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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.06.2024

Ein Stück Familiengeschichte der Autorin

Seinetwegen
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Bereits in ihrem früheren Roman „Die Marschallin“ hat sich die Autorin mit ihrer eigenen Familiengeschichte beschäftigt. Konkret ging es darin um ihre Großmutter väterlicherseits. Nunmehr verfolgt Zora ...

Bereits in ihrem früheren Roman „Die Marschallin“ hat sich die Autorin mit ihrer eigenen Familiengeschichte beschäftigt. Konkret ging es darin um ihre Großmutter väterlicherseits. Nunmehr verfolgt Zora del Bueno im Alter von sechzig Jahren die Spuren ihres Vaters, des Sohnes ebendieser Großmutter. Ihn hat sie nie gekannt, weil er dreiunddreißigjährig, als sie selbst noch im Babyalter war, bei einem von einem Dritten verursachten Verkehrsunfall ums Leben kam. Vor allem interessieren sie aber der Täter und die Frage, wie er zeit seines Lebens mit der auf sich geladenen Schuld leben konnte. Bei ihren Recherchen zu ihm ändert sie erstaunlicherweise ihre Einstellung zu dem Unfallverursacher und erlangt zugleich nie gehabte Informationen zu ihren Eltern. Tragisch ist, dass ihre noch lebende Mutter ihr keine Hilfe ist, weil diese schwer dement ist. Den Rahmen füllt sie mit Faktenwissen, Gesprächsaufzeichnungen mit Freunden, Lexikonwissen, Statistiken u.ä. aus. Obwohl das Thema sehr berührend für sie selbst ist, schreibt sie in einem nüchternen, knappen Stil, der sich gut lesen lässt. Herausgekommen ist ein wunderbarer Roman, der Leser von Familiengeschichten ans Herz zu legen ist.

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Veröffentlicht am 02.06.2024

Schöne Fortsetzung

Windstärke 17
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Dies ist die ebenso gelungene Fortsetzung des Debütromans „22 Bahnen“ der Autorin. In Aufbau und Sprachstil sind beide Romane ähnlich. Sie lassen sich durchaus unabhängig voneinander lesen. Jetzt gibt ...

Dies ist die ebenso gelungene Fortsetzung des Debütromans „22 Bahnen“ der Autorin. In Aufbau und Sprachstil sind beide Romane ähnlich. Sie lassen sich durchaus unabhängig voneinander lesen. Jetzt gibt sie der jüngeren der beiden Schwestern Tilda und Ida das Wort, den beiden Töchtern einer alkoholkranken und an Depressionen leidenden Mutter, die kürzlich an einer Überdosis verstorben ist. Ida, inzwischen in ihren 20ern, macht sich enorme Schuldvorwürfe hinsichtlich des Todes ihrer Mutter und droht daran selbst zu zerbrechen. Kurz entschlossen lässt sie ihr altes Leben hinter sich und fährt möglichst weit weg, nach Rügen. Dort scheint sie sich zu fangen, nachdem sie herzlich von einem älteren Ehepaar aufgenommen wird und den – ebenfalls aufgrund seiner Vergangenheit verletzlichen - Leif kennenlernt. Dann allerdings droht sie aufgrund eines Ereignisses in ihrer neuen Familie wieder zurückzufallen in Wut und Schuldgefühle…
Trotz des problematischen und traumatischen Hintergrunds in Idas Leben ist es sehr erfrischend, über sie zu lesen. All ihre Wut und Schuld kommt sprachlich treffend zum Ausdruck. Darüber, ob Idas Schuldvorwürfe zutreffen, sollte jeder selbst werten. Es ist schön zu erfahren, dass Ida und ihre Mutter auch einige schöne Momente miteinander hatten. Ida reift und erholt sich sichtlich in den wenigen Wochen, die sie auf Rügen ist. Ganz besonders ist die sich allmählich entwickelnde Beziehung zwischen ihr und Leif. Formell finden sich ebenfalls einige Besonderheiten. So sind die vielen Dialoge nicht durch wörtliche Reden kenntlich gemacht, sondern schlicht durch Voranstellung des Namens des Sprechenden und einen Doppelpunkt.
Sehr zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 29.05.2024

Gedanken zum Älterwerden

Im wechselnden Licht der Jahre
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Bei dem neuesten Buch von Tom Liehr handelt es sich meiner Meinung nach um eines seiner besten Bücher, wenn nicht sogar um das beste. Er schreibt über ein Thema, das uns alle betrifft – das Älter- und ...

Bei dem neuesten Buch von Tom Liehr handelt es sich meiner Meinung nach um eines seiner besten Bücher, wenn nicht sogar um das beste. Er schreibt über ein Thema, das uns alle betrifft – das Älter- und Altwerden und die damit einhergehenden Ängste und Sorgen. Diese macht sich der Protagonist Alex kurz vor dem von ihm so gefürchteten 60. Geburtstag zur Genüge. Ob berechtigt oder nicht, muss jeder selbst entscheiden, je nach dem, wie er selbst zu dem Thema steht. Auf jeden Fall beleuchtet Alex alles sehr detailliert und nachvollziehbar. Anlass ist sein eben genannter Geburtstag in der Gegenwart, der den Rahmen der Erzählung bildet, verknüpft mit stetigen Rückblenden in Alex Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter im Berlin(-West) bis zum Mauerfall und im heutigen Berlin, die sein Privat- und Berufsleben zum Gegenstand haben. Diese sind gerade für mich so interessant, weil ich genau wie Alex ein Kind der 1960er Jahre bin und so manche Beschreibung von Ereignissen, Umständen oder Gegenständen schöne, nostalgische Wiedererkennungserlebnisse bei mir auslöste. Die Beschreibungen zur Stadt Berlin sind in ihrer Bildhaftigkeit einfach hervorragend, auch für jemanden, der die Stadt nicht kennt. Ebenso gelungen ist die Darstellung der vielen Weggefährten von Alex, die sehr facettenreich sind. Mit Spannung zugesteuert wird auf einen plötzlichen Unglücksfall und einige weitere Begebenheiten, die Alex komplettes Leben zum Einsturz zu bringen drohen. Die entsprechende Passage unterscheidet sich mit ihrem eher aufgeregten Erzählstil von den übrigen, die sich eher als bedächtig und unterlegt mit humorvollen Abschnitten darstellen. Am Ende löst sich alles so auf, wie es sich für einen unterhaltenden Roman gehört.
Ich habe mich auf jeden Fall gut unterhalten gefühlt und kann jedem ans Herz legen, das Buch zu lesen.

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Wissen, wo man herkommt

Mühlensommer
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Der Autorin, selbst wie die Protagonistin Maria auf einem Bauernhof aufgewachsen und später in die Stadt gegangen, ist ein wunderschöner Familienroman gelungen. In sich abwechselnden Abschnitten erzählt ...

Der Autorin, selbst wie die Protagonistin Maria auf einem Bauernhof aufgewachsen und später in die Stadt gegangen, ist ein wunderschöner Familienroman gelungen. In sich abwechselnden Abschnitten erzählt sie aus einigen Monaten Kindheit der 10jährigen Maria in den 1980er Jahren und aus der Gegenwart etwa 30 Jahre später, als sie wegen eines Unglücksfalls in der Familie zu Besuch auf dem elterlichen Bauernhof ist. Sie, die es als junge Erwachsene so schnell wie möglich weg vom Land in die Stadt gezogen hat, verspürt auf einmal den Wunsch, wieder dahin zurückzukehren, wo sie hergekommen ist.
Besonders die Kindheitsschilderungen haben mir sehr gut gefallen, habe ich mich doch in meine eigene Kindheit zurückversetzt gefühlt, die in denselben Zeitraum fällt. Bei Vielem habe ich sagen können, ja, genau so war es; etwa die so in gewesenen Besuche bei McDonalds, Ferienpassaktionen in den Sommerferien, das graue Telefon mit Wählscheibe. Allerdings wird mir umso bewusster, dass ich als Kind aus der Kleinstadt mit nichts in der Welt hätte tauschen wollen mit Maria, die als „Bauernkind“ in ihrem Umfeld so oft Hänseleien und Vorurteilen ausgesetzt gewesen ist. Sehr amüsant sind auch die vielen eingestreuten Anekdoten aus dem Dorfleben, z.B. die Suche des vermissten Schulhausmeisters oder die ersten Schießversuche Marias mit einem Luftgewehr. Einige Szenen insbesondere im Zusammenhang mit den Tieren (z.B. das Ertränken junger Kätzchen, die Hausschlachtung) sind starker Tobak, geben aber lebensnah das bäuerliche Leben wieder. Der Erzählstrang aus der Gegenwart bleibt im Niveau meiner Ansicht nach dahinter etwas zurück. Er wirkt auf mich teilweise zu aufgesetzt, weil es wenig realistisch ist, dass Maria innerhalb eines Wochenendes bereit ist, ihr Leben komplett umzukrempeln. Dazu gehört auch der Flirt auf dem Kirchweihfest. Allerdings ist anzuerkennen, dass die Autorin auch hier bemüht ist, das Leben der Landwirte realitätsgetreu wiederzugeben. Dabei denke ich an die Erbfolgeproblematik innerhalb Marias Familie.
Auf jeden Fall sehr lesenswert für LeserInnen von Familiengeschichten.

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Veröffentlicht am 19.04.2024

Zwei Mädchen beschreiten ihren Weg

Malnata
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Die Geschichte ist angesiedelt in Monza/Italien im Jahr 1935. Mussolini und der Faschismus sind im täglichen Leben der Italiener allgegenwärtig. Da kommt es nicht gut an, wenn die eine Protagonistin – ...

Die Geschichte ist angesiedelt in Monza/Italien im Jahr 1935. Mussolini und der Faschismus sind im täglichen Leben der Italiener allgegenwärtig. Da kommt es nicht gut an, wenn die eine Protagonistin – die 14jährige Francesca aus gutbürgerlichem Hause – sich gegen das propagierte Frauenbild wehrt, wonach die eigentliche Rolle der Frau es ist, sich dem Mann unterzuordnen. Hierzu wird sie allein durch die Freundschaft mit der gleichaltrigen Maddalena befähigt, die ärmlichen Verhältnissen entstammt und in der Stadt als Unglücksbringerin verschrien ist, weil ihre schlechten Prophezeiungen mehrfach wahr wurden.
Für mich persönlich war der Roman sehr interessant. Er übt viel Gesellschaftskritik, insbesondere die Rolle von Mann und Frau, die unterschiedlichen sozialen Milieus und die politischen Verhältnisse betreffend. Die beiden Freundinnen sind bewundernswert, wie sie nach Selbstbestimmung streben und sich auflehnen. Allerdings ist nicht all ihr Verhalten gutzuheißen. Immerhin sind manche ihrer Aktionen kriminell.
Mich haben die wenigen Monate, die uns aus dem Leben der beiden jungen Menschen geschildert werden, in den Bann gezogen. Ihre Entwicklung zu selbstbestimmten Menschen in einem autoritären Umfeld ist faszinierend dargestellt.

Das Buch ist zu empfehlen.

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