Profilbild von chiaralara36

chiaralara36

Lesejury Star
offline

chiaralara36 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit chiaralara36 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.06.2024

Familie kann man sich nicht aussuchen

Ein falsches Wort
0

Vier Geschwister, Bard, Bergljot, Astrid, Asa, die Ich-Erzählerin Bergljot hat seit 20 Jahren keinen Kontakt zu den Eltern, lediglich zur älteren der beiden jüngeren Schwestern Astrid besteht sporadisch ...

Vier Geschwister, Bard, Bergljot, Astrid, Asa, die Ich-Erzählerin Bergljot hat seit 20 Jahren keinen Kontakt zu den Eltern, lediglich zur älteren der beiden jüngeren Schwestern Astrid besteht sporadisch telefonischer Austausch.

Als mit zunehmendem Alter der Eltern zu Tage tritt, dass die beiden jüngeren Schwestern zwei Ferienhütten zu einem sehr geringen Schätzwert überschrieben bekommen haben, bricht der Älteste der Geschwister Bard mit der Familie und Bergljot wird erneut in die Konflikte der Familie involviert. Es wird deutlich, dass die Entscheidung der Eltern zur offensiven Bevorzugung der zwei jüngsten Geschwister nicht nur die Eltern - Kind - Beziehung betrifft, auch das Verhältnis der Geschwister untereinander, seine Konflikte und Verletzungen brechen auf. Nicht zuletzt bleibt auch die Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln von dem Konflikt nicht unberührt.
Es ist das Erbe, welches letztlich den Anlass gibt, doch schnell wird deutlich, es ist ein Symptom nicht die Ursache, es ist ein Ausdruck der tiefen Konflikte und Verletzungen der Vergangenheit in der Familienkonstellation, der diese materialisiert, für alle sichtbar, nicht mehr ignorierbar macht.

So werden wir in ein falsches Wort Zeuge eines verdrängten und geleugneten Familientraumas, das sich so oder ähnlich allzu oft hinter verschlossenen Türen abspielt und damit nicht weniger traurig und schmerzhaft ist. Bergljots Emotionen sind in all ihrer Widersprüchlichkeit sehr authentisch eingefangen, zwischen Verletzung und Trauma auf der einen, Scham und übernommenen Schuldgefühlen auf der anderen Seite und über allem das Aufbegehren sich von all dem zu lösen, sie selbst zu sein, sein zu dürfen und glücklich zu sein. Und gleichzeitig wird deutlich, dass alle Familienmitglieder ihre eigene Wahrheit und Erinnerung haben, überlagert und geschwängert mit eigenen Emotionen und Verletzungen, die die Kommunikation immer schwieriger werden lassen.

Die Gegenwart in der gerade der Vater verstorben ist und die vergangen Monate zuvor mit der Eskalation des Erbstreits durch Bergljot reflektiert wird, findet Ergänzung in Erinnerungen aus der ferneren Vergangenheit bis zur Kindheit, in denen die Autorin Schicht für Schicht die Ursachen der Entfremdung und Kindheitsverletzungen freilegt.

Der Stil ist distanziert und eindringlich zugleich, in kurzen, pointierten Sätzen entwirft Vigdis Hjorth das Porträt einer dysfunktionalen Familie. In dieser schnörkellosen Sprache findet sich die Kargheit der Familiensituation wieder und spiegelt sie gekonnt.

Vigdis Hjorth zeigt uns mit ihrem Roman auf, wie tief Verletzungen innerhalb der Familie sitzen und wie mächtig sie sind, vergessen geglaubt, jederzeit und unerwartet imstande wieder aufzubrechen. Beim Lesen dachte ich immer wieder an Anna Karenina: alle glücklichen Familien sind gleich glücklich, jede unglückliche Familie ist es auf ihre Art. Und so zeigt uns Vigdis Hjorth eine Variation dieses Unglücks auf, in all seinen Facetten und mit einer wortmächtigen direkten, authentischen Sprache.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.05.2024

Gelungene Mischung aus kulinarischem Reisebericht, Restaurant-Homestory und Kochbuch

Salt and Silver am Meer
0

Einmal um die Welt kochen und probieren und dann mit viel Liebe für die eigene Region und Kreativität in St. Peter Ording auf den Teller bringen? Das haben Cozy und Jo, Salt & Silver, gemacht und in diesem ...

Einmal um die Welt kochen und probieren und dann mit viel Liebe für die eigene Region und Kreativität in St. Peter Ording auf den Teller bringen? Das haben Cozy und Jo, Salt & Silver, gemacht und in diesem Buch kann man die beiden fast hautnah dabei begleiten.

