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Veröffentlicht am 29.11.2023

Inhalt vs Stil - eine zwiegespaltene Erfahrung

Natural Flow
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Inhalt

“Natural Flow” ist ein Ratgeber, Lebenshilfe, geschrieben von der promovierten Wirtschaftspsychologin Miriam Stark - aber definitiv kein Sachbuch. Die Autorin praktiziert als Beraterin/Coach zu ...

Inhalt

“Natural Flow” ist ein Ratgeber, Lebenshilfe, geschrieben von der promovierten Wirtschaftspsychologin Miriam Stark - aber definitiv kein Sachbuch. Die Autorin praktiziert als Beraterin/Coach zu zyklusorientiertem Leben.

In einem ersten Teil widmet sich die Autorin der physischen Ebene des weiblichen Zyklus. Das Herzstück, auf das auch im weiteren Verlauf substanziell Bezug genommen wird, ist dabei die Erläuterung des weiblichen Hormonhaushalts und der vier daraus abgeleiteten Zyklusphasen.
Den zweiten Teil bezeichnet die Autorin als psychologische Ebene. Hier bemüht sie sich, einen Wirkzusammenhang der hormonellen Vorgänge mit psychischen - oder besser seelischen - Zuständen herzustellen. Sie erläutert das Konzept von vier verschiedenen Anteilen - die Junge, die Mutter, die Magierin, die Alte - welche jede Frau in sich trägt und wie psychische und/oder somatische Leiden auf Vernachlässigung eines oder mehrerer dieser Anteile zurückgeführt werden können. Jedes Kapitel enthält eine Anleitung zu einer mentalen Reise und wird durch fiktive, aber durch die eigene Praxis inspirierte, Fallbeispiele illustriert.
Im dritten Teil beleuchtet Dr. Stark - vor dem Hintergrund der vorgängig aufgestellten Theorie - Sonderfälle (z.B. Schwangerschaft) und ausgewählte Problemlagen (z.B. Mittelschmerz) des weiblichen Zyklus.
Als viertes gibt die Autorin einen Abriss praktischer Tipps für Individuen, Paare und Arbeitgeber:innen, die zu einer positiveren privaten und geschäftlichen Alltagserfahrung und eben dem versprochenen “Natural Flow” führen sollen.

Meine Meinung
Inhaltlich gab es für mich beim Lesen viele Momente, in denen ich mich angesprochen gefühlt habe. Gerade der physiologische Aspekt, der hormonelle Zyklus und die Erläuterungen der möglichen psychologischen Wirkungen der Hormonlevel waren für mich sehr erhellend. Ich fand es auch spannend, wie die Autorin psychosomatische Wirkzusammenhänge vorgeschlagen hat. Das Konzept der vier weiblichen Anteile und die damit einhergehenden Superkräfte finde ich interessant und nehme ich gerne zur weiteren Erkundung mit.
Meiner Meinung nach hat die Autorin es geschafft, eine schlüssige Verbindung zwischen physischer und psychischer/seelischer Ebene zu schaffen - auch wenn die Argumentationskette nicht zwingend oder wissenschaftlich tadellos ist. Sie hat es aber geschafft, wichtige Denkanstösse zu kreieren. Und ich begrüsse und schätze ihr Bemühen, Frauen dazu zu ermutigen, ihrem Körper und ihrer Psyche mehr Beachtung zu schenken, achtsam mit beidem umzugehen und für die eigenen Bedürfnisse Platz zu machen.

Andere Punkte - ganze Kapitel sogar - habe ich allerdings als eher stiefmütterlich behandelt wahrgenommen. Themen wie Verhütung, Endometriose etc. werden nur angerissen und sehr einseitig und teils reisserisch betrachtet. Hier sehe ich sehr viel persönliche Meinung der Autorin und die Theorie und Methode Miriam Stark (oder eben Natural Flow), aber wenig überzeugendes oder wissenschaftliches Fundament. Auch die Referenz auf patriarchale Strukturen wird immer wieder gemacht, ohne dass diese in angemessener Form vordiskutiert wurden.

