Zwanzig teils absurde und trotzdem interessante Erzählungen. Überaus düster und randvoll mit schwarzem Humor.
Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollteInhalt:
Zwanzig zamonische Flabeln vereint in einem Band.
Aus der Feder des Bestsellerautors Hildegunst von Mythenmetz wurden sie übersetzt, illustriert und mit einem Nachwort versehen von Walter Moers.
Mythenmetz ...
Inhalt:
Zwanzig zamonische Flabeln vereint in einem Band.
Aus der Feder des Bestsellerautors Hildegunst von Mythenmetz wurden sie übersetzt, illustriert und mit einem Nachwort versehen von Walter Moers.
Mythenmetz versammelt die verschiedensten Kreaturen Zamoniens und erzählt über das titelgebende Einhörnchen, das lieber rückwärts leben möchte und infolgedessen nicht nur rückwärts geht und klettert, sondern plötzlich auch rückwärts spricht.
Zudem findet sich ein flauschiges Schmiegehäschen, das vollkommen außer Kontrolle gerät, eine Venusfliegenfalle, die viel lieber Vegetarierin wäre, eine zweitausendjährige Schildkröte, die einer Halbtagesfliege ausführlich von ihrer bewegten Vergangenheit berichtet, und Vieles mehr.
Hinweis:
Die zamonische "Flabel" - Kurzform von "Lachfabel" - bezeichnet eine humorvoll-anarchische Kurzgeschichte und beinhaltet, ganz im Gegensatz zu den klassischen Tierfabeln, z. B. von Äsop keinerlei Moral.
Gebundene Ausgabe in der Erstauflage:
Schutzumschlag, orangefarbener Kopffarbschnitt und ein magentafarbenes Lesebändchen ... diese Ausgabe lässt wie erwartet die Herzen aller Bücherwürmer höher schlagen.
Illustrationen:
Nach Zusammenarbeit mit einer anderen Illustratorin und den beinahe zarten Bleistiftzeichnungen der Hildegunst von Mythenmetz Briefe wurde dieses Buch wieder von Walter Moers in der gewohnten, düsteren Art illustriert: detailverliebte Tuschezeichnungen.
Vom Teufelszyklop und Krätzchen bis zum Buchling sind viele bekannte, aber auch neue Spezies aus dem Zamonien-Kosmos dabei, die zumeist eine halbe Seite füllen. Darüberhinaus sucht man detaillierte Szenerien, insbesondere Hintergründe vergebens.
Mein Eindruck:
Im Nachwort (welches ich tatsächlich zuerst gelesen habe) erläutert Walter Moers, warum er den veralteten Texten bei der "Übersetzung" aus dem Zamonischen einen modernen Anstrich verpasst hat.
Und so finden sich in allen Geschichten aktuelle wie brisante Themen, z. B. Klimawandel, Ausnutzung von Arbeitskräften/miserable Arbeitsbedingungen, Konsumgesellschaft, Verschwörungstheorien uvm.
Grenzenlose Selbstüberschätzung, egoistische Reaktionen usw. führen selten zu einem Happy End.
Es finden sich neben Parallelen zu klassischen Fabeln und Personen aus der Popkultur, absurde wie unterhaltsame Dialoge und überraschende Wendungen. Ein Spiel mit Klischees und Erwartungen in Perfektion und mit der Hoffnung der Lesenden - trotz aller Vorwarnung - doch noch eine Moral zu entdecken ... oder überhaupt einen Sinn.
Doch statt durchgehend leichter und unterhaltsamer Lektüre sind die meisten Flabeln überraschend brutal, teilweise verwirrend und brechen mit jeglicher Erwartungshaltung.
Mehr als einmal fragt man sich an Ende der Erzählung: "Was will der Autor uns Lesenden damit eigentlich sagen? ...
Vielleicht gar nichts und es geht eben darum, dass nicht jede Geschichte einen tieferen Sinn haben muss, um zu unterhalten.
"Der Definition des maßgeblichen Regelwerks der zamonischen Literatur, des Großen Erchls, zufolge, muss eine Flabel immer mindestens sieben Schmunzler, drei Lacher und ein Scherzfinale enthalten."
(vgl. S. 158, Nachwort von Walter Moers)
Ich habe nicht mitgezählt, aber für diese Sammlung von Flabeln benötigen Lesende definitiv einen ganz speziellen Sinn für Humor.
Manch eine Geschichte quillt über von schwarzem Humor und der morbiden Twist ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache.
Es ist zudem das erste Zamonienbuch, bei dem ich bewusst Pausen eingelegt habe, um nicht Gefahr zu laufen, zu viel vom Gelesenen zu hinterfragen.
Und dann gibt's sie doch: Flabeln mit einem Augenzwinkern und einem unerwartete Happy End.
Oder nostalgische Augenblicke wie in der Erzählung der zweitausendjährigen Schildkröte, weil sie viele Handlungsstränge aus anderen Zamonienromanen aufgreift.
Den Vergleich mit Meisterwerken wie "Rumo", "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" oder "Die Stadt der träumenden Bücher" sollte man auf keinen Fall ansetzten.
Wenn überhaupt ist es der Humor aus Comic-Anfängen. Moers back to the roots!
Hörbuch:
Das Hörbuch (ungekürzte Fassung) wird wieder kongenial gelesen von Andreas Fröhlich. Jedem Wesen in diesen zamonischen Flabeln verleiht er einen unverkennbaren Klang.
Fazit:
Es ist kein typischer Moers/Mythenmetz - was ist bei der Bandbreite schon typisch? - und der Zusatz in der Inhaltsangabe, wonach Schauplatz ist eine "Welt, in der die Fantasie und der Humor völlig außer Kontrolle geraten sind." sollte ernst genommen werden.
Der Humor ist wirklich sehr speziell. Zudem wirken einzelne Geschichten verstörender und drastischer als erwartet.
Es ist ein kurios bunter Mix und wer es düster mag und wenig zimperlich ist, wer keinen klassischen/epischen Moers erwartet, wird gut unterhalten.
3,5 von 5 Einhörnchen.
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Rezensierte Ausgabe: "Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte - Zwanzig zamonische Flabeln" limitierte Ausgabe mit Farbschnitt aus dem Jahr 2024