Der Schauspieler Jörg Hartmann gibt in der Lärm des Lebens sehr persönliche Einblicke in die Anfänge seiner Schauspielkarriere Anfang der 90er Jahre und das Aufwachsen in einem klassischen Arbeiterhaushalt ...
Der Schauspieler Jörg Hartmann gibt in der Lärm des Lebens sehr persönliche Einblicke in die Anfänge seiner Schauspielkarriere Anfang der 90er Jahre und das Aufwachsen in einem klassischen Arbeiterhaushalt der 70er Jahre im Ruhrpott.
Sehr informativ sind nicht nur die Einblicke in die Theaterwelt, die Hürden und Erfolge als Jungschauspieler und das aufregende Berlin nach dem Mauerfall. Der Schauspieler erzählt ebenso über das Aufwachsen im Deutschland der 60er und 70er, noch geprägt von der Schuldfrage des Nachkriegsdeutschlands, dem Wiederaufbau und zeichnet so eine kleine Sozialstudie des klassischen Arbeitermilieus in seiner Heimat Herdecke zu dieser Zeit.
Berührt haben mich die Begegnungen mit und Reflexionen über seinen Vater, der mittlerweile an Demenz erkrankt ist. Hier zeigt Hartmann, dass er nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern auch ein aufmerksamer und emphatischer und nicht zuletzt sozialkritischer Beobachter der Gesellschaft, seiner Mitmenschen und Angehörigen ist.
Die Struktur ist für mich nicht vollständig gelungen. Auch wenn die Geschichte von Anekdoten lebt, hätte ich mir oft eine deutlichere zeitliche und geographische Verortung, sei es im Text oder durch Überschriften gewünscht.
In der Gesamtschau ist der Lärm des Lebens ein gelungenes Debüt mit berührenden Reflexionen über das Leben und Aufwachsen des Schauspielers im Ruhrpott mit all seinen (auch sprachlichen) Eigenheiten und interessanten Einblicken in die Theater- und Schauspielwelt.
Eine einsame, unwirtliche Insel im Norden. Ein Leuchtturm, ein Aussichtspunkt, eine zerfallende Kirche, aus nicht mehr besteht das Eiland, das man ohne weiteres zu Fuß umrunden kann. Das Leben wird von ...
Eine einsame, unwirtliche Insel im Norden. Ein Leuchtturm, ein Aussichtspunkt, eine zerfallende Kirche, aus nicht mehr besteht das Eiland, das man ohne weiteres zu Fuß umrunden kann. Das Leben wird von der Natur, dem Meer, den Winden bestimmt, Schafzucht und Fischerei und eine Spinnerei dienen dem Lebensunterhalt. Hier lebt Vida, 27 Jahre jung, verlobt mit dem gleichaltrigen Jannis, ein Freund seit Kindertagen, ihre Eltern betreiben das einzige Ladencafé auf der Insel. Während ihr Bruder die Insel verlassen hat und schon lange auf dem Festland lebt, hat Vida ihr Leben auf der Insel nie in Frage gestellt. Ebensowenig wie sie ihre Zukunft und Hochzeit mit Jannis nie hinterfragt hat. Sie war scheinbar glücklich und zufrieden, führte das Leben, das sie möchte.
Diese vermeintliche Gewissheit gerät erst ins Wanken als die etwa gleichaltrige Marie das Nachbarhaus übernimmt. Und damit Vidas Leben, Denken und Fühlen gänzlich auf den Kopf stellt. Gefühle in ihr weckt, von deren Existenz sie nie zu träumen gewagt hätte, überhaupt die Fähigkeit echte Träume zu haben. Während Verantwortung, Bodenständigkeit, Verpflichtung Vidas Leben bisher bestimmt haben, beginnt sie durch Marie neue Horizonte zu sehen. Doch die Distanz zu ihrem bisherigen Leben könnte kaum größer sein. Was bedeutet dies? Wo wird es hinführen? Was wird es mit ihr machen? Mit der Rückkehr ihres Bruders auf die Insel und in Vidas neues Fühlen brechen auch alte Familienkonflikte auf, die Vida im Innersten kaum mehr zu kontrollieren vermag.
Die Beschreibungen der Kargheit der Insel und des Lebens auf dieser sind sehr gelungen. Ebenso wie Vidas Gefühlswelt, der Kontrast ihres bisherigen Lebens und Fühlens, hin zu neuen Emotionen und Gedanken und Vidas Unbeholfenheit wie Unfähigkeit diese zu kontrollieren, überhaupt mit diesen umzugehen. Wie ein Sturm sich anbahnt, so spürt man auch in der Geschichte etwas herannahen und wird dadurch in Bann gezogen. Alexandra Blöchl zeigt an Vida auf welche Macht Strukturen haben und auch welche Ambivalenz, die Sicherheit, die einem vorgezeichneten Leben inne liegt, die Freiheit und all die anderen Möglichkeiten und Lebenswege auf die man dafür verzichtet. Gleichzeitig zeigt die Familie Vidas was verborgene Konflikte und Verletzungen innerhalb von Familien mit uns machen, wenn wir keinen Weg finden darüber zu sprechen und diese zu lösen und zu verarbeiten.
Was das Meer verspricht ist eine karge und emotionale Geschichte zugleich, die beim Lesen in ihren Bann zieht! Lediglich das Ende der Erzählung kam mir letztlich etwas zu abrupt und bruchstückhaft.
Miriam Gebhardt zeichnet in - Die kurze Stunde der Frauen - die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus sowie in den Nachkriegsjahren nach und stellt die Entwicklung der Frauenbewegung sowie Fortschritte ...
Miriam Gebhardt zeichnet in - Die kurze Stunde der Frauen - die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus sowie in den Nachkriegsjahren nach und stellt die Entwicklung der Frauenbewegung sowie Fortschritte und Rückschläge der Gleichstellung in beiden deutschen Teilstaaten in einen historischen Kontext. Dabei deckt sie mit geschichtswissenschaftlichem Blick und der Referenz zu aktueller Forschung auf, wie das Frauenbild im Nationalsozialismus, sowie in West- und Ostdeutschland ideologisch geprägt war und welche Auswirkungen dies auf die Lebensrealität und Lebenschancen der Frauen hatte und bis heute hat. Die Frau im Nationalsozialismus als passive, unpolitische Bürgerin widerlegt sie ebenso wie den Mythos der Trümmerfrauen. Wie kam es, dass die Frauen, nachdem sie im Krieg und den Nachkriegsjahren so viel geleistet haben, fast unmerklich wieder in die zweite Reihe gerückt sind, nachdem die Männer zurück waren? Hier zeigt die Autorin juristische, politische, kulturelle aber auch persönliche Gründe auf. Die Rolle als Macherin, die die Familie versorgt, entsprang oftmals eben keinem echten Emanzipationsbestreben, sondern der schlichten Notwendigkeit.
Besonders wertvoll ist, neben der gelungenen Entmystifizierung ideologisch motivierter Narrative aus der Nachkriegszeit die ausgewogene Betrachtung der Frauenpolitik in Ost- und West in dem jeweiligen ideologischen Kontext. Gerade bei der Betrachtung der Gleichstellung in der DDR wird mitunter oft vernachlässigt, dass gerade auch im Privaten oft patriarchale Ideale persistierten, die Gleichberechtigung im Beruf, keine bzw. nur begrenzt eine Entsprechung im Haushalt fand und so letztlich zur Doppelbelastung für Frauen führte, wie es in der soziologischen Forschung mittlerweile gut aufgearbeitet wurde. Gebhardt geht auch darauf ein und zeigt zusätzlich auf, dass auch in Wirtschaft und Politik gerade Führungspositionen für Frauen schwerer zugänglich waren. Auch die Persistenz nationalsozialistischer Frauen- und Mutterideale und die juristische Privilegierung der bürgerlichen Idealfamilie in der BRD und damit legale Diskriminierung von Frauen arbeitet die Autorin heraus, mit allen Konsequenzen die dies für die Selbst- und Fremdperzeption der Frauen hatte und in der kulturellen Prägung zum Teil bis heute in Teilen hat.
