So ein Bisschen Medizingeschichte hätte ich auch gern in der Ausbildung gehabt
Die Charité: Hoffnung und SchicksalEs ist etwas mehr als 10 Jahre her, dass ich meine Ausbildung zur Medizinischen Dokumentationsassistentin erfolgreich abschloss. Ich war vollgepumpt mit anatomischen Wissen, fähig, sowohl eine Krankenhausabrechnung ...
Es ist etwas mehr als 10 Jahre her, dass ich meine Ausbildung zur Medizinischen Dokumentationsassistentin erfolgreich abschloss. Ich war vollgepumpt mit anatomischen Wissen, fähig, sowohl eine Krankenhausabrechnung fehlerfrei durchzuführen als auch einen Arztbrief nach den von den Ärzten dokumentierten ICD 10 und Prozeduren-Schlüssel aufzusetzen und ich war weniger fähig als Study-Nurse bei einer medizinischen Studie zu assistieren, weil ich schlicht und ergreifend diesen ganzen auf mathematisch-komplizierten Statistikkram nicht verstand. Was mich die ganzen Jahre an meiner Ausbildung genervt hat, war, dass wir, mal abgesehen von ein paar Praktika in medizinischen Einrichtungen und Krankenhausarchiven sowie einer Exkursion zu einer Sezierung in der hiesigen Pathologie nichts als grauen, trockenen Theorieunterricht hatten, bei dem meine Gedanken mehr als einmal auf Weltreise gegangen sind. Meine besten Gedichte sind während dieser Zeit im Unterricht entstanden. 🤣
Hätten wir allerdings ein Unterrichtsfach gehabt, dass Medizingeschichte geheißen hätte, wäre ich wohl die beste Schülerin auf diesem Gebiet gewesen. Zumindest, wenn wir einen Dozenten gehabt hätten, der nur annähernd so spannend unterrichtet hätte, wie Ulrike Schweikert schreibt.
Wenn man bedenkt, dass es gerade mal 180-190 Jahre her ist, dass die Patienten an Cholera, Diphterie, Sepsis und Wundbrand, sowie Kindbettfieber gestorben sind, weil die hygienischen Bedingungen zu dieser Zeit unter aller Kanone waren und das Impfen in der heutigen Form leider noch nicht erfunden und welche medizinischen Fortschritte allein die Ärzte in der Charité bis zum heutigen Tag errungen haben, schätzt man sich froh und glücklich, dass man im 21. Jahrhundert lebt. Die Frauen haben sich emanzipiert, sich die Möglichkeit erkämpft zu studieren, es gibt Verhütung, man muss keine 12 Kinder mehr austragen, kann Kind und Beruf unter einen Hut bringen, es gibt Impfungen und sterile Operationsräume und man muss sich nicht bei jedem Eingriff den Kopf zerbrechen, dass man vor Schmerzen oder vor der Angst vor Schmerzen und schon gar nicht wegen einem Arzt, der zu stolz ist, den OP-Kittel an den Nagel zu hängen, ums Leben kommt.
Es ist bewundernswert, was mutige Ärzte bis heute, unter teilweise lebensgefährlichen Umständen, erforscht, erprobt und erfolgreich umgesetzt haben. Und es wäre toll, wenn über diese Pioniere der Medizin und ihre Methoden mehr gelehrt werden würde. Sonst muss (zumindest) das administrative medizinische Personal, zu dem ich gehöre, wieder bis zu 10 Jahre warten, bis eine Autorin wie Ulrike Schweikert sehr interessante Romane über die Sternstunden der Medizin schreibt und bis dahin mit gefährlichem Halbwissen draußen rumspazieren.
Naja, die Medizin hab ich mittlerweile endgültig an den Nagel gehängt, das Interesse an Anatomie, Biochemie, Pathologie und Medizingeschichte ist jedoch geblieben. Dementsprechend bin ich auch schon auf den zweiten Band über die Charité sehr gespannt.