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Veröffentlicht am 27.09.2024

Augenblicke des Lebens

Ein ganzes Leben
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Andreas Egger ist etwa vier Jahre alt, als er zu seinem strengen Onkel in ein Alpental kommt. Seine Kindheit ist geprägt von Prügelstrafe und harter Arbeit. Aber Andreas ist irgendwann zu groß und zu kräftig ...

Andreas Egger ist etwa vier Jahre alt, als er zu seinem strengen Onkel in ein Alpental kommt. Seine Kindheit ist geprägt von Prügelstrafe und harter Arbeit. Aber Andreas ist irgendwann zu groß und zu kräftig für die Rute, der er ein lebenslanges Hinken verdankt. Er verdingt sich als Knecht und pachtet ein kleines Stückchen Land auf dem Berg mit einer winzigen Hütte darauf. Als eine Firma beginnt, die erste Seilbahn im Tal zu bauen, findet er dort eine bessere Arbeit und er lernt Marie kennen, die ihn von Anfang an verzaubert. Aber das Glück verbleibt immer nur für einen Augenblick bei Andreas.

Parallel zur Geschichte von Andreas werden der geschichtliche Hintergrund und der technische Fortschritt aufgezeigt. Krieg, Tourismus und seine Folgen spielen eine nicht unwesentliche Rolle.

Ich habe das Buch gerne gelesen, weil ich die Sprache von Robert Seethaler sehr mag. Die Geschichte ist schön erzählt, man ist ganz dicht bei Andreas, auch wenn sich sein ganzes Leben auf weniger als 200 Seiten abspielt. An manchen Stellen hätte ich mir ein dichteres Erzählen gewünscht, um noch mehr zu erfahren. Andererseits passt es auch wieder, denn das Leben ist letztlich ebenso schnell vorbei, wie das Buch. Als Andreas auf sein Leben zurückblickt, ist er zufrieden: "Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen." (S. 176)

Die Geschichte hat für mich eine Sogwirkung gehabt, allerdings finde ich sie durchweg traurig. Sie berührt sehr, aber ich habe mich gefragt, was am Ende bleibt ... Als Seelenwärmer etc. habe ich das Buch nicht empfunden. Und doch zeigt Andreas, dass man trotz aller Schicksalsschläge ein zufriedenes Leben führen kann.

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Veröffentlicht am 20.09.2024

Verlagswelt steht Kopf

The Other Black Girl
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Zugegeben, mein Titel erschließt sich erst, wenn man das Buch gelesen hat, dennoch zeigt bereits das Cover, dass Haare eine wichtige Rolle in diesem Roman spielen, der jedoch nicht in einem Friseursalon ...

Zugegeben, mein Titel erschließt sich erst, wenn man das Buch gelesen hat, dennoch zeigt bereits das Cover, dass Haare eine wichtige Rolle in diesem Roman spielen, der jedoch nicht in einem Friseursalon angesiedelt ist, sondern in der Verlagswelt von Manhattan.

Im renommierten Verlagshaus Wagner Books kämpft die junge Nella als einzige Schwarze um Anerkennung und für mehr Diversität. Aber hat sie sich in den letzten zwei Jahren nicht vielleicht doch zu bequem an ihrem Arbeitsplatz eingerichtet? Als mit Hazel unerwartet eine weitere Schwarze Lektoratsassistentin angestellt wird, weht urplötzlich ein neuer Wind im Büro. Scheinbar mühelos wickelt Hazel alle um den Finger und schafft in kürzester Zeit, was Nella bisher nicht gelungen ist. Allerdings schlägt Nellas Freude über die quirlige Mitstreiterin mit den unfassbar wunderbaren Dreadlocks bald in Misstrauen um.

Der Roman spiegelt, wie sich Schwarze Angestellte in einer von Weißen dominierten Arbeitswelt verhalten (müssen) und welche Schwierigkeiten dies birgt, bis zur Selbstverleugnung. Die Verlagsbranche bekommt hier ordentlich ihr Fett weg. Die Geschichte ist zugleich unterhaltsam und spannend und wird am Ende zwar arg auf die Spitze getrieben, bleibt aber nachvollziehbar und im Kern absolut real. Die "Auflösung" von OBGs ist überraschend.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen: Interessante Charaktere, eine ungewöhnliche und doch alltägliche Geschichte, New York Life, Bücherwelt. Etwas verwirrend waren die verschiedenen Zeitebenen und die verschiedenen Blickwinkel in den Kapiteln, das sortiert sich erst später an die richtige Stelle.

