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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.06.2024

Emotional ergreifend und fesselnd - trotz ein paar kleiner Stolpersteine

Unter Wasser ist es still
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Ein Buch, das Aufmerksamkeit verdient - auch wenn ich ein paar Verbesserungswünsche habe. Doch trotz dessen hat mich der Debütroman von Julia Dibbern in seinen Bann gezogen und damit extrem überrascht.

Das ...

Ein Buch, das Aufmerksamkeit verdient - auch wenn ich ein paar Verbesserungswünsche habe. Doch trotz dessen hat mich der Debütroman von Julia Dibbern in seinen Bann gezogen und damit extrem überrascht.

Das Eröffnungskapitel blickt 17 Jahre zurück und ist herzzerreißend. Protagonistin Maira kümmert sich um ihre Mutter - warum, wird später erklärt. Sie ist aber erst 17 und entsprechend überfordert mit der immensen Aufgabe. Eines Tages kehrt sie zurück zum Haus, während ihre Mutter leblos in einen Krankenwagen geschoben wird. Voller Schuldgefühle bricht sie zusammen. Und ihre Mutter ist nicht das einzige Todesopfer an diesem Tag.. 💔

Darauf aufbauend hat die Autorin einen atmosphärischen und emotionalen Roman über unterdrückte Trauer, Schuldgefühle und Vergangenheitsbewältigung geschrieben. Maira lebt mittlerweile in Frankfurt, benötigt für ihre Zukunft aber eine größere Menge Geld und entschließt sich deshalb dazu, ihr Haus in Soeterhoop an der Ostsee zu verkaufen. Davor fährt sie allerdings noch einmal hin, das erste Mal seit dem Tod ihrer Mutter, und trifft dort nicht nur auf ihre Kinderheitsfreund*innen, sondern auch auf längst verschüttete Erinnerungen.

Der Roman ist streckenweise ziemlich beschreibend und ich bin eher Fan von dichten Dialogen. Deshalb wäre mir die Handlung an einigen Stellen etwas kürzer lieber gewesen. Auch manche Nebenfiguren hätte ich gern noch genauer kennengelernt. Einige Handlungsstränge wurden lange angedeutet und erst sehr spät aufgelöst, manche blieben sogar offen.

Doch trotzdem konnte ich nicht aufhören zu lesen und war emotional sehr mitgenommen. Maira ist eine greifbare Protagonistin mit einem tiefen Trauma und die Aufarbeitung dessen emotional sehr detailliert beschrieben. Ihre Naturverbundenheit und ihr Idealismus im Kampf für eine bessere Welt ist spürbar und absolut liebenswert. Auch die Umgebung des Darß ist ein Highlight für alle Wassermenschen. Und außerdem gibt es wunderschöne Walszenen, für die es sich meiner Meinung nach dreimal lohnt! 🐋

Besonders für alle, die eine Figur intensiv bei ihrer Entwicklung begleiten wollen, ländliche Meeres-Settings mögen und vielleicht sogar etwas Heilung suchen für die eigene Trauer, empfehle ich das Buch von Herzen. ❤️‍🩹

PS: Einen besonderen Platz in meinem Herzen hat die Autorin für einen Satz ihrer Danksagung: „Danke deswegen an alle engagierten Buchhändlerinnen und Bibliothekarinnen (Männer sind mitgemeint).“ 😃

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Veröffentlicht am 15.06.2024

Gelungene Einblicke in die innere Zerrissenheit eines Teenagers

Beat vor der Eins
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Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Besonders Menschen, die sich gerade aus einer Leseflaute retten müssen (wie ich 😅), empfehle ich es von Herzen. Durch die sehr kurzen Kapitel wird mensch in das Buch ...

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Besonders Menschen, die sich gerade aus einer Leseflaute retten müssen (wie ich 😅), empfehle ich es von Herzen. Durch die sehr kurzen Kapitel wird mensch in das Buch und die Gedanken von Ina hineingesogen. Der Schreibstil ist fragmentarisch und direkt, genau das macht es für mich so authentisch.

Was Ina alles erleben muss, ist schwer und teilweise traumatisch. An der Stelle hätte ich mir Inhaltswarnungen gewünscht und ergänze sie am Ende meiner Rezension.
Doch abgesehen davon mochte ich die rasante Schreibweise, die bruchstückhaften Erzählungen und die spürbare innere Zerrissenheit eines Teenagers. Am Ende wollte ich Ina gern einfach sagen, dass es besser wird. 💚

Rundum ein wirklich gelungenes Buch!


(TW: sexueller Missbrauch, Angst vor Schwangerschaft, Abwertung des eigenen Körpers)

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Veröffentlicht am 30.05.2024

Liebevolle queere Romance über Freund*innenschaft und das Finden der eigenen Sexualität

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
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Kate Youngs Debüt hat mir richtig gut gefallen. Bette ist recht frisch als lesbisch geoutet und in ihrer ersten Beziehung mit einer Frau - Mei. Trotz des vermeintlichen Glücks schlägt Mei eine Beziehungspause ...

