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Veröffentlicht am 27.05.2023

Zündet leider nicht so richtig

Idol in Flammen
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Für Akari, eine Teenagerin in Japan, steht ihr Idol Masaki, ein Mitte 20jähriger J-Popstar, metaphorisch in Flammen, nachdem er sich einem medialen Shitstorm stellen muss. Er hat nämlich angeblich einen ...

Für Akari, eine Teenagerin in Japan, steht ihr Idol Masaki, ein Mitte 20jähriger J-Popstar, metaphorisch in Flammen, nachdem er sich einem medialen Shitstorm stellen muss. Er hat nämlich angeblich einen weiblichen Fan geschlagen. Für Akari endet damit nicht etwa ihr Fanatismus für Masaki, nein, sie möchte ihn nun mehr denn je unterstützen und füllt damit eine Leere, die sich in ihr selbst schon seit längerem breitmacht.

Die junge japanische Autorin Rin Usami gewann mit diesem Debüt im Alter von nur 21 Jahren bereits einen angesehenen, japanischen Literaturpreis. Doch kann sie mit diesem Roman um die Fankultur, ja man kann sagen den Fanatismus einer Teenagerin, in Japan, die massive Konsumorientierung des Pop-Universums und die emotionalen Nöte der Protagonistin auch hier überzeugen?

Mich hat der Roman besonders zu Beginn stark gefangen genommen. Die Prämisse eines weiblichen Fans, dessen Leben sich tatsächlich ausschließlich um ihr Idol zu kreisen scheint, welcher potentiell ins Schwanken geraten könnte, durch die Enthüllungen um das angebetete Idol bietet viel Sprengkraft. Sehr genau und eindrücklich schildert Rin Usami, wie stark in Japan die Fankultur im Kapitalismus angekommen ist. Dass Fans für ihre Idole all ihr Geld ausgeben. Dass psychologisch geschickte Taktiken angewandt werden, um ihnen noch mehr Geld, mehr als sie vielleicht besitzen, auszugeben. Diese Vereinnahmung der Fans durch die verhängnisvollen Strategien der Pop-Industrie ist aber leider auch das einzige, was mir aus diesem Roman relevant vorkam und auch während und nach der Lektüre in mir weitergearbeitet hat. Diesbezüglich hätte ich mir allerdings auch einen Artikel zum Thema oder eine Doku anschauen können.

Bezüglich der Figuren, dem Plot und der Entwicklung dieser beiden Komponenten eines Romans bin ich leider enttäuscht worden. Obwohl Akari in ihrer Besessenheit aus der Ich-Perspektive heraus diese sehr deutlich darstellen kann, so bleibt mir die Figur ansonsten recht blass. Das kann Kalkül sein, wird doch – recht trocken – erwähnt, dass sie an einer Depression leide. Mit welcher Verbissenheit sie ihrem Fan-Dasein jedoch nachgeht, lässt jedoch an einer ausgeprägten depressiven Erkrankung zweifeln. Auch wenn man durchaus das Gefühl bekommt, dass diese Art Fanatismus für ein Pop-Idol nicht gesund sein kann. Er wirkt eher, als ob sie diese Diagnose, wie so viele junge Leute heutzutage, wie ein gelegenes Label vor sich herträgt. Der zunächst recht interessant wirkende Plot verläuft sich im Laufe des mit seinen nur 125 Seiten recht übersichtlichen Romans sehr schnell. Es entsteht kein Konfliktpotential und wir kochen auf kleiner Flamme so dahin, ebenso wie Akari.