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Veröffentlicht am 24.06.2024

In einer kleinen Stadt

Mit Blick aufs Meer
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Eine US-amerikanische Kleinstadt an der Küste von Maine. Im beschaulichen Crosby spielt sich ab, was sich jeden Tag in tausenden von Kleinstädten abspielt: Das Leben in all seinen Facetten. Wir treffen ...

Eine US-amerikanische Kleinstadt an der Küste von Maine. Im beschaulichen Crosby spielt sich ab, was sich jeden Tag in tausenden von Kleinstädten abspielt: Das Leben in all seinen Facetten. Wir treffen hier auf Ehepaare, die sich noch lieben oder auch nicht, auf Unfälle, Überfälle, Selbstmordgedanken, Hochzeiten und Scheidungen, Hinterhältigkeit und Liebe, Magersucht und Alkoholabhängigkeit, Affären und Schlaganfälle, Beerdigungen und Trost, Brandstiftung und viel Einsamkeit.

In jedem der 13 Kapitel stehen andere Personen im Mittelpunkt, eine ist aber immer dabei: Olive Kitteridge, einst strenge Mathelehrerin in der örtlichen Schule. Sie ist verheiratet mit Henry, dem pensionierten Apotheker, und hat einen Sohn. Chris entflieht Crosby, was Olive schwer verkraftet kann. Sie ist insgesamt eine notorisch schlecht gelaunte Person, nachtragend und stänkert gerne. Mit jedem vorgestellten Charakter steht sie irgendwie in Verbindung, meistens durch ihre Tätigkeit als Lehrerin. Sie hat allerdings eine gute Menschenkenntnis und durchschaut vieles und viele. Olive ist kein Charakter, den man mögen muss, aber sie hat irgendwas. Immer wieder blitzt etwas zutiefst Menschliches durch, Humor und Hilfsbereitschaft.

Ich habe das Buch gerne gelesen, mich in der Kleinstadt bewegt und immer mehr Leute kennengelernt. Die Autorin schreibt sehr vertraut über ihre Charaktere, denen sie mit wenigen Strichen ein Leben zeichnet. Die Geschichten lesen sich ganz leicht, gehen aber tief in das Innere der Figuren. Die chronologischen Geschichten sind in sich abgeschlossen, beziehen sich aber manchmal aufeinander und gewähren Rückblicke.

Manchmal hatte ich den Eindruck, dass Strout die Geschichten mit etwas Abstand geschrieben hat, denn bestimmte Tatsachen werden wiederholt, das ist unnötig, weil man es schon weiß und nicht vergessen hat, weil es gerade erst vor einer oder zwei Geschichten erwähnt wurde.

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Veröffentlicht am 17.05.2024

Moskito und Titicaca auf Juist

Die Schule am Meer
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Eine reformpädagogische Internatsschule zu etablieren ist der Traum von Martin Luserke und Paul Reiner. Den idealen Platz dafür finden sie im Loog auf der ostfriesischen Insel Juist. Voller Tatendrang ...

Eine reformpädagogische Internatsschule zu etablieren ist der Traum von Martin Luserke und Paul Reiner. Den idealen Platz dafür finden sie im Loog auf der ostfriesischen Insel Juist. Voller Tatendrang schaffen die Lehrer und Lehrerinnen gemeinsam mit den Schülern einen Ort, der neue Wege beschreitet. Musischen und naturwissenschaftlichen Fächern wird viel Raum gegeben, es wird gesegelt und geschwommen und der Lehrkörper wird geduzt. Es herrscht trotz einiger Entbehrungen und viel Arbeit ein freier Geist. Ein Liebling der Internatszöglinge ist Anni Reiner, Pauls Frau, die aus einer vermögenden Frankfurter Familie stammt und erhebliche Summen in die Schule investiert. Vielen Insulanern hingegen ist das Treiben im Loog ein Dorn im Auge und als die Nationalsozialisten an Einfluss gewinnen, muss die als "Kommunisten- und Judenschule" titulierte Schule am Meer um ihre Existenz bangen.