Der Schreibstil ist sehr eingängig und kurzweilig. Sehr gelungen ist die Bereicherung der Ausführungen mit anekdotischen realen Frauengeschichten und - Schicksalen, die die Autorin aus persönlichen Dokumenten dieser rekonstruiert. So werden der historische Kontext und die Erkenntnisse aus der Geschichtswissenschaft unterfüttert und erlebbar gemacht. Zahlreiche historische Originalaufnahmen rahmen das Geschriebene zusätzlich visuell ein.
Die Qualität der Publikation wird leider durch einige Logikfehler in der Darstellung der Frauengeschichten und des historischen Kontextes geschmälert. Da wird erst erwähnt, dass in jeder Besatzungszone unterschiedliche Regelungen galten, um dann im weiteren Verlauf die Gegebenheiten in einer Zone als exemplarisch für die Zeit und Umstände als solches darzustellen. Da wird der Umzug einer Familie von einer Wohnung in Leipzig nach Hannover beschrieben und später immer wieder auf ihr altes Leben in einer Villa in Dresden (statt Leipzig) verwiesen, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der Angabe von Prozentzahlen wird teilweise nicht ersichtlich auf welche Grundgesamtheit sich diese beziehen, was die inhaltliche Aussage mitunter nur begrenzt nachvollziehbar macht. Bei diesen Punkten hätte ich mir insgesamt mehr Sorgfalt im Lektorat gewünscht.
Für Leser:innen, die nicht bereits zumindest in Grundzügen mit dem Forschungsstand zur Gleichberechtigung in den Gesellschaftswissenschaften vertraut sind, könnten einige Argumentationslinien in der Darstellung mitunter zu reißbrettartig wirken, obgleich sie fundiert und gut belegt sind.
Mit diesen leichten Abstrichen, ist - Die kurze Stunde der Frauen - sehr lesenswert. Das Verdienst von Gebhardt liegt für mich in der gelungenen Entmystifizierung ideologisch motivierter Narrative, der kompakten, kurzweiligen historischen Darstellung und Entwicklung des Frauenbildes und seiner Pfadabhängigkeit sowie der Frauenbewegung in Ost und West, ihrer Erfolge wie Rückschläge vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Dies alles fast durchgängig aus einem ausgesprochen ausgewogenen stets abwägenden Blickwinkel, der in der Debatte leider viel zu selten ist.
Jakob ist erst 17 und bemerkt plötzlich Veränderungen an seinem Körper. Jenny versucht mit knapp 40 Jahren lange vergeblich schwanger zu werden, und erwartet plötzlich ein Kind. Dem alten Unternehmenspatriarchen ...
Jakob ist erst 17 und bemerkt plötzlich Veränderungen an seinem Körper. Jenny versucht mit knapp 40 Jahren lange vergeblich schwanger zu werden, und erwartet plötzlich ein Kind. Dem alten Unternehmenspatriarchen Wenger drohte multiples Organversagen, sein Testament ist verfasst, doch plötzlich geht es ihm immer besser. Verena, aufgrund einer Erkrankung des Herzmuskels mit Herzinsuffizienz, Schwimmerin im Ruhestand, schwimmt plötzlich einen Rekord. Sie alle haben eines gemeinsam - sie sind Teilnehmer:innen einer Studie an der Charité für ein neues Herzmedikament, das Herzmuskelzellen regenerieren können soll.
Martin sind als behandelndem Arzt und zuständigem Forscher die Ereignisse zunächst ein Rätsel, bis deutlich wird, dass es kein Zufall sein kann. Sein Medikament kann offensichtlich viel mehr als nur Herzmuskelzellen regenerieren.