Die vorgeschlagenen Meditationen empfinde ich als einfache Möglichkeit, mit sich selbst in Kontakt zu treten. Zusammen mit dem simplen Tracking Tool aus dem Anhang stellt Dr. Stark hier einen niederschwelligen Einstieg zum zyklusorientiert(er)en Leben vor. Während viele Alltagstipps und Vorschläge der Autorin interessant und vielleicht sogar hilfreich sind, zielen viele - insbesondere die berufsrelevanten - auf eine sozioökonomische Elite als Zielpublikum ab. Zu dieser fühle ich mich nur bedingt zugehörig und es stellte sich für mich immer wieder die Frage, ob denn zyklusorientiertes Leben im Natural Flow nichts für die breite Masse ist. Oder ob Dr. Stark diese Masse durch ihren eigenen Hintergrund und ihre Erfahrungen einfach nicht bedienen kann.

Eine extreme Herausforderung war für mich das sprachliche Gewand, in dem dieses Buch daher kommt. Die “umarmende” Sprache, mit der die Autorin sehr grosszügig umgeht, hat es mitunter schwer gemacht, den präsentierten Informationen und Gedanken zu folgen. Der ausschweifende Stil hat meinen Fokus - und meinen Durchhaltewillen - immer wieder schwer auf die Probe gestellt. Das Buch wimmelt ausserdem von englischen Ausdrücken, ja sogar ganzen Sätzen. Das mag im verbalen Austausch angehen, in geringen Dosen vielleicht sogar in einem Buch. Hier war es für mich definitiv irritierend und nervig, denn es wirkt auf mich unprofessionell und nachlässig.
Mit ihrem Stil hat die Autorin leider an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit gekratzt. Und als wäre das nicht schade genug, schafft sie es auch immer wieder, sich selbst in die esoterische Ecke zu stellen. Obwohl sie genau das zu vermeiden versucht, in dem sie wortreich ankündigt, dass es jetzt abgefahren wird, Bilder von klischeehaften Esotanten heraufbeschwört - und dann alles mit einem “glaubt mir” wegzuwischen versucht. Liebe Frau Dr. Stark, wir Leser:innen sitzen ihnen nicht in ihrem Beratungszimmer gegenüber. Beziehungsarbeit funktioniert nicht auf dieselbe Weise. Sie haben nicht einfach mein Vertrauen, weil Sie mich dazu auffordern. Und mit ihrem blumigen Motivationstrainer/Lebenscoach Geschwafel und den lautmalerischen Schwelgereien haben Sie es mir richtig schwer gemacht, Sie fachlich trotzdem ernst zu nehmen.

Fazit
Inhaltlich behandelt “Natural Flow” wichtige und spannende Themen, die jede Person mit Gebärmutter, deren Partner:innen und Arbeitgeber:innen etwas angehen (sollten). Ich schätze und unterstütze den Aufruf zu mehr Achtsamkeit und Respekt für unsere Körper und Seelen. Und obwohl mir das Buch einige Denk- und Handlungsanstösse gegeben hat, fühle ich mich nicht der sozioökonomischen Elite angehörig, an die ich das Buch gerichtet empfinde. Ich fühle mich tendenziell exkludiert. Sprachlich und stilistisch war es für mich ausserdem nahezu unlesbar.

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Veröffentlicht am 11.11.2023

Raffinierter Plot, nicht ganz so raffiniert umgesetzt

Die Legende der Götter
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Inhalt
Das Königreich Lindao kämpft mit den Folgen des Krieges gegen einen übermächtigen und unbekannten Feind im Süden: Schock, marodierende Gruppen fahnenflüchtiger Soldaten, Hunger. Dazu die plündernden ...

Inhalt
Das Königreich Lindao kämpft mit den Folgen des Krieges gegen einen übermächtigen und unbekannten Feind im Süden: Schock, marodierende Gruppen fahnenflüchtiger Soldaten, Hunger. Dazu die plündernden Truppen Medelins - des Nachbarn, der ihnen zu Hilfe gekommen ist, nun aber nicht abziehen will. Das Land zerfällt und verschiedene Interessengruppen formen sich, schmieden ihre eigenen Pläne - von der Rückbesinnung auf die Götter bis zum Sturz des Königs, der sich seit dem Krieg in seine Bergfestung zurückgezogen hat. Der Kronrat indessen ist sich nicht einig, welche Probleme zuerst und auf welche Weise angegangen werden sollen. Derweil braut sich ungesehen eine längst vergessene Bedrohung zusammen und verfolgt ganz eigene Pläne.

