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Veröffentlicht am 18.05.2024

Mich hätte ein etwas anderer Fokus mehr interessiert

ruh
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Vielleicht hatte es Şehnaz Dosts Debütroman bei mir deshalb so schwer, weil ich erst kurz zuvor „Dschinns“ von Fatma Aydemir gelesen und geliebt habe. Beide Romane verfolgen eine ähnliche Thematik, sie ...

Vielleicht hatte es Şehnaz Dosts Debütroman bei mir deshalb so schwer, weil ich erst kurz zuvor „Dschinns“ von Fatma Aydemir gelesen und geliebt habe. Beide Romane verfolgen eine ähnliche Thematik, sie beschäftigen sich mit den Familien von türkischen Gastarbeitern, die nun als erste Generation oder als Kinder nachgezogen in Deutschland aufwachsen und dabei auf verschiedenste Herausforderungen stoßen.

In „ruh“ dreht sich die Geschichte um Cemal, der die ersten acht Jahre seines Lebens in der Türkei bei den Großeltern verbracht hat und danach von den Eltern nach Deutschland nachgeholt wurde. Seine Urgroßmutter Süveyde hat er nie kennengelernt, verstarb sie doch kurz vor seiner Geburt. Während der mittlerweile erwachsene Deutschlehrer mit der Scheidung von seiner ebenso türkischstämmigen Ehefrau Gül und dem geteilten Sorgerecht für die geliebte Tochter Ekin zurecht kommen muss und er eine leidenschaftliche Liaison mit Georg eingeht, ereilen ihn immer häufiger diffuse Träume, in denen seine Urgroßmutter Süveyde erscheint und er Lebensereignisse von ihr dadurch miterlebt. Ziemlich schnell stellt sich heraus, dass Süveyde selbst eine Wiedergeborene gewesen ist, die mittels Seelenwanderung in Träumen ein früheres Leben einer anderen Person miterlebte. Man erahnt schon in welche Richtung nun die Geschichte von Cemal geht.

Dost beschreibt sehr solide und für mich auch sehr interessant die gegenwärtigen Erlebnisse von Cemal in einer großen deutschen Stadt, beleuchtet aber auch seine Vergangenheit ebenso wie viele Mikroaggressionen und rassistischen Erlebnissen, denen er bis heute und vor allem als türkischstämmiger Deutschlehrer (welch Skandal! - zumindest für so manchen Elternteil der Schulkinder) ausgesetzt ist. Mich hätte inhaltlich besonders der Erzählstrang um das Zusammensein mit dem deutschstämmigen Georg und damit die bisexuelle Beziehung, das daraus möglicherweise entstehende Spannungsfeld und auch die zusätzlich in der Öffentlichkeit auf Cemal fokussierte Außenwahrnehmung durch „anders aussehen“ und „anders lieben“ sehr interessiert. Leider beendet Cemal schon zügig im Roman Cemal diese Beziehung und ab diesem Zeitpunkt konzentriert sich der Plot mehr auf das Thema der möglichen Seelenwanderung sowie der Vergangenheit von der Urgroßmutter. Diese Träume, bei denen es mir manchmal schwerfiel durchzublicken, ob diese jetzt Süveyde oder Cemal träumt, helfen ihm im Verlauf besser, sich selbst zu finden.

Ich muss zugeben, dass ich nach dem ersten Drittel des Romans diesen vorerst abgebrochen hatte, weil mir das Thema der Seelenwanderung hier zu viel Raum einnahm und der Fokus weg von Cemals Gegenwart wanderte. Mich hätte diese eindeutig mehr interessiert oder die getrennten Abschnitte im Sinne einer Rückschau ins Leben der Urgroßmutter hätten besser getrennt und etwas länger, tiefgründiger sein müssen, um mein Interesse zu halten. Ich habe das Buch dann doch – aber ehrlich gesagt durch ein bisschen Querlesen – noch beendet. So richtig überzeugen konnte er mich in seiner Gesamtkonstruktion leider nicht. Wie gesagt, sprachlich sehr solide und inhaltlich mit viel Potenzial, konnte er mich doch nicht so richtig mitnehmen. Durch das immer wieder Wegschwenken von Cemal blieb mir dieser recht fern, ebenso wie die Urgroßmutter in ihrer Zeitebene.