Neben den leckeren Rezepten ist das Besondere des Kochbuchs für mich, dass die Autoren uns im ersten Teil des Buchs auf eine Art kulinarische Inspirationsreise um die Welt mitnehmen, von Marokko über Kalifornien und Lateinamerika, Israel und Libanon, Toskana und Portugal bis nach Japan und Korea. Daneben gibt es auch Einblicke in das eigene Restaurant am Meer, und seine Küche, sodass man sich mit den persönlichen Texten und Berichten dazu wie in einer Art Restaurant-Homestory mit den beiden fühlt.

Die Rezepte sind im Sinne einer saisonalen Küche nach Jahreszeiten aufgeteilt, plus ein kleines aber feines eigenes Austernkapitel. Unbedingt erwähnenswert ist das Extrakapitel zu Grundrezepten, hier finden sich u.a. auch Rezepte für verschiedene Aromaöle! Richtig toll!

Die Mischung aus regional norddeutscher Küche mit Einflüssen aus verschiedenen kulinarischen Kulturräumen ist sehr gelungen. Mein Favorit ist die bunte Bete mit Labneh, mmmh, richtig lecker!

Bereichert wird die kulinarische Entdeckungsreise durch hochwertige stimmungsvolle Fotoaufnahmen.

Mit dem Layout bin ich nicht ganz so gut zurecht gekommen, zumindest für ein Kochbuch. Für mich ist das Buch insgesamt mehr ein Coffee-Table-Book zum Stöbern, Lesen und Inspirieren als ein reines Kochbuch, jedoch deshalb nicht weniger empfehlenswert! Der Einband und die Gestaltung sind sehr wertig und das Buch damit auch wunderbar als Geschenk geeignet!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.05.2024

Ein Toter, ein Luxushotel und das wunderschöne Meran - Ermittlungen mit Spannung und Humor

Merano fatale
0

Ein gepflegter Mann aus Frankfurt bricht tot auf der Terrasse des beliebten Meraner Cafés Unterweger zusammen. Es gibt schlechtere Orte zu sterben, wie Ispettore Emmenegger feststellt. Doch dies ist noch ...

Ein gepflegter Mann aus Frankfurt bricht tot auf der Terrasse des beliebten Meraner Cafés Unterweger zusammen. Es gibt schlechtere Orte zu sterben, wie Ispettore Emmenegger feststellt. Doch dies ist noch keine hinreichende Erklärung für den Tathergang. Handelt es sich um Selbstmord? Oder Mord?

Für Ispettore Emmenegger und seine Kollegin Eva gilt es dies herausfinden und damit beginnt eine spannende und unterhaltsame Ermittlungsreise durch das wunderschöne Meran und seine Schätze. Die Dynamik und Harmonie zwischen dem Ermittlerduo, das auch privat ein Paar bildet, ist sehr schön ausgearbeitet und auch darüber hinaus bereichern einige zum Teil originelle Protagonist:innen die Handlung. Allen voran natürlich Hund Hilde, die immer wieder für komische Situationen sorgt.

Die Spannung wird immer wieder durch neue Handlungstwists und Enthüllungen aufrechterhalten und im Verlauf weiter gesteigert. Ein bisschen aus der Zeit gefallen erschienen mir hin und wieder recht stereotype Geschlechterrollen, wie beispielsweise zickige Frauen und grummelige Herren, was jedoch auch durch die Generation der handelnden Personen bedingt sein kann.

Ein toller Bonus sind im Anhang die original Südtiroler Rezepte, die auch im Roman gekocht wurden!

Insgesamt überzeugt Merano Fatale mit einer gelungenen Mischung aus Spannung und humorvollen Szenen ergänzt um wunderschöne Landschafts- und Stadtbeschreibungen, die beim Lesen ein Urlaubsgefühl aufkommen lassen! Ein toller Lokalkrimi zum Mitfiebern, Träumen und Schmunzeln!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2024

Ein sehr persönlicher Reisebericht mit viel Kulinarik, Historie und Lebensart Italiens

Die Spaghetti-vongole-Tagebücher
0

Den Titel auf ein Gericht zu reduzieren, ist eine wahre Untertreibung für den vielfältigen kulinarischen Inhalt dieses Buchs. Und auch bei der Kulinarik ist nicht Schluss, denn in den Spaghetti Vongole ...

