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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.12.2018

Ein poetisches Zeitdokument

Die Jahre der Leichtigkeit
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Wem die „Forsyte Saga“ viel zu kurz war und wer sich gewünscht hat, die Serie „Downton Abbey“ möge niemals enden, der wird auch die „Cazalet Chronicles“ lieben! Der erste Band der fünfbändigen „Cazalet ...

Wem die „Forsyte Saga“ viel zu kurz war und wer sich gewünscht hat, die Serie „Downton Abbey“ möge niemals enden, der wird auch die „Cazalet Chronicles“ lieben! Der erste Band der fünfbändigen „Cazalet Chronicles“ setzt da an, wo die letzte Staffel von „Downton Abbey“ aufhörte – kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Alles dreht sich um die neunköpfige Cazaletfamilie, ihre Kinder, Angestellten und zum Teil weiteren Verwandten.

William Cazalet, kurz Brig genannt, lebt mit seiner Frau Kitty, von allen Duchy genannt, und ihrer ledig gebliebenen Tochter Rachel in Sussex. Ihre drei Söhne, Hugh, Edward und Rupert leben mit ihren Familien in London. Brig hat es mit seinen beiden Söhnen Hugh und Edward – sein jüngster Sohn Rupert ist Lehrer – im Holzgeschäft zu großem Reichtum gebracht. Die langen Sommerferien verbringen alle zusammen auf dem Anwesen in Sussex. Inhalt des ersten Bandes sind die Sommermonate 1937 und 1938 – während der Sommer 1937 noch unbeschwert verläuft, wird der Sommer 1938 von der Angst eines Kriegsausbruchs überschattet. Hugh und Edward, die beide im Ersten Weltkrieg gedient haben, wissen was das bedeutet. Während Hugh, der eine Hand verloren hat, regelmäßig unter grässlichen Kopfschmerzen aufgrund einer schwerwiegenden Kopfverletzung zu leiden hat und von Alpträumen heimgesucht wird, scheint Edward unversehrt an Leib und Seele den Krieg überstanden zu haben. Er möchte vielmehr das Leben in vollen Zügen genießen, wobei gerne moralische Maßstäbe übergangen werden können. Rupert, der jüngste Sohn, träumt davon Maler zu werden, doch auch ihn holt die Realität schließlich in der Form ein, dass er Teilhaber des familiären Unternehmens wird. Während Sybil, Hughs Frau, ganz in ihrer Rolle als Frau und Mutter aufgeht, fehlt Edwards Frau Villy, die vor ihrer Heirat Balletttänzerin war, die berufliche Erfüllung. Ruperts zwölf Jahre jüngere bildhübsche Frau Zoë, die zu Anfang lediglich auf ihr Aussehen bedacht ist, reift schließlich doch durch Selbsterkenntnis vom Püppchen zur Frau.

Elizabeth Jane Howard zeichnet mit sicherer Hand die zahlreichen Charaktere in ihrem Buch. Angefangen beim fast achtzigjährigen Brig und aufgehört beim jüngsten Kindeskind Neville werden alle Figuren mit einer derart ausgereiften Menschenkenntnis und psychologischen Feinfühligkeit geschildert, dass sich der Leser in das Leben der Familie Cazalet einbezogen und unweigerlich jeder der Figuren in irgendeiner Form verbunden fühlt. Besonders zu loben ist die gelungene Darstellung der kindlichen Psyche. Auch scheut sich die Autorin nicht davor sogenannte Tabuthemen zu thematisieren, wie die des Ehebruchs, des familiären Kindesmissbrauchs oder der gleichgeschlechtlichen Liebe. Elizabeth Jane Howard ist zweifelsohne eine herausragende Schriftstellerin, deren großartiges Opus, das die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt – eine Zeit, in der sich nicht zuletzt sehr viel, wenn nicht fast alles, für die Frau änderte – nun endlich auch ins Deutsche übersetzt wird. Ich kann es kaum erwarten bis der zweite Band der Familiensaga auf den Markt kommt – denn dass ich die gesamten „Cazalet Chronicles“ lesen werde, steht für mich persönlich völlig außer Frage!

