Platzhalter für Profilbild

Nilchen

Lesejury Star
offline

Nilchen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Nilchen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.05.2024

Deutschland lebt behaglich nicht visionär – das wird teuer

Angezählt
0

Wer denkt: Langweilig. STOPP! Seriös und etwas langweilig kommt das Buch äußerlich daher, aber es hat es in sich. Wer wie ich momentan das Gefühl hat, dass in Deutschland so einiges politisch nicht ganz ...

Wer denkt: Langweilig. STOPP! Seriös und etwas langweilig kommt das Buch äußerlich daher, aber es hat es in sich. Wer wie ich momentan das Gefühl hat, dass in Deutschland so einiges politisch nicht ganz so läuft und irgendwie der Zug aus der Spur gesprungen ist, der hat hier erhellende Momente bei der Lektüre.
Klar, es geht hier um Politik, klar, es geht um das Europäische Parkett, aber es ist journalistisch sehr gut geschrieben und holt alle ab aus meiner Perspektive. Ich würde sogar vielen jungen Leuten raten dieses Buch zu lesen um eine differenziertere Beleuchtung des Ist-Zustandes zu erlangen. Denn vieles was heute greift, wurde in der Vergangenheit entweder strategisch manövriert oder beziehungstechnisch aufgebaut.
Was Markus Preiß durch seine jahrelange Erfahrung und Einblicke hervorragend schafft, ist das was ich „connecting the dots“ nenne. Er lässt Momenten der europäischen und internationalen Politik für uns Revue passieren und kontextualisiert sie und schafft einen Bezug zu heute. Auch an der ein und anderen Stelle eine Forderung postulierend, aber recht neutral im Sinne der Offenlegung von Fakten.
Deutlich wird, dass Deutschlands Stärke einst Nüchternheit und Seriosität war und dem ist Aktionismus gewichen. Deutschland muss intellektuell verstehen, dass die Mittelverwendung anders gestaltet werden muss. Zu komfortabel, zu bequem um Veränderung grundlegender Natur voran zu treiben in Deutschland, in Europa, in der Welt.
In 10 Kapiteln nimmt der Chef des ARD-Hauptstadtstudios uns mit, zeigt klar auf welches strategisch wichtiges Gewicht Deutschland in der EU ist, womit auch eine europäische Verantwortung einher geht und welcher Beziehungsarbeit es mit anderen Ländern bedarf und zeigt die fehlende innovative Kraft die wir alle aufbringen müssen für unsere Demokratie.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.05.2024

In was für einer Welt wollen wir leben?

Und alle so still
0

Fürsorgearbeit, Care-Arbeit, Mental Overload. Schön, dass es für alle diese Dinge Begriff heutzutage gibt, aber die Benennung und die Sichtbarkeit ist ein Schritt von vielen den wir als Gesellschaft gehen ...

Fürsorgearbeit, Care-Arbeit, Mental Overload. Schön, dass es für alle diese Dinge Begriff heutzutage gibt, aber die Benennung und die Sichtbarkeit ist ein Schritt von vielen den wir als Gesellschaft gehen müssen.
Mareike Fallwickl hast bereits mit „Die Wut, die bleibt“ ein Roman erschaffen, der in diese Kerbe haut und das schmerzhaft literarisch verarbeitet was auf unseren Schultern lastet. Weiter geht es mit „Und alle so still“, wieder ein Roman der nuanciert sichtbar macht, was uns umtreibt oder umtreiben sollten. Gelungen ist dabei vor allem die Schattierungen der Charaktere. Klar, gibt es in ihrem Roman auch die ausgelaugte, am Ende der Leistungsmaschinerie vollkommen zermürbte Krankenpflegerin, alleinerziehend. Das ist Ruth. Sie ist Mitte 50, hat ihre Glaubensätze nie in Frage gestellt und fühlt sich verpflichtet. Auf ihre Kosten, ihrer Gesundheit, ihr Lebensglück.
Ganz im Gegenteil dazu steht Elin, erst einmal wundert man sich über diese Figur. Eine junge Influencerin, die scheinbar, auf den ersten Blick, kein Thema mit Carearbeit hat. Aber dann doch, denn die leistungsafine und stets 100%-perfektionsgedrillte Mutter beschert ihr die mentale Last einer Hochperformaerin und eigentlich tief in ihrem Inneren will sie ausbrechen. Raus aus dem Hamsterrad.
Sehr schön finde ich, dass auch ein Mann mit von der Partie ist: Nuri. Er kann kaum von dem Geld leben, dass er mit seinen Stundenjobs als Minderqualifizierter erwirtschaften kann. Hier geht es auch um die übergeordnete Kritik an unserer Gesellschaft.
Mareike Fallwickl spricht vielen aus der Seele mit ihrem Roman, er prangert in bester Prosa an und verpackt Gesellschaftskritik in einer fiktiven Umgebung. Wer sich nicht angesprochen fühlt, sollte diesen Roman als Ansporn lesen um mehr Empathie für Dritte und die Welt aufzubringen.
Wahnsinnig wertvoll. Wahnsinnig gut geschrieben.
Fazit: It is all connected. Indirekt betrifft es uns alle, ein Roman der sensibilisiert, auch wenn er keine Spaßlektüre ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2024