Den Titel auf ein Gericht zu reduzieren, ist eine wahre Untertreibung für den vielfältigen kulinarischen Inhalt dieses Buchs. Und auch bei der Kulinarik ist nicht Schluss, denn in den Spaghetti Vongole Tagebüchern, gibt Autor Stefan Maiwald ebenso interessante und unterhaltsame Einblicke in die italienische Geschichte, Kultur und Lebensart.

Der Autor nimmt uns mit in seine Vorbereitungen für sein großes Geburtstagsmahl bei dem es in erster Linie darum geht seine kritischen Schwiegereltern zu überzeugen. Für den Anspruch der besten, authentischsten Küche, Rezepten, Zutaten und Inspiration reist er dafür von Conegliano nach Triest.

Dabei erfahren wir nicht nur viel über die Region und unglaublich leckere Rezepte. In den Einschüben - Am Wegesrand - gibt der Autor auch immer wieder Einblicke und Informationen zur Herkunft von Rezepten, italienischen Eigenarten, oder auch Mussolinis Verhältnis zur Pasta.

Der Schreibstil ist sehr flüssig und einnehmend, man hat fast das Gefühl vom Autor direkt angesprochen und mitgenommen zu werden auf seine Reise und Begegnungen.

Unbedingt erwähnenswert ist auch, dass das ganze Buch nicht nur inhaltlich ein Genuss ist, auch Layout, das Cover und seine Haptik, überzeugen auf ganzer Linie.

Die Spaghetti Vongole Tagebücher sind ein kurzweiliger Leseurlaub in Italien, bei dem man ganz in die Region eintauchen kann, dabei viel über das italienische Kochen und Verhältnis zum Essen ebenso wie die Lebensart und Kultur erfährt und direkt etwas Leckeres zaubern möchte - bei mir ist es das Tiramisu.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2024

Berlin in der Nachwendezeit, 4 Freundinnen und ein großer Verlust - sensibel und authentisch erzählt

Auf Erden
0

Auf Erden erzählt die Geschichte einer Freundschaft von vier jungen Mädchen, ihres Erwachsenwerdens und eines großen Verlusts. Sunny ist gerade 40 als ihr Vater nach schwerer Krankheit stirbt und ein tiefes ...

Auf Erden erzählt die Geschichte einer Freundschaft von vier jungen Mädchen, ihres Erwachsenwerdens und eines großen Verlusts. Sunny ist gerade 40 als ihr Vater nach schwerer Krankheit stirbt und ein tiefes Loch in ihr Leben und seine Gewissheiten reißt. Die Erinnerung an ihren Vater und die wichtige Rolle, die er in ihrem Aufwachsen und ihrer Prägung eingenommen hat, ist untrennbar mit der Erinnerung an ihre drei besten Freundinnen verbunden.

Anne Kanis erzählt in diesem Kontext authentisch und sensibel von Trauer, Familienvariationen und wie sie auf uns und unser Leben einwirken, Freundschaft und wie sich diese verändert, Zumutungen des Lebens in der DDR, ebenso wie der schwierigen Nachwendejahre, und nicht zuletzt auch Gewalt gegen und Sexualisierung von Frauen, in öffentlichen Räumen, der Familie, und dem Lehrkontext. Und trotz dieser schweren, wichtigen Themen scheint immer wieder eine unbändige Leichtigkeit durch die Zeilen, angetrieben von einer Stimmung im Berlin der Nachwendezeit, als das Alte am vergehen, das Neue erst im Entstehen war und so für wenige Jahre ein historischer Moment und Zeitabschnitt von Freiheit und Möglichkeitsräumen eröffnet war, der die Jugend der vier Freundinnen geprägt hat.

Mit dem Fokus auf die verschiedenen Familienhintergründe, der sonst so ähnlichen Mädchen, arbeitet Anne Kanis die feinen Unterschieden zwischen ihnen heraus. Diese feinen Unterschiede erklären sich nur begrenzt aus den klassischen feinen Unterschiede im Sinne Bordieus. Vielmehr stellt die Autorin zusätzlich eine Form von emotionalen Kapital in Familien und nicht zuletzt der Vaterrolle heraus, als zentralen feinen Unterschied im Freundinnen-Kleeblatt und als solches sehr wirkmächtig, für die Entwicklung und vermeintliches Glück eines Kindes.

Der Roman ist über weite Strecken wirklich stark in seiner Umsetzung. Lediglich zum Ende zeigt er Schwächen mit einem zu glatten Finale und einigen Klischees.

Auf Erden ist ein sensibel und klug erzählter Roman über eine Mädchenfreundschaft im Berlin der Nachwendezeit, den Verlust eines geliebten Menschen und der Frage, wie Familie uns prägt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere