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Veröffentlicht am 03.08.2024

Schlecht Gendern kann er gut

Die Geschichten in uns
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Ich habe bisher noch kein Buch von Benedict Wells gelesen, es mag an den Themen liegen oder an der Menge der Bücher, die jährlich erscheinen. Auch wer gerne liest, schafft nicht alles. Also dachte ich ...

Ich habe bisher noch kein Buch von Benedict Wells gelesen, es mag an den Themen liegen oder an der Menge der Bücher, die jährlich erscheinen. Auch wer gerne liest, schafft nicht alles. Also dachte ich mir, wenn dieser Autor nun übers Schreiben schreibt, warum nicht, das interessiert mich, und will ich wissen, wie er es geschafft hat, zum berühmten Diogenes Verlag zu kommen. Ich erfuhr: es war ein steiniger Weg. Aber er war erfolgreich und unterdessen sind seit 2008 so einige Romane von Wells über den Ladentisch gegangen und in unfassbar viele Sprachen übersetzt worden. Wenn so viele ihn mögen, muss doch etwas dran sein, war da mein Gedanke. Ich glaube, das stimmt sogar, dieser Benedict Wells kann schreiben, er schreibt schnell lesbare und flüssige Texte, streut Ironie und Selbstkritik ein – hier im beschriebenen Buch ist das jedenfalls so. Und er erzählt ein bisschen von seiner Familiengeschichte und seiner eigenen Biografie. Etwas ungewöhnlich ist diese, besser gesagt, dieses Künstlerleben fällt schon aus der Reihe. Besonders seine Kindheit und Jugend ist halbvoll von unangenehmen Erlebnissen, aber der Liebe zu den Eltern tut das keinen Abbruch, und das Aufwachsen in Internaten ist gewiss prägend für sein späteres Dasein.
Was mich zumindest innig mit Wells verbindet, ist seine Leidenschaft für John Irving. Ich las Das Hotel New Hampshire und andere Romane mit Ende 20 im Original und konnte nie mehr von Irving lassen.
Wells lässt den Leser also hinter seinen Vorhang schauen und es macht auch Spaß, ihm zu folgen, wäre da nicht das permanente Gendern, das mich bei der Lektüre total aus der Bahn geworfen hat.
Das Buch strotzt von „Autor:innen, Leser:innen, Anfänger:innen, …“, als ich dann die Danksagung erreicht hatte, kam es ganz dicke „Liebe Diogenes:innen“…“. Die geschlechtergerechten Partizipialkonstruktionen erwähne ich gar nicht erst. Mir tut das jedenfalls in meiner deutschen Bücherseele weh, dieses Buch so verhunzt zu sehen. Wells bezieht sich u. a. in seinen Erinnerungen auch auf einen Spiegel-Artikel von Verena Carl vom 26.09.2004. Zu der Zeit wurde aber noch nicht gegendert, Zitat aus dem Artikel von Carl: „Auf den ersten Blick schon: Jungautoren mit Substanz wie Judith Hermann haben sich gehalten, um literarische Dampfplauderer ist es nicht weiter schade.“ Die Erwähnung von „Jungautoren war damals noch legitim, selbst wenn es um weibliche Autoren ging. Wells impliziert so, dass das Gendern ihm eigentlich fast angeboren ist. Empfinde ich als Verfälschung. Zumindest gab es beim jungen Wells noch ein „Studentenleben“!
Wells hat wirklich kluge Gedanken geäußert, gerade im zweiten Teil könnten potentielle Schriftsteller so einiges lernen, das fürs Erstlingswerk sehr wichtig wäre, auch wenn mir nicht alles, was er empfiehlt, praktikabel erscheint.
Wells hat dann doch noch den Bogen gekriegt, wenn er schreibt: „Oder wie der Sprachkritiker Wolf Schneider sagt: »Beim Text muss sich einer quälen, der Absender oder der Empfänger. Besser ist, der Absender quält sich.«“ Bei mir war es wohl eher umgekehrt.
Mir hat tatsächlich der erste, aufschlussreiche biografische Teil sehr gefallen, aber richtig am gesamten Buch freuen kann ich mich nicht. Schade.
Aber: man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, deshalb habe ich mir nun „Hard Land“ gekauft, um den Romanautoren Benedict Wells besser kennenzulernen. Es ist zwar als „Jugendbuch“ bekannt geworden, aber das stört mich auch im Alter nicht! Und im Gegensatz zu dem hier rezensierten Sachbuch fand ich in seinem Roman zumindest auf den ersten dreißig, vierzig Seiten keinen Gender-Doppelpunkt. Wie er mir inhaltlich gefällt, werde ich in einer anderen Rezension schreiben. Dass mich der Schreibstil von Wells sehr anspricht, habe ich ja schon erwähnt.
3 Sterne, mehr werden es trotzdem nicht.