Meinung
“Die Legende der Götter” startet mit einer interessanten Ausgangslage: Nach dem Krieg. Aus vielen Perspektiven erkundet der Autor die Lage im typisch mittelalterlichen Fantasyland Lindao, Leser*innen erfahren von den Schrecken des Krieges und dessen Folgen. Im Zentrum steht dabei der Hunger - nirgends gibt es mehr genug, die Menschen sterben und der König… Der König hat sich komplett zurückgezogen und die Geschäfte seinem Kronrat überlassen: der Königin Alanna, dem schlauen Pippin und den aufbrausenden Zwillingen. Derweil scharen der Grossbauer Onam und seine Tochter Nadira Menschen um sich, die nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben - denn sie haben genug vom Leiden des einfachen Volkes. Ole, ein überlebender Soldat des Krieges, wird derweil für einen ganz speziellen Auftrag angeworben. Die zwölfjährige Mia weilt derweil auf Sturmwehr, wo die Priester von den Göttern predigen.

Während die multiperspektivische Erzählweise grundsätzlich die meiner Meinung nach interessanteste und passendste Wahl für die Geschichte ist, ist die Umsetzung leider mangelhaft ausgeführt. Es scheint grundsätzlich einen Auktorialen Erzähler zu geben, der mal klar ersichtlich, mal fast personal erzählt - und leider auch innerhalb einer Szene gerne mal den Kopf wechselt. Dieses Headhopping führt dazu, dass es oftmals keine klar zu erkennende Perspektivfigur gibt - und damit auch keine Identifikationsfigur für mich als Leserin. Diese “Allwissenheit”, die ich damit erlange, überfordert mich ausserdem stellenweise und macht mich durch fehlenden Fokus gleichgültig.

Im Gegensatz dazu sind viele Szenen, in denen nur eine einzige Person auftritt, sehr stimmungsvoll, nahe an der Person und charakteristisch geschrieben. Figuren, die alleine eingeführt werden, erhalten Tiefe und Persönlichkeit. Hervorzuheben sind hier Ole, Sigurd und Nadira - ihre Grundzüge gefallen mir gut, ihre Motivation und Geschichte ist interessant und nachvollziehbar. Schade, dass diese Persönlichkeit später dem Plot geopfert wird und in entscheidenden Momenten keine Rolle mehr spielt.

Der Plot - das war für mich von Anfang an spürbar - ist gut durchdacht. Die Geschichte ist komplex und folgt einem Plan, der für mich als Leserin nicht durchschaubar war. Im Verlauf gab es dann auch unerwartete Entwicklungen und gegen Ende, als die Handlungsstränge zusammengeführt wurden, überraschende Twists. Der Aufbau der Handlung zieht sich aber sehr in die Länge; bis die Handlung wirklich Fahrt aufnimmt, sind die ersten zweihundert Seiten geblättert. Dies liegt nicht zuletzt an etlichen Wiederholungen. Nach eigenen Aussagen arbeitet der Autor aber bereits an einer Neuauflage, in der diese Schwäche behoben sein wird. Während die Handlung im Grossen und Ganzen gut durchdacht ist, gibt es für mich trotzdem einige logische Schwächen und Fragen nach dem Warum. Dabei hat einiges damit zu tun, dass das Magiesystem für mich nicht immer nachvollziehbaren Gesetzmässigkeiten unterliegt.

Sprachlich ist das Werk in solidem Erzählstil geschrieben, der für mich aber wenig Nähe zum Geschehen und den Personen zugelassen hat. Besonders in actionreichen Szenen hätte ich mir mehr stilistische Flexibilität gewünscht.

Fazit
“Die Legende der Götter” verfügt meiner Meinung über ein interessantes, komplexes Grundkonzept, das aber durch handwerkliche Schwächen im Bereich Stil und Struktur nicht voll zur Geltung kommen kann. Ähnliches gilt für die Charaktere, die im Ansatz sehr interessant sind, jedoch im Schatten des Grösseren Ganzen nicht glänzen dürfen.

Das Buch ist der Auftakt zu einer Reihe - die Geschichte ist zwar in sich geschlossen, das Ende lässt aber deutlich auf eine Fortsetzung schliessen. Die Legende der Götter ist nicht fertig geschrieben. Sie weiter zu verfolgen verspüre ich zurzeit zwar kein Bedürfnis. Ich sehe aber viel Potenzial und hoffe, dass der sehr kritikfähige Autor für den Folgeband handwerklich aufgerüstet. Dann, wer weiss, könnte sich meine Meinung durchaus ändern lassen.