Der Schreibstil bleibt ebenso blass und gewöhnlich. Durch große Zeitsprünge innerhalb der Geschichte, hat man das Gefühl hier ganz schnell und eher oberflächlich durch die Geschichte geschickt zu werden, ohne dass eine Bindung zur Figur entstehen kann. So bleibt zwar unterm Strich eine kurzweilige, solide Lektüre aber davon nur wenig letztlich im Kopf hängen. Kann man lesen bei Interesse an den Vermarktungsstrategien der J-Pop-Industrie. Man verpasst allerdings auch nichts, wenn man dieses Buch auslässt.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 16.04.2023

Vom American Way of Life und Schreibmaschinen

Schräge Typen
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Der bekannte und mehrfach ausgezeichnete Schauspieler Tom Hanks ist nicht nur eben das sondern auch ein Autor. Nach Veröffentlichungen in verschiedenen amerikanischen Zeitungen und Magazinen ist dies nun ...

Der bekannte und mehrfach ausgezeichnete Schauspieler Tom Hanks ist nicht nur eben das sondern auch ein Autor. Nach Veröffentlichungen in verschiedenen amerikanischen Zeitungen und Magazinen ist dies nun sein erste Buchveröffentlichung in Form einer Kurzgeschichtensammmlung.

Hier gibt es Geschichten zu entdecken, die in ihrer Ausrichtung uramerikanisch daherkommen. Es geht um die einfachen Menschen, wie sie sich mit den Werten des freien Amerikas durch ihr Leben schlagen. Da kommen die frisch Eingebürgerten vor, die Bowling als klassisch amerikanische Sportart entdecken, da ist der WWII-Veteran, der an Weihnachten 1953 ein besinnliches Fest mit seiner Familie in der wirtschaftlich gut aufgebauten Existenz feiern möchte, da ist die Schauspielerin aus der Provinz, die im New York der 1970er ihren eigenen Weg zum Erfolg gehen will. Die insgesamt elf Kurzgeschichten werden von vier Kolumnentexten des fiktiven Reporters Hank Fiset unterbrochen, welche sich mit Alltäglichem aus dem Zeitungswesen und dem Leben von Hank beschäftigen.

Alle Texte dieses Buches sind solide geschrieben, zeigen stilistisch jedoch wenig Finessen. Inhaltlich sind die meisten gut, nur wenige stechen heraus. So eine Geschichte um die Zeitreise zurück zur Weltausstellung in New York 1939 („Die Vergangenheit ist uns wichtig“). Mir den Kauf einer Schreibmaschine richtig schmackhaft gemacht, hat „Das sind die Betrachtungen meines Herzens“, welche sich um eine junge Hipster-Frau dreht, die auf dem Flohmarkt eine alte, billige Plastikschreibmaschine ersteht und später durch einen kautzigen Schreibmaschinenverkäufer doch von einer sensationellen Hermes 2000 aus der Schweiz der 1950er Jahren überzeugt wird. Schreibmaschinen kommen übrigens immer wieder in den Geschichten vor. Und der Titel „Die Vergangenheit ist uns wichtig“ könnte auch Titel des Buches sein. Denn Hanks beschwört hier immer wieder das Beste der Vergangenheit herauf, ohne jemals in einem Topf mit den Rückwärtsgewandten der aktuellen Republikanischen Partei zu landen. Denn hier geht es um die Offenheit, auf der der Staat fußt. Aber ein bisschen retro darf es eben auch immer sein. So interessant die ein oder andere Geschichte auch sein mag, so finden sich die, wie durch den deutschen Titel des Buches vermutet, „Schrägen Typen“ eher selten in Hanks Geschichten. Vielmehr könnte man sich bei den Protagonisten vorstellen, dass die ein oder andere Haupt- oder Nebenrolle locker ins Portfolio des Schauspielers Tom Hanks gepasst hätte.

Insgesamt handelt es sich hier um eine gute Geschichtensammlung, die gut bekümmlich ist aber mit nur wenigen Überraschungen aufwarten kann. Ein nettes Buch für Zwischendurch, das einen mit einem wohligen Gefühl im Bauch zurücklässt. Die Amerikaner würden sagen: „Cozy and Wholesome“.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.03.2023

Kann man sich ansehen, muss man aber nicht

Seht mich an
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Der Eisele Verlag hat die 1928 geborene und 2016 verstorbene Anita Brookner, welche mit „Hotel du Lac“ 1984 den Booker Prize gewonnen hat, für den deutschen Markt wiederentdeckt und bringt nun – einheitlich ...

