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Veröffentlicht am 15.09.2016

Schatten über Glückstadt

Fortunas Schatten
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"Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten!“ (Das soll glücken und das muss glücken und dann soll sie auch Glückstadt heißen!) meinte König Christian IV., seines Zeichens ...

"Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten!“ (Das soll glücken und das muss glücken und dann soll sie auch Glückstadt heißen!) meinte König Christian IV., seines Zeichens König von Dänemark und Norwegen sowie Herzog von Schleswig und Holstein, als er 1617 die Stadt an der unteren Elbe als Gegenpol zu Hamburg erbauen ließ.

Willkommen in Glückstadt.

Wenn ein Ort solch einen Namen trägt, sollte an sich nichts mehr schief gehen. Aber auch eine Stadt mit dem Glück im Namen hat ihre Schatten. Und auf die trifft im Jahre 1894 - Glückstadt gehört nunmehr zum Deutschen Kaiserreich - der ehemalige Kapitän Hauke Sötje.

Um es gleich einmal vorweg zu nehmen: Wenn einer Hauke heißt, ist er mir auf Anhieb sympathisch. Weil ich dann immer an den "Schimmelreiter" denke, und den mochte ich.

Ein bisschen was vom Schimmelreiter hat auch dieser Hauke Sötje. Während er als Einziger den Untergang seines Schiffes überlebt hat und deshalb vor Gericht in England steht, sterben in der Heimat sein neugeborener Sohn und seine Frau im Kindbett. Nun kommt er nach Glückstadt, um Abschied zu nehmen, von den geliebten Menschen und sodann vom Leben.

Doch irgend etwas scheint nicht zu stimmen in der Stadt. Nicht nur, dass Hauke unmittelbar nach seiner Ankunft in eine Schlägerei verwickelt wird und im Gefängnis landet. Nein, ein Brand und ein Mord bewegen die Gemüter ebenfalls, und Hauke ist mittendrin. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Bereits in England hatte die Unterstützung des Grafen von Lahn seinen Freispruch bewirkt, und in Glückstadt kommt Hauke wiederum nur auf Grund der Fürsprache des Grafen frei. Als Gegenleistung erwartet der Graf vom ihm, Ermittlungen anzustellen. In Glückstadt soll eine Heringsfischerei mit vier Schiffen aufgebaut werden. Eine Aktiengesellschaft, bei der viele Menschen Aktien gezeichnet haben. Jedoch jemanden scheint dieses Unternehmen ein Dorn im Auge zu sein...

Hauke ist ein Sympathieträger. Er leidet schwer unter der (vermeintlichen) Schuld, dass bei dem Untergang seines Schiffes 53 Männer starben. Seit dem Unglück kann er sich nicht mehr in engen Räumen aufhalten. Er ist ein ernster Mensch. Sein Blick verunsichert so manchen, denn seine Augen sehen "über adlige Titel hinweg, durch feine Kleider hindurch, bis ins Innerste des Gegenübers. Und dort fanden sie all jene Geheimnisse, von denen niemand wollte, dass sie jemals entdeckt wurden."

Trotzdem hätte ich gern noch eine etwas tiefergehende Beschreibung - sowohl äußerlich als auch charakterlich - gewünscht. Leider hat sich ein Fehler eingeschlichen. Ist Hauke Sötje nun 1851 geboren (Seite 42) oder 1856 (Seite 176)?

Wie dem auch sei. Der Roman liest sich gut und hält die Spannung bis zum Schluss. Gefallen hat mir zudem, dass der historische Krimi nicht mit einer Liebesgeschichte überfrachtet wurde. Zwar stellt die Autorin mit Sophie Struwe eine weitere Person in den Mittelpunkt des Geschehens und damit Hauke an die Seite. Und auch Gefühle zwischen beiden sind spürbar. Aber dies geschieht äußerst dezent. Sophie vermag dem Ende des 19. Jahrhunderts herrschenden Bild der Frau nicht viel abzugewinnen. Ihr Leben verändert sich von einem Tag auf den anderen, und sie beweist Kraft und Mut und Durchhaltevermögen...