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Veröffentlicht am 02.08.2024

Leider nicht mein Romanstil

Das Pfauengemälde
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Ich habe mich um dieses Buch als Rezensionsexemplar beworben, da mir die Leseprobe und die kurze Inhaltsangabe sehr interessant erschienen. Aber leider wurde ich mit fortschreitender Geschichte sehr enttäuscht.
Ana, ...

Ich habe mich um dieses Buch als Rezensionsexemplar beworben, da mir die Leseprobe und die kurze Inhaltsangabe sehr interessant erschienen. Aber leider wurde ich mit fortschreitender Geschichte sehr enttäuscht.
Ana, die den deutschen und den rumänischen Pass besitzt, schon lange in Deutschland lebt, fährt nach Rumänien in die familiäre Vergangenheit. Der Tod ihres Vaters, der dort verstorben ist, liegt ihr wie ein Stein auf der Seele, nun will sie endlich ihr Erbe antreten und bemüht sich ehrlich um ein echtes Ankommen in Rumänien. Das fällt ihr schwer, die vielen, verwirrend vielen Angehörigen machen es ihr nicht leicht, aber auch in der rumänischen Bürokratie verfängt sie sich. Ihr Vater hat immer von einem Bild, dem Pfauengemälde, gesprochen, dass ihr Erbe sein soll. Zeitweise zweifelt man im Roman, ob es überhaupt vorhanden sein wird in den verschlungenen Katakomben der Bürokratie. Besonders, weil das sogenannte Rumänienhaus, das wohl das enteignete Haupteigentum der Familie ist, eine so vorrangige Rolle spielt.
Schon zu Beginn des Romans wird klar, dass Ana psychische Probleme hat, und so verwirrt wie ihre Gedanken sind, so verwirrend ist auch der Fortgang der Geschichte. Die Gedankensprünge vorwärts, rückwärts und wieder ins Jetzt und die Vergangenheit machten mir das Lesen nicht gerade angenehm. Ihre problematischen Liebesbeziehungen kommen hinzu.
Interessant ist für mich das Land Rumänien, ich habe es bisher nicht besucht und auch meine Lektüre ging kaum in diese Richtung. So gibt es im Buch doch auch Eindrücke, die ein wenig das Unstete und Wilde dieses Landes erklären. Was mir so gar nicht geholfen hat, waren die Spaziergänge zu den rumänischsprachigen Straßen und Plätzen. So, wie ich gern ein Personenverzeichnis gehabt hätte zur Orientierung, hätte mir z. B. auf dem Vorsatzpapier gut eine Straßenkarte vorstellen können. Ein paar Übersetzungen der rumänischen Einsprengsel wären auch hilfreich gewesen. Nicht alles hat sich mir sofort erschlossen.
Aus meiner Sicht hat die Autorin in ihrem Erstlingsroman zu viel gewollt und sich dadurch etwas verzettelt.
Das Ende ist nicht das, was ich erwartet hätte, aber es hat mich berührt.
Gute 3 Sterne.

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Veröffentlicht am 11.07.2024

Unschlüssig, ihretwegen

Seinetwegen
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Der Klappentext verspricht eine spannende Suche nach dem Mann, der das Leben der Autorin wie auch ihrer Familie beschädigte und erschütterte. Die Autorin ist nur acht Monate alt, da reißt ein unvorsichtiger, ...