Ein Abgrund für zwei

Geordnete Verhältnisse
0

Wann ist eine Beziehung, die einseitige Abhängigkeiten beinhalten, noch gesund und wann wird es toxisch? Eine der vielen Fragen, die dieses Buch „Geordnete Verhältnisse“ in sich trägt.
Wir folgen zwei ...

Wann ist eine Beziehung, die einseitige Abhängigkeiten beinhalten, noch gesund und wann wird es toxisch? Eine der vielen Fragen, die dieses Buch „Geordnete Verhältnisse“ in sich trägt.
Wir folgen zwei Personen, die sich zu Schulzeiten kennenlernen und oberflächlich wirkt es gut. Denn Philipp nimmt sich der geflüchteten Faina an und erklärt ihr die deutsche Welt in der Kleinstadt. Eine Überlegenheit seinerseits ist deutlich spürbar, er macht sie zu seiner Faina. Eine komplizierte Beziehung, die sich aus den Augen verliert nach der Schule um dann doch wieder zueinander zu finden. Sie schwanger ohne zu wissen von wem, flüchtet in seine Obhut. Er wird zu ihrem überschattenden Kontrolleur und nimmt ihr alle Freiheiten.
Woraus entstand diese Situation? Aus zwei völlig verkorksten Kindheiten. Denn Philipp ist Sohn einer Alkoholikerin, die ihm keine „Geordneten Verhältnisse“ bieten konnte, die lernt er nur einmal bei seiner Tante kennen. Diese zerrüttete Basis macht ihm zu einem beziehungsunfähigen Mann, der Obsessionen hat. Aber auch Faina hat durch Flucht und zerrüttete Familienverhältnisse keine gute Basis und eine schräge Ausgangslage ihrer Psyche münden dann in einer bipolaren Störung.
Lana Lux schreibt gut und führt uns in die gemeinsame Spirale der Problematik und Zuspitzungen ein. Ihr gemeinsames Karussell dreht sich immer schneller und wirft beide aus der Bahn. Literarisch großartig erzählt auf so beklemmend echte Art und Weise.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.05.2024

What if…?

Das andere Tal
0

Was für eine Idee! Der Kanadier Scott Alexander Howard hat mit „Das andere Tal“ ein sehr spannendes Gedankenspiel literarisch eingekleidet. Was wäre, wenn man die Vergangenheit und die Zukunft besuchen ...

