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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2024

Die Fülle der ungesagten Worte

Ich komme nicht zurück
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Es braucht nicht unbedingt Hunderte von Seiten, dass ein Buch uns aus dem Alltag kippt. Der vorliegende Roman schafft das mit 170 Seiten. Und selbst die wurden mir in ihrer Kraft mitunter fast zu viel. ...

Es braucht nicht unbedingt Hunderte von Seiten, dass ein Buch uns aus dem Alltag kippt. Der vorliegende Roman schafft das mit 170 Seiten. Und selbst die wurden mir in ihrer Kraft mitunter fast zu viel. Denn, wie es im Text heißt, ließen sich „ganze Bücher füllen mit ungesagten Worten“. Und all diese ungesagten Worte stehen hinter den aufgeschriebenen Sätzen und beschäftigen uns gefühlsmäßig weiter.
In den Achtzigerjahren in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet sind Hanna, Zeyna und Cem in enger Freundschaft verbunden. Sie verstehen sich blind. Die unterschiedliche Herkunft spielt keine Rolle. Doch die Kinder werden älter, nehmen die familiären Unterschiede deutlicher wahr. Der 11. September 2001 löst erste Risse in ihrer Freundschaft aus. Zwischen Zeyna und Hanna kommt es zum endgültigen Bruch. Als viele Jahre später Hanna in die Wohnung der verstorbenen Großeltern zurückkehrt, ist Cem noch da, Zeyna aber ist verschwunden. Die Suche Hannas nach Zeyna, nach den Bruchstellen in der Vergangenheit, nach den kulturellen Unterschieden und nach Liebe und Freundschaft füllt die Seiten, mit gesagten und unzählig vielen ungesagten Worten. Die sich dem erschließen, der das Buch mit Empathie zu lesen versteht.
Meisterhaft spielt Rasha Khayat mit Worten. Ihr Büchlein ist prall voll von Wortbildern. Es ist gefühlvoll, poetisch und traurigschön. Es ist ein Plädoyer für die Freundschaft. Es lehrt mehr über Rassismus und kulturelle Unterschiede, als es Sachverständige in langen Vorträgen je könnten.

Der Roman spricht sehr leise, sehr feinfühlig und unendlich traurig über eine besondere Form der Heimatlosigkeit, über den Schleier der Einsamkeit und der Resignation in gesagten und ungesagten Worten. Mich hat das Buch ergriffen.

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Veröffentlicht am 12.07.2024

Meisterhaft erzählt mit einem nachdenkenswerten Thema

Hast du Zeit?
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Diese Frage wird uns allen oftmals gestellt: Hast du Zeit? „Na klar“, sagt man oder „morgen vielleicht“ oder „nee, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht“ usw. Zeit als Thema für einen außerordentlich spannenden ...