Die Gestaltung des Buches ist sehr gelungen. Die Dramatis Personae war für mich hinsichtlich der tatsächlichen historischen Persönlichkeiten interessant, die Anmerkungen zu Wahrheit und Fiktion und das Glossar ergänzten mein Wissen. Die Karte von Glückstadt hätte ich mir jedoch an den Anfang des Buches gewünscht. Hilfreich für diejenigen, die kein Plattdeutsch verstehen, ist sicher auch die "Übersetzung" vorkommender Texte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Taschen en gros

Taschen selbst genäht
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Als ich das Buch entdeckte, hat es mich sofort angesprochen. Zwar nähe ich (noch) nicht, doch ich bin ein Fan von genähten Taschen, und einige hübsche Stücke finden sich bei mir zu Hause.
Das Buch ist ...

Als ich das Buch entdeckte, hat es mich sofort angesprochen. Zwar nähe ich (noch) nicht, doch ich bin ein Fan von genähten Taschen, und einige hübsche Stücke finden sich bei mir zu Hause.
Das Buch ist ein Hardcover und so gebunden, dass man es problemlos offen halten kann. Gegliedert ist es vier Abschnitte. Es gibt Anleitungen für Handtaschen, Beutel und große Taschen, kleine Täschchen und die der allgemeinen Art. Warum allerdings die allgemeinen Anleitungen über die perfekte Ausstattung, das Nähgarn, Stoffe, Zuschnitt usw. den Abschluss bilden, erschließt sich mir nicht.
Wie dem auch sei. In den einzelnen Kapiteln lernen wir zunächst die Taschen im Überblick zeichnerisch kennen, dann bekommen wir sie jeweils im Einzelnen vorgestellt, woran sich die Anleitungen anschließen. Alle Taschen tragen Mädchennamen. Da gibt es beispielsweise die "Griffige Emma", die "Anmutige Viola" oder die "Kleine Charlotte". Diese Idee gefällt mir, weil man sich so leichter orientieren kann. Leider haben es die "Kindertasche Mia" (Handtaschen) und die "Weiche Linda" (Beutel und große Taschen) nicht auf die Zeichnung geschafft und das Bild der "Sarah experimentell" (Kleine Täschchen) stellt sich auch als solche für mich dar. Aber geht man in den ersten beiden Abschnitten von 11 bzw. 10 Modellen aus und bekommt dann Anleitungen für 12 bzw. 11 Modelle, hält sich die Enttäuschung darüber in Grenzen.
Die einzelnen Anleitungen sind anschaulich gegliedert, verständlich geschrieben und beinhalten auf einer Doppelseite neben den erforderlichen Angaben auch einen Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad. Das erleichtert gerade Anfängern die Auswahl. Daneben gibt es übersichtliche Schnittmusterbögen.
Die Farben sind in pastelligen und frischen Tönen gehalten und verleihen dem Buch ein fröhliches Kleid. Die Fotos finde ich bis auf "Laura" (Seite 68) gelungen. In der Gesamterscheinung des Buches sind mir Tasche und Outfit des Modells hier einfach zu düster.

Ansonsten habe ich nun ein gutes Anleitungsbuch, dass ich irgendwann auf jeden Fall auch einem Praxistest unterziehen werde.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Geheimnis der Lady Audley

Das Geheimnis der Lady Audley
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1862 schockierte Mary Elizabeth Braddon die englische Nation zwar mit ihrem Roman "Das Geheimnis der Lady Audley" wegen der "zufälligen" Bigamie und einem ungestümen weiblichen Ehrgeiz, hatte damit aber ...

1862 schockierte Mary Elizabeth Braddon die englische Nation zwar mit ihrem Roman "Das Geheimnis der Lady Audley" wegen der "zufälligen" Bigamie und einem ungestümen weiblichen Ehrgeiz, hatte damit aber gleichzeitig erfolgreich einen der beliebtesten sensationellen Romane der damaligen Zeit geschrieben. Sie bot mit dem kühnen Ehrgeiz ihrer im Mittelpunkt stehenden weiblichen Hauptfigur ein anderes Frauenbild, das so gar nicht dem herkömmlichen Vorstellungen des viktorianischen Englands von einer vermeintlichen Dame der höheren Gesellschaft entsprach.