Was für eine Idee! Der Kanadier Scott Alexander Howard hat mit „Das andere Tal“ ein sehr spannendes Gedankenspiel literarisch eingekleidet. Was wäre, wenn man die Vergangenheit und die Zukunft besuchen könnte? Genau das ist möglich in dieser fiktiven Welt. Jedes Tal repräsentiert eine Zeitzone, alle haben 20 Jahre Abstand. Natürlich ist es streng verboten seine eigene Welt zu verlassen und sich eigenmächtig in die Zukunft oder in die Vergangenheit zu begeben.
Die Protagonistin Odile Ozanne ist in ihrer Welt 16 Jahre alt und im Begriff erwachsen zu werden, sie steht kurz vor ihrem Schulabschluss. Sie bemüht sich um eine Ausbildung als Sachbearbeiterin der besonderen Art. Denn es sind Anträge in die Zukunft oder die Vergangenheit reisen zu dürfen. Nicht leicht hier zu bestehen, denn es ist eine Gradwanderung wann solche Anträge bewilligt werden.
Natürlich ist auch sie irgendwann Mittelpunkt dieses komplexen Gebildes von Wissen um die Zukunft. Ein großartiges Meisterwerk des Gedankenspiels von „was wäre wenn ich wüßte was passiert“. Wie beeinflusst das Wissen um die Zukunft mein Handeln im Hier und Jetzt.
Scott Alexander Howard ist ein wirklich fantastisches Debüt gelungen. Toll geschrieben, wahnsinnig gut erzählt und noch dazu so einnehmen, dass ich es nicht weglegen mochte.
Auch wenn die Szenerie und der Tonfall eher düster und beklommen ist, nimmt das Buch mich ein und fordert mich durch dieses „What if“ Szenario. Zugleich ist es auch eine Coming-of-Age Geschichte in einem schwierigen Umfeld. Es erinnert so manches Mal an totalitäre Gesellschaftsformen und ihre negativen Einwirkungen auf das Leben in Unfreiheit.
Dieses Buch kann ich kaum in eine Schublade stecken – will ich auch nicht. Es sind so viele Elemente enthalten, dass es viel, aber nicht zu viel ist. Ein wirklich tolles Buch, dem ich viele viele Leser wünsche.
Ach und bevor ich es vergesse, aus meiner Sicht auch ein tolles Buch für heranwachsende Jugendliche ab 15 Jahren. Denn die Protagonistin ist auch jung und durchläuft das Erwachsenwerden und das Buch bietet viel Raum um Diskussionen in Gang zu bringen und sich Auszutauschen. Wäre guter Unterrichtsstoff, auch Englisch LK!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.04.2024

Persiflage in bester Manier

Die erste Attacke
0

Dieses Buch hatte mich bereits auf der ersten Seite überzeugt als es da völlig trocken hieß: „Zuerst müsste ich mich aber einmal dringend erholen. Leider fahren wir morgen auf Urlaub.“ Zwei Sachen werden ...

Dieses Buch hatte mich bereits auf der ersten Seite überzeugt als es da völlig trocken hieß: „Zuerst müsste ich mich aber einmal dringend erholen. Leider fahren wir morgen auf Urlaub.“ Zwei Sachen werden in diesen beiden Sätzen deutlich, der Autor hat Humor und ist Österreicher.
Dieser schmale Roman hat keine 200 Seiten und ist trotzdem ein starkes Stück gute Literatur. Oder sollte postuliert werden: gerade deshalb? Eine prägnante kurze Geschichte, die eine ganze Welt offenbart. Denn es geht im Kern um die Herde an Eltern, die ihre Kinder als Perfektionsprojekt betreiben. Sie sind gewünschteste Wunschkinder und diese sollten entsprechend den neuen Methoden und Erziehungsansätzen erzogen werden.
Drei Paare mit Kindern planen eine Woche gemeinsamen Urlaub, die drei Frauen kennen sich von früher und haben auf dieser Hütte schon wilde tolle Zeit erlebt. Nun kommen diese drei Familien dort an, alle sehr unterschiedlich in Habitus und Alphagebaren. Die Hütte ist ein stinknormales Haus mit vielen Zimmern, weder urig noch schön. Und dann ist das zentrale Thema: Alpträume. Die Kinder und teilweise auch die Erwachsenen scheinen Alpträume zu haben, denen mit Zubettgeh-Ritualen entgegengewirkt wird. Alle natürlich unterschiedliche….
Was ein herrlich skurriler Setup, der so viel gesellschaftliche Bubble-Wahrheiten mit sich bringt. Geschrieben aus der Sicht eines der Väter, kommt bei der annektotenhaften Erzählung so manches „Geschmäckle“ dazu. Wunderbar wie der Autor, Jakob Pretterhofer, durch die Aktionen seiner Figuren die Leserschaft zu einem Bild leitet ohne es zu benennen. Ich bin ja auch großer Fan von den österreichischen Phrasen und Andersartigkeiten (wie „auf Urlaub…“), dass hier genau das richtige Maß hat.
Mir hat dieser tolle Roman aus dem Elster & Salis Verlag mega gut gefallen! Mehr davon!!!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere