Schmerzhaftes, beeindruckendes Debüt. Highlight!
Die schönste VersionJella und Yannick, glücklich am Strand, ein Anfang? Schnitt. Jella und Yannick, gemeinsame Wohnung, sie schreit, er schreit. Eine Meinungsverschiedenheit, normal. Schnitt. Jella und Yannick, in der Küche. ...
Jella und Yannick, glücklich am Strand, ein Anfang? Schnitt. Jella und Yannick, gemeinsame Wohnung, sie schreit, er schreit. Eine Meinungsverschiedenheit, normal. Schnitt. Jella und Yannick, in der Küche. Seine Hände an ihrem Hals, er drückt zu. Schnitt. Jella auf der Polizeiwache. Schnitt.
Der Beginn dieses Romans hat mir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Was wie ein Thriller beginnt, ist Alltag für so viele Frauen, für zu viele Frauen: Häusliche Gewalt, Gewalt in der Beziehung, internalisierter Frauenhass, Femizide. Wie konnte es soweit kommen? Jella und Yannick waren doch ein glückliches Paar, führten eine ernsthafte Beziehung?
Ruth-Maria Thomas erzählt es uns. Ihr Debüt geht dorthin, wo es richtig weh tut und bleibt da. Zwingt uns hinzusehen, in die Abgründe, die hinter (Beziehungs-)Fassaden lauern. Jella leidet seit ihrer Kindheit und Jugend unter massiven Selbstwertproblemen. Da ist immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein, als Mädchen und Frau nicht zu genügen. Selbst nach diversen sexuellen Übergriffen sucht sie die Schuld bei sich. Im ausrangierten, kaputten Theaterspiegel ihrer Mutter sieht sie sich - ein Sprung mitten durch das Glas. Einmal falsch aufkommen und alles liegt in Scherben.
Jellas Geschichte ging mir sehr nahe; auch deswegen, weil ich wie sie meine Kindheit und Jugend in den 00er und den frühen 10er-Jahren verbracht habe und diese Sozialisation (vor allem die weibliche!) auch meine war. Diverse Zeitschriften wie Mädchen oder Bravo, in denen frau nachlesen konnte, was SIE tun muss, um IHM zu gefallen. "Beziehungstipps", die vor Misogynie nur so triefen. Teenie-Stars, die dünn, dünner, am dünnsten sind. Kein Wunder also, dass Frauen auch 2024 noch glauben, SIE wären das Problem. Der Stachel sitzt tief.
Ruth-Maria Thomas erzählt von kaum wahrnehmbaren Verschiebungen von Grenzen; so banal, dass sie anfangs nicht auffallen. Von winzig kleinen Verletzungen, wie kleinste Glasscherben, die dennoch verletzen und Spuren hinterlassen. Ihr Stil ist, passend dazu, messerscharf und klar. Der Text ist durchzogen von abgehackten Sätzen und Gedankensplittern, kantig, unperfekt und ungeschliffen. Ohne Verschnörkelungen, die ablenken und dennoch voller treffender Bilder.
"Die schönste Version" hat mich sehr beeindruckt und tief berührt. Zeitgemäße Literatur in point. DAS sollten Mädchen und junge Frauen heute in der Schule lesen, statt den verstaubten "Klassikern". Der Buchpreis 2024 wäre meiner Meinung nach mehr als verdient.