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Veröffentlicht am 02.04.2024

Auf dem Bauernhof sind Kinder zum Arbeiten da…

Mühlensommer
0

Maria freut sich auf ein entspanntes Bergwochenende mit Freunden und ihren zwei Teenagertöchtern, da holt sie ein Anruf ihrer Mutter aus allen Plänen, der Vater ist verunglückt, sie muss sofort kommen ...

Maria freut sich auf ein entspanntes Bergwochenende mit Freunden und ihren zwei Teenagertöchtern, da holt sie ein Anruf ihrer Mutter aus allen Plänen, der Vater ist verunglückt, sie muss sofort kommen und auf dem heimischen Hof helfen. Der Kontrast zu ihrem Stadtleben als Werbeexpertin mit eigener Agentur könnte größer kaum sein. So wie sie aufgewachsen ist, findet sie auch nun den Bauernhof, mit Kühen, Schweinen, Hühnern, und der alten Mühle wieder vor. Der unverhoffte Besuch ihrer Heimat und Familie entwickelt sich immer mehr zu einer Erinnerungsreise und nicht zuletzt einem Wiederfinden ihrer Wurzeln.

Abwechselnd erzählen in Mühlensommer zum einen die junge Maria über das Aufwachsen auf dem Hof mit allen Entbehrungen, viel Arbeit, aber ebenso Freiheiten und Freuden. Und zum anderen reflektiert in der Gegenwart die erwachsene Maria über ihr Leben und was für sie Heimat bedeutet.

Das Buch überzeugt mit authentischen Einblicken in das Aufwachsen auf dem Bauernhof, Schlachtungen, Geburten und auch die Hopfenernte werden wirklichkeitsgetreu und wo angemessen humorvoll beschrieben. Sprachlich konnte mich der Roman jedoch nicht überzeugen, oft sind Formulierungen recht blumig. Vermutlich hätte eine tatsächlich autobiografische Umsetzung mehr meinen Geschmack getroffen, denn sowohl inhaltlich als auch sprachlich haben mir die Passagen am besten gefallen, in denen ohne viel sprachliche „Dekoration“ das Leben auf dem Bauernhof beschrieben wird.

Mühlensommer ist ein warmherziger, authentischer Roman über das Aufwachsen auf dem Land, der mich inhaltlich sehr angesprochen hat, jedoch sprachlich nicht ganz überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 08.01.2024

Stilistisch gelungen, doch Gewalt und Sex machen noch keine Gesellschaftskritik

Julia
3

1949 veröffentlichte George Orwell 1984 als dystopisches, gesellschaftskritisches Werk. Im Mittelpunkt stand Winston Smith, der im Laufe der Handlung eine Affäre mit Julia Worthing eingeht. In Julia 1984 ...

1949 veröffentlichte George Orwell 1984 als dystopisches, gesellschaftskritisches Werk. Im Mittelpunkt stand Winston Smith, der im Laufe der Handlung eine Affäre mit Julia Worthing eingeht. In Julia 1984 erzählt Sandra Newman die Geschichte neu, diesmal aus der Perspektive Julias. Kann das funktionieren? Soll es das überhaupt?

Die Geschichte orientiert sich zunächst am Originaltext und entwickelt diesen aus der Perspektive Julias und insbesondere im dritten Teil auch in der Handlung weiter. Für mich funktioniert dies im Jahr 2023 nur begrenzt.

Während mich die erste Hälfte des Buchs noch interessiert die sprachlich durchaus flüssige Handlung hat verfolgen lassen, konnte der weitere Verlauf und das Ende meine Erwartungen nicht erfüllen. Was habe ich erwartet? Einen klugen gesellschaftskritischen Roman aus moderner weiblicher Perspektive, der die gesellschaftlichen Entwicklung der vergangenen 70 Jahre berücksichtigt und dabei geschickt an Orwells 1984 anknüpft.