Somit kann ich leider für den Roman „ruh“ keine Leseempfehlung aussprechen, vor allem da mir im Vergleich empfehlenswertere Romane einfallen. Das tut mir leid, gefällt mir doch die Gestaltung und auch Haptik des gebundenen Buches aus dem Ecco Verlag sehr gut.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Hochgelobter Autor mit einem Griff ins virtuelle Klo

88 Namen
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Ich hoffe wirklich sehr, dass Matt Ruff nicht einen Gruß an seinen Autorenkollegen Neal Stephenson im vorliegenden Roman "88 Namen" hinterlassen hat, als er es "Für Neal" widmete. Denn der würde sich die ...

Ich hoffe wirklich sehr, dass Matt Ruff nicht einen Gruß an seinen Autorenkollegen Neal Stephenson im vorliegenden Roman "88 Namen" hinterlassen hat, als er es "Für Neal" widmete. Denn der würde sich die nicht vorhandenen Kopf- wohl aber vorhandenen Barthaare raufen, wenn er mit diesem Buch hier in Verbindung gebracht werden würde. Vielleicht auch nicht. Was weiß ich schon...

Zum Plotinhalt sage ich nichts mehr, steht alles im Klappentext, den Rest hat man im Laufe des Lesens sehr schnell von allein erraten. Und da haben wir schon eine Schwachstelle des Romans: Er ist unglaublich vorhersehbar. Bis auf die obskuren Wendungen am Schluss, die aber einfach nur noch lächerlich prototypisch sind. Aber zunächst einmal zu dem einen Pluspunkt des Buches. Ruff schafft es tatsächlich zu Beginn über lange Strecken ganz hervorragend MMORPGs verschiedenster Couleur vom Fantasy- über das Sci-Fi- bis hin zum (politischen) Zombie-Slasher-Genre zu beschreiben. Hier nutzt er gekonnt die sprachlichen Besonderheiten von Gamern. Ob trotz kurzem Nachschlagewerk im Appendix des Buches wirklich die Masse der Leser*innen hier abgeholt werden kann, wage ich zu bezweifeln. Denn wer schon mit "MMORPG" nicht viel anfangen kann, kann sich eventuell auch gar nicht so gut in beschriebene Spielmechaniken etc. hineindenken. Aber gut. An dieser Stelle trägt vielleicht auch noch ein klitzekleines bisschen die Story und lässt auf eine rasante Abenteuer-Geschichte mit durchaus kritischem Einschlag bezüglich der leider im Gamer-Milieu immer noch omnipräsenten sexistischen und rassistischen Stereotype hoffen. Aber nein. Es geht steil bergab, der Plot entwickelt sich so, wie man es von einem mittelmäßigen Genre-Roman erwarten würde und es gibt ausschweifende Szenen, in denen einfach nur Themen aufs Tableau geworfen werden, die der Autor scheinbar noch unterbringen wollte (Cyber-Sex zum Beispiel). Am Matt Ruff häufig zugesprochenem Humor fehlt es meines Erachtens dem Roman fast komplett. Und öde Anspielungen an pseudo-Nerdwissen ist nicht witzig sondern nur noch lahm. Übrigens finde ich ganz nebenbei, wie ich hier gerade sitze und mir das Cover und den Titel das Buches ansehe, dass das Cover rein gar nichts mit dem Buch zu tun hat und dass "88 Namen" auch wenig bedeutungsvoll bezogen auf den Inhalt des Buches ist. Liegt vielleicht daran, dass so viel Inhalt unterm Strich nicht übrig bleibt.

Letztendlich bleibt zu sagen: Wer sich für das Thema interessiert, findet u.a. in Tad Williams (!!! Otherland !!!), William Gibson, Ernest Cline oder dem oben genannten Neal Stephenson (leider alles männliche Kollegen) bessere Romanautoren, um in virtuelle (Spiel-)Welten einzutauchen. Dieses Buch hier tut zwar nicht schrecklich weh, verschwendet aber wichtige Lebens-/Lesezeit.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Daran beißt man sich die Zähne aus – zu zäh!

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
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Das autofiktionale Romandebüt von Julia Jost dreht sich um ein Mädchen, das Anfang der 1990er Jahre in einem Kärntner Dorf aufwächst, entdeckt, dass sie nicht so ist, wie ihre Eltern sie als Mädchen gern ...

Das autofiktionale Romandebüt von Julia Jost dreht sich um ein Mädchen, das Anfang der 1990er Jahre in einem Kärntner Dorf aufwächst, entdeckt, dass sie nicht so ist, wie ihre Eltern sie als Mädchen gern hätten, und ebenso wie einer ihrer Brüder auch politisch nicht ins Bild der heimattreuen, österreichischen Familie passt.