Der Eisele Verlag hat die 1928 geborene und 2016 verstorbene Anita Brookner, welche mit „Hotel du Lac“ 1984 den Booker Prize gewonnen hat, für den deutschen Markt wiederentdeckt und bringt nun – einheitlich mit vorangegangenen Veröffentlichungen – den Roman „Seht mich an“ aus dem Jahre 1983 heraus.

Wie einige andere Romane der Autorin beschäftigt sich auch dieser mit der Einsamkeit einer alleinstehenden Frau, jungen bis mittleren Alters, die wohl recht nah an der Autorin selbst angelegt ist. Frances arbeitet als Mitarbeiterin einer medizinischen Bibliothek, welche sich auf die Darstellung von Erkrankungen und Tod in vergangenen Jahrhunderten beschäftigt. Sie lebt allein in der Wohnung ihrer bereits verstorbenen Eltern. Die Mutter pflegte sie noch bis vor zwei Jahren zusammen mit der Haushälterin Nancy, welche die Bedienstetenkammer bewohnt, bis zum Tod. Nun ist nur noch Nancy als Mitbewohnerin in dieser dunklen, altmodischen Wohnung in London übrig. Frances‘ Familie erwirtschaftete „neues“ Geld, weshalb Frances auch jetzt noch recht wohlhabend ist. Trotz allem fühlt sie sich in ihrem Alltag allein und findet erst Kontakt zur Welt, als das schillernde Ehepaar Nick und Alix, welche „altes“ Geld durch die Kolonialgeschichte Großbritanniens besitzen, sie auserwählt, um ihrer Freundschaft würdig zu sein.

Der Roman beginnt mit hochinteressanten Betrachtungen zu Bildnissen von Wahnsinn, Depressionen und Tod in der Kunstgeschichte, sowie einer kurzen Vorstellung der Figuren, welche sich in der besagten Bibliothek herumtreiben. Mit einer sehr präzisen und literarisch niveauvollen Sprache beschreibt Brookner nicht nur diese Bildnisse sondern auch Frances und ihr Umfeld. Atmosphärisch bekommt mein ein Gefühl für ihre beklemmende Wohnung aus einem vorherigen Jahrhundert wie auch für ihre beklemmende Lebenssituation und dem Hadern mit der Einsamkeit sowie dem Wunsch nach sozialer Anerkennung ihrer Person. Nach diesen ersten ca. 70 Seiten verfällt jedoch der Roman leider in eine ständige Wiederholung Frances‘ hadern mit sich und der Welt. Sprachlich zwar weiterhin brillant aber inhaltlich zunehmend nervig gestaltet Brookner die Innenansicht der Ich-Erzählerin Frances. Diese hat in ihrem sozialen Umfeld einige „prototypische“ Einsame und möchte keinesfalls so enden wie diese, weshalb sie sich den auf den ersten Blick unsympathischen und ausnutzenden Nich und Alix anbiedert. Zwischenzeitlich analysiert sie sogar immer wieder, wie falsch diese beiden handeln und wie falsch sie auch für Frances sind, trotzdem sucht sie immer wieder den Kontakt, möchte sie unbedingt von diesen beiden Menschen gesehen werden. Kurze Erleichterung beim lesen kommt auf, als ein potentieller Liebespartner für Frances auftaucht, nur leider entwickelt sich auch daraus nichts Gutes.