Diese Frage wird uns allen oftmals gestellt: Hast du Zeit? „Na klar“, sagt man oder „morgen vielleicht“ oder „nee, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht“ usw. Zeit als Thema für einen außerordentlich spannenden Thriller zu wählen, hat durchaus auch etwas Philosophisches, Vieldeutiges. Auf jeden Fall ist es reizvoll, darüber nachzudenken, was oder wer uns Zeit stiehlt. Können wir uns dagegen wehren? Oder verrinnt sie ganz einfach, egal was wir tun? Können wir Zeit überhaupt „besitzen“? Andreas Winkelmann, für mich einer der aufregendsten Thriller-Autoren, hat einen Protagonisten in Szene gesetzt, der alles daran setzt, genau an den Menschen, die ihm Zeit gestohlen haben, Rache zu üben auf schlimmste Weise. Diese Hauptperson hat sich selbst eine unermesslich große Aufgabe gestellt, denn es finden sich immer neue Zeitdiebe, deren Bestrafung unvermeidbar ist. Doch welch frühe Erlebnisse machen einen durchschnittlichen Menschen zum Serienmörder mit einem überdimensional großen Sendungsbewusstsein, diesen Zeitdieben dieser Welt eine tödliche Lehre zu erteilen?
Vor mehreren Jahren wartet Maren Liefers, eine Bestatterin, auf Kundschaft. Denn ihr Geschäft geht nur schleppend. Bis sie unerwarteten Besuch erhält… Jahre später fühlt sich die Krankenschwester Conny Goldmann angstvoll verfolgt. Der Vater ihrer besten Freundin Lars Erik Grotheer, ehemaliger Polizist, will ihr helfen. Doch Conny ist völlig überraschend tot. Kurze Zeit später wird die Schornsteinfegerin Felicitas Möller entführt und verschwindet spurlos. Deren Partnerin, die Fotografin Lilly Costanzo, versucht gemeinsam mit Grotheer, der seltsamen Serie von Todesfällen und der verschwundenen Felicitas Möller, auf die Spur zu kommen. Denn sie entdecken eine ganze Reihe unaufgeklärter Todesfälle, die nichts, aber auch gar nichts, miteinander zu tun haben.
Als Leser ist man von der ersten Seite an, wie gewohnt bei Winkelmann, gefesselt von der Geschichte, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Besonders faszinierend sind dabei die Sequenzen, in denen man den kruden Gedanken des Täters folgen kann und die im Verlaufe des Buches zunehmend die Persönlichkeit des Täters in seiner Tiefe aufdecken. Lange bleibt dennoch vorherrschend das Gefühl der Verwirrung, weil man trotz vielfältiger Ermittlungsschritte und aufmerksamster Lektüre den roten Faden nicht entdecken kann, der zum Täter führen könnte. Statt dessen gerät man beim Lesen immer wieder in komische Verständnisprobleme, weil der Hund namens Jemand zwar herrlich geschildert wird, aber durch seinen Namen die Lektüre seltsam komisch wird.
Fazit: Ein meisterhaft erzählter, nervenaufreibender Thriller mit einer Prise Humor, der zum Nachdenken über die Zeit animiert.

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Veröffentlicht am 01.07.2024

Schöne Anregung, um neue Pflanzenfreundschaften zu schließen

Zimmerpflanzenliebe
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Wenn eine Influencerin ein Sachbuch herausgibt, bin ich erst einmal misstrauisch. So auch in diesem Fall. Allerdings gibt bereits der Buchtitel keine falschen Versprechungen. Es geht um PflanzenLIEBE, ...

Wenn eine Influencerin ein Sachbuch herausgibt, bin ich erst einmal misstrauisch. So auch in diesem Fall. Allerdings gibt bereits der Buchtitel keine falschen Versprechungen. Es geht um PflanzenLIEBE, nicht um ein Kompendium zum Nachschlagen. Und wenn man das Buch so versteht, als persönliches Statement für das „artgerechte“ Halten von Pflanzen, die individuelle Zuwendung benötigen, dann wird man durch die Lektüre rundum belohnt.
In erster Linie wirken auf mich die ausgesucht ästhetischen Fotos anregend, Lust machend auf Pflanzenmitbewohner. Schon das Titelbild ist absolut gelungen, ohne Selbstbeweihräucherung der Autorin, sondern ein von Pflanze und Mensch verbundenes Miteinander. Diese Art von Freundschaft zwischen Mensch und Pflanze zieht sich durch das gesamte Buch, ergänzt von aussagekräftigen Fotos von einzelnen, teilweise bislang mir völlig unbekannten Pflanzen. Schöner kann man es doch gar nicht sagen: „Pflanzen sind wie Freunde. … man kennt ihre Macken, weiß mit diesen umzugehen…“ Ja, und genau diese individuellen Macken werden im Buch nicht ausgespart.
Das Buch beginnt mit Grundsätzlichem. Und tatsächlich erfuhr ich hier durchaus Neues, obwohl ich mich schon viele, viele Jahre mit Pflanzen umgebe. Es lohnt sich also, diese Basics aufmerksam durchzulesen. Das nächste Kapitel befasst sich ausschließlich mit Blattpflanzen. Viele mir bislang unbekannte Arten lernte ich hier kennen. Außerordentlich hilfreich sind die jeweiligen Angaben, wo die Pflanze leben möchte und was sie zum Gedeihen braucht. So kann man schon allein beim oberflächlichen Blättern und Lesen einige neue Idealpflanzen für das eigene Reich finden. So manche Pflanze hatte ich bereits im Garten-Center gesehen, hätte mich aber nicht getraut, sie mitzunehmen. Was für interessante Namen: Mondsamenpflanze, Ufopflanze, Geigenfeige, Flamingoblume… man könnte direkt poetische Zeilen um diese fantasievollen Namen herumranken. Auf die kleine Rubrik der fleischfressenden Pflanzen hätte ich verzichten können. Schön aber geht es weiter mit den Kakteen und Sukkulenten. Wer hat schon je von der Spuckpalme gehört? Unbekannte und blühende Pflanzen bilden das Buchende.
Fazit: Ein sehr gelungenes Buch, das Lust macht, sich angeregt durch zusätzliches Wissen neue Mitbewohner zu suchen. Doch diese Anmerkung sei erlaubt: Grausig ist die Bewerbung des Buches, das sich in Anglizismen wie „Must-Haves“ oder „Careguide“ usw. ergeht, statt in ganz normalem Deutsch auszudrücken, worum es geht.

