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Veröffentlicht am 23.10.2023

Die Autorin konnte mich nicht ganz erreichen

Diamantnächte
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Tonje arbeitet als Übersetzerin und lebt mit ihrer 17-jährigen Tochter und ihrem zweiten Mann in einer Wohnung in Norwegen. Ihr Mann geht für einige Monate auf Dienstreise. Tonje klagt über massiven Haarausfall ...

Tonje arbeitet als Übersetzerin und lebt mit ihrer 17-jährigen Tochter und ihrem zweiten Mann in einer Wohnung in Norwegen. Ihr Mann geht für einige Monate auf Dienstreise. Tonje klagt über massiven Haarausfall und versucht zu eruieren, wie es dazu kommen konnte. Sie lässt ihr Leben, mit all ihren gemachten Erfahrungen revue passieren und erinnert sich an die ersten Jahre, als junge Studentin in London.

Dort lernte sie die Engländerin Jenny kennen, die das Gegenteil von ihr war. Kess, sexy, launisch. Sie freundeten sich an und verbrachten einige Wochenenden bei Jennys Vater Alexander. Der war Psychologe und arbeitete in eigener Praxis, in einem Anbau seines Hauses. Alexander war einfühlsam, aber auch robust. Seine Lebenserfahrung und Selbstsicherheit übte auf die scheue, introvertierte Tonje eine große Anziehung aus. Er sah die junge Frau, die zu dünn war und sich auch schon einmal Schnitte mit der Rasierklinge zufügte, mit großem Interesse. Und gab ihr damit genau das, was sie sich wünschte.

Schließlich verführt Alexander Tonje. Sie treffen sich regelmäßig in seiner Praxis. Er breitet ein weißes Laken auf seiner Ledercouch aus und sie haben Sex. Es ist nicht so, als würde Tonje das gefallen, aber sie kommt aus dieser Situation nicht hinaus. Steht immer zur Verfügung, wenn er sie will, obwohl er keinen Hehl daraus macht, dass er sie benutzt.

Frauen, die unter 50 Kilo wiegen, können nie eine echte sexuelle Befriedigung erleben, sagte er einmal. Ich wog 46 Kilo. S. 179

Fazit: Die Geschichte ist in einem angenehm lockeren Erzählstil geschrieben und beginnt mit einer Ich-Erzählerin. Mittendrin wechselt die Autorin in die dritte Person und ändert die Namen der ProtagonistInnen. Wahrscheinlich, damit die Hauptprotagonistin, die die Geschichte erzählt, genug Abstand bekommt, um das Schwierige? Unaussprechliche? besser wiedergeben zu können. Dabei entstehen dann abgehackte Kleinstkapitel, die auf ihre Kindheit zurückblicken. Diese “Unordnung” und spontane Sprunghaftigkeit hat mich aus der Geschichte gerissen, so dass ich der Intention, der Autorin nicht mehr folgen konnte. Ganz am Ende erfahre ich, woran der Haarausfall tatsächlich liegt und fühle mich veralbert. Der Klappentext klang hochinteressant, genau mein Thema und ich finde die Idee eines Psychograms richtig gut, aber die Umsetzung hat mir nicht gefallen.

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Veröffentlicht am 15.07.2024

Zu stark konstruierte Sprachbauten

Das Lied des Propheten
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Eilish trägt ihr jüngstes Kind Ben auf dem Arm, als sie die Türe öffnet. Vor ihr stehen zwei Männer, die sich als Inspektoren des Garda National Services Bureau (GNSB) vorstellen. Sie sind gekommen, um ...

Eilish trägt ihr jüngstes Kind Ben auf dem Arm, als sie die Türe öffnet. Vor ihr stehen zwei Männer, die sich als Inspektoren des Garda National Services Bureau (GNSB) vorstellen. Sie sind gekommen, um Eilishs Mann Larry zu sprechen. Sie wollen einem Hinweis nachgehen, doch der ist nicht da.

Als Larry nach Hause kommt, insistiert Eilish, dass er sofort die Telefonnummer auf der Visitenkarte anruft, die einer der Inspektors ihr gegeben hat. Eigentlich wollte er sich erst morgen oder übermorgen darum kümmern, er ist schließlich ein viel beschäftigter Mann, als Lehrer und Gewerkschaftsvorstand doch sie wollen ihn sofort sehen und er fährt hin.

Im GNSB angekommen wird er beschuldigt zu Hass gegen den Staat aufgestachelt zu haben, Zwietracht und Unruhe gesät zu haben. Jemand aus der Schule habe sie auf Larry aufmerksam gemacht, es sei an ihm eine glaubwürdige Gegendarstellung zu liefern. Da die Vermutungen für eine Verhaftung nicht auszureichen scheinen, geht er wieder zu Eilish und den Kindern.

Die NAP National Alliance ruft die Notstandsverordnung aus. Ab jetzt ist von 20 bis 6 Uhr morgens Sperrstunde.