Der Klappentext verspricht eine spannende Suche nach dem Mann, der das Leben der Autorin wie auch ihrer Familie beschädigte und erschütterte. Die Autorin ist nur acht Monate alt, da reißt ein unvorsichtiger, draufgängerischer Fahrer ihren Vater in den Tod. Sie wagt kaum, mit der Mutter darüber zu sprechen, um diese nicht zu verletzen. Nun ist die Mutter dement, die Autorin 60 Jahre alt, über alles ist eigentlich Gras gewachsen, aber die Unruhe bleibt. So beginnt Zora del Buono, Nachforschungen anzustrengen, die sie bis dahin nicht wagte. E. T. sind die Initialen des „Töters“ ihres Vaters. Das Geschehen und die Suche in den kleinen Schweizer Orten sind schwierig und nervenaufreibend. Zwischenzeitlich finden immer wieder Gespräche mit ihren Freunden statt, die mir sehr gefallen haben, jeder hat ein Schicksal, jeder macht sich Gedanken, gibt seine Gefühle preis. Dann aber schweift die Autorin ab in historische Sphären der Schweizer Dörfer, die aus meiner Sicht nicht ins Geschehen passen, auch wenn sie ihr bedeutsam erscheinen. Gerade die langen Zitate lenken ab von der Suche, vom Motiv, das sie bewegt. Und so kommt es, dass ich am Ende nicht mehr genau definieren kann, hat sie das Buch Seinetwegen genannt und meint den „Töter“ oder meint sie den verlorenen Vater. Das Buch hätte auch Ihretwegen heißen können, dann wäre die Widmung an die Mutter schlüssig. Oder sie hätte es Meinetwegen genannt, dann wäre sie ehrlich zu sich selbst, dass sie die beschwerliche und psychisch anstrengende Recherche eigentlich nur für sich selbst unternommen hat, um endlich Ruhe zu finden. Die Passagen über ihre Mutter, ihr inniges und trotzdem zuweilen gestörtes Verhältnis haben mir sehr gefallen, vielleicht, weil auch ich allein bei meiner Mutter aufgewachsen bin. Dass das nicht ohne Konflikte geschieht, kann ich bestätigen.
So bin ich am Ende wirklich unschlüssig, wie ich diese Geschichte einordnen soll. Ich verstehe, dass man das Leben des eigenen Vaters erkunden möchte, ich habe das aus anderen Gründen auch selbst getan. Und erkannt: irgendwann ist Schluss, man muss aufhören zu forschen und das Gefundene bewahren, nicht zerstückeln.
Ob und wie der E. T. gefunden wird, bleibt an dieser Stelle mein Geheimnis.
Der Schreibstil ist aufrichtig und trotzdem locker, man liest das Buch leicht, auch wenn plötzliches Entsetzen oder eine gewisse Verzweiflung aufkommen wollen. Friedvoll fügen sich Kindheitserinnerungen in die Geschichte ein.
Fazit: eine Empfehlung kann ich nicht aussprechen, weil jeder auf derart fragmentarische, autofiktionale Romane anders reagiert. Für mich ein schwieriges Buch und ein schwieriges Thema, trotzdem haben mir viele Passagen gut gefallen, insbesondere auch die authentischen Fotos. Ich gebe gute 3 Sterne.

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Veröffentlicht am 13.06.2024

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Die Doppelte Frau
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Die Coverrückseite verspricht einen Krimi Noir in der Atmosphäre des „Dritten Manns“, Ort des mysteriösen Geschehens ist Salzburg im Jahr 1946. So weit, so gut, dem kann ich beipflichten, beim Lesen hatte ...

Die Coverrückseite verspricht einen Krimi Noir in der Atmosphäre des „Dritten Manns“, Ort des mysteriösen Geschehens ist Salzburg im Jahr 1946. So weit, so gut, dem kann ich beipflichten, beim Lesen hatte ich tatsächlich das Gefühl, die Titelmelodie von Der dritte Mann spielt ab und an im Hintergrund. Die wahre Geschichte der Fotografin Betty Steinhart aber steht aus meiner Sicht zwar gedanklich im Mittelpunkt, aber man kommt ihr kaum näher, das erlaubt die Autorin dem Leser erst im Anhang. Da ist ein kurzer Lebenslauf beigefügt. Das Cover verführt übrigens direkt zum Zugreifen und Kaufen, passt gut zur Nachkriegszeit.

