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Veröffentlicht am 17.05.2024

Moskito und Titicaca auf Juist

Die Schule am Meer
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Eine reformpädagogische Internatsschule zu etablieren ist der Traum von Martin Luserke und Paul Reiner. Den idealen Platz dafür finden sie im Loog auf der ostfriesischen Insel Juist. Voller Tatendrang ...

Eine reformpädagogische Internatsschule zu etablieren ist der Traum von Martin Luserke und Paul Reiner. Den idealen Platz dafür finden sie im Loog auf der ostfriesischen Insel Juist. Voller Tatendrang schaffen die Lehrer und Lehrerinnen gemeinsam mit den Schülern einen Ort, der neue Wege beschreitet. Musischen und naturwissenschaftlichen Fächern wird viel Raum gegeben, es wird gesegelt und geschwommen und der Lehrkörper wird geduzt. Es herrscht trotz einiger Entbehrungen und viel Arbeit ein freier Geist. Ein Liebling der Internatszöglinge ist Anni Reiner, Pauls Frau, die aus einer vermögenden Frankfurter Familie stammt und erhebliche Summen in die Schule investiert. Vielen Insulanern hingegen ist das Treiben im Loog ein Dorn im Auge und als die Nationalsozialisten an Einfluss gewinnen, muss die als "Kommunisten- und Judenschule" titulierte Schule am Meer um ihre Existenz bangen.

Sandra Lüpkes hat einen wahren Schmöker geschrieben. Wunderbar hat sie Fakten über das Internat mit Fiktion verwoben und so der Schule, ihren Lehrern und Schülern ein Denkmal gesetzt. Im Zentrum steht Anni Reiner, die sich uneingeschränkt für ihre Schule eingesetzt hat und vieles erdulden musste. Sie wird im Zusammenhang mit der Schule am Meer bisher kaum erwähnt. Der Autorin, selbst auf Juist aufgewachsen, war es ein Anliegen, gerade dies zu ändern. Anhand von persönlichen Aufzeichnungen der Familie Reiner und Gesprächen mit Annis jüngster Tochter Karin, die auf Juist geboren wurde, konnte sie sich ein Bild dieser außergewöhnlichen Frau machen.

Der Roman verfolgt die Geschichte der Gründung der Schule bis zur ihrer Schließung, eingebunden in reale und erdachte Schicksale von Anni, Moskito, Marje, Zuck (Eduard Zuckmayer) und Inselbewohnern, zwischen warmen Sommertagen am Strand und einer wegen Kälte und Eis isolierten Insel. Es ist eine Internatsgeschichte, eine Familiengeschichte, eine Inselgeschichte und auch eine Geschichte über den Untergang der Weimarer Republik, in dessen Strudel auch die Schule am Meer gerät.

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Veröffentlicht am 15.05.2024

Das Bild der Woche

Das Foto schaute mich an
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Alle drei Wochen erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Feuilleton das "Bild der Woche", ausgesucht von Katja Petrowskaja, die dazu einen kurzen Text verfasst. Insgesamt 57 Kolumnenbeiträge ...

Alle drei Wochen erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Feuilleton das "Bild der Woche", ausgesucht von Katja Petrowskaja, die dazu einen kurzen Text verfasst. Insgesamt 57 Kolumnenbeiträge aus den Jahren 2015 bis 2021 sind in diesem Buch versammelt, bis auf wenige Ausnahmen sind alle Bilder in schwarz-weiß.

