Der Neid der Götter
Der Roman „Elyssa“ schreibt die Geschichte der unglückliche Liebe zwischen Elyssa und Aeneas neu. Doch das Grundgerüst bleibt: Aeneas wird mit seinen Versprengten nach dem Untergang Troias und langer Odyssee ...
Der Roman „Elyssa“ schreibt die Geschichte der unglückliche Liebe zwischen Elyssa und Aeneas neu. Doch das Grundgerüst bleibt: Aeneas wird mit seinen Versprengten nach dem Untergang Troias und langer Odyssee an die Küsten Afrikas gespült. Er ist auf göttlicher Mission, soll er doch ein neues Land für sein restliches Volk im fernen Italien finden. Da kommt ihm die Liebe der Karthager Königin Elyssa dazwischen. Könnte Karthago die neue Heimat sein? Oder muss er wieder in See stechen mit ungewissem Ausgang? Aber auch vor den Toren Karthagos lauert der missgünstige Feind, der sich die Königin und ihre Karthager und damit ihren Reichtum und ihre Macht unterwerfen will. Droht Aeneas das Schicksal eines zweiten Troia?
Irene Vallejo erzählt die Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven: aus der weiblichen Sicht der Königin Elyssa, die nach Flucht und Jahren als Herrscherin unter Männern, ohne Nachfahren, aus einer nicht aus Liebe geschlossenen Ehe nun Liebe und Begehren in Aeneas findet, doch von ihren Selbstzweifeln und der Sehnsucht nach Ankommen weiter geplagt. Aus der Sicht der jungen Anna, die die Rolle einer Prophetin zukommt. Als Außenseiterin, Verstoßene hat sie einen distanzierten Blick auf die Menschen. Aber auch sie sehnt sich nach Gemeinschaft und eine Heimat in Frieden und Ruhe. Auch Aeneas ist ein Vertriebener, kriegsmüde und zugleich auf der rastlosen Suche nach einer Heimat, in der Gesetze regieren sollen und nicht mehr die Waffen, in der es keine Gewalt und keinen Krieg mehr geben soll.
Auch der Dichter Vergil kommt zu Wort: Er soll ein Epos zu Ehren des Augustus, des Bringers der pax Augusta, schreiben, doch fehlen ihm lange die Worte, fühlt er sich doch verraten und verkauft an die Gunst des Augustus und unfrei und auch auf eine gewisse Art heimatlos.
Am Interessanten für mich ist die Perspektive des Gottes Eros. Der Liebesstifter betrachtet mal philosophisch versonnen, mal mit einer gewissen Selbstironie die Menschen und die Götter. Er fragt sich nach der Rolle der Götter in der Welt der Menschen. Schon ihm gelingt es nicht, dass sich die Menschen seinem Liebeswillen beugen. Als Liebesstifter versagt er immer wieder, die Menschen sind zu komplex für eine einfache Liebesspielerei. Aber sind nicht alle Götter Illusionen der Menschen, ihr eigenes Tun zu legitimieren? Zugleich beneidet Eros die Menschen um ihre Fähigkeit zu Liebe und Leidenschaft, um ihre Vergänglichkeit, aus der allein Neues entstehen kann, im Gegensatz zur ewig gleichbleibenden Unsterblichkeit der Götter, und vor allem um ihre Fähigkeit, Geschichten zu erfinden und so das Vergangene und das Gegenwärtige zu verweben und der Vergänglichkeit zu entrücken.
In schönen Bildern und anmutiger Sprache, die auch die Übersetzung zu wahren weiß, spinnt Irene Vallejo genauso wie einst Vergil eine dieser Geschichten, um die uns die Götter durchaus beneiden können.