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Veröffentlicht am 17.04.2024

Etwas überladen

Stolen Crown – Die Magie des dunklen Zwillings
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“Stolen Crown” von Valentina Fast ist ein Einzelband erschienen im ONE Verlag. Gelesen habe ich das Buch dank meiner Glücksfee beim Gewinnspiel der Lesejury - vielen Dank dafür! Meine Meinung ist natürlich ...

“Stolen Crown” von Valentina Fast ist ein Einzelband erschienen im ONE Verlag. Gelesen habe ich das Buch dank meiner Glücksfee beim Gewinnspiel der Lesejury - vielen Dank dafür! Meine Meinung ist natürlich trotzdem meine eigene.

Avi und Ana sind Zwillinge in einer Welt, in der eben dies verboten ist - und teilen sich deshalb das Leben von Aviana. Bis Ana krank wird und Avi nichts anderes übrig bleibt, als ihre Arbeitskraft zu versteigern. Doch diese Entscheidung hat noch weit mehr Konsequenzen, als sie sich vorstellen konnte. Und für Avi beginnt eine Reise in die Geschichte ihrer Welt - und zu sich selbst.

Valentina Fast entführt ihre Leser:innen in eine Welt, die eine originelle Mischung aus an unserer Welt orientierten Dystopie und Fae-Fantasy. Das Tempo ist von Beginn weg hoch, die Ereignisse überschlagen sich regelrecht und nehmen unvermutete Richtungen. Fast etwas zu unvermutet für meinen Geschmack - irgendwie hat mich die Handlung unterwegs ein wenig verloren. Da gab es einfach fast zu viele verschiedene Ideen und Tropes, die alle in einen einzigen Topf geworfen wurden. Die Sinnesspiele waren so gar nicht, was ich erwartet hatte - und schienen einerseits wie ein etwas fader Abklatsch der Hungergames, als auch insgesamt für die Story nicht wirklich zwingend notwendig.
Das Buch kränkelt nicht nur an Überladenheit, sondern auch an einer wenig attraktiven Protagonistin. Avi erlangt zwar Fähigkeiten und ihre innere Stärke - für die Rahmenhandlung ist sie aber nicht wichtig genug. Sie ist im Grunde austauschbar, treibt die Geschehnisse nicht aus eigenem Antrieb voran und hat im Allgemeinen wenig Einfluss auf den Plotverlauf.
Die Liebesgeschichte ist mal wieder - wie bei Jugendfantasy eben enttäuschend oft - eher fade. Das junge, ungestüme Mädchen beeindruckt das jahrhundertealte magische Wesen plus etwas Enemie to Lovers. So richtig nachvollziehbar war das nicht, ausserdem das übliche Teenie-Herzschmerz-Gefühlschaos. Etwas zwiespältig auch die Perspektivkapitel von Ren, in denen er in gleicher Manier seinen widersprüchlichen Gefühlen nachhängt. Immerhin dienen sie auch dazu, mit Andeutungen auf mehr Hintergrund Spannung zu erzeugen.

“Stolen Crown” war dank dem hohen Tempo über weite Teile spannend zu lesen. Und auch das Setting hat grundsätzlich seinen Reiz. Die riesigen Plottwists waren zwar überraschend, allerdings auch etwas übertrieben, trugen aber dennoch zur allgemeinen Spannung bei. Im Grossen und Ganzen wirkte das Buch aber etwas überladen und ist nicht so wirklich meins.

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Veröffentlicht am 03.04.2024

Lesevergnügen ist anders...

Im Schatten des Blitzes
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“Im Schatten des Blitzes” ist der Auftaktband zu Brian McClellans neuer Serie “The Glass Immortals”. Übersetzt wurde es von Nicole Lischewski, herausgegeben von Cross Cult Entertainment - vielen Dank für ...

“Im Schatten des Blitzes” ist der Auftaktband zu Brian McClellans neuer Serie “The Glass Immortals”. Übersetzt wurde es von Nicole Lischewski, herausgegeben von Cross Cult Entertainment - vielen Dank für das Rezensionsexemplar! Beworben wird dieses neue Werk unter anderem mit grossen Worten und einer unbedingten Empfehlung von Brandon Sanderson. Und das war es tatsächlich auch, was mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat. Die Erwartungen waren, gelinde gesagt, sehr hoch.

