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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein Buch zum Eintauchen und Versinken

Die Kunst des Verschwindens
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„Die Kunst des Verschwindens“ beherrscht auf jeden Fall die Kunst des Verschwindenlassens, denn genau das hat diese Geschichte mit mir gemacht, hat mich eingesogen, bestens unterhalten und verzaubert. ...

„Die Kunst des Verschwindens“ beherrscht auf jeden Fall die Kunst des Verschwindenlassens, denn genau das hat diese Geschichte mit mir gemacht, hat mich eingesogen, bestens unterhalten und verzaubert. „Zwischen den Jahren“, das klingt nicht nur seltsam, nein, es passieren auch ganz und gar wunderliche Dinge in dieser Zeit, davon ist Nico felsenfest überzeugt. Als sie kurz vor Weihnachten die faszinierende Schauspielerin Ellen Kirsch kennenlernt, spürt sie sofort eine tiefe Verbundenheit mit dieser, fast wie Seelenverwandtschaft fühlt es sich an, fremd und doch vertraut. Mit Ellen bekommt Bekanntes neue Konturen, das Leben mehr Zauber, der Moment eine größere Bedeutung. Und dann ist Ellen so plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht ist, und Nicos Welt dreht sich weiter und ist doch nicht mehr dieselbe. Sie versucht zu begreifen, was passiert ist, und auf der Suche nach ihrer Freundin und deren Geheimnis kommt sie ihrer eigenen Geschichte, ihrer eigenen Vergangenheit näher, als sie sich je hätte vorstellen können.

Melanie Raabe widmet sich in ihrem ersten Roman der Freundschaft, der Magie eines einzigen Augenblicks, der Menschen verbindet und Leben für immer verändert. Ich mag diesen Hauch von Fantastischem, der durchaus denkbar erscheint, die Geschichte nicht dominiert sondern unterstreicht; diese Motive des magischen Realismus, derer die Autorin sich hier bedient. Ein wildes Reh, das mitten in der Stadt aus der Dunkelheit auftaucht, die leicht schmerzende Beule eines durchbrechenden Horns an Ellens Hinterkopf, Realität und Traum in fließendem Übergang. Ich kenne Raabes Thriller nicht, spüre dieses Genre aber auch hier auf jeder Seite, die ich wie im Rausch umblättere. Der Plot ist spannend erzählt, steigert sich, ändert stetig die Richtung, Twists und Schurken inklusive. Ich sehe den Roman schon verfilmt werden und genau das ist mein einziger echter Kritikpunkt. Ich mag es normalerweise nicht ganz so cineastisch und laut, mir sind die leisen Töne lieber, aber auch die kommen hier nicht zu kurz und trugen mich durch die Geschichte, mit ihrer zauberhaften Stimmung und versöhnlichen Botschaft . Ein schönes Weihnachtsgeschenk zum Wegschmökern zwischen den Tagen!

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Verschwimmende Grenzen zwischen Erinnerung und Fiktion, Leben und Literatur

Roman d’amour
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Charlotte Moire hat ein Buch geschrieben und einen Preis gewonnen. Warum, versteht sie selbst nicht so genau, es ist eigentlich keine besonders innovative Geschichte, um Ehebruch geht es, um Liebe, die ...

Charlotte Moire hat ein Buch geschrieben und einen Preis gewonnen. Warum, versteht sie selbst nicht so genau, es ist eigentlich keine besonders innovative Geschichte, um Ehebruch geht es, um Liebe, die richtige wie die falsche. Nun heißt es „Roman d‘amour“ zu promoten, Gespräche zu führen, unter anderem mit Frau Sittich, einer Journalistin, die einen Radiobeitrag plant. Was als einfaches Interview beginnt entwickelt sich mit einer seltsam dringlichen Dynamik zu einem intensiven Schlagabtausch zwischen zwei Frauen, die auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken können, und gipfelt in der überraschenden Erkenntnis, was wirklich auf dem Spiel steht, was beide in die Waagschale werfen.