Vor diesem Hintergrund hätte ich mir mehr gesellschaftspolitische und historische Reflexion von der Autorin gewünscht. Orwell hat 1984 erstmalig 1949 veröffentlicht. Damit hat er bei Ersterscheinen mit Blick auf spätere gesellschaftliche Entwicklungen eine Form von Weitsicht, intendiert oder nicht, bewiesen. Im Jahr 2023 geschrieben funktioniert das ursprünglich als Dystopie entworfene Setting nur noch sehr begrenzt. Zu sehr erinnern Praktiken und Szenen von Manipulation, Folter und seelischem wie körperlichen Missbrauch an die Realität totalitärer Systeme der Vergangenheit und staatliche Verbrechen jenseits von Rechtsstaatlichkeit seit der Ersterscheinung, auch in der Gegenwart. Indem Newman den Roman unreflektiert ohne aktuelle Gesellschaftskritik als schlichten dystopischen Unterhaltungsroman weiter konstruiert, werden die grausamen Parallelen darin in Vergangenheit und Gegenwart karikiert und damit letztlich zu Unterhaltungszwecken degradiert.

Es war für mich das erste Mal, dass ich mich emotional für ein Buch und das Weiterlesen rüsten musste. Einige Szenen in der Folter hätten für mich in der Form nicht sein müssen. Für eine Gesellschaftskritik muss und möchte ich nicht im Detail beschrieben lesen, wie ein Mensch einer Ratte den Kopf abbeißt. (Ein kleiner Spoiler, den ich mir jedoch als Triggerwarnung im Vorfeld gewünscht hätte)

Auch die große Rolle, der die Autorin Julias Sexleben einräumt, wirkte in der Intensität und Wortwahl auf mich nur begrenzt in der Handlung begründet, vielmehr scheint es wie beim Thema Gewalt primär um Effekt und Unterhaltung zu gehen. Sex und Gewalt um ihrer selbst Willen ohne tieferen Erklärungsgehalt für die Handlung sind mir vor diesem Hintergrund zu wenig und stoßen mich eher ab.

Die Charaktere waren für mich nicht immer konsistent in ihren Aussagen und Handlungen gezeichnet. Gerade das Ende wirkte auf mich konstruiert, zu viele zufällige Ereignisse, die plötzlich wie durch magische Hand einen bestimmten Weg vorzeichneten, und das im Kontrast zur absoluter Stagnation und Resignation über weite Teile des restlichen Buchs, die jedoch als Ausdruck der Hoffnungslosigkeit im Originaltext durchaus passend sind.

In Orwells 1984 lag für mich das zentrale Verdienst in seiner gesellschaftskritischen Analyse. Dies kann Sandra Newman mit Julia 1984 nicht einlösen und für mich bleibt auch unklar, welche relevante Botschaft über den Originaltext hinaus Newman vermitteln möchte mit Julia, bzw. ob sie das überhaupt möchte. Die Chance mit Julia einen neuen weiblichen Klassiker, der Orwells Gesellschaftskritik aufgreift und neu schreibt, zu erschaffen, hat die Autorin leider vertan. Für mich war das Buch daher zwar interessant und grundsätzlich auch gut geschrieben, inhaltlich konnte es mich jedoch nur begrenzt überzeugen und stellt damit für mich leider auch kaum einen zusätzlichen Mehrwert zum Originaltext dar. Trotzdem lädt der Text zu einer Wiederentdeckung von 1984 und einer Reflexion autoritärer Tendenzen und Massenmanipulation mit Fakenews in der Gegenwart ein und kann damit die gesellschaftliche Debatte bereichern. Ebenso als „einfacher“ dystopischer Roman mit weiblicher Hauptrolle funktioniert der Roman, hier eben dann, wenn man ihn nicht zu Orwell ins Verhältnis setzt. Mein Fazit ist daher sehr durchwachsen, mit bedingter Leseempfehlung.

Menschen, die sensibel auf Beschreibungen von Fehlgeburten, Folterszenen und derbere Sprache in Bezug auf Sex reagieren, würde ich das Buch nicht empfehlen.

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Veröffentlicht am 06.10.2023

Im freien Fall

Die Farbe der Sprachlosigkeit
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Als Dana eine auffällige Stelle an ihrem Hals entdeckt, beginnt für sie ein Teufelskreis aus dem sie verzweifelt einen Ausweg sucht. Dana, erfolglose Drehbuchautorin, in einer unglücklichen Beziehung mit ...

Als Dana eine auffällige Stelle an ihrem Hals entdeckt, beginnt für sie ein Teufelskreis aus dem sie verzweifelt einen Ausweg sucht. Dana, erfolglose Drehbuchautorin, in einer unglücklichen Beziehung mit Architekt Jan, findet keine Worte für das was mit ihr nach der Abklärung beim Arzt passiert, obwohl dieser beschwichtigend zur Gelassenheit und weiterer Diagnostik rät. Sprachlosigkeit und Angst übermannen Dana, doch geht es wirklich um den Fleck oder ist ihr Leben schon zuvor aus den Fugen geraten, hat Dana den Anschluss an sich selbst, zu ihrem eigenen Glück verloren?

Das Thema Angsterkrankungen finde ich sehr wichtig und auch im Roman grundsätzlich gut umgesetzt. Ob es dazu jedoch die Verdachtsdiagnose einer derart schweren Erkrankung brauchte, die für sich mit ganz eigenen Ängsten unabhängig von Angsterkrankungen, einhergeht, würde ich offen lassen. Hier fehlt mir die Differenzierung zwischen berechtigten Ängsten als nachvollziehbare Reaktion auf eine schwere Erkrankung auf der einen und vollkommen irrealen Ängsten mit unangemessener und nicht zuletzt ungesunder Reaktion im Rahmen einer Angsterkrankung auf der anderen Seite.

Nach meinem Geschmack hätte zudem der Schwerpunkt mehr auf dem tatsächlich Stellen der Ängste liegen können. Letztlich sind es nur wenige Seiten und Zeilen, die der eigentlichen Konfrontation und gesunden Strategie zum Umgang damit gewidmet sind. Wobei letzteres nur im Ansatz thematisiert wird.

Sprachlich schafft die Autorin immer wieder sehr schöne und ausdrucksstarke Bilder, wie selbst bereits der Titel mit der Farbe der Sprachlosigkeit. Dies hat mir gut gefallen.

Die Ausgabe ist sehr schön und liebevoll gebunden, mit Lesebändchen.

Insgesamt ein thematisch sehr wichtiges Buch, mit teilweise schönen sprachlichen Bildern, dass mich in der Konstruktion und dem Aufbau der Geschichte jedoch nicht ganz überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 06.10.2023

Im Herzen der Gewalt

NOVA
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Ruht die Fähigkeit zur Gewalt, gar der Wille dazu, in uns allen? Und was bedeutet dies für die Gesellschaft? Diese spannenden Fragen stehen im Mittelpunkt von Nova.

Die Kleinstadt Lucca, der Neurochirurg ...

Ruht die Fähigkeit zur Gewalt, gar der Wille dazu, in uns allen? Und was bedeutet dies für die Gesellschaft? Diese spannenden Fragen stehen im Mittelpunkt von Nova.

Die Kleinstadt Lucca, der Neurochirurg Davide, seine Frau Barbara, Logopädin, der jugendliche Sohn Tommaso, ein Übergriff auf Barbara in einem Restaurant, der von einem zunächst Fremden für sie gelöst wird. Das sind die Eckdaten und Ausgangssituation von Nova.

Davide beginnt nicht weniger als eine Transformation im Laufe des Romans, sein Denken und Handeln in Bezug auf Gewalt verändern sich und damit wird auch er ein anderer. Doch zu welchem Preis?

Der Roman ist wirklich hervorragend geschrieben und übersetzt, man meint eine echte Liebe zur Sprache zu erkennen und was diese ausdrücken kann. Umso bedauerlicher ist daher, dass die Figuren seltsam blass bleiben, man erfährt kaum etwas über echte Emotionen dieser. Stattdessen gibt es einige Längen, die weder dem Hauptplot noch einer echten Charakterverdichtung der Protagonisten und Protagonistinnen dienen. Thematisch entsteht der Eindruck, dass der Autor mit viel Raffinesse und Talent mit den Ausdrucksformen der Sprache spielt, darüber jedoch Substanz und Inhalt aus dem Fokus geraten. Gewalt als Mittel und Form, obwohl Hauptthema des Buches, wird letztlich auch ideengeschichtlich nur oberflächlich und einseitig betrachtet, auch die Komplexität sozialer Beziehungen wird nur unzureichend erfasst, und ausschließlich im Kontext Gewalt und Männlichkeit, dargestellt.