Die Bilder sind sehr unterschiedlich, ebenso wie ihre Herkunft: Fotos aus Ausstellungen, aus Archiven, private Aufnahmen, Plakate, gar ein Plattencover ist dabei, das letzte Foto stammt von der Autorin selbst. Gelegentlich sind es Bilder aus Serien, die in Büchern oder Ausstellungen zu sehen sind bzw. waren. Jeder sieht etwas anderes in einem Bild, wird an etwas erinnern, verbindet etwas mit dem Abgebildeten. So sind auch die Bildbesprechungen von Petrowskaja sehr persönlich. Läßt man das Bild auf sich wirken, ist man überrascht, was der beigefügte Text dann offenbart: Kleinigkeiten, die einem entgangen sind, Interpretationen, an die man gar nicht gedacht hat, Bezüge, die man nicht hergestellt hat. Die feine Beobachtungsgabe und die Interpretationen der Autorin haben mich beeindruckt und ich habe die Texte mit großem Interesse gelesen. Sie vermitteln neben dem oft ganz persönlichen Bezug auf eigenes Erleben und eigenes Betrachten auch viele Fakten über die Künstler und Künstlerinnen, deren Projekte, einflussreiche und wichtige Veröffentlichungen und das Abgebildete selbst. Manchmal hat mich ein Text viel stärker fasziniert als das Foto. Eines meiner Lieblingsbilder ist "Old Men's Toy Shop" (S. 168), das zunächst so wohltuend freundlich wirkt. Es wird durch den Text in ein anderes Licht gerückt und erzählt alles das, was man nicht sieht. Dadurch wird auch deutlich, dass viel Recherchearbeit in das Verfassen der Bildbeschreibungen eingeflossen ist.

Ich habe diese Sammlung gerne gelesen, weil sie Einblicke in viele Lebensbereiche gewährt, an Dinge erinnert, die man mal gehört, aber wieder vergessen hat, viele Bezüge zu bekannten Künstler*innen aufdeckt und die Neugier weckt, sich mit vielem intensiver zu beschäftigen.

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Veröffentlicht am 12.05.2024

Das alte Strandhaus

Sommer in Maine
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Alice ist die Matriarchin einer großen Familie, die jedes Jahr die Sommermonate zwischen sich aufteilt, um im geliebten Strandhaus umschichtig Urlaub machen zu können. Besonders die Frauen sind untereinander ...

Alice ist die Matriarchin einer großen Familie, die jedes Jahr die Sommermonate zwischen sich aufteilt, um im geliebten Strandhaus umschichtig Urlaub machen zu können. Besonders die Frauen sind untereinander zerstritten und sparen nicht mit bissigen Bemerkungen, Anspielungen und Beleidigungen. Wieder einmal steht der Sommer vor der Tür, doch dieses Mal wird alles anders werden...


Ganz langsam baut die Autorin die verzweigte Familiengeschichte auf, indem sie die Kapitel abwechselnd aus der Sicht von Alice, ihrer Tochter Kathleen, ihrer Schwiegertochter Ann Marie und Maggie, ihrer Enkeltochter, schildert. Mit jedem Abschnitt erfahren wir mehr über die Familie, besonders über das schwierige Verhältnis der Frauen untereinander. Woher kommen diese Zerwürfnisse und Feindseligkeiten? Die Geheimnisse kommen mit der Zeit ans Licht und spannen einen Bogen, der bis in die Jugend von Alice zurückreicht. Der Klappentext fokussiert sich auf das Zusammentreffen aller im Sommerhaus, das allerdings findet tatsächlich erst nach der ersten Hälfte des Romans und 250 Seiten statt. In Rückschauen fliegen die Fetzen bereits ziemlich hoch, wenn die Mütter, Töchter und Schwägerinnen der Kellehers aufeinanderprallen. Das ist oft nervig und traurig, aber auch mit Augenzwinkern witzig und am Ende hoffnungsvoll. Völlig unterschiedliche Charaktere hat die Autorin erschaffen, die sich glaubhaft so entwickelt und auch entfremdet haben, wie wir es in dem Roman lesen können. Es geht um verpasste Chancen, den Wunsch unbedingt glücklich sein zu wollen, um Eifersucht und eine große Schuld. Alles das bestimmt diese Familie über Generationen hinweg.


Ich habe den Roman gerne gelesen, auch wenn er ein paar Längen und die Protagonistinnen nervige Charaktereigenschaften hatten. Ein Roman wie ein lauer Sommerabend am Meer.

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Veröffentlicht am 12.05.2024

Sightseeing mit Mord

Bretonisches Vermächtnis
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Der Krimi lag lange auf meinem SUB, da es bereits der achte Band einer Reihe ist, die ich nicht kenne. Tatsächlich konnte man das Buch aber sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen.

Schauplatz ist das idyllische ...

