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Veröffentlicht am 16.06.2024

Seine letzte große Reise

Reise nach Laredo
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Man schreibt das Jahr 1558. König Karl hat abgedankt und lebt jetzt in einem Kloster in Yuste, wo er von den Mönchen versorgt wird. Er ist krank, hat Schmerzen, langweilt sich und wartet nur noch auf seinen ...

Man schreibt das Jahr 1558. König Karl hat abgedankt und lebt jetzt in einem Kloster in Yuste, wo er von den Mönchen versorgt wird. Er ist krank, hat Schmerzen, langweilt sich und wartet nur noch auf seinen Tod. Doch als er dem elfjährigen Geronimo, einem seiner unehelichen Kinder, begegnet, erwachen in ihm neue Lebensgeister. Gemeinsam fassen sie den Plan, sich heimlich nachts mit Pferd und Maulesel auf den Weg nach Laredo zu machen. Trotz vieler Gefahren, die auf die beiden warten, fühlt sich Karl, der als König nie unbeschwert sein durfte, jetzt frei und unabhängig wie nie zuvor. Sie lernen neue Freunde kennen, erfahren Hilfsbereitschaft und Liebe und begreifen, welche Werte wirklich wichtig sind im Leben …

Arno Geiger, geb. 1968 in Bregenz, ist ein österreichischer Schriftsteller und Autor zahlreicher erfolgreicher Romane, Erzählungen und Hörspiele, für die er mehrfach Preise und Auszeichnungen erhielt. Er ist verheiratet und lebt als freier Schriftsteller seit 1993 abwechselnd in Wien und Vorarlberg.

Anhand der Jahreszahl und der Ortsangaben darf man annehmen, dass der Autor seine Anregung aus der Biografie des realen Kaisers Karl V. entnommen hat, dessen letzte Reise von Laredo nach Yuste war, wo er 1558 verstarb. Das Buch ist mit feiner Komik, sprachlich brillant und ausdrucksstark geschrieben, sodass man als Leser das Geschehen bildhaft vor Augen hat: eine phantastische Reise voller Abenteuer, ein Roadtrip im Mittelalter, gefahrvoll und mit ungewissem Ausgang. Man schmunzelt, fiebert mit und hofft für die beiden Protagonisten das Beste. Das ruhige Ende gibt uns dann Gelegenheit, wieder zu uns selbst zu finden und darüber nachzudenken, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Fazit: Für diese wunderbare Geschichte gibt es von mir eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 11.06.2024

Gefühle einer Frau und Mutter

Die Mittagsfrau
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1945. Nach dem Einmarsch der Roten Armee flieht eine Mutter mit ihrem siebenjährigen Sohn aus Stettin in Richtung Westen. Ihr Gepäck besteht aus einem kleinen Koffer, der etwas Geld, Kleidung und die Geburtsurkunde ...

1945. Nach dem Einmarsch der Roten Armee flieht eine Mutter mit ihrem siebenjährigen Sohn aus Stettin in Richtung Westen. Ihr Gepäck besteht aus einem kleinen Koffer, der etwas Geld, Kleidung und die Geburtsurkunde des Jungen, sowie einen Zettel, auf dem „Onkel Sehmisch, Gelbensande“ geschrieben steht, enthält. Auf einem Provinzbahnhof fordert sie den Jungen auf sich auf eine Bank zu setzen, auf den Koffer aufzupassen und auf ihre Rückkehr zu warten. Doch sie kommt nicht mehr zurück, sie hat ihn verlassen. --- Was treibt die siebenunddreißigjährige Helene dazu, ihren kleinen Peter auszusetzen? Ist es die kürzlich erlittene Vergewaltigung durch Soldaten der Roten Armee, ist es das Scheitern ihrer Ehe mit Wilhelm Sehmisch, dem sie ihre neuen Papiere mit dem Namen Alice Sehmisch verdankt, oder die Erinnerung an ihren tödlich verunglückten Verlobten Carl? Ist ihre Handlung vielleicht auf ihr schlechtes Gewissen zurückzuführen, dass sie mit ihrer jüdischen Mutter, die psychisch labil, gefühlskalt und zu Wutausbrüchen neigend in einer psychiatrischen Anstalt an akuter Lungenentzündung verstorben sein soll, seit den Zwanzigerjahren keinen Kontakt mehr hatte?

Die deutsche Schriftstellerin Julia Franck+ wurde zusammen mit ihrer Zwillingsschwester 1970 in Ost-Berlin als Tochter der Schauspielerin Anna Franck und des Fernsehregisseurs Jürgen Sehmisch geboren. Für ihre Texte und Bücher erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Stipendien, ihr 2007 im S. Fischer Verlag erschienener Roman „Die Mittagsfrau“ verhalf ihr zum Deutschen Buchpreis 2007, verkaufte sich daraufhin fast eine Million Mal und hielt sich über Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. Wie die Autorin in einem Interview erwähnte, hat die Geschichte Parallelen zu ihrer eigenen Familiengeschichte. Ihr 1937 in Stettin geborener Vater wurde 1945 im Zuge der Vertreibung gen Westen von seiner Mutter auf dem ersten Bahnhof westlich der Oder-Neiße-Linie aufgefordert zu warten, bis sie gleich wieder kommen würde. Sie kam nicht wieder. Nachforschungen zu diesem Roman ergaben, dass die Großmutter der Autorin mit ihrer Schwester über Jahrzehnte zurückgezogen in einer Einzimmerwohnung gelebt habe und 1996 in der Nähe von Berlin verstorben sei. Ein Kind hätte sie nie erwähnt.

Der Roman erzählt in drei Kapiteln die Lebensgeschichte der Protagonistin Helene Würsich, später Alice Sehmisch, von ihrer Kindheit Anfang des 20. Jahrhunderts in Bautzen, von ihren Erlebnisse als junge Erwachsene in den 1920er Jahren in Berlin bis zu ihrem Leben als Ehefrau und Mutter während des Naziregimes. Im Prolog und im Epilog des Romans steht ihr Sohn Peter im Mittelpunkt. Den Titel Die Mittagsfrau hat die Autorin einer slawischen Sage entlehnt, in der ein weiblicher Naturgeist an heißen Tagen um die Mittagszeit erscheint, um den Menschen den Verstand zu verwirren und ihre Glieder zu lähmen. Man kann die Geschichte, sowohl vom Schreibstil als auch inhaltlich, durchaus als anspruchsvoll bezeichnen. Werden doch neben den Wirren der beiden Weltkriege auch viele Tabuthemen der damaligen Zeit behandelt, wie lesbische Beziehungen, Drogenmissbrauch, vorehelicher Sex und Abtreibung, die nachdenklich stimmen und zum diskutieren anregen.

Fazit:* Ein lesenswertes Buch, das zu Recht den Deutschen Buchpreis 2007 gewonnen hat.

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Veröffentlicht am 04.06.2024

Watte im Kopf und ein rätselhafter Berg

Kalmann und der schlafende Berg
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Seit Großvater gestorben ist wohnt Kalmann, der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, bei seiner Mutter in Akureyri, wo er für Ordnung auf dem Parkplatz des Supermarktes zuständig ist. Aber jetzt sitzt ...

Seit Großvater gestorben ist wohnt Kalmann, der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, bei seiner Mutter in Akureyri, wo er für Ordnung auf dem Parkplatz des Supermarktes zuständig ist. Aber jetzt sitzt er im Vernehmungszimmer des FBI in Washington, ist wütend, hat mal wieder „Watte im Kopf“ und versteht rein gar nichts mehr. Er ist doch auf Einladung seines „Samenspenders“, seines amerikanischen Vaters, in die USA geflogen um seine dortige Familie kennen zu lernen. Diese nahmen ihn dann mit zu einem Ausflug zum Capitol, zu dem ein amerikanischer Präsident aufgerufen hatte, und lassen ihn jetzt schmählich im Stich. Ehe Kalmann sich’s versieht, sitzt er auch schon wieder im Flieger nach Island, wo er einen neuen Mord aufzuklären hat. Warum musste Großvater so plötzlich sterben und warum hat er kurz vor seinem Tod noch russisch gesprochen? Sein bester Freund, die Online-Bekanntschaft Noi, hat einen Verdacht, dem Kalmann natürlich nachgehen muss …

Der 1981 im Kanton Graubünden/Schweiz geborene Autor Joachim B. Schmidt entschied sich 2007 Island zu seiner Wahlheimat zu machen und erwarb sogar die dortige Staatsbürgerschaft. Nachdem er 2010 mit einer Kurzgeschichte einen Schreibwettbewerb gewann begann er Romane zu schreiben. „Kalmann und der schlafende Berg“ ist sein sechster Roman, für den er den diesjährigen Glauser-Krimipreis in der Kategorie Bester Roman erhalten hat. Heute lebt Joachim B. Schmidt mit seiner Familie in Reykjavik, wo er als Journalist, Autor und Touristenführer tätig ist.

Wieder ist es dem Autor gelungen, den in seinen kognitiven Fähigkeiten eingeschränkten Kalmann als äußerst liebenswerten Menschen darzustellen. Man muss ihn einfach gern haben, den eigenwilligen Sheriff von Raufarhöfn, mit all seinen Schwächen und absonderlichen Eigenheiten. Joachim B. Schmidt lässt den Protagonisten selbst berichten, so dass man als Leser die Ereignisse durch seine Gedankenwelt wahrnimmt und dabei stets zwischen Bewunderung und Mitleid schwankt. Ganz nebenbei erfährt man auch einiges vom Weltgeschehen in den 2020/21er Jahren, als Kalmann beim Sturm auf das Capitol in die Fänge des FBI geriet und bei seiner Rückkehr nach Island wegen Corona in Quarantäne musste. Mit viel Witz und beeindruckender Sprachintensität führt uns der Autor an die verschiedensten Schauplätze und glänzt dabei mit seltsamen, teils etwas überspitzten Einfällen, die er gekonnt zu einem großartigen, unterhaltsamen Kriminalroman verknüpft.

Fazit: Ein etwas anderer Kriminalroman, witzig und abgedreht komisch – und vor allem gut unterhaltend. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 21.05.2024

Ankunft und Abschied – Leben und Sterben

Morgen und Abend
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Nach vielen Jahren Ehe und einer Tochter haben Marta und Olai endlich einen Sohn bekommen. Sie nennen ihn Johannes. --- Seit damals sind viele Jahre vergangen. Johannes ist jetzt selbst alt und einsam ...

Nach vielen Jahren Ehe und einer Tochter haben Marta und Olai endlich einen Sohn bekommen. Sie nennen ihn Johannes. --- Seit damals sind viele Jahre vergangen. Johannes ist jetzt selbst alt und einsam und er sehnt sich nach seiner Frau, die vor einigen Jahren verstorben ist. Auch sein Leben neigt sich bereits dem Ende zu. Seit er heute Morgen aufgewacht ist, empfindet er alles ganz seltsam leicht und schmerzfrei. Er erlebt plötzlich Momente aus seinem Leben, das als Fischer arbeitsreich und voller Entbehrungen war, erinnert sich an die sieben Kinder die sie bekommen und großgezogen haben und trifft alte Freunde wieder, die längst verstorben sind. Ist das real oder träumt Johannes? …

Jon Olav Fosse, geb. 1959 in Haugesund/Norwegen, ist ein norwegischer Autor, Dramatiker, Lyriker, Essayist und Übersetzer. Mit seinen über fünfzig literarischen Veröffentlichungen gilt er als eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen norwegischen Literatur. Als siebenjähriger Junge hatte er einen Unfall, bei dem er ein Nahtod-Erlebnis hatte. Diese Erfahrung hat sein Schreiben als Erwachsener bis heute stark beeinflusst. Fosse, der heute in Oslo und in der niederösterreichischen Gemeinde Hainburg lebt, erhielt im Jahr 2023 den Nobelpreis für Literatur.

Der Schreibstil des Autors ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, lässt sich aber erstaunlich gut und flüssig lesen. Er ist ganz der Einfachheit und Schlichtheit des Lebens norwegischer Fischer angepasst und dadurch auch gut nachvollziehbar. Man macht nicht viele Worte, man versteht sich auch so. Die ganze Geschichte dreht sich um Johannes und seine sehr intensiven Gedanken und Gefühle, die anderen Personen treten dadurch naturgemäß etwas in den Hintergrund. Wir erleben seinen ersten und seinen letzten Tag, begleiten ihn bei seinen Erinnerungen und spüren dabei seinen quälenden körperlichen und seelischen Schmerz.

Wunderbar trostreich beschreibt Fosse den Übergang vom Leben zum Tod und nimmt so die Angst und den Schrecken vor dem Sterben. Ein beruhigender Gedanke, dass man dadurch seinen Lieben wieder begegnen kann.

Fazit: Ein kleines dünnen Büchlein, das zu lesen eine Bereicherung sein kann.

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Veröffentlicht am 20.05.2024

Liebeserklärung an einen Baum

Die Libanonzeder
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„Die Libanonzeder“, ein wunderschöner Baum der 1000 Jahre alt werden kann und bereits in der Bibel erwähnt wird, ist der rote Faden, der die vier Kurzgeschichten und die dazwischen eingefügten Abhandlungen ...

„Die Libanonzeder“, ein wunderschöner Baum der 1000 Jahre alt werden kann und bereits in der Bibel erwähnt wird, ist der rote Faden, der die vier Kurzgeschichten und die dazwischen eingefügten Abhandlungen über die einzelnen Wachstumsphasen des Baumes miteinander verbindet.

Die erste Geschichte spielt in grauer Vorzeit, als eine junge Frau ihrem Elternhaus entflieht, um ihrem Geliebten durch den ursprünglichen unwegsamen Zedernwald zu folgen. Die zweite Erzählung führt uns 1787 nach Pisa, wo der Präfekt des Botanischen Gartens, Giorgio Santi, höchstpersönlich eine Libanonzeder anpflanzt. Weiter werden wir 1856 ins Piemont versetzt, wo eine junge Gräfin nach dem Tod ihres Mannes versucht, den bei der Hochzeit gepflanzten Baum zu fällen. Die vierte Geschichte ereignet sich in ferner Zukunft, wo nach einer Umweltkatastrophe nach Resten ehemaliger Vegetation gesucht wird.

Dazwischen lesen wir über den beinahe magischen Prozess von der Keimung bis zum ausgewachsenen Baum. Gleich zu Beginn löst sich ein Samen aus dem holzigen Zapfen, trudelt auf seinem Flügel zur Erde um sich dort einzugraben und neues Leben entstehen zu lassen. Im weiteren Verlauf erfahren wir über die Vorgänge im Inneren der Zeder, über die Fotosynthese und Auswirkungen des Klimas, über Verwurzelung und Untergang. Der in Pisa gepflanzte Baum fiel 1935 einem Sturm zum Opfer, doch die Libanonzeder im Piemont steht bis heute noch dort.

„Die Libanonzeder“ ist eine wunderschöne, poetisch geschriebene Geschichte der 1971 geborenen italienischen Autorin Raffaella Romagnolo. Das kleine dünne Büchlein wurde 2024 vom Diogenes-Verlag im Rahmen der neuen Reihe „Diogenes Tapir“ herausgegeben. Leider wird es aufgrund des Preises von 24 Euro wohl nicht die verdiente Leserschaft finden.

Fazit: Eine Geschichte von Leben und Wachsen, von Zerstörung und Untergang, ein Bekenntnis zur Natur und Hoffnung für die Zukunft. Trotz des hohen Preises sollte es gelesen werden!
Ich vergebe 4 für die Umsetzung und 1 für die Ausstattung und den Preis!

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