Bei diesem Roman kann man gleich von Beginn an seine Fantasie spielen lassen. Schon die ausführliche Beschreibung des Herrensitzes lässt das zu. So nähert man sich gern Audley Court mi seinen spitzen Giebeln, wuchernden Efeuranken, bunten Glasscheiben und einer dicken Eichentür inmitten eines Tals voller prächtiger Bäume, üppiger Weiden und von hohen Hecken gesäumter Wiesen.

Als der ältere Witwer und Herr von Audley Court, Sir Michael Audley die wesentlich jüngere Lucy Graham im Hause des örtlichen Arztes, wo sie als Gouvernante der beiden Töchter arbeitet, sieht, verliebt er sich sofort in sie und heiratet die junge Frau, zum Leidwesen seiner 18-jährigen Tochter Alicia, ohne auch nur mehr von ihrer Vergangenheit zu kennen als die Behauptung, sie sei eine Waise. Nach der Heirat in einer Position, die ihr den Luxus ermöglicht, den sie erträumt hat, behagt es ihr scheinbar nicht, dass sich der Neffe ihres Mannes, Robert Audley, bei einem überraschenden Besuch von dem gerade aus Australien heimgekehrten George Talboys begleiten lässt. Dieser hat bei seiner Rückkehr vom Tod seiner geliebten Frau Helen Kenntnis erhalten und nimmt keinerlei Notiz von Dingen, die um ihn herum geschehen bis zu dem Moment, als er ein Bildnis von Lady Audley zu Gesicht bekommt. Wenig später ist er verschwunden.

Robert Audley, der bislang eher sorglos und mit phlegmatische Gemüt als Advokat durchs Leben schreitet, ist vom Verschwinden seines Freundes ohne ein Wort dermaßen überrascht, dass er sich auf die Suche begibt und Nachforschungen anstellt. Dabei dringt er immer weiter in "Das Geheimnis der Lady Audley" vor, obwohl diese nichts unversucht lässt, ihn auf falsche Fährten zu locken und dabei auch vor unlauteren Mitteln und sogar einem Mordversuch nicht zurückschreckt.

Dabei kann man im Grunde Lucy Graham zunächst nichts vorwerfen. Für eine Frau ihrer Zeit gibt es nicht viele Möglichkeiten. Die eine ist eine gute situierte Ehe, eine andere die Arbeit als Gouvernante. Dass Sir Michael Audley des Weges kommt, ganz vernarrt in sie ist und sie heiratet, verschafft ihr eine gesicherte Position. Dabei möchte man ihr die Ehrlichkeit zugute halten, die sie mit dem Geständnis beim Heiratsantrag ihres zukünftigen Mann an den Tag legt, dass sie ihn nicht liebe und seit ihrer Kindheit auf ihren Vorteil bedacht gewesen sei. Zudem mag man nicht glauben, dass sie überhaupt in der Lage ist, Menschen zu schaden, ihnen Böses anzutun. Und doch verbirgt sich hinter dem schönen Gesicht ein dunkles Geheimnis. Das Geheimnis, das sich dem Leser früh zu offenbaren scheint, in Gänze zu entwirren, bereitet großes (Lese)Vergnügen. Und mit den unermüdlichen Ermittlung von Robert Audley auf der Suche nach seinem Freund beginnt die sorglose Fassade der charmanten jungen Frau zu bröckeln, und der Leser bekommt einen Blick auf ihre wahre Persönlichkeit bis zur endgültigen Entdeckung der Wahrheit. Gleichzeitig erfährt auch der sonst eher langweilige Advokat, der bisher gleichmütig in den Tag hineinlebte und der nicht einmal die Avancen seiner Cousine Alicia bemerkt, eine Entwicklung zum Mann, der über längeren Zeitraum hartnäckiges Interesse an einer Sache beweist und auf Grund seines neu erworbenen Durchsetzungsvermögens der Lady Geheimnis ergründet.

Trotz der Vorhersehbarkeit der Geschichte ist diese in sich atmosphärisch stimmig, die Protagonisten weisen eine genaue und tiefgründige Charakterisierung auf, einige überraschende Momente vermögen gleichwohl, einen leichten Spannungsbogen zu halten, der bei einer Kriminalgeschichte erwartet wird. Zur angenehmen und unterhaltsamen Lektüre trägt ebenfalls die bearbeitete, den heutigen Lesegewohnheiten angepasste Übersetzung von Anja Marschall bei. Die "Entstaubung" der Sprache der damaligen Zeit, die sie bei der neuen Übertragung des Textes ins Deutsche vorgenommen hat, deren Grundton allerdings durchaus beibehalten wurde, empfinde ich als gelungen.