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Veröffentlicht am 02.06.2024

Atemberaubender und brillant geschriebener Thriller

Krähentage
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Dieser Thriller ragt aus der unüberschaubaren Menge an laufend neu erscheinenden Thrillern überaus wohltuend hervor. Natürlich verfügt er über alle Kriterien, die ein guter Thriller besitzen muss. Aber ...


Dieser Thriller ragt aus der unüberschaubaren Menge an laufend neu erscheinenden Thrillern überaus wohltuend hervor. Natürlich verfügt er über alle Kriterien, die ein guter Thriller besitzen muss. Aber darüber hinaus ist er, und das zeichnet ihn ganz besonders aus, in einer großartigen Sprache verfasst. Er ist geschrieben in teils wunderbaren Wortbildern, die mühelos zu plastischen Kopfbildern werden. Damit ist er in doppelter Hinsicht ein wahres Lesevergnügen: Ungewöhnlich, atemberaubend spannend und brillant geschrieben. Was will man mehr!
Eine neue Ermittlungseinheit soll sich mit Serientätern befassen. Jakob Krogh wird nach längerer Auszeit zusammen mit Mila Weiss zur Leitung dieser neuen Einheit berufen. Jakob, verheiratet, mit kleinem Sohn, hat den unbedingten Willen zum Erfolg. Und genau in seiner Familienkonstellation liegt sein dunkles Geheimnis. Mila ist zurückhaltend, verbissen, gibt nichts von sich preis. Ein alter ungelöster Fall aus ihrer Zeit in Wien treibt sie nach wie vor um. Die beiden bekommen es mit seltsamen Mordfällen zu tun, denn die Toten wurden noch Tage nach ihrem Tod lebendig von glaubwürdigen Zeugen gesehen und gesprochen. Und was haben die ausgehungerten Krähen und die seltsame Botschaft „Sieh nach oben“ damit zu tun?
Der Thriller ist hart, er ist brutal, er ist grausam und man braucht als Leser wahrlich gute Nerven. Denn es mangelt nicht an detaillierten Beschreibungen all der Entsetzlichkeiten, die den Opfern widerfahren sind. Die Story ist großartig konstruiert, denn obwohl man als Leser bald eine Ahnung hat, wer der Serienkiller sein könnte, erfährt man doch erst zum überraschenden Schluss, wie alles zusammenhängt. Die Spannung wird über alle 400 Seiten hinweg hochgehalten, steigert sich aber über die letzten 100 Seiten nochmals bis zum letzten Twist. Und, um es noch einmal zu wiederholen, für mich hat dieser Thriller noch einen besonderen Bonus, den die wenigsten Romane dieses Genres aufweisen können: Nämlich einen großartigen bildhaften Sprachstil, der das Lesen abgesehen von der atemberaubenden Spannung zum echten Lesegenuss macht.
Deshalb aus meiner Sicht uneingeschränkt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 23.05.2024

Inspiration durch Weißwein mit Klavier

Der Tote im Pool
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Es wirkt etwas unscheinbar, dieses kartonierte Büchlein mit einem Cover, das in mir eher Assoziationen in Richtung Hollywood ausgelöst hat. Erst die Buchwerbung mit Inhaltsangabe machte mir klar, dass ...