Sandra Lüpkes hat einen wahren Schmöker geschrieben. Wunderbar hat sie Fakten über das Internat mit Fiktion verwoben und so der Schule, ihren Lehrern und Schülern ein Denkmal gesetzt. Im Zentrum steht Anni Reiner, die sich uneingeschränkt für ihre Schule eingesetzt hat und vieles erdulden musste. Sie wird im Zusammenhang mit der Schule am Meer bisher kaum erwähnt. Der Autorin, selbst auf Juist aufgewachsen, war es ein Anliegen, gerade dies zu ändern. Anhand von persönlichen Aufzeichnungen der Familie Reiner und Gesprächen mit Annis jüngster Tochter Karin, die auf Juist geboren wurde, konnte sie sich ein Bild dieser außergewöhnlichen Frau machen.

Der Roman verfolgt die Geschichte der Gründung der Schule bis zur ihrer Schließung, eingebunden in reale und erdachte Schicksale von Anni, Moskito, Marje, Zuck (Eduard Zuckmayer) und Inselbewohnern, zwischen warmen Sommertagen am Strand und einer wegen Kälte und Eis isolierten Insel. Es ist eine Internatsgeschichte, eine Familiengeschichte, eine Inselgeschichte und auch eine Geschichte über den Untergang der Weimarer Republik, in dessen Strudel auch die Schule am Meer gerät.

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Veröffentlicht am 15.05.2024

Das Bild der Woche

Das Foto schaute mich an
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Alle drei Wochen erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Feuilleton das "Bild der Woche", ausgesucht von Katja Petrowskaja, die dazu einen kurzen Text verfasst. Insgesamt 57 Kolumnenbeiträge ...

Alle drei Wochen erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Feuilleton das "Bild der Woche", ausgesucht von Katja Petrowskaja, die dazu einen kurzen Text verfasst. Insgesamt 57 Kolumnenbeiträge aus den Jahren 2015 bis 2021 sind in diesem Buch versammelt, bis auf wenige Ausnahmen sind alle Bilder in schwarz-weiß.

Die Bilder sind sehr unterschiedlich, ebenso wie ihre Herkunft: Fotos aus Ausstellungen, aus Archiven, private Aufnahmen, Plakate, gar ein Plattencover ist dabei, das letzte Foto stammt von der Autorin selbst. Gelegentlich sind es Bilder aus Serien, die in Büchern oder Ausstellungen zu sehen sind bzw. waren. Jeder sieht etwas anderes in einem Bild, wird an etwas erinnern, verbindet etwas mit dem Abgebildeten. So sind auch die Bildbesprechungen von Petrowskaja sehr persönlich. Läßt man das Bild auf sich wirken, ist man überrascht, was der beigefügte Text dann offenbart: Kleinigkeiten, die einem entgangen sind, Interpretationen, an die man gar nicht gedacht hat, Bezüge, die man nicht hergestellt hat. Die feine Beobachtungsgabe und die Interpretationen der Autorin haben mich beeindruckt und ich habe die Texte mit großem Interesse gelesen. Sie vermitteln neben dem oft ganz persönlichen Bezug auf eigenes Erleben und eigenes Betrachten auch viele Fakten über die Künstler und Künstlerinnen, deren Projekte, einflussreiche und wichtige Veröffentlichungen und das Abgebildete selbst. Manchmal hat mich ein Text viel stärker fasziniert als das Foto. Eines meiner Lieblingsbilder ist "Old Men's Toy Shop" (S. 168), das zunächst so wohltuend freundlich wirkt. Es wird durch den Text in ein anderes Licht gerückt und erzählt alles das, was man nicht sieht. Dadurch wird auch deutlich, dass viel Recherchearbeit in das Verfassen der Bildbeschreibungen eingeflossen ist.

Ich habe diese Sammlung gerne gelesen, weil sie Einblicke in viele Lebensbereiche gewährt, an Dinge erinnert, die man mal gehört, aber wieder vergessen hat, viele Bezüge zu bekannten Künstler*innen aufdeckt und die Neugier weckt, sich mit vielem intensiver zu beschäftigen.

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