Profilbild von readiculousme

readiculousme

Lesejury Profi
offline

readiculousme ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit readiculousme über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.06.2024

Ein vielschichtiges Familienportrait!

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
0

„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ von Elena Ferrante ist ein Roman über ein junges Mädchen, dessen geordnetes, gut situiertes Leben aus den Fugen gerät,
als es zufällig ein Gespräch seiner Eltern ...

„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ von Elena Ferrante ist ein Roman über ein junges Mädchen, dessen geordnetes, gut situiertes Leben aus den Fugen gerät,
als es zufällig ein Gespräch seiner Eltern belauscht. Neugierig geworden begibt Giovanna sich daraufhin auf Spurensuche zu ihrer Geschichte im heruntergekommenen Teil Neapels und entdeckt schnell, dass nichts so ist, wie es scheint. Während die erste Hälfte des Buches sich der Entlarvung der lügenhaften Welt der Erwachsenen aus kindlicher Sicht und dem Verlust eben dieser kindlichen Unschuld widmet - Giovanna wird in tiefe Verzweiflung gestürzt, zweifelt an ihrer Identität und Herkunft - gelingt dem Mädchen in der zweiten Hälfte die Emanzipation von den Eltern, besonders von seinem Vater, die von einer großen Reife zeugt. Giovanna entwickelt einen scharfsinnigen, durchaus versöhnlichen Blick auf die Menschen in ihrer Umgebung.

Ein vielschichtiges Familienporträt im Neapel der 90er Jahre und ein psychologisch reizvoller Coming of Age-Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.06.2024

Empfehlung besonders für die, die den Autor neu entdecken möchten!

Chronik eines angekündigten Todes
0

„Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez ist ein in Form einer sachlichen Berichterstattung verfasster Roman. Ein Bräutigam schickt seine Braut noch in der Hochzeitsnacht zurück ...

„Chronik eines angekündigten Todes“ von Gabriel García Márquez ist ein in Form einer sachlichen Berichterstattung verfasster Roman. Ein Bräutigam schickt seine Braut noch in der Hochzeitsnacht zurück in ihr Elternhaus weil sie keine Jungfrau mehr ist. Daraufhin nehmen deren beiden Brüder Rache an dem vermeintlich Schuldigen und bringen diesen um. Der Leser weiß sprichwörtlich vom ersten Satz an, dass der Mord geschehen wird, insofern hält sich die Spannung über den Ausgang der Geschichte in Grenzen (gut, der Titel verrät diesbezüglich auch schon ein bisschen was). Wir werden nun Zeuge der Rekonstruktion des Geschehnisses durch Gespräche des Erzählers mit den Dorfbewohnern, die mehr und mehr verdeutlichen, wie viele Menschen von dem geplanten Mord wussten (nämlich nahezu alle) und es versäumten das Opfer zu warnen (ebenfalls alle) - sei es aus persönlichen Motiven oder schlicht deshalb, weil jeder annahm, ein anderer habe dies bereits getan. In der Summe empfand ich diese „wem haben die Täter alles gesagt, dass sie das Opfer umbringen wollen“-Passagen als ein bisschen viel des Guten - da hätte man gut ein paar Seiten wegkürzen können.

Es geht um Moralvorstellungen und Traditionen - und darum wie selbstverständlich Selbstjustiz von Volk und Staat hingenommen, ja, sogar erwartet wird, im Angesicht der verlorenen Ehre einer jungen Frau. Sprachlich hat mir die Geschichte wieder gut gefallen, wenn auch der feine Humor, den ich in „Hundert Jahre Einsamkeit“ so wunderbar fand, mir hier etwas fehlte - das ist aber möglicherweise auch dem ernsten Thema und der Kürze des Romans geschuldet. Ich habe das Büchlein gerne gelesen und würde es besonders denen empfehlen, die noch nichts von Gabriel García Márquez kennen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.06.2024

Eine Skizze, ein Umriss...

Outline
0

“Outline“ - auf deutsch Skizze, Umriss, Gliederung - liest sich wie genau das; Skizzen, Fragmente, Splitter verschiedener Lebensentwürfe, mit denen die Protagonistin auf ihrer Athenreise konfrontiert ...

“Outline“ - auf deutsch Skizze, Umriss, Gliederung - liest sich wie genau das; Skizzen, Fragmente, Splitter verschiedener Lebensentwürfe, mit denen die Protagonistin auf ihrer Athenreise konfrontiert wird. Sie hört zu, die Menschen erzählen. Sie selber bleibt
dabei seltsam blass, nicht wirklich greifbar, erscheint einem fast durchsichtig - wie ein leeres Gefäß, das erst durch die Geschichten anderer an Konturen gewinnt
und zum Leben erweckt wird. Dabei gelingt es Rachel Cusk mit wenigen Worten
(und noch weniger Aufhebens) wirklich kluge, komplexe Gedanken, ja, beinahe wie elementare Wahrheiten anmutende Sätze zu formulieren, über die ich sicher
noch eine Weile nachdenken werde.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.04.2024

Ein kleiner Schatz für Liebhaber der Seefahrt und ihrer Geschichte

Erebus
0

Erebus, auch Erebos, in der griechischen Mythologie der Gott der Unterwelt, die Personifikation der Finsternis. Ein Name, der Macht und Stärke vermitteln sollte, und kein schlechteres Omen, keine selbsterfüllendere ...