Miriam ist wissenschaftliche Beraterin der Regierung und bewertet als Moralphilosophin ethische Fragen. Was bedeutet es, wenn wir ewig leben, unsere Kinder keine Kinder bekommen dürfen? Werden durch immer dieselben Menschen überhaupt noch neue Innovationen möglich? Wer erhält Zugang zum Medikament und aufgrund welcher Kriterien?
Mit der unerwarteten Nebenwirkung des Medikaments stellen sich sowohl medizinische als auch persönliche und gesellschaftliche Fragen, die in - Wir werden jung sein - in den Mittelpunkt rücken. Es beginnt ein Duell zwischen Medizin und Gesellschaft.
Das Szenario ist interessant und durch die Vielfalt der Perspektiven gelingt es dem Autor sehr gut die zahlreichen persönlichen ebenso wie gesellschaftlichen Auswirkungen eines vermeintlich ewigen Lebens darzustellen. Leider blieben die Figuren dabei für mich etwas blass, sodass ich zu keiner eine wirkliche Nähe beim Lesen aufbauen konnte.
Sprachlich kann Maxim Leo, wie immer, brillieren, der Roman liest sich flüssig, pointiert, unterhaltsam und klug.
Überzeugend ist für mich der Roman primär auf gesellschaftstheoretischer Ebene, hier hat der Autor gut recherchiert und die strukturellen wie moralethischen Implikationen des Szenarios sehr gut ausgearbeitet und zeigt auf was Kapitalismus und Gerechtigkeit im deutschen und globalen Gesundheitssystem bedeuten.
„Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht“ gibt tiefe Einblicke in den Genozid am Armenischen Volk und zeichnet die spätere Geheimoperation einer armenischen Gruppe nach, um die verantwortlichen ...
„Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht“ gibt tiefe Einblicke in den Genozid am Armenischen Volk und zeichnet die spätere Geheimoperation einer armenischen Gruppe nach, um die verantwortlichen türkischen Politiker zur Rechenschaft zu ziehen.
Ich wusste vor der Lektüre nur sehr wenig über den Genozid und musste beim Lesen mehrfach pausieren, da die beschriebenen Taten eigentlich unvorstellbar sind. Dies nicht nur in ihrer Grausamkeit, sondern auch in der Systematik und Effizienz, mit der die intendierte Ausrottung betrieben wurde. Viel erinnert an den Holocaust, als ob der Genozid an den Armeniern eine schreckliche Vorlage dafür war.
Umso unvorstellbarer ist, dass die Verantwortlichen nie wirklich zur Rechenschaft gezogen worden. Viele lebten unbehelligt im Exil, unterstützt von den jeweiligen Regierungen, wie beispielsweise auch in Deutschland.
Die Geheimoperation Nemesis hatte das Ziel die Täter ihrer Strafe zuzuführen und gleichzeitig die internationale Aufmerksamkeit auf das Schicksal des armenischen Volkes zu lenken, in der Hoffnung Unterstützung für das zwischen verschiedenen Mächten zerriebene Land und sein Volk zu gewinnen. Im Detail legt die Autorin die Pläne offen und zeichnet die Anschläge der Gruppe auf die Verantwortlichen nach.
Die Autorin hat gut recherchiert und trägt die Daten stets aus mehreren Quellen zusammen, gleicht ab, rekonstruiert. Besonders gut haben mir die Einblicke und Zitate aus der zeitgeschichtlichen Presse gefallen, da so ein Stimmungsbild der Gesellschaft und Politik entsteht.
Sprachlich wurde ich nicht ganz überzeugt. Passagen und Informationen sind öfter redundant und stellenweise liest sich die Darstellung sehr zäh, als eine Aufzählung von Namen von Beschuldigten und Attentätern und ihren jeweiligen Unterstützer:innen.
Insgesamt bietet das Buch wichtige und gut recherchierte Informationen und Hintergründe zum Völkermord an den Armenier:innen sowie die Operation Nemesis und bettet diese in das historische politische Klima ein. Damit ist es absolut empfehlenswert!