So bewegt sich dieser Roman über mindestens die restlichen 200 Seiten immer wieder vor und zurück. Wie bei einer Flimmerbewegung kreist Frances immer wieder um dieselben Probleme, kommt aber nicht vom Fleck. Eine Entwicklung macht die Figur Frances also leider nicht durch, sie zeigt keinerlei Veränderungspotential. Und so wie die Figur Frances in ihrer Position als alleinstehende „alte Jungfer“ scheinbar eingefroren erscheint, so eingefroren erscheint auch sie und ihr Umfeld in der Zeit. Der Roman wurde 1983 geschrieben, spielt aber schätzungsweise – und wie man aus dem Nachwort von Daniel Schreiber entnehmen kann – Mitte/Ende der 1960er Jahre, den Swinging Sixties, der Zeit kurz bevor und während junge Menschen den Mief der alten Zeit abschütteln wollten und dann sogar politisch aktiv wurden und auf die Straße gingen. Davon merkt man diesem Roman überhaupt gar nichts an; nicht einmal dem schillernden Ehepaar Nick und Alix. Alle Figuren ebenso wie das Wohnumfeld und die gesellschaftlichen Normen scheinen hier wie aus der Zeit gefallen. In Kombination mit der altbackenen - wie gesagt, wenn auch tollen, präzisen - Schreibe der Autorin wirkt es so, als würde man einen Roman aus dem 19. Jahrhundert lesen. Auch wenn das Thema Einsamkeit grundsätzlich zeitlos ist, da es in jeder Generation, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen und mit anderen Belastungen, auftritt, so erscheint der vorliegende Roman hingegen nicht zeitlos, sondern hingegen wirklich nicht gut gealtert. Trotz der scharfsinnigen Sätze der Autorin bin ich ob der stillstehenden Handlung mitunter eingenickt beim Lesen. Das ist leider nie ein gutes Zeichen bezüglich einer Lektüreerfahrung.

Das Nachwort von Daniel Schreiber, Autor des kürzlich veröffentlichten Essaybandes „Allein“, ist durchaus lesenswert, da es den Romaninhalt mit der Biografie Anita Brookners in Zusammenhang bringt. Mit manchen seiner Deutungen des Romans, sowie seiner Idee im Roman finde sich „kühler Humor“, gehe ich zwar nicht konform. Trotzdem handelt es sich bei dem Text um eine gute, mitunter erhellende Ergänzung zum Roman.

Ich hätte sehr gern mit dem sehr klug ausformulierten Schreibstil der Autorin ein inhaltlich interessanteres, also ein anderes, Buch gelesen. So kann ich abschließend „Seht mich an“ nicht unbedingt empfehlen, wenngleich ich es nicht unglaublich schlecht finde. Das Buch ist okay, wird aber das letzte sein, welches ich von der Autorin gelesen habe, gerade weil sich ihre Werke inhaltlich recht stark ähneln sollen.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 04.03.2023

Vom alltäglichen Leben in der amerikanischen Provinz um 1930

Draußen die Welt
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Die erstmals in den 1940ern veröffentlichten Romane der amerikanischen Autorin Janet Lewis (1899-1998) wurden für den deutschsprachigen Markt wiederentdeckt und der vorliegende Roman von Sylvia Spatz nun ...

Die erstmals in den 1940ern veröffentlichten Romane der amerikanischen Autorin Janet Lewis (1899-1998) wurden für den deutschsprachigen Markt wiederentdeckt und der vorliegende Roman von Sylvia Spatz nun ins Deutsche übersetzt.

Wir begleiten in dieser Geschichte die Familie Perrault mit ihrem stillen Zentrum Mary, der Mutter von vier Kindern. Die Familiengeschichte trägt sich Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre in der kalifornischen Provinz zu und wird zunächst äußerst beschaulich erzählt. Mary und ihre Familie kommen während der Weltwirtschaftskrise und der darauffolgenden Depression relativ gut über die Runden, aber der Alltag wird immer stärker durchbrochen durch verschiedene Schicksalsschläge, die das nähere und fernere soziale Umfeld der Familie betreffen, beginnend mit dem Unfalltod von Marys bester Freundin.