Zu guter Letzt lädt auch das zeitgemäß, viktorianisch-nostalgische Cover ein, dieses Kleinod der Literatur wieder zu entdecken. Einmal mehr beweist der Dryas Verlag, dass ein historischer Roman mit einem ansprechenden Umschlag versehen werden kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Superheldin?

Die Frau, die nie fror
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"Ich? Oh, richtig. Reden wir über mich. Zuerst bin ich kalt. Jetzt sarkastisch. Man könnte meinen, ich wäre hier die mit dem Problem."

Pirio Kasparov, die kühl und sachlich wirkende, im Mittelpunkt stehende ...

"Ich? Oh, richtig. Reden wir über mich. Zuerst bin ich kalt. Jetzt sarkastisch. Man könnte meinen, ich wäre hier die mit dem Problem."

Pirio Kasparov, die kühl und sachlich wirkende, im Mittelpunkt stehende Protagonistin von Elisabeth Elos Debütroman "Die Frau, die nie fror" hat tatsächlich einige Probleme. Aber auch eine Art, mit der sie scheinbar mühelos durch sie hindurchgleiten kann.

Es ist keine Untertreibung, wenn man Pirio als facettenreichen Charakter bezeichnet. Als Tochter russischer Einwanderer wächst sie auf in Beacon Hill (im Norden liegender und einer der egehrenswertesten und teuersten Stadtteile Bostons) und verbringt ihre Jugend in einem noblen Internat, wo sie Thomasina kennenlernt. Obwohl beide Mädchen privilegiert sind, verbringen sie die meiste Zeit bei Tauchgängen mit Fischern aus South Boston.

Letzteres ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass sie, obwohl sie inzwischen als Führungskraft in der Vorstandsetage des erfolgreichen Familienunternehmens, das Parfüm kreiert, ein gesichertes Einkommen hat, ihren Freund Ned, Ex-Partner Thomasinas und Vater von Noah, auf einer nächtlichen Fahrt mit seinem Hummerboot begleitet. Ist es ein Unglück, dass das Boot dabei von einem Frachter gerammt wird und innerhalb von Minuten sinkt? Pirio droht in den kalten Gewässern des Nordatlantik zu ertrinken. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz schafft sie es, dank einer physiologischen Eigenart, die sie unempfindlich gegen Unterkühlung macht, vier Stunden im Wasser auszuhalten, bis sie von der Küstenwache gerettet wird. Ned hat leider nicht so viel Glück und stirbt.

Das Geschehen verunsichert Pirio. Sie kann den Verdacht, dass der Bootsuntergang kein Zufall war, nicht abschütteln. Verstärkt wird diese Mutmaßung von Milosa, ihrem russischen, meist zynischem Vater mit geheimnisvoller Vergangenheit, der ihr sagt, dass nichts ist, wie es scheint. Pirio sucht nach Antworten bei Neds ehemaligem Arbeitgeber, im Hafen von Boston, bei ihrem einstigen Geliebten John Oster, der mittlerweile braver Familienvater ist oder dies zumindest vorgibt, und begegnet einem rätselhaftem Versicherungsdetektiv, der sich als Journalist entpuppt und zu dem sie tiefere Gefühle entwickelt.

Zudem ist wegen ihres Überlebens im eiskalten Wasser die United States Navy an ihr interessiert, Tests zur Erforschung ihrer menschlichen Ausdauer unter extremen Bedingungen durchzuführen.

Jedoch nicht nur das macht Pirio so besonders. Sie hat außerdem einen absolut raffinierten Geruchssinn, was sie befähigt, geringste Spuren selbst von schwierigsten Düften wie Adlerholz und Eichenmoos zu identifizieren.

