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Veröffentlicht am 28.06.2024

Eine Million Likes für dieses Buch

VIEWS
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„Views“ von Marc-Uwe Kling wird, das prognostiziere ich jetzt, in der Mitte des Jahres, ziemlich sicher auch am Ende des Jahres noch in meinen Top Ten Leseerlebnissen 2024 zu finden sein. Das liegt nicht ...

„Views“ von Marc-Uwe Kling wird, das prognostiziere ich jetzt, in der Mitte des Jahres, ziemlich sicher auch am Ende des Jahres noch in meinen Top Ten Leseerlebnissen 2024 zu finden sein. Das liegt nicht nur an Klings unglaublich guter Schreibe, sondern vor allem an einer bestechenden inhaltlichen Grundidee, die viel zu viel Realität beinhaltet. Doch fangen wir vorn an: Bei der Aufmachung. Views kommt mit festem Pappkartoneinband, einem wirklich schreiend pinken Buchrücken und Innencover und einem Nicht-Bild auf der Front und dem typischen Zeichen für sensible Inhalte, und was soll ich sagen: Ich find das richtig nice! Fasst sich gut an, sieht im Bücherregal Knaller aus und bildet sowohl den Inhalt als auch die Gier nach Aufmerksamkeit und Likes perfekt ab.
Der Inhalt ist schnell geteased: Die 16-jährige Lena Palmer verschwindet und Tage später taucht ein verstörendes Video von ihr auf, das rasant viral geht. BKA-Kommissarin Yasira Saad soll den Fall lösen und gerät in einen Strudel aus Verschwörung, identitärer Gruppierungen, Cyberwelt und KI. Und nicht nur das Ende des Buches zieht der lesenden Person den Boden unter den Füßen weg.
Kling schafft es, in diesem Buch so ziemlich alles unterzubringen, was ihn an unserer Welt gerade stört: Und das ist viel. ABER, und das ist der Hype, das macht ihn so genial: Das trägt überhaupt nicht auf. Alles ist sinnvoll eingebettet, nie entsteht das Gefühl, dass hier Moral oder Wertung reingedrückt wird in eine Handlung. Nein, locker-flockig und immer real rechnet der Autor mit den Möglichkeiten unserer medialen Welt ab und zwingt uns in die Verantwortung, ohne jemals explizit darüber zu reden. Das alles ist eingebunden in eine wahnsinnig spannende Handlung, so dass ich das Buch ohne Absetzen durchlesen musste. Das Buch hat mich relativ verstört zurückgelassen – obwohl ich viel Vorwissen mitgebracht habe. Aber hier noch einmal so glasklar vorgeführt zu bekommen, in was für einer sich radikalisierenden Zeit wir aktuell leben und wie gefährlich deshalb die Möglichkeiten von KI, virtueller Realität und Deepfakes sind: Das lässt einen schon heftig gegen die Wand des gläsernen Menschen rennen.
Ein Must-Read, ein absoluter Volltreffer.
Und noch einmal viel Nachdenken darüber, welche Inhalte wir mit der Welt auf Social Media teilen sollten. Nicht wegschauen, hinschauen.

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Veröffentlicht am 05.05.2024

Ein Manuha der Extraklasse

Dao - Der Weg
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„Dao - Der Weg“ der chinesischen Tuschemalerin Cai Mogu de Sima Gonggong ist ein Manuha der Extraklasse. Reden wir erst einmal über die Qualität der Optik! DIN A4 Format, schweres Papier, Glanzoptik, komplett ...

„Dao - Der Weg“ der chinesischen Tuschemalerin Cai Mogu de Sima Gonggong ist ein Manuha der Extraklasse. Reden wir erst einmal über die Qualität der Optik! DIN A4 Format, schweres Papier, Glanzoptik, komplett zweisprachig, wirkt nahezu wie ein Kunstband, ich bin absolut begeistert, einfach so wertig ausgestattet! Die Zeichnungen und Malereien sind düster in dunklen und Sepia-Farben gehalten, dabei ist jedes einzelne Bild ein Kunstwerk für sich, ich könnte mir sofort vorstellen, diese Bilder in groß an die Wand zu hängen, einen ganzen Palast voll damit, so viel Kunst steckt in diesem Band und in jedem einzelnen Bild, ich bin wirklich beeindruckt. Wie viel Zeit muss da drin stecken. So etwas hatte ich so noch nicht in den Händen. Das Buch richtet sich an Erwachsene und Jugendliche, was zu den darin enthaltenen Märchen gut passt, denn diese sind zugegeben durchaus grausam und gruselig, ein Effekt, der sich durch die perfekte zeichnerische Umsetzung noch steigert.
Aus der deutschen Perspektive heraus betrachtet, ist es spannend, wie viel Assoziationen und Ähnlichkeit mit gängigen Märchen und Erzählungen unserer Kultur vorhanden sind, der Struwelpeter, Wilhelm Busch, Märchen wie Rotkäppchen, Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel und viele mehr drängen sich sofort auf. Das liegt natürlich an der Archetypischen Konstruktion von Märchen, ist hier aber besonders gut sichtbar. Inhaltlich erzählt das Buch alte Legenden und Schauergeschichten aus der Zeit der Qing-Dynastie, die den Kindern erzählt wurden, um sie zu größerem Gehorsam zu erziehen. Interessanterweise interpretiert die lesende Person die Märchen durch die Zeichnungen aber sofort auf die heutige Gesellschaft, Themen wie die Große Chinesische Hungersnot, der Brauthandel, die Ein-Kind-Politik sind sofort im Raum. Besonders großartig neben den 5 Streichen ist die Extrageschichte am Ende des Buches, die nicht umsonst Preise verliehen bekam, unfassbar toll gezeichnet und so viel Raum für die eigene Phantasie. Im hinteren Teil des Buches findet sich auch ein Extrakapitel über die Hauptfiguren: Hier erst erschließt sich mehr über „Die Feen-Fünf“ – ich hätte mir da eine andere Reihenfolge gewünscht, würde das in der deutschen Fassung dem Buch voranstellen. Hier hat mir auf jeden Fall der kulturelle Hintergrund gefehlt, der sich dann durch diese Informationen erst ergibt und ganz viel erklärt. Ich fand es sehr schön, dass es dann quasi noch ein paar Fotos aus dem Familienalbum gibt. Nicht zu vergessen die Selbstdarstellung des Autors – rasend sympathisch und große Schmunzelanfälle verursachend!
Fazit: Dieses extrem hochwertige Manuha gibt einen ganz besonderen Einblick in eine mir fremde Kultur, durch den ich viel gelernt habe und zeitgleich bestens unterhalten wurde. Und gäbe es einen Nobelpreis für Kunst, würde ich den für die einzigartigen Tuschezeichnungen unbedingt verleihen wollen.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Geht nicht in den Buchladen. Lauft. Rennt!

Zuckerbrot
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Das Tolle an Rezensionsexemplaren ist, dass man dadurch immer wieder Bücher liest, die normalerweise im Buchhandlungsregal stehengeblieben werden. Ein solch überraschender Glückgriff ist für mich „Zuckerbrot“ ...