Kate Youngs Debüt hat mir richtig gut gefallen. Bette ist recht frisch als lesbisch geoutet und in ihrer ersten Beziehung mit einer Frau - Mei. Trotz des vermeintlichen Glücks schlägt Mei eine Beziehungspause von 3 Monaten vor, damit Bette sich noch einmal ausprobieren und dann ganz sicher sein kann, dass sie sich auch wirklich an Mei binden will.

Der Aufhänger ist so absurd wie originell und bietet den perfekten Einstieg in eine Geschichte rund um Selbstfindung und Zusammenhalt. Obwohl Bette mir am Anfang einfach schrecklich leid tat und ich Meis Vorschlag unmöglich bevormundend finde, wird schnell klar, dass er durchaus auch legitime Elemente enthält.

Das Thema rund um ein spätes Outing und das damit verbundene Suchen der eigenen Präferenzen, vor allem im Bereich Sexualität, fand ich extrem sensibel und nachvollziehbar dargestellt. Bette ist super sympathisch und eine Figur mit Tiefe. Als sie im Zuge ihres ersten lesbischen Online-Datings Ruth kennenlernt, entsteht ein zarter Raum für neue Verbindungen.

Was die Handlung für mich wirklich wunderschön gemacht hat, sind die vielen Menschen ins Bettes und Ruths Leben. Viele sind ebenfalls queer, manche aber auch nicht, und das Miteinander ist geprägt von so viel Respekt und bedingungsloser Liebe, dass ich mich richtig umarmt gefühlt habe. 🥹 Auch die Beschreibung von Körpern empfand ich als unendlich heilsam und liebevoll. Gerade in einer Welt, in der Körper permanent bewertet werden, hat Kate Young hier einen Weg gefunden, genau das auf zärtliche Weise eben nicht zu tun. Zudem sind die Romanfiguren recht divers, ohne auf diesem Punkt herumzureiten. Dadurch entsteht eine sehr angenehme Normalität.

Einen Stern gebe ich Abzug, weil das Buch an manchen Stellen seine Längen hatte und ein bisschen kürzer hätte sein können. Auch die spicy Szenen hätten für meinen Geschmack noch etwas ausführlicher beschrieben sein können. 😇

Insgesamt aber ein wirklich tolles Debüt mit viel Liebe für alle, die sich manchmal einsam fühlen in dieser Welt. ❤️

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Veröffentlicht am 11.05.2024

Was für ein besonderes, emotionales und lehrreiches Buch!

Issa
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In „Issa“ begleiten wir die gleichnamige Protagonistin in den frühen 2000ern parallel zu ihren Ahninnen - beginnend mit ihrer Ur-Ur-Großmutter Enanga etwa 100 Jahre zuvor. Issa ist am Anfang ihrer ersten ...

In „Issa“ begleiten wir die gleichnamige Protagonistin in den frühen 2000ern parallel zu ihren Ahninnen - beginnend mit ihrer Ur-Ur-Großmutter Enanga etwa 100 Jahre zuvor. Issa ist am Anfang ihrer ersten Schwangerschaft und wird von ihrer Mutter quasi dazu genötigt, in die Heimat Kamerun zu fliegen und sich dort spirituellen Ritualen zum Schutz der Schwangeren sowie ihres Kindes zu unterziehen. Dort trifft Issa auf ihre Großmutter Namondo und ihre Urgroßmutter Marijoh.

Mit Issas Figur wird eindrücklich der innere Schmerz einer Suche nach der eigenen Identität sowie das von außen zugefügte Leid in Form von Alltagsrassismus in Deutschland gezeichnet. Sie scheint zu weiß für Kamerun und zu Schwarz für Deutschland zu sein. Ihre Reise im Verlauf des Buches mitzuerleben und zu sehen, wie sie ihren Frieden findet, hat mich sehr berührt. Die Erfahrungen ihrer Ahninnen zentrieren sich vor allem um den deutschen Kolonialrassismus sowie das gewaltvolle Patriarchat zu ihren jeweiligen Zeiten, aber auch ganz besonders um weiblichen Widerstand in verschiedenen Formen.
Mirrianne Mahn schafft es auf eine bemerkenswerte Art, die Geschichten aller 5 Figuren miteinander zu verweben, denn schließlich sind sie auch tatsächlich verbunden. Die unbeschreiblichen Gewalterfahrungen von Enenga sowie deren Tochter Marijoh, deren Tochter Namondo und deren Tochter Ayudele (Issas Mutter) resultieren in Strenge und Gewalt, die an die jeweiligen Töchter weitergegeben wird. Die Autorin schafft es meiner Meinung nach an der Stelle geschickt, den Traumata zwar Raum zu geben, Gewalt gegenüber Kindern aber nicht zu beschönigen.

Große Pluspunkte sind für mich der Stammbaum sowie die Landkarte zur Region im Westen Kameruns, in der die Geschichte spielt. Mahn spielt auch mit einem Mix an Sprachen und flicht Worte aus verschiedenen lokalen Sprachen mit ein. Das finde ich einerseits spannend und wichtig, es reißt mich aber trotzdem immer etwas aus dem Lesefluss. Großes Lob daher hier auch für die Umsetzung - Worte, welche im Glossar erklärt werden, sind stets kursiv gedruckt. Dieses einfache Signal hat mir an der Stelle sehr geholfen.