Mich hat Sylvie Schenks klarer Stil, ihr lebenskluger Scharfsinn bereits in „Schnell, dein Leben“ beeindruckt und ich bin wieder sehr angetan von diesem feinen Liebesroman, der auf gerade einmal 120 Seiten die manchmal schwer zu definierenden Grenzen zwischen Erinnerung und Fiktion, Leben und Literatur, Leidenschaft und Verantwortung auslotet. Eine Geschichte über des einen Liebe und des anderen Verrats, über das große Glück des Zusammenseins und verwüstete Herzen. Empfehlung!

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein stimmungsvoller, melancholischer Roman aus dem viktorianischen England

Lily
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Lily Mortimers Kindheit endet unwiderruflich als sie mit sechs Jahren ihre Pflegefamilie auf der Krähenhorstfarm verlassen muss; ein Jahrzehnt später ist sie eine kaltblütige Mörderin. Noch weiß es keiner, ...

Lily Mortimers Kindheit endet unwiderruflich als sie mit sechs Jahren ihre Pflegefamilie auf der Krähenhorstfarm verlassen muss; ein Jahrzehnt später ist sie eine kaltblütige Mörderin. Noch weiß es keiner, aber bald, das ist der jungen Frau klar, bald wird die gerechte Strafe sie ereilen. Zwischen ihr und dem Gesetz steht lediglich Sam Trench, der Mann der sie damals fand, als Baby von der eigenen Mutter in einem Londoner Park ausgesetzt, mitten im Winter, und der sie nie vergessen konnte, nie ganz aus den Augen verlor. Nicht bei den Pflegeeltern, die sie wie eine eigene Tochter liebten, nicht in den darauffolgenden, von Hoffnungslosigkeit und Verlustgefühlen geprägten, Jahren im Findelhaus, nicht als sie den Weg einer Perückenmacherin einschlägt, ihr Leben endlich in sicherere Bahnen leiten kann. Könnte, wäre da nicht dieser unbändige Wunsch nach Rache - und das Verlangen nach Sam, nach einem gemeinsamen Leben mit diesem aufrechten Mann, dessen Integrität und Überzeugungen durch beider Anziehungskraft auf eine harte Probe gestellt werden.

Ich habe als Jugendliche bereits sehr gerne klassische, englische Romane gelesen, Waisenmädchen hatten es mir damals schon angetan und ganz besonders Waisenmädchen im viktorianischen Zeitalter. „Sara, die kleine Prinzessin“ und „Jane Eyre“ ließen mich mitfühlen, bangen und hoffen wie kaum eine andere Geschichte, eine andere Protagonistin. Rose Tremains „Lily“ ist reifer, erwachsener, weniger illusorisch (oder habe bloß ich mich verändert?), und schlägt doch mitten hinein in diese Kerbe, holt Erinnerungen an diese besonderen Leseeefahrungen zurück, die fast körperlich waren, so intensiv litt ich mit den Mädchen, fühlte die Dunkelheit, die sie umgab, die Grausamkeiten, die sie erfuhren, aber auch das köstliche Glück reiner Herzensgüte, die Kraft wahrer Freundschaft. Ein stimmungsvoller, melancholischer Roman mit einer Heldin, die man fest ins Herz schließen muss - perfekt für die dunklere Jahreszeit und eine große Empfehlung von mir.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Eine Protagonistin, die mir im Herzen bleiben wird

Robinsons Tochter
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Polly Flint ist sechs Jahre alt als es die Vollwaise Anfang des 20. Jahrhunderts ins gelbe Haus ihrer beiden frommen Tanten spült, die englische Marschlandschaft ist noch fast gänzlich unberührt, erst ...

Polly Flint ist sechs Jahre alt als es die Vollwaise Anfang des 20. Jahrhunderts ins gelbe Haus ihrer beiden frommen Tanten spült, die englische Marschlandschaft ist noch fast gänzlich unberührt, erst die folgenden Jahrzehnte werden sie verändern und Polly ebenso. Das kluge Mädchen liebt seine Tanten und wird zurückgemocht, welch ein Glück, doch das eintönige, gottesfürchtige Leben behagt ihm kaum, da ist doch viel mehr zu entdecken, da muss doch mehr sein, in dieser weiten Welt. Einzig die umfangreiche Bibliothek bietet Polly Zugang zu dieser und ein Buch, eine Figur wird ihr ganz besonderer Freund. Kriege werden geführt, Menschen werden ins gelbe Haus herein und wieder hinaus geweht, leben, lieben und sterben, unstetig wie Hälmchen im Wind, doch wie ein Leuchtturm weist Robinson Crusoe dem Mädchen mit seinem Mut und unerschütterlichen Optimismus den Weg durch Jahre der Turbulenzen und Erschütterungen, bleibt eng an dessen Seite, so lange es nötig ist.