Die Geschichte des Romans ist zentriert um eine Situation herum, die in 1994 stattfindet. J. (unsere Ich-Erzählerin) ist 11 Jahre alt und ihre Familie zieht aus dem Gasthof-Gebäude, welches den Eltern gehört, aus. Sie spielt mit ihrer Freundin Luca Verstecke und während Luca von Einhundert rückwärts zählt, schweift J. gedanklich in vergangene Situationen und Familienmythen ab. Immer wieder kehren wir im Text zurück zu diesem Moment des Versteckspiels, der auch der einzige ist, der im Präsens erzählt wird. Alle Erinnerungen und Anekdoten werden im Präteritum erzählt.

Grundsätzlich erscheint das Romankonzept auf den ersten Blick äußerst ansprechend. Die Inszenierung wirkt geschickt eingefädelt und man freut sich auf eine (Zitat Verlagsinternetseite) „Coming-of-Age-Geschichte voller Drive und Witz“. Leider bekommt man nur den ersten Teil der Versprechung, den zweiten kann der Roman nicht halten.

So liest sich „Wo der spitzeste Zahn…“ über die nur 230 Seiten unglaublich zäh. Eine Familien- bzw. Dorfanekdote reiht sich an die nächste. Erst im Verlauf wird klarer, welche überhaupt relevant für unsere Erzählerin ist. So zum Beispiel der tragische (aber nicht sonderlich tragisch erzählte) Tod eines Mitschülers in 1989. Dieses Ereignis wird auch später noch Auswirkungen auf die beteiligten Personen haben, leider transportiert sich dies überhaupt nicht auf der emotionalen Ebene. Generell fehlten mir die Emotionen dieses erzählenden Mädchens. Recht lakonisch erzählt es grausamste Geschehnisse herunter, wie man es sich bei einem 11jährigen Mädchen kaum vorstellen kann. Diesbezüglich drängt sich auch ein Problem mit der Erzählperspektive auf. Da die Versteckspiel-Szene im Präsens als Ausgangssituation von der aus das Mädchen ihr Wissen speist werten muss, passt neben dem Ton auch das Wissen der kindlichen Erzählerin nicht so recht ins Bild. Beschreibt sie doch haarklein, dass die Mutter einer Mitschülerin in die DDR gegangen ist und die Familie für einen SED-Funktionär (diese Worte!) verlassen habe. Da kommen Zusammenhänge zum Tragen, die nicht zum Verständnisraums eines Kindes, welches – so erleben wir es in anderen geschilderten Situationen – von ihren Eltern nicht als vollwertiger Mensch angesehen und größtenteils ignoriert wird, außer es entwickelt sich eben nicht so, wie es als Mädchen sollte. Zu einem Lapsus kommt es, wenn es auf Seite 44 heißt: „meine erste Cola habe ich mit einundzwanzig getrunken“. An keiner anderen Stelle gibt es einen Hinweis darauf, dass J. Von einem späteren Zeitpunkt als dem in 1994 heraus erzählt. Somit sehe ich für mich das Problem mit der Erzählperspektive bestätigt.

Ich nehme an, es soll sich hierbei nicht nur um eine reine Coming-of-Age-Geschichte um dieses Mädchen aus dem LGBTQ+Spektrum, sondern vielmehr um einen Gesellschaftsroman, der das Leben und die alltäglichen Sorgen, Intrigen und Anekdote von Menschen aus dem ländlichen Österreich handeln. So scheinen immer wieder die rechtspopulistischen Gesinnungen der Dorfbewohner durch, wenngleich die bosnische Einwandererfamilie von Luca als Arbeiter gern gesehen sind. Leider taucht die Erzählerin kaum in Lucas Geschichte ein, was vielleicht widerspiegeln soll, wie diese Menschengruppe zu der Zeit ignoriert wurde.