Demir Grappo, der Erbe der gleichnamigen Gildefamilie, wird durch den gewaltsamen Tod seiner Mutter aus seinem selbst auferlegten Exil gerissen. Zurück in der Hauptstadt Ossa sieht er sich genötigt, die geheimen Pläne der Verstorbenen weiter zu verfolgen. Denn diese allein können das kommende Chaos aufhalten, in welches das Reich zu stürzen droht. Denn der Zindersand - die Ressource, aus dem das magische Götterglas hergestellt wird - geht zur Neige. Während seine alte Freundin Kizzi Vorcien versucht, mehr über das frühzeitige Ableben der Grappo Matriarchin zu erfahren, muss Demir die Glasschmiedin Thessa finden. Aber da ist auch noch der Krieg, der die Sache nicht einfacher macht. Und dann wird es noch so richtig abgefahren…

Fangen wir mit dem “wunderbaren Weltenbau” an, wie Sanderson es ausdrückt. Ja, grundsätzlich gibt es hier einige interessante Elemente. So haben wir es mit einer geschlechts egalitären Gesellschaft zu tun, in der Sexualität kein Tabu ist und nicht heteronorm sein muss. Ausserdem wurde das Mittelalter erfrischenderweise überwunden, was es den Akteur:innen erlaubt, mit Schwarzpulver für grosse Knalleffekte zu sorgen. Ossa wird ausserdem von Gildefamilien regiert - Spionage und Intrigen inklusive. Und wirklich ziemlich originell: Magie ist eine handwerkliche Angelegenheit, die auf einer endlichen Ressource basiert. Leider haben sich diese vielversprechenden Elemente beim Lesen geweigert, sich zu einem Erlebnis zusammenzufügen. Das Setting ist für mich nicht zum Leben erwacht, ein- und abtauchen unmöglich.

Woran hat’s gelegen? Für mich ganz eindeutig: Am schrifthandwerklichen (Un)Vermögen des Autors. Zum einen betrifft das ganz banal den Schreibstil - der ist einfach so gar nicht meins. Und mir will keine bessere Beschreibung einfallen, als “plump” - in Form und Inhalt. Das fängt mit dem Infodumping an, ganz zu schweigen vom ständigen erklärenden Denken der Figuren und endet in leblos technischen Gedankengängen. Beschreibungen (vor allem von Magie und deren Wirkung) ähneln sich in ihrer nichtssagenden Einfallslosigkeit und irgendwann stach mir die Häufung des Wortes Glas schon fast schmerzhaft in den Augen. Der Schreibstil an sich finde ich vor allem langweilig und unschön. Letzteres dürfte wohl zu Teilen der Übersetzung geschuldet sein, während einige der wirklich behäbigen und unvorteilhaften Formulierungen dem Korrektorat anzulasten sind. Jedenfalls war es wahrlich kein Genuss zu lesen.

Eher fade waren auch die vier Perspektivfiguren Demir, Kizzie, Thessa und Idrian. Zum einen sind sie alle gleich geschrieben - keine Figur besitzt eine eigene Stimme oder Denkweise, nicht einmal eine besondere Einstellung. Keine Abwechslung. Als Leserin waren diese Figuren ausserdem eher langweilig, weil sie wie ein offenes Buch vor mir lagen. Ich wusste immer alles über sie. Keine Geheimnisse, keine Facetten, keine Überraschungen. Wenn die Figuren gerätselt haben, ob sie einer anderen vertrauen können, konnte ich nur müde gähnen - denn ich wusste es ja bereits. Auch Neuigkeiten, die jemand erfährt, waren für mich als Leserin nichts aufregendes. Wusste ich ja schon. Es gibt ausserdem kaum Konflikt zwischen den Perspektiven, jedenfalls keinen, der nicht fingiert wirkt.

Ganz allgemein war dieses Buch zu grossen Teilen sehr zäh und tendenziell langweilig zu lesen. Insgesamt war mir die Handlung zu konstruiert, um organisch zu wirken, die Geschichte zu fingiert und nüchtern, um mich zu packen und die Charaktere zu blass, um mich zu interessieren. Obwohl es einige Szenen gibt, die doch etwas Spannung haben aufkommen lassen, war der Payoff meistens irgendwie enttäuschend. Zum Schluss hin wurde die Sache dann etwas besser, weil dann doch das Tempo zugenommen hat und die Mordintrige spannende, wenn auch sehr abgefahrene Twists mit sich brachte. Das ist auch der Grund, weshalb ich durchaus zum zweiten Teil greifen möchte: Ich bin schon ziemlich gespannt, wohin diese neuen Wendungen noch führen. Die Aussicht, mich nochmals durch knapp 700 Seiten dieses Schreibstils zu arbeiten, reizt mich allerdings wenig. Vielleicht werde ich dafür also mal wieder zum englischen Original greifen.