Erebus, auch Erebos, in der griechischen Mythologie der Gott der Unterwelt, die Personifikation der Finsternis. Ein Name, der Macht und Stärke vermitteln sollte, und kein schlechteres Omen, keine selbsterfüllendere Prophezeiung hätte bedeuten können. Die HMS Erebus verschwand im Jahre 1848 spurlos im ewigen Eis der kanadischen Arktis, 2014 wurde sie wiedergefunden, ein Fund, der eines der größten Traumata der Forschungsgeschichte wieder aufgerissen hat, dem größten Rätsel der Weltmeere elementare Puzzlestücke hinzufügen konnte. Sir Michael Palin, britischer Tausendsassa und einigen vielleicht aus der legendären Monty Python-Crew bekannt, erzählt in diesem Buch die bewegte Geschichte des Schiffes von ihrem Stapellauf 1826 als Bombarde nach den Napoleonischen und Britisch-Amerikanischen Kriegen über ihre Zeit als Patrouillenschiff während des relativen Friedens bis hin zu ihrer zentralen Rolle bei den großen Expeditionen des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach neuen, strategischen Seewegen und Errungenschaften im Bereich des Magnetismus. Mit großer Hingabe und Liebe zum erzählerischen Detail lässt Palin den Geist dieser Zeit auferstehen, beschwört die Fahrten der Erebus in den Polarmeeren herauf, erweckt die Menschen zum Leben, die ihren Weg gekreuzt und ihr eigenes Schicksal untrennbar mit dem Ihren verknüpft haben.

Großartig recherchiert, spannend, informativ und mit den kleinen Zeichnungen und Farbfotos ohne Frage ein kleiner Schatz für Liebhaber der Seefahrt und ihrer Geschichte. Als besonders gelungen empfand ich persönlich die Beschreibungen der zum Teil noch unberührten Natur, erstmals von menschlichem Auge erblickter Vulkane und zu einer unendlich scheinenden Mauer aufgetürmter Eismassen; eine tiefe Ehrfurcht überkam mich beim Lesen angesichts solcher Gewalten. Die detaillierten Beschreibungen der Gepflogenheiten und Lebensumstände damals gerieten mir an mancher Stelle etwas zu ausufernd, die vielen Namen etwas verwirrend, was meinem Lesevergnügen aber nur wenig Abbruch tat - hab dann einfach Abschnitte quergelesen.

Aus dem Englischen von Rudolf Mast.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.04.2024

Eine Geschichte, die unter die Haut geht, von Macht und Autorität und des Missbrauch beidens

Lächeln
0

„Deinem Lächeln kann ich einfach nicht widerstehen, Victor Forde.“

Victor ist Mitte 50 und lebt seit kurzem allein in Dublin; der Sohn ist aus dem Haus, die Liebesbeziehung im Eimer. Die Trennung von ...

„Deinem Lächeln kann ich einfach nicht widerstehen, Victor Forde.“

Victor ist Mitte 50 und lebt seit kurzem allein in Dublin; der Sohn ist aus dem Haus, die Liebesbeziehung im Eimer. Die Trennung von seiner Lebenspartnerin bedrückt ihn sehr, gleichzeitig versucht er, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, endlich wieder etwas Sinnvolles zu schreiben, Bekanntschaften im Pub nebenan zu schließen, in dem er bald Stammgast ist. Hier begegnet er eines Abends auch Edward Fitzpatrick, Eddie, einem unangenehmen, leicht aufdringlichen Mann, der behauptet ein ehemaliger Schulkamerad Victors zu sein und auch Details aus der gemeinsamen Zeit bei den Christian Brothers nennen kann - diesem jedoch gänzlich unbekannt vorkommt. Victor beginnt die zufälligen Treffen mit Eddie und dessen Gesellschaft gleichermaßen zu fürchten wie herbeizusehnen, sehr ambivalente Gefühle löst die stark physische Präsenz des Mannes in ihm aus und bringt ihn dazu, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, die Bilder von früher nach diesem Gesicht abzusuchen, Erinnerungen abzugleichen.

„Lächeln“ ist eine Geschichte, die unter die Haut geht, eine Geschichte von Macht und Autorität und des Missbrauch beidens, die nicht neu ist, und doch nicht oft genug erzählt werden kann. Roddy Doyle hat einen sehr eigenen, authentischen Erzählton, der auch in der starken Übersetzung von Sabine Längsfeld bestehen bleibt; etwas distanziert, fast lakonisch, ohne viel Aufhebens und Tamtam. Es ist kein lautes Buch, keine bildgewaltige Geschichte, wenn auch mit einem überraschenden Twist am Ende. Manches bleibt im Ungewissen und zwischen den Zeilen, verliert dadurch aber nicht an Eindringlichkeit, im Gegenteil. Er schwirrt mir auch nach Tagen noch im Kopf herum, dieser Mann, dessen Schmerz ein Kollektiver ist, dessen Geschichte stellvertretend für die Vieler steht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere