Polizeiarbeit und Gesellschaftsbild der 70er Jahre
„Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee“ von Mathias Berg ist bereits der zweite Band dieser Reihe mit 70er Jahre-Flair, in deren Mittelpunkt die ersten weiblichen Kriminalbeamtinnen Deutschlands ...
„Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee“ von Mathias Berg ist bereits der zweite Band dieser Reihe mit 70er Jahre-Flair, in deren Mittelpunkt die ersten weiblichen Kriminalbeamtinnen Deutschlands stehen.
Klappentext:
Februar 1970: Der Millionär Theo Ellerbeck wird vor seiner Villa mit acht Schüssen getötet. Er hinterlässt eine schöne Ehefrau sowie eine auffällig schweigsame Tochter. Ellerbeck war allseits beliebt und hatte großen Einfluss in der Düsseldorfer Kulturszene. Wer profitiert vom Tod des Mannes, der offenbar keine Feinde hatte? Lucia Specht und ihre Kolleginnen vom Düsseldorfer Präsidium übernehmen den Fall und stoßen auf Ungeheuerliches in vornehmen Kreisen.
Das Cover ähnelt im Stil und in der Farbgebung jenem vom ersten Band, hat somit einen gewissen Wiedererkennungswert, und es passt auch zu den 70er Jahren. Das Buch erschien 2024. Es gliedert sich in drei Teile, innerhalb dieser wiederum in Kapitel mit angenehmer Länge, die zum Teil datiert sind, wodurch der chronologische Ablauf gut nachvollziehbar ist. Der Handlungszeitraum umfasst zwei Wochen von Ende Februar bis Mitte März 1970. Die Handlung setzt ca. ein halbes Jahr nach Ende des ersten Bandes ein.
Da ich auch den ersten Band gelesen hatte, war ich nach wenigen Seiten wieder vertraut mit dem Team. Ich denke, dass auch Quereinsteiger problemlos in den Kriminalfall hineinkommen. Soweit erforderlich sind Hinweise zur Vorgeschichte vorhanden. Dennoch, die Charaktere und deren Entwicklung offenbaren sich noch besser, wenn man den ersten Band auch kennt.
Abgesehen von dem ziemlich komplexen Fall stehen vor allem die ersten Kriminalistinnen im Mittelpunkt, sechs taffe Frauen, die sich nicht nur kriminalistisch bewähren, sondern sich insbesondere im von Männern dominierten Polizeiapparat behaupten müssen. Die Handlung des Romans ist zwar erfunden, doch basiert sie auf einer Tatsache. Dieses Experiment „Frauen bei der Kriminalpolizei“ ab dem Jahr 1969 gab es tatsächlich. Auch der Fall Ellerbeck ist an einen wahren Fall angelehnt.
Der Schreibstil liest sich flüssig, die Sprache ist jener Zeit angepasst. Ich konnte mich sehr gut in jene Zeit zurückversetzen, in meine Teenagerzeit. Viele Erinnerungen ploppten auf, natürlich die langen Haare, die bunte Mode, aber auch Telefonate aus Telefonzellen, überall wurde geraucht, Flaschen, in die man Kerzen steckte, an denen das Wachs herunterlief, Olivetti-Schreibmaschinen, u.v.a.m. Für mich sind Krimis, die noch zu Zeiten ohne Internetrecherchen spielen, immer sehr reizvoll. Da kommt es noch viel mehr auf den Spürsinn der Ermittler an. Der Autor zeichnet ein authentisches Bild der damaligen Zeit, mit deutlichem Fokus auf das damalige Frauenbild, die Abhängigkeit der Frauen von den Ehemännern, die bestimmen durften, ob man und welchen Beruf man ausübt, dieses „Frauen-gehören-hinter-den-Herd“-Denken bis zu der übergriffigen und herabwürdigenden Art und Weise, wie sich Männer, auch Kollegen gegenüber Frauen benahmen. Me-Too und Political Correctness gab es noch nicht. Des Weiteren wird auch Homosexualität thematisiert, damals nicht nur gesellschaftlich verpönt, sondern sogar strafbar.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Lucia Specht, eine dieser jungen Frauen, die sich zur Kriminalbeamtin ausbilden lassen. Die Geschehnisse werden in Ich-Form aus ihrer Perspektive geschildert. Man ist einerseits mitten drinnen in den Ermittlungen, in den offiziellen ebenso wie in Lucias persönlicher Recherche, erfährt ihre Gedanken, lernt ihre Familie kennen. Ihre Ziele verfolgt sie hartnäckig und manchmal zu impulsiv und leichtsinnig. Noch fehlt Lucia privat ein kongenialer Partner. Es wird interessant, ob sich die Beziehung zu Johannes in Zukunft vertiefen wird. Nicht nur Lucia, sondern ihre Kollegenschaft u.a. Nebenfiguren zeichnen sich durch markante Eigenschaften und Verschiedenartigkeit aus, wirken lebendig, mehr oder weniger sympathisch und sind gut vorstellbar beschrieben.
Im Prinzip sind es zwei miteinander verwobene Handlungsstränge – der aktuelle Fall des erschossenen Millionärs und ein Cold Case, der mysteriöse Unfalltod von Lucias Mutter im Jahr 1959. Die Handlung ist abwechslungsreich, es mangelt weder an Verdächtigen noch an Verwicklungen und Verwirrungen. Immer wieder ist man mit unerwarteten Wendungen konfrontiert, bis sich letztlich, nach einigen irreführenden Fährten, prickelnden Spannungsmomenten und Action, in einem dramatischen Finale fast alles endgültig klärt, wie gesagt, fast alles.
Mit „Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee“ ist dem Autor ein packender Fortsetzungsroman gelungen. Es ist wiederum eine gut dosierte Mixtur aus Kriminalfall und Zeitbild. Ich sehe mit großem Interesse und Ungeduld dem nächsten Band entgegen und das nicht nur wegen des fiesen Cliffhangers am Schluss.
Eine unbedingte Leseempfehlung! 5 Sterne.