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Veröffentlicht am 21.05.2024

Langweilig und überladen

A Tempest of Tea
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“A Tempest of Tea" ist der erste Band einer Dilogie von Hafsah Faizal. Das Hörbuch wurde von Der Audio Verlag produziert und von Robert Frank gesprochen.

In White Roaring, der Hauptstadt der Kolonialmacht, ...

“A Tempest of Tea" ist der erste Band einer Dilogie von Hafsah Faizal. Das Hörbuch wurde von Der Audio Verlag produziert und von Robert Frank gesprochen.

In White Roaring, der Hauptstadt der Kolonialmacht, betreibt die junge Immigrantin Arthie mit ihrem Wahlbruder Jin das Spindrift - Teehaus bei Tag, Bluthaus bei Nacht - und tanzt damit dem geheimnisvollen Widder auf der Nase herum. Als es diesem geliebten Stück selbst erschaffener Heimat an den Kragen gehen soll, sieht Arthie sich genötigt, einen waghalsigen Coup zu wagen, der ihr angeboten wird. Aber ihre Crewmitglieder haben alle eine eigene Agenda. Und im Schatten warten noch mehr dunkle Geheimnisse.

Mich hatte ja das düstere Setting und die Aussicht auf einen ausgeklügelten Heist dazu verlockt, dieses (Hör)buch anzugehen. Und gerade das Worldbuilding war auch das, was mich schlussendlich am meisten abgeholt hat. Ja, es gibt einige ziemlich offensichtliche Anlehnungen an unsere echte Welt - und einige schon fast dreiste Wortentlehnungen. Trotzdem hat mir die Atmosphäre grundsätzlich gefallen. Vor allem die soziale Ordnung, besonders bezogen auf die Integration von Vampiren ins Gefüge, fand ich interessant. Ausserdem entstand der Eindruck, dass diese Welt Tiefe und Hintergrund hat, auch wenn die Geschichte nicht alles erkundet.
In der Leseprobe haben mich ausserdem die vorgestellten Charaktere Arthie und Jin angesprochen, die gleich in Action gezeigt haben, wer sie sind. Leider ist es dann dabei geblieben. Es wird zwar viel über die verschiedenen Charakterzüge und Fähigkeiten der Crewmitglieder erzählt - leider bleiben sie alle den Beweis durch Handlung schuldig. Und so ist diese vielversprechende Welt von leblosen Stereotypen bevölkert. Dazu kommt, dass die Handlung so gar nicht in die Gänge kommt. Geistloses Geplänkel, gewürzt mit überschäumenden Teeniehormonen und unterbrochen von ausschweifenden Rückblenden dominieren die erste Hälfte des Buches. Und als dann nach über einem Drittel doch mal etwas geht, bleiben die Figuren in ihren Handlungen meilenweit hinter den postulierten Fähigkeiten zurück. Auch der Heist war eine grosse Enttäuschung - weder besonders ausgeklügelt, noch irgendwie überraschend, basiert er vor allem auf der Annahme puren Glücks - ja, bereits in der Planung. Im letzten Drittel gibt es zwar einige Überraschungen und Wendungen, sie wirken auf mich aber künstlich und überladen die Geschichte schlussendlich.

Etwas zwiegespalten stehe ich dem Sprecher gegenüber. Grundsätzlich bewundere ich das Talent und Können des Sprechers: Seine Interpretation ist abwechslungsreich - jede Figur hat einen eigenen Ton - und mitreissend. Allerdings haben mir nicht alle Figurenstimmen gut gefallen und haben in einigen Fällen meine Antipathie noch verstärkt. Die hohe Varietät hat ausserdem mein Gefühl von “überladen” noch verstärkt.

Die Struktur, der Plot, der Weltenbau, die Figuren - die ganze Geschichte - sind für mich zu eklektisch und zufällig, die Logik vor allem nicht zwingend genug und wirkt daher erzwungen. Ich fand “A Tempest of Tea” sehr anstrengend, über lange Strecken langweilig und nicht überzeugend schlüssig. Da konnten dann auch die mitunter wirkungsvollen und ansprechenden Sprachbilder nichts mehr reissen.

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