Der Text zeichnet sich meines Erachtens vor allem durch die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen der Autorin aus. Sie bringt die sengende Hitze Kaliforniens ausdrucksstark rüber und lässt ein ausführliches Bild des Lebens vor einhundert Jahren in dieser damals erst relativ frisch gegründeten, fiktiven Gemeinde South Encina vor dem inneren Auge entstehen. Über die 366 Seiten hinweg nehmen aber auch diese Beschreibungen zur Umgebung, technischen Errungenschaften oder Bootstouren mitunter auch Überhand und wirken bisweilen recht langatmig. Da die Figuren fast naturalistisch mit ihren alltäglichen Sorgen und Nöten eher oberflächlich beschrieben werden, blieben sie mir sehr fern. Der Text konnte bei mir bis kurz vor Schluss leider keine Empathie evozieren oder Emotionen der Figuren glaubhaft vermitteln. Immer wieder geschieht etwas, über das sich die Familie austauscht, dann wird die Thematik aber ziemlich schnell wieder fallen gelassen und taucht entweder gar nicht oder viel später nur kurz wieder auf. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit angeschnittenen Themen, wie soziales Handeln innerhalb einer Nachbarschaft, der Umgang mit Trauer, junge Liebesbeziehungen, soziale und finanzielle Unterschiede etc. geschieht leider nicht im Detail. So wirkte der Roman für mich über weite Strecken belanglos, obwohl wichtige Themen darin durchaus vorkommen. So plätscherte der Roman für mich größtenteils so dahin, Schicksalsschläge fühlen sich nicht wie solche an und die durch den Klappentext des Verlags angestachelten Erwartungen, erfüllen sich leider nicht. Dort heißt es nämlich: „Aber dann bricht 1929 die New Yorker Börse zusammen: Der Kampf ums nackte Überleben bringt das Fundament der Gesellschaft ins Wanken und bedroht auch das innere Gleichgewicht der Familie Perrault.“ Das ist äußerst dramatisch formuliert und findet sich so keinesfalls im Text. Ein weniger effekthascherischer Infotext hätte dem Buch und meiner Rezeption dessen gutgetan. Das Cover des Buches hingegen ist grandios gewählt und lässt auf den zweiten Blick die Vieldeutigkeit der Alltäglichkeit erkennen.

Der Roman ist durchaus solide geschrieben und meines Erachtens sehr gut von Sylvia Spatz übersetzt. Man merkt der Übersetzung an, dass es sich um einen 80 Jahre alten Text handelt. Das bekommt dem lesenden Auge gut, freut man sich doch über solch kleine Wörtchen wie „obgleich“ im Text. Obgleich mir grundsätzlich der Schreibstil der Autorin zugesagt hat, konnte mich der vorliegende Roman leider nicht davon überzeugen, zukünftig weitere Werke der Autorin lesen zu wollen.

Für mich charakterisiert ein kurzes Zitat, welches Marys Handeln beschreibt, dieses Buch recht knackig: „Trotz Krieg, Mord und plötzlichem Tod, dachte sie bei sich, spülen muss man trotzdem." Recht hat sie. Mit einigem nachträglichem Suchen kann man durchaus auch subtile moralische Ideen im Text finden, leider konnte mein Interesse dafür nur eingeschränkt geweckt werden.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 02.06.2024

Wirkt leider zu gewollt, die Anliegen zu künstlich eingebracht

Ich stelle mich schlafend
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Obwohl ich den Debütroman von Deniz Ohde „Streulicht“ wirklich geliebt habe und mir gleichzeitig das Anliegen der Autorin im vorliegenden Roman „Ich stelle mich schlafend“ - Frauen, denen Schuld, Scham ...

Obwohl ich den Debütroman von Deniz Ohde „Streulicht“ wirklich geliebt habe und mir gleichzeitig das Anliegen der Autorin im vorliegenden Roman „Ich stelle mich schlafend“ - Frauen, denen Schuld, Scham und fehlende Abgrenzungsfähigkeit bezogen auf sexuelle Übergriffe über Generationen anerzogen werden - persönlich sehr wichtig ist und mich grundsätzlich sehr interessiert, konnte mich die Autorin diesmal nicht überzeugen.