Das Tolle an Rezensionsexemplaren ist, dass man dadurch immer wieder Bücher liest, die normalerweise im Buchhandlungsregal stehengeblieben werden. Ein solch überraschender Glückgriff ist für mich „Zuckerbrot“ von Balli Kaur Jaswal. Das Cover in warmen Orangetönen gepaart mit einem lila Buchrücken und Lesebändchen vermittelt so viel Wohlfühlatmosphäre, gepaart mit einer Familiengeschichte, die in der Punjabregion spielt, eine Kultur, zu der ich trotz Verwandten in eben dieser Region sehr wenig Verbindung habe und bei der ich bei Büchern immer – alle Vorurteile auf meiner Seite – Bollywoodromantik vermute, dass ich das Buch wahrscheinlich nicht in meinen Warenkorb hätte wandern lassen. Dumm von mir, denn Zuckerbrot ist ein wundervolles Buch, ja, auch zum Wohlfühlen, aber eben absolut nicht nur. Und es bringt der lesenden Person nicht nur eine Kultur, sondern vor allem das Leben, die Klüfte zwischen Generationen, die Verbindung, die das Blut doch schafft, sowie auch die Grenzen, die wir manchmal zu früh setzen, auf sehr lebendige Art und Weise näher.
Lebendig ist eine perfekte Überleitung, denn sehr lebendig startet mensch auch ins Buch und wird sofort hineingeworfen in die Atmosphäre Singapurs, mit seinem einerseits so maximal geordneten Alltag, den vielen Regeln, der extremen Sauberkeit, den klaren Familienstrukturen und abseits davon den dann doch chaotisch-lauten, überbordenden Märkten und all dem, was unter der Ordnung brodelt. Hier in Singapur wächst Pin, in der Haupthandlung zehn Jahre alt und weiblich gelesen, auf – mit ihrer Mutter, die sie regelmäßig daran erinnert, bitte nicht so zu werden wie sie, eine Mutter, die anders als Pin extrem auf sich und ihre Erscheinung achtet, und ihrem Vater, der zu wenig Geld von der Arbeit nach Hause bringt, ein Pragmatiker ist, wie er im Buche steht, aber auch ein Fels in der Brandung, ein kleiner Fels, und der nichts lieber tut, als dem Loseglücksspiel zu frönen, denn irgendwann muss der große Gewinn ja kommen. Pin hat das Problem, das viele Kinder haben: Zu viele Rätsel bei diesen komischen Erwachsenen, die einem Kind nicht erklärt werden. Warum soll sie nicht werden, wie die Mutter, was ist vorgefallen zwischen dieser und deren Mutter, die nun in die beengte Wohnung der Kleinfamilie einziehen wird, warum ist ihr Vater so verständnisvoll für all die Launen der Mutter, wieso gibt es so viel Streit mit der Verwandtschaft, und, wichtige Frage: Warum kocht ihre Mutter ihre Stimmungen? Die ersten Kapitel geben wenig Antworten und stellen viele offene Fragen in den Raum, aber über allem liegt eine unglaubliche Nähe und Wärme, obwohl die Figuren wie kleine Solitäre nebeneinanderher kreisen. Was es mit dem Titel auf sich hat, wird früh geklärt (fast schon schade), wofür er symbolisch steht, entpuppt sich erst mit der Zeit.
Das Buch spielt auf verschiedenen Zeitebenen. Auf der ersten, 1990, erleben wir, dass die 10jährige Pin nicht nur die schon genannten Schwierigkeiten hat, leider sieht sie sich zusätzlich als Stipendiatin an einer Eliteschule, die finanziell nicht mithalten kann und als Inderin in Singapur, die dem Glauben der Sikhs angehört, jeden Tag mit Rassismus, Ausgrenzung, Verachtung und viel Einsamkeit konfrontiert. Selbst beim Fußballspielen mit den Jungs darf sie nur auf den Platz, wenn einer der anderen nicht mehr kann oder sich verletzt. Als ihre Großmutter zu ihnen in die beengte Wohnung zieht, zieht mit ihr auch die Vergangenheit von Pins Mutter ein und Pin verliert nicht nur ihr Zimmer, das sie fortan mit der Großmutter teilen muss, sie verliert auch die Düfte, die durch die Wohnung ziehen, wenn ihre Mutter kocht und an denen sie deren Stimmung erkennen kann, sie verliert auf eine Art ihre Kindheit, weil sie dem Geheimnis ihrer Mutter nicht mehr entgehen kann. Die Haut ihrer Mutter, die an Neurodermitis leidet, ist ein Spiegel dieser Entwicklung, blutrot wird sie und der Ausschlag wird immer heftiger. Mit der Großmutter zieht auch noch etwas anderes ein: „... ein furchtbares Schweigen, als ob etwas in unsere Wohnung eingedrungen wäre und alle Geräusche hinausgesaugt hatten.“
Auf der zweiten Zeitebene, 1967, lernen wir Pins Mutter Jini als Kind kennen, die Pin in dem Alter verblüffend ähnelt. Langsam entblättert sich, was dazu führte, dass Jini 1990 doch ganz anders wirkt als Pin und wieso das Verhältnis zu Pins Großmutter und zum Rest der Familie so unglaublich angespannt ist. Über all dem schwebt Gott – zu dem Pin nun wiederum ein sehr angespanntes Verhältnis hat, das die Autorin Balli Kaur Jaswal mit einer so wundervollen Komik wiedergibt, dass ich sie einfach nur dafür Knutschen könnte. Dennoch liegt unter der Komik auch viel Ernst, denn deutlich zeigt sie auch auf, warum Kinder und Religion eine ganz zerstörerische Kombi sein können.
Gemeinsam mit Pin und Jini reisen wir auch noch in andere Jahre ihres Lebens, aber noch mehr soll hier nicht verraten werden. Denn dieses Buch ist eine Entdeckung, sollte auf keinem Fall im Bücherladenregal versauern und muss, MUSS! unbedingt von ganz vielen Menschen gelesen werden. Es ist ein herzerwärmendes Plädoyer FÜR das Miteinandern, für das miteinander reden, gegen das Schweigen, für einen Gott, der Erbarmen hat, wenn es ihn denn schon braucht, für das Zuhören und den Glauben, aber nicht den an egal welchen Gott, sondern den Glauben aneinander. Und ganz nebenher ist es auch noch ein Buch gegen Alltagsrassismus, gegen Ausgrenzung und Intoleranz, aber: Das bemerkt mensch gar nicht, was eine weitere Leistung dieses einfach nur zu schätzenden Buches ist. Geht nicht in den Buchladen. Lauft. Rennt!

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Unglaublich gut – ein Pageturner Deluxe

Krähentage
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Wir müssen reden – und zwar als erstes über das geniale Cover von Benjamin Cors neuem Thriller „Krähentage“. Im Motiv eine bedrohlich bewölkte Fläche, auf ihr sitzend auf einem Ast in schwarz lackiert ...

Wir müssen reden – und zwar als erstes über das geniale Cover von Benjamin Cors neuem Thriller „Krähentage“. Im Motiv eine bedrohlich bewölkte Fläche, auf ihr sitzend auf einem Ast in schwarz lackiert die Krähe und als sähe das noch nicht cool genug aus, gibt es auch noch ein Innencover, das die Atmosphäre weiterspinnt – einfach richtig gut, so machen Bücher Spaß! Und auf diesen Spaß folgt erst einmal: Wow! Die ersten zwei Kapitel formen womöglich einen der besten Thriller-Starts, die ich je gelesen habe. Dass Cors schreiben kann, ist bekannt, aber das hier ist einfach richtig gut. Mit knappen, schlanken Sätzen formt er eine ideale Einführung in das Setting des Thrillers, am Ende weiß mensch alles, was benötigt wird und doch kein bisschen zu viel. Von dort aus wird ein Spannungsbogen gespannt, der die Lesenden nicht für eine Sekunde loslässt. Die beiden Leitenden der neu aufgesetzten Gruppe 4, Mila und Jakob, sind ein tolles Gegensatzpaar, beide bergen ein Geheimnis, was sie zu sehr spannenden, vielschichtigen Figuren macht – und auch die weiteren vier Mitglieder der Gruppe 4 sind einfach großartige Charaktere. Über den Plot will ich nichts verraten, einfach zu gut hat Cors hier etwas ausgedacht, was bis zur letzten Seite voller Überraschungen steckt. Dabei geht es auch ganz gut zur Sache, meine Ekelgrenze wurde aber nicht gesprengt, Cors hat auch hier ein extrem gutes Gespür für die genau richtige Dosis. Ein paar kleine Fragen bleiben, hier und da ist es nicht zu hundert Prozent plausibel und gerade das Ende lässt mich schon fragen, ob ich das in der Realität für vorstellbar halte – aber hey, geschenkt. Was für ein Meisterwerk. Ich bin Fan. Muss jetzt erstmal den Puls wieder runterkriegen. Eine ganz klare Leseempfehlung, ich halte es jetzt schon nicht aus, auf den nächsten Band der Reihe zu warten, denn natürlich hat Cors auch noch Cliffhanger gebaut, die das Gedankenkarussell dauerhaft aktiv halten werden. Ideal den Lesestart auf ein freies Wochenende legen – denn dieses Buch will mensch nicht mehr aus der Hand legen, bis die letzte Seite gelesen ist.


Ein großes Dankeschön an dtv für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 21.04.2024

Unbedingte Leseempfehlung

Die Stimme der Kraken
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Mit „Die Stimme der Kraken“ (Originaltitel: The Mountain in the Sea“ – ich habe Fragen an die übersetzende Person...), erschienen 2024 bei Tropen/J. G. Cotta, legt Ray Nayler einen Ökothriller vor, oder ...

