Vom Licht, das wir mit einem Menschen verlieren... und vom Licht, das bleibt
"Wohin das Licht entflieht" ist ein Buch über Emmy, die ihre geliebte ältere Schwester durch Suizid verloren hat. Emmy ist 16, besucht eine auf Musik spezialisierte Schule, eifert ihrer Schwester nach, ...
"Wohin das Licht entflieht" ist ein Buch über Emmy, die ihre geliebte ältere Schwester durch Suizid verloren hat. Emmy ist 16, besucht eine auf Musik spezialisierte Schule, eifert ihrer Schwester nach, bewundert sie und möchte in ihre Fußstapfen treten. Beth ist 21, und seit fünf Jahren Mitglied einer bekannten Girlband, und als solche reich und beliebt, aber auch von den Medien und bösartigen Internetkommentaren verfolgt, hatte mehrere Aufenthalte in Entzugskliniken hinter sich, war in einer tiefen Krise und verzweifelt, und hat in dieser Situation keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich das Leben zu nehmen.
Wir lernen Emmy unmittelbar nach dem Suizid ihrer Schwester kennen und begleiten sie durch die ersten Tage danach, und dann durch die darauf folgenden Wochen und Monate. Wir erleben sie in ihrem Umfeld, spüren ihre zunehmende innere Verhärtung und Entfremdung von Eltern, Freundinnen und Partner, die widersprüchlichen Gefühle, die unmittelbare, tiefe Trauer, die alles verzehrende Wut und die Suche nach Schuldigen. Und doch gibt es auch so viele lichte Momente, so viel Verbindung zwischen Emmy und den Menschen, die um sie kämpfen, so viel tiefe Liebe, die spürbar ist, und schließlich doch eine sehr hoffnungsvolle Entwicklung in Richtung Zukunft.
Sehr gut gefallen hat mir auch die multimediale Gestaltung des Buches: wir erleben die Geschehnisse nicht nur aus Emmys Sichtweise, sondern durch WhatsApps, Medienartikel und vieles mehr kommt eine vielschichtige Perspektive hinein. Diese Gestaltung macht es auch sehr angenehm und kurzweilig zu lesen und ist gleichzeitig ein guter Spiegel eines weiteren Themas des Buches: der Welt der (a)sozialen Medien und was diese insbesondere mit den Menschen macht, die in der Öffentlichkeit stehen sowie der Themen öffentliche Person(a) - für die Öffentlichkeit war Emmys Schwester nicht Beth, sondern Lizzie - vs. private Person.
Ich habe selbst als Jugendliche einen nahen Angehörigen durch Suizid verloren und war auch deshalb sehr neugierig auf dieses Buch. Von Anfang an hat es mich absolut gepackt, weil ich sehr schnell gespürt habe: hier schreibt eine Autorin, die echt weiß, wovon sie spricht. Die nicht nur klischeehafte Vorstellungen im Kopf hat, wie es sein könnte, jemanden durch Suizid verloren zu haben, sondern die das echt nachfühlen kann. Auf der Suche nach einer Antwort darauf, woher das kommt, ob aus eigener Erfahrung oder einer ungewöhnlich tiefen Empathiefähigkeit (vielleicht auch beidem), habe ich einen Artikel der Autorin gefunden, indem sie diese Frage beantwortet: sie hat selbst einen guten Freund durch Suizid verloren. Wer darüber mehr lesen will, sucht am besten nach "Paper aeroplanes from this side of the wall - lessons of love and loss on the death of a friend" von Sara Barnard.
Dieses Buch empfiehlt sich für alle, die bereit sind, sich auf ein so tiefes und dunkles Thema einzulassen und die gerne nachfühlen möchten, wie es sein kann, jemanden durch Suizid zu verlieren, und durch welches breite Spektrum an heftigen Gefühlen man dabei gehen muss. Es ist für mich weit mehr als ein Jugendbuch, ich finde es auch für Erwachsene sehr interessant zu lesen.
Mit seiner so authentischen Darstellung des Themas kann es auch dabei helfen, all jenen, die das Glück hatten, so eine schlimme Erfahrung nicht selbst machen zu müssen, zu vermitteln, wie es davon Betroffenen gehen kann... und damit insgesamt für mehr Verständnis für Trauernde und besonders für Hinterbliebene nach Suizid sorgen. Damit empfehle ich es auch insbesondere allen Menschen in sozialen Berufen (z.B. Lehrkräften, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen,...) als Weiterbildung und Empathietraining. Trotz des dunklen Themas ist es auch ein Buch mit vielen hoffnungsvollen Momenten tiefer menschlicher Verbindung, Humor und überwiegend sehr sympathischen Figuren. Ein tolles Buch und definitiv eines meiner Jahreshighlights - absolute Empfehlung!