Ich hatte so meine Schwierigkeiten nicht nur mit der Erzählperspektive sondern auch mit der Geschichte an sich, da die Handlung sehr reduziert ist und sich auf wild aneinandergereihte Anekdoten stützt. Man wird hier mit, wie ich finde, sehr vielen eher unwichtigen Details versorgt, mit der Beschreibung von Menschen, Umgebungen, Situationen, Familienmythen. Es kommt zu zahlreichen Abschweifungen, bis man gar nicht mehr richtig weiß, wie man dort überhaupt hingekommen ist. Am Ende hatte ich den Eindruck, viel weniger gelernt zu haben, als die Geschichte eigentlich hergegeben hätte. Jedenfalls nicht in dem Maße, welches Volumen die Abschweifungen im Buch einnehmen. Vieles wirkte auf mich eher ablenkend und störend. Für wen solche wilden Szenenwechsel und das Anschneiden von Themen etwas ist, wird hier vielleicht besser mit dem Roman zurechtkommen. Für mich war bis auf das letzte Drittel des Romans, dieser unglaublich zäh zu lesen. Wobei das letzte Drittel auch nicht den genannten „Drive“ entwickelte, aber zumindest musste ich mich nicht mehr durch die Sätze quälen. Dort wird auch das rechte Gedankengut am interessantesten sprachlich ausgehebelt und vorgeführt.

Somit kann ich aber leider keine Leseempfehlung für den Roman aussprechen, auch wenn ich das Szenario ganz grundsätzlich und auch den ein oder anderen prägnanten, pointierten Satz sehr gut fand.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 19.02.2024

Leider nicht der erwartete Knaller

Arctic Mirage
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Mit „Arctic Mirage“ hat die Finnin Terhi Kokkonen sofort mit ihrem Debütroman den finnischen Helsingin-Sanomat-Literaturpreis eingeheimst. Das ist nach der Lektüre etwas verwunderlich, ist der Roman zwar ...

Mit „Arctic Mirage“ hat die Finnin Terhi Kokkonen sofort mit ihrem Debütroman den finnischen Helsingin-Sanomat-Literaturpreis eingeheimst. Das ist nach der Lektüre etwas verwunderlich, ist der Roman zwar nicht schlecht, doch bleibt er weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Gleich zu Beginn erfahren wir auf der ersten Seite, dass Karo ihren Ehemann Risto umbringen wird. Dann springen wir eine Woche in der Zeit zurück und erlesen uns die Geschehnisse bis zu diesem einschneidenden Ereignis. Die Kapitel sind spannend mit den entsprechenden Wochentagen überschrieben, sodass das Buch wie ein „Countup“ (denn „down“/“runter“ wird im eigentlichen Sinne ja nicht gezählt, da wir in der Zeit voranschreiten) aufgebaut ist. Wir erfahren, dass das Paar zusammen auf eine Reise in den hohen Norden Finnlands aufgebrochen ist und am Tag ihrer geplanten Abreise durch einen Autounfall davon abgehalten wurde. Nun sind sie in einem zunehmend merkwürdig anmutenden Luxus-Hotel Namens „Arctic Mirage“ gestrandet und die Geschehnisse nehmen ihren nebulösen Verlauf.

Die Autorin konnte mich zu Beginn des Romans mit ihrer nebulösen Art, die Personen, ihre Handlungen und die Geschehnisse zu beschreiben zunächst sehr gut einfangen. Ich ließ mich auf dieses kuriose Hotel und die ebenso kuriosen Figuren, die alle von abwegigen Gelüsten geleitet zu sein scheinen, ein und erhoffte mir dann im letzten Drittel eine geschickte Zusammenführung der verschiedenen Erzählstränge. Denn nicht nur erfahren wir einiges über die Vergangenheit des Ehepaares Karo und Risto, sowie deren zerrüttetet Beziehung zueinander sondern auch sehr viel über die Hintergründe von Nebenfiguren, wie dem behandelnden Hotelarzt oder der jungen Empfangsdame des Hotels. Es bot sich quasi auf dem Silbertablett an, hier geschickt diese Fäden zu verweben und ein knalliges Ende zu stricken.

Leider hat mich die Auflösung der Geschichte sehr enttäuscht, wird doch letztlich relativ konventionell die Geschichte zu Ende erzählt. Viele Andeutungen aus dem Roman werden nie wieder aufgegriffen und man fragt sich nach Abschluss der Lektüre, warum so einige Textpassagen überhaupt im Roman geblieben sind. So hätte die Autorin entweder stark einkürzen und sich auf einen raffinierten Twist konzentrieren können oder den Roman in seinem Volumen erweitern und dafür den verschiedenen Strängen eine Funktion geben können.