Veröffentlicht am 15.11.2018

Eine Quelle der Inspiration

Good Night Stories for Rebel Girls 2
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Francesca Cavallo und Elena Favilli haben sich zur Aufgabe gemacht, rebellische Mädchen und Frauen der Vergangenheit und Gegenwart dem breiten Publikum auf ansprechende, knappe und gleichzeitig sehr informative ...

Francesca Cavallo und Elena Favilli haben sich zur Aufgabe gemacht, rebellische Mädchen und Frauen der Vergangenheit und Gegenwart dem breiten Publikum auf ansprechende, knappe und gleichzeitig sehr informative Weise näher zu bringen.

Außergewöhnlich sind die skizzierten Frauen, weil sie gegen Gesellschaftsnormen rebelliert haben, indem sie Berufe ausübten, die als den Männern vorbehalten gelten, weil sie die Menschheit um wertvolles Wissen und Fortschritt bereichert haben, weil sie besonders mutig waren, sich für eine gute Sache eingesetzt haben oder weil sie eine Faszinations- und Inspirationsquelle für viele Menschen wurden. Oftmals vereinen die in diesem Band dargestellten Frauen mehrere dieser Elemente.

Die kurzen Portraits werden von Zitaten und Illustrationen fünfzig verschiedener Künstlerinnen abgerundet. Diese decken eine breite Palette ab: von abstrakt bis hin zu einer sehr realistischen, einer Fotografie ähnelnden Zeichnung. Mir haben fast alle Illustrationen gefallen, oftmals habe ich auch das entsprechende Foto gefunden, das als Vorlage gedient hat.

Das Buch ist eine tolle Quelle der Inspiration – den Frauen, die einen besonders angesprochen haben, kann man nun ganz einfach nachgehen und das Wissen vertiefen. Den Anstoß dafür stellt dieses Buch dar – und mehr bedarf es meiner Meinung nach auch nicht.

Persönlich würde ich das Buch Mädchen ab einem Alter von 12 Jahren empfehlen.

Veröffentlicht am 22.09.2018

Spannendes Puzzlespiel bis zur letzten Seite

The Wife Between Us
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Was über den Roman "The Wife Between Us" schreiben, ohne zu viel zu verraten?

Der Roman ist ein geniales Bespiel für die Manipulation durch selektives Erzählen. Er ist in drei Teile gegliedert, in denen ...

Was über den Roman "The Wife Between Us" schreiben, ohne zu viel zu verraten?

Der Roman ist ein geniales Bespiel für die Manipulation durch selektives Erzählen. Er ist in drei Teile gegliedert, in denen dem Leser kontinuierlich fehlende Puzzleteile in die Hand gegeben werden, aus denen er das Bild zusammenzulegen hat. Im ersten Teil ist das Erzählkonstrukt noch sehr grob gegliedert, es gibt viele Brüche und Unklarheiten, die den Leser bewusst in die Irre führen. Dies wird zusätzlich durch den Wechsel zwischen Vanessas und Nellies Perspektive verstärkt, wobei Vanessa in der Ich-Person erzählt, bei Nellie dagegen der personale Erzähler eingesetzt wird, der für eine größere Distanz zur Figur führen soll. Im zweiten und dritten Teil liegt uns dagegen nur noch die Ich-Perspektive vor, wobei im zweiten Teil, den man als Erinnerungsteil bezeichnen kann, viele Lücken aus dem ersten Teil gefüllt werden. Den dritten und letzten Teil des Romans würde ich als Handlungsteil bezeichnen, da sich hier die Schicksale der beteiligten Figuren entscheiden. Wenn man als Leser denkt, bereits alle Handlungsstränge und Beweggründe erfasst zu haben, switcht der Roman im knapp sechsseitigen Epilog zu Emmas Perspektive über und präsentiert dem Leser das letzte Puzzleteil, womit das Bild vervollständigt wird und daher die Spannung bis zur letzten Seite nicht nachlässt.