Man könnte meinen, Pirio wäre eine Superheldin. Doch weit gefehlt. Sie hat hat eine Menge von interessanten, zum Teil scharfen Ecken und Kanten. Zum einen verfügt sie über Eigenschaften, wie ein jeder von uns sie besitzt: Mut, Ausdauer, praktische Intelligenz, Integrität, Klugheit, Ehrlichkeit, Mitgefühl. Das Problem ist, dass wir, obwohl wir alle Zugang zu diesen Eigenschaften haben und sie zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichem Maße zeigen können, sie nicht immer und zuverlässig herausfinden können. Wir haben Mängel. Und auch darin gleichen wir einander. Die Liste von Pirios Mängeln ist lang und vielfältig: geistlose Rebellion, ein bisschen Faulheit, Menschenverachtung, reflexive Wut, Verwirrung über Liebe und Sex, Zynismus, Unnahbarkeit und Rücksichtslosigkeit. Trotzdem ist es leicht, sie zu mögen. Sie ist kein Schwächling und Beschützerin für Menschen, denen unrecht getan wird und die "unschuldig" sind. Besonders deutlich wird dies im Verhältnis zum zehnjährigen Noah, der unter der Alkoholsucht seiner Mutter Thomasina leidet.

Auf der Suche nach der Wahrheit, die wie sich herausstellt, gleichfalls riskant für ihre Freunde Thomasina und Noah ist, führt Pirios Weg auf eine mondäne Superyacht, wo sie sich - ein wenig naiv - in tödliche Gefahr begibt, und von dort in eine Inuitsiedlung und schließlich zu einer schmalen Bucht in der kanadischen Arktis. Hier sieht sie sich der ultimativen Herausforderung gegenüber, nämlich sich selbst zu vertrauen.

Die Autorin hält die Spannung über weite Strecken des Romans und schafft sympathische, wenn auch fehlerhafte Charaktere neben Pirio. Da ist vor allem auch Milosa hervorzuheben, dessen Liebe zur Tochter durch kleine Gesten zu Ausdruck kommt. Er ist ein launisches Raubein, dessen Zigarrenduft man zu riechen meint. Er war zwar in der Vergangenheit nicht die beste Vaterfigur für ein Kind, das ohne Mutter aufwächst, dient aber als unerschütterlicher Realitätsscheck für die Erwachsene Pirio.

Daneben beschreibt Elisabeth Elo Orte und Momente mit bildhafter Leichtigkeit. Auf dem Weg zur kanadischen Arktis entlang der felsigen Küste hat man das Gefühl, die Gischt zu spüren. Die späteren Szenen in der Bucht von Cumberland Sound begeistern und schockieren gleichermaßen.

Wie ihre Protagonistin ist "Die Frau, die nie fror" vieles: ein Krimi, ein Umwelt-Thriller und ein Familiendrama. Stets drückt man Pirio die Daumen, Licht in das Dunkel der verworrenen Ereignisse zu bringen. Und obwohl die Hauptfigur der Meinung ist: "Ein wirklich gutes Ende ist doch eines, das man nicht kommen sieht", gibt es nie einen Zweifel darüber, wohin die Geschichte letztens Endes führen wird.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Geheimnis der Lady Ellen

Der verbotene Fluss
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Als Charlotte Pauly sich im Jahre 1890 auf den Weg von Deutschland nach England macht, um dort Gouvernante in einem angesehenen Haus zu werden, verändert sich ihr Leben. Wie sehr ahnt sie jedoch noch nicht.

Mit ...

Als Charlotte Pauly sich im Jahre 1890 auf den Weg von Deutschland nach England macht, um dort Gouvernante in einem angesehenen Haus zu werden, verändert sich ihr Leben. Wie sehr ahnt sie jedoch noch nicht.