In den nächsten Tagen weicht Eilishs Unbehagen etwas Größerem.

Dieses neue Gefühl, das sich mit den beiden Männern ins Haus geschlichen hat, löst die Einheit innerhalb der Familie auf. S. 67

Die Kinder sind missmutig, weil sie in der Schule Repressalien befürchten. Larry kommt immer später nach Hause, ist morgens gereizt und verschlossen.

Die Gewerkschaft wehrt sich gegen die zunehmende Bevormundung durch den Staat und ruft zu einer Demonstration auf. Kurz nach Beginn eskaliert die Kundgebung, Pferde peitschen durch die Straßen, Polizeiknüppel schlagen auf Zivilisten, Tränengas nimmt ihnen die Luft zum Atmen.

Fazit: Paul Lynch hat ein düsteres Zukunftsszenario erschaffen, das mich stark an 1984 von George Orwell erinnert. Der totalitäre Staat reißt per Erlasse zunehmend Vollmachten an sich, die jede demokratische Gegenbewegung zerschlägt. Kontrolle, Beschneidungen, Verhaftungen bestimmen das Bild. Die Bevölkerung steht wehrlos dabei und muss ohnmächtig mitansehen, wie das Gespenst um sich greift und jede Aussicht auf ein Stück Selbstbestimmung zunichtemacht. Ich bin zugegeben keine große Freundin von düsteren Prophezeiungen, hätte der Geschichte aber einiges abgewinnen können, wenn der Autor mich berührt hätte. Seine Sprachakrobatik auf den ersten 220 Seiten, hat mich auf fast jeder Seite aus der Geschichte rausgehauen. Seine Metaphern, die ja eigentlich ein schönes Stilmittel sind, um im Kopf der Leser*innen Bilder entstehen zu lassen, unterirdisch:

…und ist die Lüge erst erkannt, bleibt sie aus dem Mund gewachsen wie eine totzüngelnde Giftblume. S. 59

…sich ein Chaos auftut, das sie alle in sein Maul ruft. S. 63

…betrachtet die langen gelben Finger, die den Mund um eine Zigarette bitten. S. 48

…sieht ihre Hand über eine blinde Kluft greifen. S.138

…sie ist von einem blinden Gipfel herabgestürzt. S.139

Weniger konstruierte Sprachbauten hätten der Geschichte guttun können. Weniger mit dem Kopf und mehr mit dem Herzen geschriebenes hätte mich mitreißen können. So richtig ins Buch hineingekommen bin ich erst ab Seite 220, als sich alles so zugespitzt hat, dass bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Dieses Buch zu lesen, war quälend.

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Veröffentlicht am 24.05.2024

Das hat mir insgesamt gar nicht gefallen

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
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Bette hasst den Sommer, das Schwitzen, ihr Körper dick, prall und warm, wie ein aufgehender Teig. In Meis kühler Baumwollbettwäsche, nach ausgiebigem Sex allerdings, fühlt sie sich ganz wohl in ihrer Haut. ...

Bette hasst den Sommer, das Schwitzen, ihr Körper dick, prall und warm, wie ein aufgehender Teig. In Meis kühler Baumwollbettwäsche, nach ausgiebigem Sex allerdings, fühlt sie sich ganz wohl in ihrer Haut. Seit fünf Monaten sind sie zusammen. Mei ist Bettes Comingout. Sie träumt von einer rosigen Zukunft mit Mei, kann sich ein Leben mit der etwas älteren Künstlerin so gut vorstellen, bis Mei ihr einen Vorschlag macht. Bette soll sich drei Monate austoben, andere Frauen daten und lieben lernen. Wenn Bette dann immer noch mit Mei zusammen sein will, werden sie ein festes Paar.

Bette ist am Boden. Verstört verlässt sie die Wohnung von Mei, die sie drei Monate nicht sehen wird. Sie kommt verheult und verschwitzt, zu spät zum Semesterabschlusstreffen. Ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Ash freut sich dennoch sie zu sehen und spürt sofort, dass etwas nicht stimmt. Nachdem Bette ihr Herz ausgeschüttet hat, zeigen sich alle angemessen entrüstet. Ash und ihr Freund Tim helfen Bette eine Datingapp zu installieren, weil sie Meis Plan unbedingt folgen will. Bette swiped ein paar Frauen aus der Nähe und dated die erste in einer Bar.

