Ein sprachgewaltiges Debüt
„Ihr Tod ist eine Bruchkante. Die Vergangenheit ist ins Tal gerutscht, die Gegenwart ein messerscharfer Grat, auf dem niemand Halt findet, kein Hund, kein Mensch, kein Maultier. Wir können hier nicht bleiben.“ ...
„Ihr Tod ist eine Bruchkante. Die Vergangenheit ist ins Tal gerutscht, die Gegenwart ein messerscharfer Grat, auf dem niemand Halt findet, kein Hund, kein Mensch, kein Maultier. Wir können hier nicht bleiben.“ S. 129
Fünf Mädchen wachsen in einem entlegenen, aus der Zeit gefallenen Dorf auf, das vom Kalkabbau lebt. Noch verbringen sie die Tage gemeinsam, zärtlich und neckisch im Spiel, doch schon bald werden sie ihren Müttern folgen, die ihren Müttern folgten; werden Frauen mit gesenkten Blicken, die sich jeden Morgen sorgsam wieder zusammensetzen, die Risse der Nacht vom Scheitel bis zur Scham kitten und die Spuren der Ehemänner auf ihren Körpern, in ihren Augen beseitigen, so gut es geht. Als ein junger Mann von außerhalb damit beauftragt wird, über die weitere Notwendigkeit des Steinbruchs und damit ihrer aller Zukunft zu entscheiden, beginnt das bisher starre Mobilé der Autoritäten zu schwanken, brechen alte Strukturen auf und die Dorfgemeinschaft unaufhaltsam in sich zusammen.
„Jeden Tag bilden Männer irgendwo auf der Welt einen Kreis um eine Frau, um sie zu steinigen“, schreibt Ernaux in „Erinnerung eines Mädchens“. Andreas Moster stellt diesen Männern all jene Mädchen entgegen, die ihre Stimme erheben und anklagen, jeden Tag, die irgendwo auf der Welt aufstehen und gehen. Mit wenigen poetischen Worten gelingt es dem Autor eine Geschichte von universeller Gültigkeit zu erzählen, vom Ende einer archaischen Ordnung und dem Mut zur Freiheit. Ein sprachgewaltiges Debüt (wirklich kaum zu glauben), das durchrüttelt und bewegt, dem eine große Sinnlichkeit und Schönheit innewohnt. Ein Highlight und von mir eine besondere Empfehlung für Fans von Irene Solà und Nell Leyshon.