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Madamebiscuit15

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.10.2024

Ehrliche und gelungene Gedanken zweier Brüder

Intermezzo
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"Ehrlich gesagt, wir mögen uns nicht besonders. Seit seiner Pubertät. Er hasst mich, weil er mich für ein arrogantes Arschloch hält, und ich verachte ihn, weil ich finde, er ist ein beschissener Loser." ...

"Ehrlich gesagt, wir mögen uns nicht besonders. Seit seiner Pubertät. Er hasst mich, weil er mich für ein arrogantes Arschloch hält, und ich verachte ihn, weil ich finde, er ist ein beschissener Loser." S.347

Damit ist schon sehr viel gesagt, über die Brüder Peter und Ivan, die durch die Beerdigung ihres Vaters wieder aufeinander treffen. Warum ihr Verhältnis allerdings so ist, erfahre ich erst später, über viele Seiten hinweg.
Sally Rooney wechselt von Kapitel zu Kapitel die Erzählperspektive zwischen den beiden Brüdern und insofern offenbart sich ihr Beziehung zu einander auch von beiden Seiten. Dieser Schachzug gefiel mir gut, vorallem weil sie gelungen veranschaulicht, wie unterschiedlich die Brüder sind und wie es zu ihrem Zerwürfnis kam. Beide empfand ich dabei als äußerst menschliche Charaktere. Sie machen Fehler, verletzen und werden verletzt. Nicht nur gegenseitig, sondern auch durch ihre Familie und das Leben, das uns nun einmal begegnet.
Auch einzelne Frauen und die Beziehung zu ihnen spielen für beide eine wichtige Rolle. Dabei veranschaulicht Rooney gekonnt herrschende Klischees und wie sehr sie uns prägen.
Durch die Unterschiedlichkeit im Wesen, gehen Peter und Ivan auch völlig konträr mit diesen Erwartungen um.
Die Autorin erzählt hier eine sehr ehrliche und authentische Geschichte über das Menschsein, sie legt gekonnt Empfindungen offen und schreibt in wunderbaren Worten über das Verliebtsein. Gerade Ivan und Margaret als Paar haben mich sehr berührt. Zu leicht sind ihre Gedanken nachzuvollziehen und zu sehr habe ich mir gewünscht, dass sie ihre Liebe leben können.
Aber auch Peters Gedanken und Verhalten sind für mich plausibel und seine amourösen Verstrickungen haben mich nachdenklich gemacht.

Für mich ist Sally Rooney hier ein lesenswerter und glaubwürdiger Roman über Menschen und Beziehungen unserer Zeit gelungen. Ihr Schreiben wirkt reifer und weniger wütend, als in ihren letzten Romanen. Ihr Stil ist treffsicher und durchaus anspruchsvoll, für mich ein Lesevergügen.
Insofern lege ich Euch diesen Roman gerne ans Herz.

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Veröffentlicht am 02.08.2024

Eigenes Traum und seine Auswirkungen

Kleine Monster
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Wie gut kennen wir unsere Kinder? Wie sehr projizieren wir etwas in sie hinein, was sie gar nicht sind?
Pia und Jakob, die Eltern von Luca, sehen sich mit einem „Vorfall“ mit einem Mädchen konfrontiert, ...

Wie gut kennen wir unsere Kinder? Wie sehr projizieren wir etwas in sie hinein, was sie gar nicht sind?
Pia und Jakob, die Eltern von Luca, sehen sich mit einem „Vorfall“ mit einem Mädchen konfrontiert, den ihr Sohn in der Schule verursacht haben soll. Luca ist sieben und in der zweiten Klasse.
Eine Situation, die die beiden Elternteile unterschiedlich aufnehmen und auch verschieden damit umgehen. Während Jakob voller Vertrauen in seinen sensiblen Sohn ist und mit sehr viel Ruhe und Verständnis reagiert, schafft Pia das nicht. Zu übermächtig werden die Erinnerungen an ihre eigene Kindheit und ihre Erlebnisse.
Immer mehr Raum nimmt die zweite Erzählebene der Ich-Erzählerin Pia mit ihrer Vergangenheit ein. Immer tiefer begleiten wir Lesenden sie dabei in ihre eigene dramatische Kindheit. Es ist schmerzhaft zu verfolgen, was sie selbst erlebt hat und noch schlimmer zu erlesen, wie sehr es sie geprägt hat und jetzt die Beziehung zu ihrem Sohn überschattet.
Gerade dieser Aspekt hat mich sehr umgetrieben. Ist der Verdacht ihrem Sohn gegenüber gerechtfertigt, oder kann sie es nur nicht anders wahrnehmen durch ihre persönliche Situation?
Es ist eine Geschichte, die äußerst subtil mit unserer Psyche spielt und einen dabei immer mehr vereinnahmt. Jessica Lind schreibt treffend und soghaft. Dabei beleuchtet sie nebenbei auch noch absolut gekonnt das Thema Mutterschaft und hält uns hier einen Spiegel vor.
„Die Mutterhaut, die ich trage, passt nicht wie angegossen. Ich bin nicht Aschenputtel, ich bin eine ihrer Schwestern, die sich erst die Ferse abschneiden muss oder den großen Zeh.“ S.57
Einziger kleiner Kritikpunkt für mich ist, dass der Klappentext vermuten lässt, dass es maßgeblich um den Vorfall mit Luca geht. Wobei es dann aber tatsächlich Pias Biografie ist, die im Vordergrund steht.
Ansonsten ein große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 18.07.2024

