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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.09.2024

Der absolute Goldstandard!

Ich fürchte, Ihr habt Drachen
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Peter S. Beagle ist der Letzte einer aussterbenden Art von Fantasyautoren - ein Sprachkünstler, der eben keine drei bis acht Bände einer Fantasyreihe braucht, um seinen Protagonisten Gewicht zu verleihen. ...

Peter S. Beagle ist der Letzte einer aussterbenden Art von Fantasyautoren - ein Sprachkünstler, der eben keine drei bis acht Bände einer Fantasyreihe braucht, um seinen Protagonisten Gewicht zu verleihen. Im Gegenteil: Auf gerade mal 300 Seiten erschafft er eine Welt, die noch lange im Gedächtnis bleibt, ein sprachlich makelloses Epos, dessen Figuren so prägnant und ausgeformt sind, dass der Leser innerhalb weniger Seiten in ein Universum eingesogen wird, das seinesgleichen sucht. Das war natürlich schon im "Letzten Einhorn" der Fall, jenem Werk , das ihm Weltruhm eingebracht hat, nicht zuletzt aufgrund seiner kongenialen Zeichentrickverfilmung.

Aber selbst 50 Jahre später bleibt Beagle der Goldstandard unter den aktuellen Fantasy-Schreibern - er ist letztendlich der klassisch gebildete Schriftsteller, für den Fantasy nur ein weiterer Tummelort ist, um seine Fantasien in sprachliche Bilder umzusetzen. Er ist einer der wenigen, die bereits kurz nach Tolkien das Genre für sich entdeckt haben, und ähnlich wie seine zeitgenössischen Kollegen (Michael Ende, Ursula K. LeGuin, Michael Moorcock) ist das Genre an sich fast bedeutungslos und nur eine Ablassader für überbordende Schreiblust und großartiges Talent. Auch "Ich fürchte, Ihr habt Drachen" ist, auf sich selbst reduziert, nur eine kleine Geschichte in einer märchenhaften Welt, aber Beagle macht aus seiner recht knuffigen Prämisse keine moderne Meta-Fabel, sondern bleibt dem klassischen Erzählschema so treu, dass man sich wünscht, die Geschichte möge niemals enden. Eine wunderbar altmodische Rückkehr zu den Wurzeln der Fantasy, geschrieben von einem, der es wissen muss wie kein zweiter. Ein absoluter Home Run für den Klett-Cotta-Verlag!

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Wirklich magisch

Die unendliche Reise der Aubry Tourvel
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Die junge Aubry Tourvel ist noch keine zehn Jahre alt, als eine rätselhafte Krankheit sie dazu zwingt, alle paar Tage ihren Aufenthaltsort zu ändern. Bleibt sie länger, als die Zeitspanne es erlaubt, wird ...

Die junge Aubry Tourvel ist noch keine zehn Jahre alt, als eine rätselhafte Krankheit sie dazu zwingt, alle paar Tage ihren Aufenthaltsort zu ändern. Bleibt sie länger, als die Zeitspanne es erlaubt, wird sie sterben. Viele Jahre später erzählt sie ihre Geschichte auf einem Flussdampfer in Siam und entfaltet vor uns einen abenteuerlichen Bilderbogen der bekannten (und weniger bekannten) Welt im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

Douglas Westerbekes Debütroman wird seine Leserschaft sicherlich in zwei Lager spalten, denn "Die unendliche Reise der Aubry Tourvel" ist weder konsensfähiger Romantikkitsch noch (archetypische) Fantasy, sondern tatsächlich ein Rücksturz in die klassische Abenteuerliteratur vom Schlage eines Jules Verne oder Conan Doyle - im Vordergrund steht die Lust an der Entdeckung, die Begegnung mit Menschen und das Staunen über all die Merkwürdigkeiten einer damals noch nicht vollständig erschlossenen Welt. Aubrys "Krankheit" ist dabei nur das Vehikel, das ihre Geschichte transportiert, eines von diversen Elementen des magischen Realismus in diesem Roman. Das muss man mögen und akzeptieren, denn die Handlung an sich entwickelt wenig Drang nach vorn und unterwirft sich Westerbekes unbedingtem Willen zu dichter Atmosphäre und seinem schon als Drehbuchautor angeeignetem Talent für faszinierende Figuren. So lässt man sich denn angenehm altmodisch treiben durch diesen Entdecker-Roman und genießt die Reise entlang der 460 Seiten. Definitiv kein Buch für Menschen mit sehr festgelegtem Geschmack oder den üblichen Erwartungen ans Genre, dafür aber ein liebevoll aufgemachtes Schmuckstück (mit grandiosem Coverartwork!) zum Immer-wieder-abtauchen. Sowas gibt es heutzutage viel zu selten, und daher mit vollem Recht beide Daumen nach oben für Aubry Tourvels fantastische Reise durch die Welt! Wunderschön ...