Es wirkt etwas unscheinbar, dieses kartonierte Büchlein mit einem Cover, das in mir eher Assoziationen in Richtung Hollywood ausgelöst hat. Erst die Buchwerbung mit Inhaltsangabe machte mir klar, dass die Handlung in Mosambik spielt, also in jenem nach Bürgerkriegen ärmsten afrikanischen Staat mit portugiesischem Kolonial-Hintergrund und einer Bevölkerung, die aus unzähligen Kulturen und Religionen besteht. Der Autor, der selbst einmal französischer Botschafter im Senegal war, war für seinen Debutroman mit dem begehrten Prix Goncourt du premier roman ausgezeichnet worden. Diese interessanten Voraussetzungen des Romans hätten meiner Meinung nach durchaus ein aufwändigeres Äußeres verdient.

Mit der Hauptperson Konsul Aurel Timescu lernen wir einen sehr schrägen und dabei doch sympathischen Typen kennen. Eben erst war er nach Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, versetzt worden. Und er hält es in seinem neuen Wirkungsfeld so, wie überall vorher: Er schätzt das ruhige, ungestörte Dasein, bei dem er seinen Gedanken nachhängen kann, unterstützt von so manchem Glas Tokajer. Seinen Mitarbeitern und seinem jungen, eifrigen Vorgesetzten gegenüber behauptet er, kein Handy zu besitzen, damit er nicht unvorbereitet aus seiner Gedankenwelt gerissen werden kann. Als der ältliche und unbeliebte Hotelbesitzer Béliot überraschend tot in seinem Pool aufgefunden wird und die Polizei sicher ist, dass seine Ex-Frau den Mord begangen hat, beginnt in Aurel Timescu dessen Lust an kriminalistischer Ermittlungsarbeit zu erwachen. Und in der Tat, er stößt auf verwirrende Liebes-Verstrickungen, Korruptionen ungeahnten Ausmaßes und illegale Geschäfte mit Bauunternehmern und Wilderern…

Die fundierten Kenntnisse des Autors über den diplomatischen Dienst in Afrika und über die besonderen Eigenarten des Staates Mosambik sind im Buch an vielen Stellen wohltuend erkennbar. Durch Einfügung kleinerer Nebengeschichten erhält man als Leser eine dezent-lebendige Vorstellung von den Gepflogenheiten und Besonderheiten des Landes. Ob Kabbala, ob Klavierspiel, ob literarische Bonmots – auch hier spürt man auf unaufdringlich-wohltuende Weise die Bildung des Autors. Was mich persönlich am meisten positiv angesprochen hat, ist der klassisch-schöne, zeitlose Sprachstil, in dem das Buch geschrieben ist. Die Sorgfalt der Sätze, der gewählten Wörter, des Rhythmus des Satzbaus, die Ausformulierung der Beschreibungen, das alles macht für mich den wahren Lesegenuss aus. Insofern hat dieser besondere Krimi sprachlich eine gewisse Nähe zu den Romanen von Agatha Christie. In langsamen Schritten schreitet die Handlung voran, man wird von unnötigen Informationen in die Irre geleitet und doch hat man beim Lesen stets das Gefühl, etwas Wesentliches übersehen zu haben. Geradezu genial empfinde ich die Schlüsselszene, in der Aurel Timescu seine Schachfiguren intuitiv – wie bei einer Familienaufstellung nach Bert Hellinger -, nämlich Opfer, Frauen, Verdächtige, unterschiedlich in Nähe und Distanz zueinander aufstellt und damit deren Verhältnis sichtbar macht, ergänzt zusätzlich durch das Erspüren des jeweiligen menscheneigenen Rhythmus, wobei Klavier und Tokajer sehr hilfreich endgültige Klarheit bringen.

Fazit: Ein kluges, vielschichtiges, leise humorvolles, aber auch kritisches Buch mit der Rahmenhandlung einer spannenden Ermittlungsarbeit an einem den meisten von uns wohl wenig vertrauten Ort der Welt.



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