Man kann den Roman "The Wife Between Us" als Paradebeispiel des modernen Literaturbegriffs ansehen. Jede Art von Schreiben wird als Selektion, Interpretation und Dramatisierung von Ereignissen angesehen, was sich in den Gattungsformen der Autobiographie und derjenigen des Romans verdichtet: Je nachdem was und wie viel erzählt wird, entsteht eine andere Geschichte, eine neue ,Wahrheit‘. Dies wird ganz deutlich anhand der Aufteilung des Romans in drei Teile vor Augen geführt, indem die Selektion des Erzählens immer größere Kreise zieht. Nicht nur im formalen Aufbau besteht eine hohe Ähnlichkeit zwischen den beiden Gattungsformen, sondern auch inhaltlich, in Hinblick auf die Kausalität und Finalität: Am Ende entsteht die vom Roman herkommende Projektion von Folgerichtigkeit, der sinnhaften Bedeutsamkeit der Dinge und dem ,großen Sinn‘.

Greer Hendricks und Sarah Pekkanen haben das moderne Sprach- und Literaturverständnis verinnerlicht und uns in Form eines spannenden, unterhaltsamen und psychologisch lehrreichen Romans zur Verfügung gestellt!

Veröffentlicht am 08.05.2024

Intensiv, mitreißend, tragisch

Der Sommer, in dem alles begann
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Hélène ist sechzehn Jahre alt und lebt in der Bretagne: „Ihre Heimat, das ist nicht die anmutige Bretagne mit Meer und Möwen, den Gezeiten und dem Stechginster, der Salz und Sonne trotzt, nicht die Bretagne ...

Hélène ist sechzehn Jahre alt und lebt in der Bretagne: „Ihre Heimat, das ist nicht die anmutige Bretagne mit Meer und Möwen, den Gezeiten und dem Stechginster, der Salz und Sonne trotzt, nicht die Bretagne der Touristen und Segeljachten. Ihre Heimat, das ist das Landesinnere, die Bretagne der Kalvarienberge und Kapellen, mit moosbewachsenen Steinen, Farnkraut und Laubteppichen unter den Bäumen. Die Bretagne, in der man nicht Urlaub macht.“ Hélène ist zufrieden mit ihrem Leben und sie träumt nicht von der großen weiten Welt. Erst als die elegante und anmutige Literaturprofessorin aus Paris, Marguerite, als Lehrerin in die Bretagne kommt, stellt sie nicht nur Hélènes Welt auf den Kopf, sondern rüttelt das ganze Dorf auf – ganz besonders der Witwe Tanguy ist sie ein Dorn im Auge und so beschließt diese jener einen Denkzettel zu verpassen. Es brodelt auch in anderer Hinsicht unter der Oberfläche, denn Marguerites Ehemann Raymond bringt Hélènes Innenleben zunehmend durcheinander und ihr bretonischer Freund Yannik, der Hélènes innerliche Veränderung wahrnimmt, fühlt sich zu den rebellischen Kräften der Bretagne hingezogen. Eine Katastrophe ist vorprogrammiert. Gleichzeitig lernen wir das tragische Schicksal von Odette kennen, die während des zweiten Weltkrieges ihre Eltern verliert und nach Paris geht, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Wie ihr Schicksal mit dem von Hélène und Marguerite zusammenhängt, erfahren wir im Laufe des Romans.

