor, ganze Orte und Landstriche müssen sich dem Wandel der Zeit beugen und weichen. Die Welt verändert sich stetig, während es Victoria gelingt, Haltung und sich eine große innere Stärke zu bewahren.

Shelley Read schlägt einen Bogen über drei Jahrzehnte, erzählt in ihrem Debütroman von Emanzipation und Mutterschaft, von der Verbundenheit der eigenen Seele mit dem Kosmos. Dabei verknüpft sie die Natur eng mit den Figuren, flechtet sie zu einem untrennbaren Zopf, stark inspiriert von ihrer eigenen Vergangenheit. Die Sprache ist sehr blumig, bildhaft und metaphorisch, daran musste ich mich ein wenig gewöhnen und gerade zu Beginn großzügig über manche arg klischeehafte Formulierung hinweglesen. Doch nach kurzer Zeit fand ich mich ganz tief in dieser Geschichte wieder, die mein Herz berührt hat, mein Mutterherz und mein fest verwurzeltes Heimatherz; hat mich doch Bleiben immer mehr gereizt als Gehen.

Aus dem amerikanischen Englisch von Wibke Kuhn.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Existenzielle Fragen über unsere Verbundenheit mit der Welt

Klara und die Sonne
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»Glaubst du an das menschliche Herz? Ich meine natürlich nicht einfach das Organ. Sondern im poetischen Sinn. Das Herz des Menschen. Glaubst du, dass es so etwas gibt? Etwas, das jedes Individuum besonders ...

»Glaubst du an das menschliche Herz? Ich meine natürlich nicht einfach das Organ. Sondern im poetischen Sinn. Das Herz des Menschen. Glaubst du, dass es so etwas gibt? Etwas, das jedes Individuum besonders und einmalig macht?«

KI, künstliche Intelligenz, ist aus unserer digitalisierten Welt nicht mehr wegzudenken, gerade erst hat die EU das erste Regelwerk zur Eindämmung der enormen Risiken auf den Weg gebracht. Auch Klara ist eine KF, eine künstliche Freundin, konzipiert in der nahen Zukunft um jungen Menschen im Erwachsenwerden beizustehen, eine angenehme Gesellschafterin und vertrauensvolle Ansprechpartnerin zu sein. Und Klara ist eine besonders intensive Erzählstimme, denn sie sieht die Welt durch Augen, die unseren sehr ähnlich und doch anders sind. Fast wie ein Märchen liest sich der Roman, kindlich mutet Klaras naiver Blick an, ihr unumstößliches Vertrauen in die Kraft der Sonne und auch in die Menschen, allen voran in Josie, das kranke Mädchen, dem sie gehört und dem bald ihre ganze Sorge gilt. Doch Klaras genaue Beobachtungen dessen, was um sie herum geschieht, verwirren sie zunehmend; wie die Menschen im Namen der Liebe handeln, ist für sie logisch kaum nachvollziehbar, bringt sie an die Grenzen ihrer Fähigkeiten.

Vor Jahren las ich mit „Was vom Tage übrig blieb“ mein erstes Buch des britisch-japanischen Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro und war sofort fasziniert. Fasziniert von der bedächtigen Art, mit welcher der Autor diese Geschichte erzählt, davon, wie wenig Aufhebens es benötigt, um seine Figuren zum Leben zu erwecken und mich nachhaltig zu berühren. Nach der Lektüre von „Klara und die Sonne“ weiß ich, das war kein besonderes Merkmal dieses einen Romans; Ishiguros Literatur zeichnet sich nicht durch gewaltige Bilder aus, nicht durch Lärm. Seine Figuren sind still und feinsinnig, seine Worte brauchen etwas Zeit, um ihre ganze Wucht, ihre Wirkung zu entfalten. Es sind existenzielle Fragen über unsere Verbundenheit mit der Welt, die der Autor aufwirft, und die sich auch in diesem Roman wiederfinden.

Aus dem Englischen von Barbara Schaden.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Österreichische Literatur par excellence

Verschwinden in Lawinen
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„Stehen, knien, sitzen. Aus allen Mündern: Amen. In der ersten Reihe hockten die Eltern des Jungen. Das Murmeln im Rücken, das Rascheln der Kleidung, bewies ihnen die vereinte Unterstützung. […] Er blickte ...

„Stehen, knien, sitzen. Aus allen Mündern: Amen. In der ersten Reihe hockten die Eltern des Jungen. Das Murmeln im Rücken, das Rascheln der Kleidung, bewies ihnen die vereinte Unterstützung. […] Er blickte zu Boden. […] Er dachte an die Lawine. An dieses Phänomen und was es bedeutete. Das Knacken, als ob ein jagendes Wesen aus dem Gebüsch bricht, der Riss im Schnee, sekundenschnell wächst eine Gewalt, die abwärts stürzt und alles frisst, auch die Luft zum Atmen.“ S.11

Ein tragisches Unglück ist geschehen am Berg. Zwei junge Menschen wurden von einer Lawine überrollt, das Mädchen wird bald verletzt gefunden, sein Freund bleibt vermisst. Xavers Nichte Tina kämpft nun im Krankenhaus ums Überleben während dieser, ein Schauspieler in den Kinderschuhen und Daheimgebliebener, sich wild entschlossen dem Rettungsteam anschließt. Während der Suche nach Noah spürt er bald eine Unruhe in sich aufsteigen, wird er jäh von Erinnerungen an den vor vielen Jahren verschollenen Großvater übermannt. Damals war es Sommer, auch dann verschwinden Menschen am Berg, verschwinden und werden gar nie mehr gefunden, oder eben doch, aber erst viel später, dann kaum noch wieder zu erkennen. Und manche könnten rechtzeitig gefunden werden, wenn man selbst ein bisschen mehr Mut hätte, kein solcher Hasenfuß wäre.

Aberglaube trifft auf Skepsis in diesem Dorf, beides ist den Menschen wohlbekannt und ringt miteinander im Angesicht der Tragödien, die zum Leben dort dazugehören. So entwickelt sich die Suche nach dem Jungen für Xaver zu einer längst überfälligen nach dem eigenen Platz auf dieser Welt, in diesem Dorf, rührt an einem Gefühl des tiefsten Versagens und dem dringenden Wunsch nach Wiedergutmachung.

Robert Prossers „Verschwinden in Lawinen“ jongliert geschickt mit den menschlichen Regungen und Bedürfnissen, der Bedeutung von Signifikanz im eigenen Leben. Es ist ein Heimatroman im besten Sinne, atmosphärisch und dicht, bildgewaltig; jedes Wort sitzt, hier wird etwas genauestens auserzählt, dort ganz knapp gehalten, schnörkel- und kompromisslos. Österreichische Literatur par excellence und eine große Empfehlung von mir.

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