Vergangenes und Neues
Martha lebt mit ihren Eltern und den fünf Geschwistern in einem Dorf in der Nähe von Bern, Anfang des 20. Jahrhunderts. Als der Vater stirbt, kann die Mutter die Kinderschar nicht mehr ernähren, die sechs ...
Martha lebt mit ihren Eltern und den fünf Geschwistern in einem Dorf in der Nähe von Bern, Anfang des 20. Jahrhunderts. Als der Vater stirbt, kann die Mutter die Kinderschar nicht mehr ernähren, die sechs Kinder werden als sogenannte Verdingkinder auf verschiedene Bauernhöfe gebracht, wo sie unterschiedliche Arbeiten verrichten müssen. Martha ist die Zweitjüngste, aber die kleinste, intelligent und fleißig sowie folgsam und lieb. Mit einem eisernen Willen arbeitet sie sich kontinuierlich aus der Armut und geht ihren Weg. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist hoch.
„Man holt sie ab, eines nach dem andern, auf freundliche Weise oder auf missmutige. Ein Mann von der Gemeinde ist jedes Mal dabei. Die Kinder müssen mitgehen, auch wenn sie die Leute nicht kennen, denn darunter sind solche aus anderen Dörfern, aber nur Männer. Die Kinder werden verdingt, auch das ist ein neues Wort für Martha. Später wird sie denken, dass das Wort ja stimmt, sie sind zu Dingen geworden.“ (Seite 17)
Lukas Hartmann hat die Geschichte seiner Familie aufgeschrieben, im Mittelpunkt steht Martha, seine Großmutter väterlicherseits. Unter Verdingung verstand man nichts anderes, als Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen zur Versorgung und Erziehung in der Schweiz. Oft wurden diese Kinder ausgenutzt und ausgebeutet, mussten schuften bis zur Erschöpfung und froh sein, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekamen zusätzlich zum Schlafplatz. Dies darf nicht vergessen werden, dafür sorgt hoffentlich auch dieses Buch.
Das Schicksal von Martha und den Ihren lässt mich tief berührt zurück. Über drei Generationen, über viele Jahrzehnte, folgte ich ihrem Weg, aber auch dem ihrer Söhne, deren Frauen und Kindern. Die Kindheitsjahre prägten Martha und auch der Krieg, der dem Land erspart geblieben ist, hinterließ Wunden und wirkte sich auf sie, ihre Nachkommen und deren Familien aus. Dieser großartige Familienroman löste eine ganze Palette an Gefühlen bei mir aus, ließ mich hoffen und bangen, staunen und lachen, manchmal wütend werden und fluchen, aber auch weinen und traurig sein. Mit einem warmen Gefühl klappte ich das Buch zu und verabschiedete mich von Marthas Geschichte, die mich ein paar Stunden begleitete, aber für immer unvergesslich bleibt.