Eine personale Erzählstimme folgt größtenteils Yasemin durch ihr Leben bis ins Alter von 35 Jahren. Dort beginnt auch der Roman, denn sie steht nicht nur vor einer Brache zwischen den Häuserblocks, in denen sie aufgewachsen ist, sondern scheinbar auch gleichzeitig vor den Trümmern ihres eigenen (Liebes-)Lebens. Nach 20 Jahren traf sie ihre Jugendliebe Vito wieder, die schon damals nicht perfekt war, wie wir durch Rückblicke erfahren, und in der Gegenwart auch nicht besser wird.

Schon der Einstieg in den Roman fiel mir unglaublich schwer. So kompliziert wird die Eingangsszene, in der Yasemin vor der Brache steht, beschrieben, dass ich das erste Kapitel gleich dreimal lesen musste, um überhaupt eine Ahnung davon zu bekommen, welches Haus jetzt nicht mehr steht und was mir die Autorin überhaupt damit sagen möchte. Besserte sich dann zwar der Lesefluss ein wenig, hatte ich weiterhin das Gefühl, dass häufig Formulierungen zu poetisch gewollt und nicht einem Zweck folgend angewendet wurden. Schon innerhalb der ersten 30 Seiten beschlich mich immer wieder das Gefühl, die Autorin wolle dringend einen gesellschaftskritischen Inhalt unterbringen, habe dafür aber nicht immer zwingend erzählerische Anlässe dafür. Das wirkte auf mich häufig holprig, inhomogen, wenig geschmeidig und aufgepfropft. Gerade zum Ende hin geht es mit der Autorin durch und die Erzählstimme, die dann in die Gedankenwelt von Yasemin rutscht, wird unglaublich erklärend und psychologisierend. So kommt es dann zu Sätzen wie beispielsweise diesen hier: „Aus dem Bedürfnis heraus, mich selbst zu bestrafen, habe ich Männername enttäuscht. Der Rausch meiner Verliebtheit bestand darin, endlich die Gewalt zu erfahren, die ich glaubte verdient zu haben. Ich bin in Vito gelaufen wie in ein offenes Messer. Ich habe geglaubt, in ihm ein neues Leben zu finden, dabei war es Vernichtung, die ich mir in Wirklichkeit erhoffte.“ Ganz ehrlich, wer denkt denn so, außer er bzw. sie kommt gerade aus einer psychotherapeutischen Sitzung, in der über zehn Stunden hinweg an dieser Erkenntnis gearbeitet wurde? Aber auch schon sehr frühe Ereignisse in der Kindheit Yasemins werden von der da noch personalen Erzählstimme immer gleich mit einer Deutung aufgeladen.

Bei mir konnte während der Lektüre leider kaum Nähe zu den Protagonist:innen, nicht einmal ein konkretes, inneres Bild von ihnen hergestellt werden. Zu schwammig blieben mir die Personen Yasemin, ihre beste Freundin Immacolata oder die verhängnisvolle Jugendliebe Vito, sowie ihre Beziehung untereinander. Auch die Familienverhältnisse, in denen Yasemin aufgewachsen ist, bleiben größtenteils im Dunkeln. Nur sehr spärliche Schlaglichter gibt es, die aber gleich vollkommen aufgeladen sind mit gesellschaftlichen Missständen gegenüber Frauen.

Für mich ist dieser Roman leider sprachlich nicht gut gelungen, bleibt in bekannten Mustern hängen und die Figuren sind nicht greifbar. Und so verpufft für mich das Anliegen des Romans und schon kurz nach der Lektüre entschwinden die Erinnerungen daran. Sinnbildlich wie die Pfütze auf dem Cover (welches inhaltlich trotzdem sehr gut zum Roman passt!) verdunstet jeglicher Nachhall zu diesem Roman und es bleibt nicht wirklich etwas hängen. Schade. So konnte Deniz Ohde mich mit ihrem zweiten Roman nicht überzeugen. Aber vielleicht ja wieder mit dem nächsten.

2,5/5 Sterne

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