Fazit: Das war gar nicht meins. Der Plot ist einfach. Junge Frau outet sich lesbisch zu sein, findet in der Liebe zu Frauen das, was ihr vorher gefehlt hat, Humor, Einfühlungsvermögen und Leidenschaft. Auf der Suche nach der großen Liebe geht sie durch Höhen und Tiefen, um am Ende die richtige zu finden. Die Sprache hat mich nicht mitgenommen. Die Protagonistin fand ich wegen ihrer Leidensfähigkeit ungemein nervig. Die ganze Geschichte hat sich arg in die Länge gezogen und war mir zu oberflächlich. Am ehesten würde ich das ganze mit Sex and the City vergleichen, allerdings hatte die Serie mehr Tiefe. Außerdem hat mich die Wortwahl abgeschreckt. Das Wort heiß fiel zu oft, die gleichen Szenen wiederholten sich und konnten mich dennoch nicht mitreißen, insgesamt zu viel Sex und für meinen Geschmack zuviel Oralverkehr. Einige wenige humorvolle Dialoge, haben keine Qualitätsverbesserung gebracht.

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Veröffentlicht am 26.03.2024

Ich hätte dieses Buch nicht gebraucht

Mit Nachsicht
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Der Psychotherapeut Sina Haghiri hat sich dem Thema Empathie gewidmet. In seinem Buch versucht er aufzuzeigen, was einen besseren Umgang mit unseren Mitmenschen ermöglicht und was das verhindert.

Grundsätzlich ...

Der Psychotherapeut Sina Haghiri hat sich dem Thema Empathie gewidmet. In seinem Buch versucht er aufzuzeigen, was einen besseren Umgang mit unseren Mitmenschen ermöglicht und was das verhindert.

Grundsätzlich sieht er ein Problem in unserer soziokulturellen Prägung

Die Literatur des 20. Jahrhunderts habe oft die menschliche Niedertracht thematisiert
Die Sozialpsychologie habe das, durch entsprechende Experimente untermauert
Die Nachrichten suggerieren uns, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist

Menschen übernehmen Ressantiments, sehen sich durch Einzelfälle bestätigt und übertragen sie auf ganze Gruppen. S. 12

Durch diese Vorurteile hegten wir bestimmte Erwartungshaltungen, die in unserem Gegenüber Irritation auslösten. Dadurch nähmen die anderen von uns Abstand, weil sie es uns kaum rechtmachen könnten. Daraufhin entstünde in uns die Überzeugung, dass wir uns nicht auf andere verlassen könnten. Die meisten Menschen nähmen die Welt als Haifischbecken war, in dem jeder sich selbst der nächste sei.

Dann erläutert der Autor Kapitellang die einzelnen psychologischen Richtungen wie Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie und die bekanntesten Experimente der wissenschaftlichen Sozialpsychologie, um seine These der soziokulturellen Prägung zu untermauern. Er führt an, dass Studienergebnisse gefälscht wurden, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen oder falsch interpretiert.

Ein kleiner Exkurs in die Abwehrmechanismen folgt, der veranschaulicht, zu welchen Verdrängungen wir neigen um unseren Selbstwert zu stabilisieren.

Sina Haghiri erklärt anhand evolutionsbiologischer Eigenschaften, warum negative Ereignisse sich um sovieles besser in uns festsetzen als positive.

Desweiteren macht er auf die Gefahr von andauernder Reizüberflutung aufmerksam, bei der das Gehirn vermehrt den Belohnungsbotenstoff Dopamin ausschüttet, wie es das alltägliche Bombardement an Nachrichten, SMS und soziale Netzwerke vermögen. Er rät uns, die Informationen so bewusst zu selektieren, wie die Nahrung, die wir unserem Körper zuführen. Slowfood statt Fastfood.

Zu guter Letzt zeigt Sina Haghiri, dass Nachsicht wenig damit zu tun hat Schwäche zu zeigen, als viel mehr, dem Gegenüber nachzusehen, dass er gerade nicht wusste, dass er einen Fehler machen wird. Wie gut wir uns damit tun, auch uns selbst gegenüber nachsichtiger zu sein.

Fazit: Ich mag die Intention von Sina Haghiri. Wieviel einfacher wäre unser gesellschaftliches Zusammensein, wenn wir nicht in jedem unseren Feind sehen würden, das ist aber auch schon alles. Ich denke, dass die Stärke der Nachsichtigkeit einen gesunden Selbstwert voraussetzt, den ich einer Vielzahl meiner Mitmenschen absprechen möchte. Solange unser gesamtes System aus Bestrafung, statt Belohnung besteht, strafende Eltern, strafende Lehrer, mobbende Mitschüler, strafende Religionen, strafendes Wirtschaftssystem, strafende Politiker und wer weiß, was Kinder noch alles verinnerlichen, wird sich an unserem gesellschaftlichen Miteinander kaum etwas ändern. Solange die Wertschätzung nicht jeden Einzelnen miteinbezieht und es stattdessen systemrelevante Berufsgruppen gibt, die einfach mehr wert zu sein scheinen, haben wir eine hausgemachte systemische Ungleicheit. Damit ist Nachsichtigkeit unser geringstes Problem und das Thema ad absurdum geführt. Ich hätte dieses Buch, das nicht leicht zu lesen war, nicht gebraucht.

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