Der Krimi lag lange auf meinem SUB, da es bereits der achte Band einer Reihe ist, die ich nicht kenne. Tatsächlich konnte man das Buch aber sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen.

Schauplatz ist das idyllische Städtchen Concarneau, das der Autor en détail lebendig werden läßt. Liebevoll und charmant beschreibt er nicht nur die Örtlichkeiten, sondern auch die kulinarischen Genüsse, denen sich der ermittelnde Kommissar Dupin nur zu gerne hingibt. Getrübt wird die geruhsame Frühsommerzeit einzig durch Docteur Chaboseau, der aus dem Fenster seines Hauses stürzt - unfreiwillig. Dupin und seine Kolleg*innen haben reichlich zu ermitteln, denn der umtriebige Docteur hat zahlreiche Investitionen getätigt und Beteiligungen besessen. Zu allem Überfluss haben sich Dupins Schwiegereltern für einen Besuch angemeldet.

Wer nach diesem Buch nicht den Wunsch verspürt (wieder) in die Bretagne zu reisen, dann weiß ich auch nicht. Das ist wirklich ein gelungener Regionalkrimi. Jean-Luc Bannalec (alias Jörg Bong) hat einen zurückhaltenden und unaufgeregten Protagonisten erschaffen, der sehr sympathisch um die Ecke kommt. Beim Lesen spürt man den Wind des Meeres und das Wasser läuft einem im Mund zusammen, wenn die regionalen Köstlichkeiten beschrieben werden. Dass des Autors Herz für die Bretagne schlägt, merkt man nahezu jeder Zeile des Buches an. Sehr gefallen hat mir, dass viel über die Geschichte des Ortes in den Krimi einfließt und auch Simenon und Maigret eingebunden werden.

Auf dem Vorsatzpapier sind Karten der Bretagne und Concarneaus abgedruckt. Das hilft sehr, sich in der Stadt zurecht zu finden und Dupins Wegen zu folgen. Tatsächlich eine große Empfehlung für alle Fans der Bretagne oder solche, die es noch werden möchten.

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Veröffentlicht am 06.05.2024

Mabel

H wie Habicht
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Ich hatte mich schon lange gefragt, wie man ein Buch von über 400 Seiten über das Abrichten eines Habichts schreiben kann und dann wird dieses Buch auch noch ein großer Erfolg.

Vor allem liegt es an der ...

Ich hatte mich schon lange gefragt, wie man ein Buch von über 400 Seiten über das Abrichten eines Habichts schreiben kann und dann wird dieses Buch auch noch ein großer Erfolg.

Vor allem liegt es an der wunderschönen Sprache, die Helen Macdonald für ihr Buch wählt, das sich irgendwo zwischen Sachbuch, Autobiografie und Biografie bewegt. Für mich war es eine Symbiose aus drei Aspekten, zum einen die Verarbeitung eines Verlustes (die Autorin verlor ihren geliebten Vater), zum anderen die intensive Beschäftigung mit dem britischen Autor T.H. White, der 1936 selbst den Versuch unternahm, einen Habicht abzurichten, und schließlich Macdonalds Arbeit mit Mabel, ihrem Habicht. Sehr geschickt verwebt die Autorin das grandiose Scheitern von White, seine falschen und fatalen Entscheidungen bei der Abrichtung seines Falken mit ihren eigenen Bemühungen, Mabel an sich zu gewöhnen und endlich Freiflüge beginnen zu können.

Macdonald vermittelt außerordentlich gut lesbar Sachwissen über Flora und Fauna, insbesondere natürlich über Greifvögel und Habichte. Dies gelingt ihr auf ganz emotionale Art und Weise und so sind wir hautnah dabei, wenn die Autorin mit unendlicher Geduld, frustriert von vielen Misserfolgen, immer wieder fast zärtlich mit ihrem Habicht arbeitet.

Es gibt am Ende einen ordentlichen Anmerkungsapparat, der verdeutlicht, wie umfassend sich Helen Macdonald mit White und seinen Schriften auseinandergesetzt hat.

Insgesamt eine faszinierende Lektüre, die ich auch in Teilen als Hörbuch "gelesen" haben, sehr emphatisch gesprochen von Cathleen Gawlich.

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