Mit „Die Stimme der Kraken“ (Originaltitel: The Mountain in the Sea“ – ich habe Fragen an die übersetzende Person...), erschienen 2024 bei Tropen/J. G. Cotta, legt Ray Nayler einen Ökothriller vor, oder einen Wissenschaftsroman, oder einen Scifi-Kracher, oder eine Dystopie? – ich kann mich nicht entscheiden und das ist gut so, denn schon im ersten Abschnitt „Qualia“, der in die Handlung einführt wird deutlich: Hier hat mensch ein ultrakomplexes Buch in den Händen, dass sich dennoch total spannend und fluffig liest und den mensch nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Der Thriller spielt im asiatischen Raum und der Start hat es in sich, wir tauchen direkt lebendig ein in die Atmosphäre von der Autonomen Handelszone Ho Chi Minh, kurz AHZHCM, die Nayler mit wenigen knackigen Beschreibungen gekonnt und sinnlich greift. Sofort wird es auch visionär, offenkundig unserer Zeit voraus trifft ein Mann namens Lawrence in einem kleinen Cafè auf eine Person des Konzerns DIANIMA – oder ist es eine KI? – und berichtet dieser von einem Zwischenfall auf dem Archipel Con Dao, das jahrelang sein Lebensmittelpunkt war und auf dem er sich als Tauchlehrer und Veranstalter von Tauchgängen verdingte. Beim Tauchgang zu einem Wrack kam es dabei zu einem rätselhaften Vorfall, der der Auslöser für den weiteren Gang der Handlung war. Dieses erste Kapitel ist kurz und direkt mehr als spannend, setzt ganz viele Informationen und Fragen frei und endet so, dass die lesende Person, die es sowieso schon mit jeder Zeile gespürt hat, nun ganz sicher weiß: Hier ist etwas überhaupt nicht okay. Ein perfekter Einstieg in einen Thriller! Lawrence ist offenkundig bei seinem Tauchgang ungewollt auf eine besondere Existenzform, eine Spezies des Riesenkraken gestoßen – und nicht nur er ist davon fasziniert, sondern auch viele andere, vor allem jedoch der Konzern DIANIMA, der den Archipel Con Dao deshalb aufkauft, alle Menschen evakuiert und entschädigt und ab dann alles tut, um dieser Lebensform auf die Spur zu kommen. Ist dieses Wesen vielleicht der Schlüssel zur Zukunft, eine Möglichkeit, dem Wesen aller Dinge auf die Spur zu kommen und die KI als eine nur lächerliche Konstruktion erscheinen zu lassen? Die Meeresforscherin Dr. Ha Nguyen, eine Künstliche Intelligenz oder weit mehr als das namens Evrim und eine wahre Kampfmaschine Altantsetseg begeben sich zusammen auf die Reise zu einer neuen Spezies, dem Octopus Habilis – und je näher sie diesem Wesen rücken, desto tiefer werden auch die Erkenntnisse über die eigene Spezies.
Die Stimme der Kraken verhandelt auf wirklich brillante Weise die Themen der Existenzphilosophie: Was ist das Sein? Wann beginnt Bewusstsein? Gibt es ein Selbst? Freien Willen? Wo fängt menschliches Leben an? Sind wir als Spezies wirklich so besonders? All das ist eingebettet in ein dystopisches Setting, in dem Menschen als Sklaven gehalten werden, unser Ökosystem Erde bis an den Rand ausgebeutet wird, Wissenschaft korrumpierbar ist, KIs sich unter die Menschen mischen und es immer schwieriger ist, sie zu indentifizieren, KIs teils spooky sind, teils roboterhaft, teils aber auch die besseren Menschen, eine Welt, in der der Mensch als optimierbar und ersetzbar erscheint, aber doch auch immernoch existiert, eine Welt, die oft wie ausgehöhlt wirkt, doch in ihr pumpen die Tentakel des Lebens – und des Kraken.
Die Handlung verfolgt dabei mehrere Ebenen und Systeme, diese sind gut markiert und die Wechsel dazwischen sind gut nachvollziehbar. Ein Clou ist das Buch im Buch, es gibt viele Verweise auf ein Buch der wissenschaftlichen Hauptfigur Dr. Ha Nguyen „Wie Meere denken“, die mich sehr zum Nachdenken gebracht haben. Fast schon schade, dass dieses Buch noch nicht geschrieben wurde in unserer Realtität, das würde ich gerne lesen  Und ein weiteres Buch im Buch ist das Werk „Die Mauern des Geistes“ von Dr. Arnkatla Mínervudóttir-Chan. Und ja: Diese Mauern haben wir alle. Müssen wir sie einreißen und unser Bewusstes Sein ganz neu denken?
In jedem Fall konnte ich dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen. Unbedingt auch noch erwähnen muss ich die außerordentlich schöne Gestaltung, das stoffartige Hardtop, auf dem leuchtend der Krake illustriert ist, wunderschöne Farben und ein knackiger Farbschnitt – das macht sich auch gut im Regal!
„Das Großartige und das Schreckliche der Menschheit ist: Wir werden immer das tun, wozu wir in der Lage sind.“ Sagt Dr. Mínervudóttir-Chan an einer Stelle im Buch. Das ist so wahr, wie dieses Buch klare 5 Sterne verdient. Unbedingte Leseempfehlung.

Ein großes Dankeschön an vorablesen.de und Tropen/J. G. Cotta für das Rezensionsexemplar!

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