Die Protagonisten sind als geheimnisumwitterte Individuen angelegt, aber die abrupten Personenwechsel in der Ich-Form haben mich nicht gepackt. Wenn ich mehrmals ein neues Kapitel lese, und bin mir nicht im Klaren, wer da spricht und denkt, vergeht irgendwann mein Interesse, weil ich durch den Schreibstil abgelenkt werde. Ich habe dann auch mitten im Buch erst einmal den Anhang gelesen, um mir ein Bild zu machen, worum es gehen soll. Aber beim Weiterlesen stellte ich fest, dass auch das nicht hilfreich war.

Harry, der amerikanische Besatzungsoffizier, Max der undurchsichtige „Privatdetektiv“ (ich schreibe das in Anführungsstrichen, weil mir das sehr merkwürdig erschien in dieser Geschichte), Eva, die geheimnisvolle Frau, ob doppelt oder nicht, entscheidet am Ende wohl der Leser, zwischendurch ein paar andere Leute, alles diffus. Trotzdem konnte ich mir die Charaktere der drei „Hauptdarsteller“, um im Filmjargon zu bleiben, recht gut vorstellen.

Um das chaotische Geschehen zu untermalen, sind Graphic-Novel-Seiten eingefügt. Mit denen konnte ich persönlich nichts anfangen, aber ich bin auch kein Comic- oder Graphic-Novel-Fan, das ist also sehr subjektiv. Für mich kein Mehrwert. Da waren die Fotos aus dem Atelier Ellinger schon interessanter, wobei ich die Bilderklärungen gern auf der Seite der Bilder gesehen hätte und nicht im Anhang. Das ohnehin schon holprige Lesen wurde durch das Hin- und Herblättern immer wieder unterbrochen, auch wenn im Fließtext ja teilweise die Erklärungen zu finden waren.

Eine Vermengung von Fiktion und Realität gefällt mir eigentlich immer gut, aber wenn die Realität beschrieben wird, sollte die auch stichhaltig sein.

Biografische Romane, auch Kriminalromane, können die Leserschaft durch den historischen Hintergrund eigentlich fesseln, bei Die doppelte Frau ist das aus meiner Sicht nicht ganz gelungen. Das Rätsel Betty Steinhart wird auf sehr bruchstückhafte Weise dargestellt, für sie empfinde ich als Leser überhaupt nichts, obwohl sie die tragischste Figur ist. Schade.

Fazit: Nicht Fisch, nicht Fleisch – nicht richtig Krimi, nicht richtig Roman, nicht richtig Graphic Novel, nicht richtig Biografie – von allem etwas, aber nichts, was mich besonders bewegt hat.

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Mord am Gardasee

Was der See birgt
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Lenz Koppelstädter steht bei mir mit seinen Südtirolkrimis um Kommissar Grauner hoch im Kurs. Jetzt nun tritt in der neuen Krimiserie mit Gianna Pitti, Polizeireporterin einer Lokalredaktion in Riva, auf ...

Lenz Koppelstädter steht bei mir mit seinen Südtirolkrimis um Kommissar Grauner hoch im Kurs. Jetzt nun tritt in der neuen Krimiserie mit Gianna Pitti, Polizeireporterin einer Lokalredaktion in Riva, auf den Plan. Es ist nicht nur ein geografischer Sprung in den Süden, es ist auch eine ganz andere Art Krimi, die ich als Lektüre hatte.
Der Autor beschreibt nicht nur die Umgebung von Riva, das Flair des Sees, die Natur und das Wetter sehr anschaulich, er stellt auch seine neuen Protagonisten vor. Gianna ist gerade nicht vom Glück verfolgt, sie wohnt zeitweilig wegen eines Wasserschadens bei ihrem Onkel, einem nicht mehr ganz so hochrangigen Adligen, zwei Katzen vollenden die Wohngemeinschaft.
Abends noch traf Gianna ihren lange nicht mehr gesehenen Bekannten, am nächsten Morgen blickt sie als Reporterin in sein totes Gesicht. Viel schlimmer kann ein Tag kaum beginnen. Macht sie sich verdächtig, wenn sie sagt, wer der Tote ist? Noch hält sie ihr Wissen zurück und der Leser fiebert mit ihr um den Fortgang der Geschichte. Mehr will ich nicht verraten.
Fazit: eine neue Reihe hat das Licht der Welt erblickt, ich bin gespannt, ob der 2. Fall mich mehr fesselt.

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