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Veröffentlicht am 19.05.2024

Kuschelfantasy deluxe!

Bücher und Barbaren
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Eigentlich lebt die Söldnerin Viv für den Rausch der Schlacht, doch mit Krieg und Kämpferei ist es für den Moment vorbei, nachdem sie bei einem Scharmützel mit magischen Skeletten den Kürzeren zieht. Mit ...

Eigentlich lebt die Söldnerin Viv für den Rausch der Schlacht, doch mit Krieg und Kämpferei ist es für den Moment vorbei, nachdem sie bei einem Scharmützel mit magischen Skeletten den Kürzeren zieht. Mit dem Versprechen, sie bald wieder abzuholen, setzt ihr Trupp die Orc-Kriegerin zur Genesung in einer idyllischen Kleinstadt am Meer ab - und Viv könnte sich an diesem beschaulichen Ort nicht stärker langweilen. Doch dann stolpert sie über die Bücherei der Rättin Fern und Maylees Bäckerei und lernt eine ganz neue Sichtweise auf die Dinge kennen. Schon bald will sie gar nicht mehr wirklich weg ...

Mit "Magie & Milchschaum", dem ersten Teil seiner Saga um die Kriegerin Viv, gab Travis Baldree dem Genre Cozy Fantasy auf Anhieb ein neues, erfolgreiches Gesicht. Und so folgt natürlich auch "Bücher & Barbaren", sein zeitlich vor dem Auftakt angesiedeltes Prequel, der altvertrauten Formel, die sich dank Baldrees meisterhaftem Sinn für reichlich Atmosphäre so kuschlig anfühlt wie ein jahrelang getragener Lieblings-Wollpullover. Schnell schließt man die skurrilen Charaktere und ihre alltäglichen Sorgen ins Herz und lässt sich fallen in eine Fantasywelt, in der man sich uneingeschränkt wohlfühlen kann. Und wer hier zu wenig Inhalt und Konflikt bemängelt, hat schlicht den Sinn des Genres Cozy Fantasy (alternativ und hier auch recht zutreffend als "Cottagecore" bezeichnet) noch nicht verinnerlicht.

Fantasy war schon immer eine der eskapistischsten Literaturgattungen überhaupt. Cozy Fantasy steigert dieses Verlangen nach einer Flucht in andere Welten nun noch einmal mehr, indem sie den Wohlfühlfaktor in den Vordergrund stellt (ähnlich wie die berühmten britischen Cozy Crimes das mit schrulligen Ermittler:innen und beschaulichen Dörfchen tun, in denen Verbrechen nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg zum nächsten Kaffeeklatsch sind). Wer also im "Herrn der Ringe" immer schon die Dorfgeschichten im Auenland am spannendsten fand, bei "Harry Potter" die Ausflüge in die Winkelgasse und nach Hogsmeade genossen hat und am Computer stundenlang in den Spielewelten von "Animal Crossing" oder "Stardew Valley" abtaucht, für den ist "Bücher & Barbaren" ein ganz klarer Fall - unbedingt lesen! Die Kenntnis des Vorgängers, der zeitlich ohnehin Jahre nach der hier geschilderten Handlung spielt, ist zwar nicht zwingend erforderlich, aber unabhängig davon ist auch dieser mindestens genauso zu empfehlen. Travis Baldree hat sich mit den Geschichten um Viv zu Recht zum unangefochtenen König der Kuschel-Fantasy aufgeschwungen - dieses Buch macht süchtig!

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Veröffentlicht am 13.03.2024

The Great American Novel

Demon Copperhead
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Jeder angehende Schriftsteller in den USA träumt davon, sie irgendwann zu schreiben, die "Great American Novel" - das Buch, das den Zustand der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einfriert, ...

Jeder angehende Schriftsteller in den USA träumt davon, sie irgendwann zu schreiben, die "Great American Novel" - das Buch, das den Zustand der Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einfriert, kritisch beleuchtet und lebendig für die Nachwelt konserviert. Romane wie Steinbecks "Früchte des Zorns" zum Beispiel, Twains "Huckleberry Finn", Fitzgeralds "Der große Gatsby", Salingers "Fänger im Roggen" oder Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Barbara Kingsolver ist nun eine Autorin, die erneut verdammt nah dran ist an dieser Idealform einer Geschichte - und ganz im Zeichen ihrer eigenen Generation unerreicht großer Autoren (Cormac McCarthy, Bret Easton Ellis, David Foster Wallace) schreckt sie nicht zurück vor naturalistischen Darstellungen und anklagender Gewalt. Das Resultat heißt "Demon Copperhead", gewann den letztjährigen Pulitzer-Preis und bringt Barbara Kingsolver ein ganzes Stück weiter auf dem Weg zum Thron der neuen "Great American Novel".