Nun gut. Ich habe mich nicht durch den Roman gequält oder maßlos geärgert. Letztlich kann die Autorin durchaus gut schreiben, hat sich hier aber in der Konstruktion des Romans vergaloppiert. Meines Erachtens hat sich auch die Jury vor den oben genannten Literaturpreis etwas vergaloppiert, denn es handelt sich durchaus um keinen schlechten, aber meines Erachtens auch nicht um einen herausragenden Roman. Das Potential dafür war sicherlich da, aber es wurde nicht annähernd ausgeschöpft. Schade.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 10.02.2024

Konnte leider den hohen Erwartungen nicht standhalten

Wo Milch und Honig fließen
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Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, ...

Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, nukleare Unfälle, verselbstständigte KI oder Zombie-Apokalypse. Pick one. C Pam Zhang wählt eine sehr interessante Prämisse für ihren neuen Roman. Diese Prämisse ist nicht gänzlich neu, klingt in dieser neuen Interpretation aber erst einmal sehr vielversprechend: Irgendwo in Iowa in einer nicht sehr fernen Zukunft kommt es zu einem menschengemachten Vorfall, der zu einer Kaskade mit weltweiter Smogbildung führt und somit zu einem massiven Pflanzen- und infolgedessen Tiersterben.

Mithilfe der namenlosen Ich-Erzählerin, welche rückblickend von den damaligen Geschehnissen berichtet, wird die Thematik des Nahrungsmittelrückgangs betrachtet. Wir erfahren gleich zu Beginn, dass sie diese Katastrophe überleben wird, denn sie berichtet als ältere Frau von ihren Erlebnissen, ein scheinbarer Hoffnungsschimmer in einer so düsteren Szenerie. Unsere Erzählerin ist Köchin und kennt sich mit Haute Cuisine aus, weshalb sie sich auch aus Ermangelung an frischen Zutaten und daher konkretem persönlichem Frust, denn die meiste Nahrung besteht nur noch aus einer grauen Mungobohnenpaste, bei einem Milliardär bewirbt, ohne zuvor zu wissen, was auf dessen privatem Berg in Italien auf sie zukommen wird. Nun entspinnt sich aus ihrer Erinnerung heraus eine Erzählung über dekadentem Genuss, ein Kampf um die eigene Identität und eine mögliche Liebe.

Dass C Pam Zhang schreiben kann, hat sie schon mit ihrem grandiosen Debütroman „Wie viel von den Hügeln ist Gold“ bewiesen. Auch im vorliegenden Werk erkennt man immer wieder ihre Sprachkunst, nur übertreibt sie es einerseits bezüglich der angerissenen und nie richtig ausgearbeiteten Themenbereiche und schafft es andererseits nicht ihren Protagonistinnen eine notwendige Tiefe mitzugeben. Sie hakt scheinbar alle aktuell relevanten Themen von Machtdynamik von Reichtum, Politik, Umwelt, Ausbeutung von Tieren, Fetischisierung ethnischer Gruppen bis zu sexueller Orientierung und und und ab. Die Autorin nutzt Sinneswahrnehmungen und Genuss, um Situationen zu beschreiben. Die Menschen und ihre Beziehungen dieser Menschen untereinander erscheinen dabei aber trotzdem erstaunlich blutleer und emotionslos. Ich konnte keinerlei Nähe zu den Figuren aufbauen. Zusätzlich werden die Beschreibungen der Ich-Erzählerin zunehmend von Löchern im Plot und Plausibilitätsproblemen gezeichnet, was es zusätzlich erschwert die Atmosphäre der Szenarien nachzuempfinden. Ich wurde dadurch regelrecht aus dem Lesefluss gerissen. Man könnte das dadurch erklären wollen, dass ja die Ich-Erzählerin als alte Frau von ihrer Zeit auf dem Berg erzählt, ja, für mich persönlich lässt sich damit nicht jeder Mangel begründen. Falls dieser Effekt von der Autorin intendiert wird, dann gefällt er mir zumindest nicht.

Letztlich muss ich feststellen, dass der Roman, abgesehen von wenigen wunderbaren Sätzen und Formulierungen, für mich in keinster Weise qualitätsbezogen an den Vorgängerroman heranreicht. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt, dieser unterscheidet sich natürlich stark. Und eine Dystopie, die eine dunkle, kalte zukünftige Welt darstellt, muss keineswegs in der Darstellung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander emotionslos sein. Hier ist dies meines Erachtens allerdings so, weshalb ich in Verbindung mit den oben genannten Problemen das Buch leider nicht weiterempfehlen kann.

2,5/5 Sterne

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