Der Roman hat mir so viel Wissen vermittelt, das ich beschämenderweise nicht hatte. Er enthält vor allem in Issas Erzählperspektive einen angenehmen Humor und eine liebevolle Skepsis den schamanischen Ritualen gegenüber. Ich persönlich habe keinen Bezug zu Spiritualität, fand die Perspektiven darauf aber sehr bereichernd und ausgewogen. Von den Gewalterfahrungen und den deutschen Kolonialverbrechen zu lesen, tut wirklich weh und das sollte es auch. Gleichzeitig war es einfach nur wundervoll zu sehen, wie die Frauen dieser Geschichte miteinander verbunden sind und solidarisch über Generationen hinweg beieinander stehen - auf ganz verschiedenen Wegen. Manche Perspektiven hätten gerade zum Ende hin noch etwas detaillierter sein können, da ich die Figuren dahinter gern näher kennengelernt hätte. Der Punkt lässt sich in meinen Augen aber gut verschmerzen. Ein wirklich großartiges Debüt!

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Veröffentlicht am 27.04.2024

Keine Liebe ab Seite 1, aber eine, für die es sich lohnt dranzubleiben!

Hallo, du Schöne
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Nicht, dass dieser Roman noch Werbung benötigen würde. Aber ich war am Anfang fast etwas ernüchtert, weil ich mich doch erstaunlich schwer damit getan habe, eine Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Umso ...

Nicht, dass dieser Roman noch Werbung benötigen würde. Aber ich war am Anfang fast etwas ernüchtert, weil ich mich doch erstaunlich schwer damit getan habe, eine Beziehung zu den Figuren aufzubauen. Umso froher bin ich, dass ich über das erste Viertel hinaus weitergelesen und den Charakteren eine Chance gegeben habe. Denn dann hat es mein Herz richtig auseinandergenommen.

„Hallo, du Schöne“ - kein unangenehmer Spruch übrigens, aber findet das mal selbst heraus - dreht sich um die vier Padavano-Schwestern Julia, Sylvie, Emeline und Cecelia sowie William, der als gerade Erwachsener in die Familie aufgenommen wird, weil seine Eltern ihn de facto aus ihrem Leben gestrichen haben. Ann Napolitano hat sich von „Little Women“ inspirieren lassen und das ist deutlich zu spüren. Das Band der Schwestern ist unbeschreiblich eng, ihre Liebe zueinander unendlich groß. Im Laufe der Geschichte passieren aber Dinge, die dieses Band auf die Probe stellen und sogar zum Reißen bringen. Primär spielt das Buch im Chicago der 80er-Jahre, nimmt zum Ende hin zeitlich aber schnell Fahrt auf und reicht dann bis ins Jahr 2008, wo die Geschichte ihr traurig-schönes Ende findet.

Ich mag Perspektivenwechsel und zeitliche Verläufe sehr gern. Trotzdem habe ich mich bei aller freudiger Erwartung zu Beginn schwer getan. Zum einen umfassen die einzelnen Kapitel/Perspektiven jeweils einen mehrmonatigen oder mehrjährigen Zeitraum, welcher sich manchmal leicht überschneidet. Da ich immer darauf geachtet habe, wo genau wir uns jetzt befinden, hat mich das wiederholt aus dem Konzept gebracht. Auch konnte ich William zu Beginn einfach nicht sonderlich leiden, ich fand ihn so düster in seinen Gedanken und das insgesamt schwer aushaltbar. Nach einem Schlüsselerlebnis habe ich ihn aber endlich verstanden und ab da ging es bergauf. Neben seiner lesen wir Julias, Sylvies und später Alice’ Perspektive (Tochter von pssst). Julia bricht den Kontakt zu ihren Schwestern wegen eines weiteren Ereignisses für viele Jahre ab und kommt deshalb im weiteren Verlauf nicht mehr so oft zur Sprache. Das fand ich gut, denn ich mochte ihre Figur nicht besonders.

Das Buch hat für mich etwas Besonderes geschafft: Obwohl ich lange dachte, die Charaktere sind mir zu anstrengend und irgendwie nicht sonderlich tief, war ich nach dem ersten Viertel komplett invested, habe mitgefiebert und sehr mitgelitten. Die Liebe zwischen den Figuren ist greifbar und hat mein Herz aua-heile gemacht. Sprachlich würde ich das Buch als melancholisch mit poetischen Anklängen bezeichnen. Mit Letzterem habe ich normalerweise große Probleme, hier fand ich es aber in einem total schönen Maß angewandt. Die Geschichte wirft Fragen darüber auf, was (traumatisierte) Eltern an die nachfolgende Generation weitergeben und das hat mich an einigen Stellen betroffen, aber auch wütend gemacht. Außerdem geht es um Liebe über ein romantisches Maß hinaus, um Vergebung und um die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod. Wer fühlen will und gewillt ist, sich auf die Geschichte einzulassen, wird hier ganz viel gewinnen können.

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