Claire Léost ist eine Meisterin der leisen, intensiven Töne und der bittersüß tragischen Komponenten. Die Autorin hat einen wunderbaren, intensiven und mitreißenden Roman geschrieben, der tatsächlich die perfekte Sommerlektüre ist – denn wenn die Tage lang sind, kann man bis spät in die Nacht lesen. Ich konnte mich von Hélène, Marguerite und Odette und ihren tragischen Schicksalen nicht losreißen. Ich habe die Geschichte um diese drei Frauen an einem Tag und einer Nacht gelesen, bis mir die Augen brannten. Losreißen konnte ich mich nicht. Weswegen ich bei all dem Lobgesang nicht ganze fünf Sterne vergebe? Das hat zwei Gründe: Zum einen fand ich das erste Kapitel, in dem zwei Beerdigungen geschildert werden, äußerst verwirrend. Alle vorkommenden Figuren werden mit Namen genannt und die Szene wird sehr reduziert beschrieben. Ich konnte verständlicherweise nicht nachvollziehen, wer wer ist, und was es mit den einzelnen Personen auf sich hat. Als ich im Roman weiter fortgeschritten war, bin ich zu der Beerdigungsszene zurückgekehrt und habe sie im Nachhinein besser verstanden. Entweder hätte man die Szene anders schreiben oder chronologisch passend in den Roman einfügen sollen. Mein zweiter Kritikpunkt betrifft die Figur der Odette, deren Entwicklung ich im Laufe des Romans nicht recht überzeugend fand. Abgesehen von den beiden Kritikpunkten war ich von „Der Sommer, in dem alles begann“ – im Original „Le Passage de l’été“, also „Das Vergehen des Sommers“ – sehr angetan. Der Schreibstil, der niemals ins Sentimentale abdriftet noch an Glaubwürdigkeit verliert, hat mich sehr aufgerüttelt, und die in sich stimmige Geschichte noch lange nach Beendigung der Lektüre beschäftigt. Vor allem auch die Beschreibung der Bretagne – der Landschaft und des Klimas, deren Einwohner und ihrer Mentalität sowie der sprachlichen Besonderheiten – da ich Französisch verstehe, war dies oftmals aufschlussreich und erheiternd für mich – war sehr authentisch und hat der erzählten Geschichte das gewisse Etwas und das landestypische Flair verliehen. Eine große Leseempfehlung von meiner Seite, nicht nur für frankophile Leser!

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Veröffentlicht am 27.03.2024

Keine trockene Lektüre

Das kleine Buch der großen Risiken
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Jakob Thomä hat es sich zur Aufgabe gesetzt, alle die Menschheit bedrohenden Risiken in einem kleinen (210-seitigen) Buch zusammenzufassen und zu erläutern. Angefangen bei der Atombombe über Cyberrisiken, ...

Jakob Thomä hat es sich zur Aufgabe gesetzt, alle die Menschheit bedrohenden Risiken in einem kleinen (210-seitigen) Buch zusammenzufassen und zu erläutern. Angefangen bei der Atombombe über Cyberrisiken, Geoengineering, Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Vulkane und Waffen bis zu Zombies wird jeder Buchstabe des Alphabets in diesem Buch abgedeckt. Der Autor geht folgendermaßen vor und zwar erklärt er das Risiko in einem Satz, beantwortet die Frage „Muss ich mir Sorgen machen?“ und geht im Weiteren auf das behandelte Risiko näher ein. Dass er dabei keine (Recherche-)Arbeit gescheut hat, zeigt das über 13-seitige Inhaltsverzeichnis zur Sekundärliteratur. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei dem Buch um keine trockene Lektüre, da der Autor sowohl Humor als auch Persönliches in die einzelnen Kapitel einfließen lässt – zuweilen kamen mir manche humorvoll gemeinten Bemerkungen nicht ganz passend vor und manchmal habe ich ganz schlichtweg einige auch nicht verstanden, aber das mag bei jedem Leser und jeder Leserin sicher unterschiedlich sein. Was mich zusätzlich ein wenig irritiert hat beziehungsweise worüber ich gestolpert bin, war die Tatsache, dass fast ausschließlich von Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen gesprochen wurde, nicht von ForscherInnen und WissenschaftlerInnen, obwohl ganz bestimmt beide Geschlechter gemeint waren. Das Buch ist allerdings aus dem Englischen übersetzt worden und dort wird anders gegendert – ich bin also diesbezüglich etwas ratlos zurückgeblieben.

Um aber zu einem zusammenfassenden Fazit zu kommen, ist „Das kleine Buch der großen Risiken“ folgendermaßen gedacht: Es umreißt ein Risiko, das unsere Existenz bedroht, es gibt einen groben Überblick über die Sachlage mit sehr viel persönlichem Input seitens des Autors und es soll zu eigenen Gedanken und Recherchen anregen, soweit das Interesse des Lesers beziehungsweise der Leserin zu einem bestimmten Punkt geweckt wurde. Als ganz und gar nicht trockene Literatur kann man „Das kleine Buch der großen Risiken“ jedem Leser egal welcher Altersgruppe in die Hand drücken und schauen, was passiert.