Der Roman ist gespickt mit medizinischen Fachbegriffen, die die Geschichte zwar authentisch machen, schließlich ist Davide Neurochirurg, jedoch das Lesen zuweilen beschweren, wenn man mit dem Vokabular nicht vertraut ist und gleichzeitig den Anspruch hat, das Gelesene zu verstehen. Da ich mir tatsächlich oft das Gelesene bildlich vorstelle, brauchte ich hier „Übersetzungen“. Es wäre schön, wenn zumindest sehr spezielles Vokabular vielleicht im Anhang oder einer Fußnote erläutert würde.

Das Cover finde ich sehr passend, es hat etwas Eruptives, das sich auch im Roman, im positiven Sinne widerspiegelt.

Ich hatte mich sehr auf den Roman gefreut, da ich Thema und Beschreibung sehr interessant fand. Sprachlich wurde ich nicht enttäuscht, inhaltlich hat der Autor das Potential, sowohl sein eigenes als auch des Themas, nach meinem Empfinden jedoch leider nicht ausgeschöpft.

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Veröffentlicht am 02.05.2024

Dauererregung und Polarisierung sind eine Gefahr für unsere Demokratie und gehen damit uns alle etwas an

Heult leise, Habibis
5

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene ...

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene Stimmen in den Hintergrund geraten und so letztlich auch in den Debatten um die Zukunft unserer Demokratie fehlen. Die Autorin liefert interessante Denkanstöße und sensibilisiert für gesellschaftliche und diskursive Dynamiken, die letztlich unsere Demokratie bedrohen können. Der Schreibstil ist eingängig und leicht zu folgen.

Was mich nicht überzeugt hat, ist das fast vollständige Ausblenden struktureller Faktoren in der Analyse bei gleichzeitiger Überbetonung diskursiver und psychoanalytischer Elemente, die vermeintlich monokausal zu bestimmten gesellschaftlichen Konsequenzen führen. So wird beispielsweise der NSU als Folge der von der Autorin beschriebenen kommunikativen Dynamik genannt. Hier bedient die Autorin sich ähnlicher Werkzeuge, die sie an anderer Stelle kritisiert. Während sie Ideologisierung und Polarisierung über weite Strecken sehr gut und nachvollziehbar als problematisch herausarbeitet, zur besonnenen Reflexion aufruft, verfällt die Schrift selbst im Verlauf in den Dienst der Proklamation sehr einseitiger Positionen der Autorin und der Überlegenheit eines wirtschaftsliberalen Konservatismus.

Insbesondere in der zweiten Hälfte verliert das Buch damit für mich an Stärke. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verfestigt, dass zunehmend einige Gedankengänge und Argumente in sich inkonsistent, eindimensional und auch redundant sind, andere scheinen wiederum selbst einer Aufmerksamkeitslogik zu folgen, wie wenn die Autorin unter Orgasmische Polarisierung die Sexualisierung von Polarisierung ausführt. Von einem soziologisch und sozialpsychologisch geschulten Lektorat hätte die Schrift sicher profitiert, insbesondere mit Blick auf die einschlägigen theoretischen Grundlagen zu sozialer Identität und Intergruppenkonflikten.

Einer starken ersten Hälfte, die viele wichtige Denkanstöße liefert und mit einer erfrischend ausgewogenen Analyse und Betrachtung überzeugt, steht so ein deutlich schwächerer zweiter Teil gegenüber, in dem die Autorin in der Umsetzung dem eigenen, zuvor formulierten Anspruch leider nicht gerecht werden kann. Das Ziel der Schrift bleibt damit letztlich unklar.

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