Mit viel Einfühlungsvermögen nähert sie sich ihrem neuen Schützling Emily. Die Achtjährige hat ihre Mutter verloren. Doch statt die Erinnerung an die Frau, die ihrer Tochter eine zärtliche Mutter gewesen war und die Emily aufopferungsvoll pflegte, wenn diese krank wurde, darf im Haus nicht über sie geredet werden. Ja, sogar jeder Gedanke an Lady Ellen scheint verboten zu sein. Emilys Vater - Sir Andrew - steht als Abgeordneter in der Öffentlichkeit, reagiert oft sehr streng und scheint zunächst wenig Verständnis für die seelischen Bedürfnisse seiner Tochter zu haben. Denn zwar ist Emily ein aufgeschlossenes, lernwilliges Mädchen. Doch des Nachts wird sie von Albträumen gequält, in denen sie ihre Mutter sieht. Da sie über den Verlust nicht sprechen kann, ist sie verunsichert, fasst aber sehr schnell Vertrauen zu ihrer neuen Gouvernante. Charlotte möchte dieses Vertrauen nicht enttäuschen und Emily eine Verarbeitung des Todes ihrer Mutter ermöglichen. Deshalb zieht sie Erkundigungen über Lady Ellen ein. Nach und nach setzt sie ein Puzzlestück nach dem anderen zusammen.

Charlotte ist sehr jung, und nicht jedem jungen Menschen traut man zu, sich Kindern so zuzuwenden zu können, wie es ihr gegenüber Emily gelingt. Sie findet damit nicht nur bei dem Mädchen einen Platz im Herzen, sondern auch beim Leser. Wohltuend dabei ist, dass die Autorin mit Charlotte zwar eine sympathische, sich dem Leben des ausgehenden 19. Jahrhunderts stellende Frau geschaffen hat, die ihren Werdegang realistisch einzuschätzen vermag, mutig Fragen stellt und sich von ablehnendem Verhalten und Äußerungen nicht abschrecken lässt. Gleichwohl tritt sie nicht zu forsch auf und ist sich insbesondere ihrer Stellung im herrschaftlichen Haus und damit in der Gesellschaft bewusst. Und obwohl sie in der Hierarchie beispielsweise dem Kindermädchen Nora gegenüber eine höhere Stufe einnimmt, legt sie eine bescheidene Zurückhaltung an den Tag und vermag so, auf deren Befindlichkeiten - Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes - angemessen zu reagieren. Obwohl Nora und auch die übrigen Bediensteten im Haus keinerlei Hilfestellung bei der Lösung der Probleme geben.

Unterstützung dagegen erhält sie jedoch durch Thomas Ashdown. Ein zweiter Handlungsstrang, der zeitlich etwas früher, nämlich 1888 einsetzt, führt den geradlinigen und mitfühlenden Mann in das Geschehen ein. Tom hat wie Sir Andrew ebenfalls seine Frau verloren, der er in Liebe zugetan war und die er schmerzlich vermisst. Er arbeitet als Theaterkritiker äußerst erfolgreich und weiß geschickt mit Worten umzugehen. Durch eine intensive Beobachtungsgabe fallen ihm Dinge auf, die anderen verborgen bleiben. Aus diesem Grund hat ihn die Society of Psychical Research, die es im Übrigen tatsächlich heute noch gibt, gebeten, sich bestimmter übernatürlicher Phänomene anzunehmen und diese aus der Sicht eines klar denkenden Menschen zu beurteilen. Und als endlich auch Emilys Vater, nachdem die Ereignisse sich zuspitzen und geistige Gesundheit des Mädchens in Gefahr zu sein scheint, mit der Bitte um Beistand der Gesellschaft offenbart, dass ihm doch etwas am Wohl seiner Tochter liegt, entsendet diese Tom als ihren Vertreter.

Tom und Charlotte verstehen sich von Anfang an. Beide sind aufrichtig darauf bedacht, die Ursache für Emilys Verhalten herauszufinden. Während sich die Lage zuspitzt, entwickeln sie zarte Gefühle füreinander. Dies geschieht dezent, ist angenehm zurückhaltend und wird nicht in den Vordergrund gerückt.

So liegt der Blick weiterhin auf dem Hauptthema das Romans, das Geheimnis um Lady Ellen zu ergründen. Die Handlung kommt in einem ansprechende flüssigen und unterhaltenden Stil daher. Man fühlt sich in das England des 19. Jahrhunderts versetzt. Es gibt überraschende Momente, die auch ein wenig Spannung zu erzeugen vermögen. Die Hauptfiguren sind sorgsam ausgearbeitet worden. Lediglich Sir Andrew hätte - vor allem hinsichtlich seiner wahren Gefühle - ein wenig mehr Tiefe vertragen. Doch ein Hindernis für ein kurzweiliges Lesevergnügen ist dies nicht.