"Demon Copperhead" ist nicht nur eine Hommage an den großen Charles Dickens, es borgt sich sogar unverhohlen den groben Plot und den größten Teil seiner Figuren (mit teilweise nur leicht veränderten Namen) aus dessen Klassiker "David Copperfield" (der seinerseits wohl das beste Beispiel für eine "Great British Novel" wäre). Das ist nicht als Plagiat gemeint, sondern instrumentalisiert bewusst Dickens' damalige Themen für einen Vergleich mit der Jetztzeit. Insofern kann man Kingsolver durchaus den Vorwurf machen, mit ihrer Geschichte des bitterarm und vernachlässigt aufgewachsenen Demon in einer der rückständigsten Gegenden der USA auf die künstliche Emotionalität eines aufgekitschten Groschenroman-Elends abzuzielen, aber das verfehlt den Punkt, da diese Kunstgriffe schon in der Dickens-Version inhärent und dort sicherlich sogar weitaus mehr einem damaligen Publikumsgeschmack geschuldet sind.

Kingsolver greift diese Mechanik auf und macht sich nicht die Mühe, dem Publikum eine mildere, versöhnlichere Beschreibung des harten Lebens inmitten der Appalachen anzubieten, nur um diesem Vorwurf zu entgehen. Stattdessen zielt sie genau dorthin, wo es weh tut, bombardiert den Leser mit kraftvoller, lebensnaher Sprache, dem Schmutz des Trailerparks, der seelischen Verwahrlosung und physischen Gewalt einer Unterschicht ohne Perspektive, die immer wieder durchbrochen wird von den unschuldigen kleinen Freuden der Kindheit und von der Sorglosigkeit des Coming of Age. Das ändert sich spätestens, als Demon nach einer Verletzung abhängig von OxyContin wird, jenem teuflischen Schmerzmedikament, dass besonders in den verarmten Gegenden der Vereinigten Staaten durch seine skrupellose Verbreitung zum Nutzen der großen Pharma-Konzerne eine massive Opioid-Krise auslöste. Doch das ist fast schon eine andere Geschichte.

Auf weit über 800 Seiten windet sich "Demon Copperhead" durch ein Leben am Rande lauernder Katastrophen, beobachtet sein Umfeld mit messerscharfer Präzision und schafft vor allem durch diese ausufernde Detailfreude ein ultrarealistisches Abbild einer verlorenen Gesellschaft, festgefroren in einem ewigen Status Quo. Und genau das macht Barbara Kingsolvers wohl ambitioniertestes Werk dann doch schon zum heißesten Anwärter auf die nächste "Great American Novel". Auf jeden Fall kürt es "Demon Copperhead" mit fast schon obszöner Leichtigkeit zum unumstrittenen Buch des Jahres!

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Veröffentlicht am 11.10.2023

Kalter Krieg - heiß serviert

Wie Sterben geht
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Wenn sich ein Autor wie Andreas Pflüger dazu entscheidet, einen politisch aufgeladenen Agententhriller zu schreiben, der den Leser mitten in die paranoide Zeit des Kalten Krieges zurückwirft, dann ist ...

Wenn sich ein Autor wie Andreas Pflüger dazu entscheidet, einen politisch aufgeladenen Agententhriller zu schreiben, der den Leser mitten in die paranoide Zeit des Kalten Krieges zurückwirft, dann ist schon davon auszugehen, dass "Wie Sterben geht" (trotz des tatsächlich eher ungelenken Titels) eine einmalige Erfahrung für Thrillerfans werden könnte. Und so kommt es dann eben auch. Überraschend ist das nicht, großartig irgendwie schon.

Mit sicherer Hand entwirft Pflüger ein wortgewaltiges und dennoch reduziertes Szenario im Jahr 1983, einer Zeit, in der der Kalte Krieg tatsächlich noch eiskalt war. Seine detaillierte Beobachtung des grauen und zweigeteilten Molochs Berlin atmet die ungemütliche Atmosphäre einer Welt im Zustand lauernder Anspannung, die sich nur hin und wieder in einem kurzen Gewaltexzess Luft macht und ansonsten durch die totale Abwesenheit jeglicher menschlicher Empathie frieren lässt. Das ist spannend zu lesen, gruslig-distanziert wie ein historischer Tatsachenbericht und dann wieder dynamisch und adrenalingetrieben in seinen sehr smart inszenierten Action-Szenen, die den Vergleich zu Hollywood-Storyboards nicht scheuen müssen. Dabei formuliert Pflüger bildhaft und dreckig, oftmals dem Chaos seiner eigenen Szenerie verpflichtet und damit so wenig vorhersehbar selbst für den erfahrensten Literaten, dass man ihm kleinere Ausrutscher gern durchgehen lässt. Erfrischend für einen deutschen Spannungsroman, der weder "nur" unterhalten möchte noch seine Leser mit aufgeblasener Moral aus dem Rückspiegel aufs rhetorische Glatteis führt. Einfach nur gut!

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