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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.04.2022

Für die Hungrigen eher als für die Satten

Im Rausch des Aufruhrs
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Der Autor porträtiert mit großer Kennerschaft das Jahr 1923 monatsweise und gibt im Anhang einen Ausblick, „wie es weiter geht“, indem er kurze Porträts der historischen Figuren gibt, die im Buch vorher ...


Der Autor porträtiert mit großer Kennerschaft das Jahr 1923 monatsweise und gibt im Anhang einen Ausblick, „wie es weiter geht“, indem er kurze Porträts der historischen Figuren gibt, die im Buch vorher in die Ereignisse involviert waren oder die die Ereignisse überhaupt erst angestoßen haben. Und es ereignet sich viel im Jahre 1923. Viele Figuren haben ihren Auftritt, seien es Privatpersonen mit bewegtem Schicksal oder seien es historische Persönlichkeiten, die bereits eine große Rolle spielen, wie Stresemann oder Hitler, wie Anita Berber oder Kurt Tucholsky, oder die noch eine große Rolle spielen werden, wie Sepp Herberger, der in diesem Jahr als Geldzähler inflationäre Eintrittspreise zählen muss, oder Victor von Bülow, Loriot, der in diesem Jahr geboren wird. Wie auch die Mutter des Autors.
Für jeden Leser ist etwas dabei und für jeden Leser liest sich – je nach Interesse – die eine Passage leichter als andere. So kommt der kulturell Interessierte auf seine Kosten, wenn es um die schönen Künste geht, die Literatur, Kafka, Fallada, Gorki, oder das Kino. Der am Leben des kleinen Mannes, um mit Fallada zu sprechen, Interessierte, wenn es um die Sorgen und Nöte, aber auch die Freuden des einzelnen geht, auch wenn letztere eher dünn gesät sind. Wie vergnügt er sich, aber auch wie viel kostet ihn ein Brot? Ganz besonders angesprochen werden die politisch und historisch Interessierten, die sich nicht von den permanent wechselnden Verhältnissen und Regierungen der Weimarer Republik abschrecken lassen. Diejenigen, die der Kampf Rot gegen Braun interessiert, aber auch der gemeinsame Kampf gegen Franzosen im Ruhrpottstreik, wobei das Gemeinsame nicht wirklich verbindend ist. Auch die Inflation ist ein spannendes sowie aktuelles Thema. So hält sich der heutige Leser vor Augen, wie schlimm es einmal mit der Inflation gekommen ist und was wahrer Mangel in den Regalen der Läden, was realer Hunger und reale Not bedeuten. Auch wenn er sich dabei doch nicht ganz losmachen kann von dem Blick auf das, was ihn heute vielleicht doch einmal wirklich bedrohen könnte. So schwankt er zwischen dem Glück, das ihn damit getroffen hat, ein Hundertjahrenachherlebender zu sein, und der flehentlichen Hoffnung, ihn mögen solche Verhältnisse verschonen. Ein Blick über den Tellerrand jedoch hilft gegen den Egozentrismus, der im eigenen Leid immer das größte sieht, auch wenn es nur die vorübergehende Abwesenheit von Mehl, Speiseöl oder Klopapier ist. Worauf der Leser sich dabei allerdings einlassen muss, ist das „Ragout“, wie es der Theaterdirektor seinem Dichter und dem Narren schon in Goethes „Faust“ im Prolog abverlangt. Er muss sich einlassen auf ein buntes Durcheinander von Personen, von Ereignissen, von Anmerkungen zu einem Jahr in einer nicht immer ganz so anderen Zeit, von dem ihm eventuell der eine Happen besser munden wird als der andere. Aber für jeden ist auf jeden Fall etwas dabei. Und jeder wird seinen Lesehunger und seinen Wissensdurst, so er sich diesen in einer satten Zeit bewahrt hat, für eine Zeit – bis zum nächsten Buch – stillen können.

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Veröffentlicht am 15.07.2024

Auf der Fluchtroute der Großmutter

Die Glücksfrauen - Die Kraft der Bücher
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Im zweiten Teil der Reihe „Glücksfrauen“ trifft June auf die Enkelin von Maria, einer der Freundinnen, denen ihre Großmutter das Startkapital für ein Café in New York verdankt. Dies sollte die Zuflucht ...

Im zweiten Teil der Reihe „Glücksfrauen“ trifft June auf die Enkelin von Maria, einer der Freundinnen, denen ihre Großmutter das Startkapital für ein Café in New York verdankt. Dies sollte die Zuflucht für die drei Freundinnen aus dem nationalsozialistischen Deutschland sein. Doch riss die Geschichte die drei auseinander. Jetzt ist es an den Enkelinnen, den Spuren ihrer Großmütter zu folgen, um vereint das Erbe antreten zu können.
Von New York aus geht es also zunächst einmal nach Brasilien, wo Sarah die Buchhandlung ihrer Großmutter Maria mehr recht als schlecht betreibt. Die reisefreudige Sarah ist sofort begeistert, als June den Vorschlag macht, der Fluchtroute von Maria und ihrer Familie zu folgen, die sich mit letzter Mühe und Not aus Deutschland retten konnte und den beschwerlichen Weg über Frankreich und Spanien auf sich nehmen musste, um sich mit einem der letzten Schiffe nach Brasilien retten zu können. Die beiden Enkelinnen hoffen, auf ihrer Reise etwas über die dritte im Bunde der Freundinnen zu erfahren.
Die Idee und die Umstände der Geschichte sind spannend und durch die Verknüpfung sowohl der drei Schicksale als auch der zwei Zeitebenen sehr vielschichtig und interessant. Hier liegt großes Potential zu einer spannenden Saga, das meiner Meinung nach aber eher schwach umgesetzt wird. Die Figuren wirken etwas einfach gestrickt, die Erzählweise ist bisweilen recht hölzern und holprig. Viele Ungereimtheiten und allzu abrupten Wendungen lassen keinen wirklichen Spannungsbogen entstehen. Von irgendwo kommt unvermittelt immer Hilfe. Vieles, was Möglichkeit zu Spannung und Dramatik böte, bleibt ungenutzt, löst sich quasi in Nichts auf. Ein Sturz in den Pyrenäen endet zwei Sätze weiter mit ein paar Kratzern. Einem Bekenntnis Marias, ihren Mann unermesslich zu lieben, läuft zwei Seiten später ein attraktiver Fluchthelfer über den Weg. Das wirkt leider wenig authentisch und eher aufgesetzt. Und zwischendurch gibt es ein paar moralische Lehren mit erhobenem Zeigefinger: Wir lesen zu wenig, wir sind zu viel auf Social Media unterwegs, wir leben zu sehr in Hektik und Ablenkung und Stress und sollten das Leben mehr genießen.
Auch bleibt die Story in der Gegenwart recht farblos. June kommt höchstens als kleinkariertes, verwöhntes Gegenstück zur lebenslustigen, aber ziemlich unbedarften Sarah vor. Ein bisschen Kummer um die Buchhandlung, ein bisschen Liebesreigen führen zu wenig Tiefgang in der Story. Da wäre definitiv mehr möglich gewesen.
Was der Autorin auf jeden Fall gut gelingt, ist, Spannung auf den dritten Teil aufzubauen, denn das Schicksal der dritten Freundin wird zwar angedeutet, aber die Aufgabe der Enkelinnen ist noch nicht gelöst.

  • Einzelne Kategorien
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  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 27.05.2024

Nicht so witzig

Fucking Famous
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Ich hatte das Buch „Fucking Famous“ gelesen in der Erwartung, dass es eine witzige, bissige Abrechnung mit dem Social-Media-Influencer-Gedöns würde. Ich fand es dann aber weniger witzig, als vielmehr die ...

Ich hatte das Buch „Fucking Famous“ gelesen in der Erwartung, dass es eine witzige, bissige Abrechnung mit dem Social-Media-Influencer-Gedöns würde. Ich fand es dann aber weniger witzig, als vielmehr die alte Leier: Vom Leben frustrierte, alternde Single-Frau mit wechselnden Hip-Berufen, Freundinnenclique, aber ohne Alltag und geregeltem Leben, was man ja nicht unbedingt haben muss, ist frustriert, gelangweilt und ohne tieferen Sinn im Leben. Das kann ja nicht alles gewesen sein. Da muss noch was kommen. Zum Glück hat sie eine reiche Hacker-Freundin mit viel Personal und guten Connections, die sie mit Make-Up, coolen Klamotten und Fake-News bzw. Videos geschickt in den Sozialen Medien in Szene setzt. Und der Plan geht auf: Lotte Hohenfeld, nicht adelig und ohne „von“, wird berühmt. Verbürgte früher einmal Berühmtheit so etwas wie Unsterblichkeit, so ist die Lebensdauer des Ruhms auf social media ungefähr so lang oder vielmehr so kurz wie die einer Eintagsfliege.
Die Mechanismen der Scheinwelt der Influencer, wie ihre Berühmtheit funktioniert, wie man in den Focus der Aufmerksamkeit gerät, nicht aufgrund besonderer Fähigkeiten oder Talente sondern vielmehr aufgrund der Abwesenheit von Scham und Schmerzgrenzen, wie man den Mainstream bedient, auch unter völliger Aufgabe seiner selbst, stellt die Autorin überzeugend und mit gewisser Expertise da.
Aber der Witz fehlt. Und so wird es doch wieder die Geschichte einer „alten, weißen Frau“, die den Sinn im Leben verpasst zu haben scheint und in Selbstmitleid und Verzweiflung nicht versinkt, sondern zur Tat oder eher zur Schlagzeile greift. Man kann es lesen, muss man aber nicht. Die Welt der Influencer wird sich weiter im Schnellkreisel drehen. Wer mitfahren will, viel Spaß.