Ein so schönes Buch. Eine Geschichte, die mich im Mittelteil etwas auf die Probe gestellt und dann im letzten Drittel all ihren Zauber entfaltet hat, mit einer liebenswerten Protagonistin, die mir im Herzen bleiben wird. Eine Hommage an die Literatur und das Leben mit all seinen verschlungenen Pfaden, ich schließe das Buch mit einem wehmütigen Ziehen im Bauch und denke, so möchte ich auch einmal auf mein Leben zurückblicken, mit so viel Ruhe und Gelassenheit.

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Veröffentlicht am 26.04.2024

Unterhaltsames Sommerbuch mit tiefem Abgrund

Die spürst du nicht
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Familie Strobl-Marinek aus Wien nimmt zur Beschäftigung von Teenie-Töchterchen Sophie Luise das somalische Flüchtlingsmädchen Aayana mit in den Urlaub. Die Arme soll auch mal Spaß haben, das sicherlich ...

Familie Strobl-Marinek aus Wien nimmt zur Beschäftigung von Teenie-Töchterchen Sophie Luise das somalische Flüchtlingsmädchen Aayana mit in den Urlaub. Die Arme soll auch mal Spaß haben, das sicherlich verhasste Kopftuch (und damit auch gleich die verhuschte Art) ablegen, sich aus den Fängen des älteren, machoiden Bruders befreien und wenigstens einmal als Teil einer gut situierten Familie fühlen. Und schwimmen lernen, die besondere Mission von Mama Strobl-Marinek, die findet, ohne diese grundlegende Fähigkeit sei das Leben nur halb so schön. Doch bereits am ersten Abend des Toskana-Urlaubs kommt es zur Tragödie, das Mädchen ertrinkt im Pool.

Was Daniel Glattauer im Folgenden aufzieht, führt unsere ach so privilegierte Gesellschaft ad absurdum, liest sich wie ein bitterböses Sittenbild, dem man leicht angewidert beiwohnt, aber wegschauen geht halt auch nicht. Fehler werden einander zugeschoben und weit von sich gewiesen, es gilt, die eigene Haut retten und ja, man wünscht diesen selbstgerechten, vor Arroganz nur so strotzenden Gutmenschen mindestens die Pest an den Hals – und gleichzeitig meldet sich da so ein leises, inneres Stimmchen, das fragt, wie frei wir selbst denn eigentlich von diesen Vorurteilen und Selbstgerechtigkeiten sind.

Dem Autor gelingt es erstaunlich gut die leicht überzogen skizzierten Figuren nie ins Lächerliche, Karikierte abdriften zu lassen. Ich hab sie ihm alle abgenommen, angefangen bei der Teenagerin, deren Leben völlig aus den Fugen gerät, und das direkt aus dem Kinderzimmer heraus (wirklich erschreckend für mich als Mutter), bis hin zum leicht verblendeten Staranwalt Steinpichler. Aayanas Geschichte hat mich tief berührt und wird mich noch länger beschäftigen, denn auch wenn sie fiktiv sein mag, sensibilisiert sie doch für die sehr realen Schicksale Geflüchteter, die viel zu wenig Raum in der Politik und in unserer Gesellschaft haben.

Oberflächlich betrachtet ist „Die spürst du nicht“ das unterhaltsame Sommerbuch, das ich auch aufgrund des Covers erwartet hatte; leichte Kost, man fliegt nur so durch die Seiten, muss mitunter herzlich lachen oder zumindest schmunzeln. Doch darunter tut sich ein Abgrund auf, lauert eine bodenlose Schwere, die mich sehr betroffen gemacht hat, eine unerwartet schmerzhafte Geschichte über Migration und Heimat, Moral und Gewissen. Richtig stark!

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