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  • Handlung
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Veröffentlicht am 28.04.2024

Eher enttäuschend

25 letzte Sommer
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Nachdem das Buch „25 letzte Sommer“ so hoch gelobt worden ist, habe ich es mit entsprechender Erwartung gelesen, bin aber darin doch eher enttäuscht worden.
Ein beruflich gestresster Familienvater trifft ...

Nachdem das Buch „25 letzte Sommer“ so hoch gelobt worden ist, habe ich es mit entsprechender Erwartung gelesen, bin aber darin doch eher enttäuscht worden.
Ein beruflich gestresster Familienvater trifft bei einem seiner Aufenthalte in seinem Ferienhaus auf dem Land auf einen alten Kartoffelbauer, der ihm die Fragen seines Lebens stellt und ihn an einem Tag dazu bringt, sein ganzes Leben zu hinterfragen. To-do-Listen versus Muße, Hektik versus Achtsamkeit, Profitstreben versus Selbstversorgung, Immer-weiter versus auf den Traum im Leben Hinleben.
Ja, sicherlich ist das Ambiente beschaulich, ein See im Wald, ein alter Hof mit einem Kartoffelacker und großem Bücherzimmer mit zwei Sofas für das erholsame Mittagsschläfchen. Leckeres, genußvolles Essen, tiefsinnige Gespräche, kunstvolle Bilder.
Allerdings ist das Buch nicht sonderlich originell. Ob nun der alte Bauer mit seinem Kartoffelacker oder eine alte Frau, die einem im Wald begegnet und einem die entscheidenden vier Fragen des Lebens stellt, oder ein Mann, der im Gespräch mit einem Baum auf Lebensweisheiten kommt usw.usf. Alles schon mal da gewesen. Auch die Erkenntnisse sind nicht neu: zu viel zu tun, zu oberflächlich leben, zu wenig Zeit für die Dinge, die wirklich wichtig sind, zu viel Social Media, zu viel Hektik, zu viel Profitstreben, zu wenig Beziehung, zu wenig unverwirklichter Lebenstraum.
Dabei ist auch der Ruf „Zurück zur Natur“ nicht neu: Das Landleben als Kartoffelbauer wird hier ziemlich verkitscht und naiv dargestellt: Man kann sich nicht wirklich vorstellen, dass ein Landwirt heute mit einem kleinen Acker seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und Sonntags die freie Wahl hat: faulenzen oder auf den Acker. Da sind wir von der Realität dann doch ziemlich weit entfernt.
Mich hat auch der Tonfall gestört, der immer irgendwie an das naiv erstaunte Erkennen eines Kleinkindes erinnert, das offensichtliche Wahrheiten für sich zum ersten Mal entdeckt.

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Veröffentlicht am 04.04.2024

Okay

Ostseefinsternis
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Ein Überfall und ein Mord in dem kleinen Ostseestädtchen Kaltenbrode, in dem Pia Korittki mit ihrer Familie Urlaub macht und in dem sie ihren 19. Kriminalfall lösen muss. Und beides scheint miteinander ...

Ein Überfall und ein Mord in dem kleinen Ostseestädtchen Kaltenbrode, in dem Pia Korittki mit ihrer Familie Urlaub macht und in dem sie ihren 19. Kriminalfall lösen muss. Und beides scheint miteinander in Verbindung zu stehen und mit einer alten Fehde der Familien der Hagendorfs und Böttchers zusammenzuhängen.
Die Zahl der möglichen Täter ist groß, die falschen Fähren, denen die Ermittler nachspüren vielfältig. Als einer der Hauptverdächtigen Pias Sohn bedrohlich nahe kommen könnte, liegen nicht nur ihre eh schon angeschlagenen Nerven blank, sondern auch ihre Beziehung erfährt eine Belastungsprobe.
Der Krimi ist solide gemacht.
mit spannenden Momenten wie dem Bewegungsprofil des Täters, aber auch Längen, dem Hin und Her zwischen verschiedenen Verdächtigen. Mit interessanten Figuren, wie der blinden Helmgard Böttcher, der für mein Gefühl mehr Raum hätte gegeben werden können. Mit den üblichen Verdächtigen, enttäuschten Liebhaber:innen, zwielichtigen Geschäftspartnern, Macht ausübenden Familienangehörigen, aber auch überraschenden Wendungen. Ob man mit dem Ende als Leser zufrieden ist, möge jeder am Ende der Lektüre selbst entscheiden.

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  • Spannung