Fulminant erzählte Geschichte

Am Himmel die Flüsse
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Der neue Roman von Elif Shafak ist eine wundervolle und gleichzeitig tragische Geschichte von liebenswerten Figuren, deren Schicksale mir zu Herzen gingen.

Es geht um Narin, ein neunjähriges Mädchen, ...

Der neue Roman von Elif Shafak ist eine wundervolle und gleichzeitig tragische Geschichte von liebenswerten Figuren, deren Schicksale mir zu Herzen gingen.

Es geht um Narin, ein neunjähriges Mädchen, das 2014 mit ihrer Großmutter und ihrem Vater in den Irak reist, um dort getauft zu werden. Die Familie gehört der Gruppe der Eziden (Jesiden) an. Ihre Großmutter erzählt ihr dabei immer wieder Geschichte, nur die von Narins Ururgroßmutter Leila und Arthur, dem „König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere“ nicht.
Dafür erfahren wir sie im Handlungsstrang von eben diesem Arthur, geboren 1840 in London. Sein fiktiver Lebensweg ließ mich dabei immer wieder an Figuren aus Charles Dickens Romanen denken. Er ist ein wissbegieriger Junge, der eine Leidenschaft für Keilschrift und das Gilgamesch-Epos entwickelt.
Die dritte Protagonistin dieses Romans ist Zaleekhah, in ihren Dreißigern, hat sich eben von ihrem Mann getrennt und ist auf ein Hausboot auf der Themse gezogen. Dieser Handlungsstrang spielt 2018.

Der Autorin gelingt es einen Handlungsbogen von mehreren tausend Jahren Geschichte zu schlagen und gleichzeitig so spannend von diesen Ereignissen zu erzählen, dass es eine wahre Lesefreude ist, in diesen Roman abzutauchen. Für mich ist Elif Shafak weit mehr als eine Schriftstellerin. Sie ist eine Geschichtenerzählerin, wie aus Tausend und einer Nacht. Es gelingt ihr mühelos Szenerien, Landschaften, Welten durch ihre Sprache zu erschaffen. Sie schreibt ausschweifend, ohne abzuschweifen und lässt mich ihren Figuren ganz nahekommen.
Gleichzeitig verwebt sie in diesem Roman geschickt Fiktion und Realität und somit habe ich mich das erste Mal näher mit dem Jesidentum und dem stattfindenden Genozid dieser Gruppe auseinandergesetzt. Was mich sehr betroffen gemacht hat.

Wie genau am Ende alle drei Handlungsstränge zusammenlaufen, wird an dieser Stelle nicht verraten. Ich möchte nur erwähnen, dass auch dies ein Fakt ist, der mir bis dato unbekannt war.

Von mir gibt es eine klare Empfehlung für alle Fans literarischer Werke, die Lust haben sich einen Teil unserer Weltgeschichte zu erlesen.
Wer von ihr „Der Architekt des Sultans“ kennt und mochte, wird mit diesem Roman definitiv gelungene Lesestunden haben.

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Veröffentlicht am 20.06.2024

Berührende Geschichte über zwei Außenseiter

Nordstadt
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Schon länger wollte ich dieses Snackbuch lesen und im Urlaub war der richtige Moment. Ab der ersten Seite bin ich in die Geschichte von Nene und Boris eingetaucht. Zwei Außenseiter und gleichzeitig so ...

Schon länger wollte ich dieses Snackbuch lesen und im Urlaub war der richtige Moment. Ab der ersten Seite bin ich in die Geschichte von Nene und Boris eingetaucht. Zwei Außenseiter und gleichzeitig so unglaublich liebenswerte Personen. Sie sind nicht glatt und gesellschaftskonform, dafür umso authentischer. Beiden hat das Leben bereits übel mitgespielt und insofern ist es nicht einfach mit der Liebe und einer Beziehung. Aber sie schaffen es auf eine unheimlich anrührende Art sich gegenseitig Halt zu geben, die mich völlig für sie eingenommen hat.

Annika Büsing erzählt hier in ehrlichen und deutlichen Worten von Menschen, die Diskriminierung und körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und am Rande unserer Wohlstandsgesellschaft leben. Dabei wirken ihre Personen nicht verbittert, sondern blicken abgeklärt oder wütend auf ihre Situation. Gleichzeitig gibt es immer wieder gelungene humorvolle Szenen und vor allem ganz viel Wärme füreinander.

Den Rahmen, den die Autorin mit dem Beginn und dem Schluss der Geschichte schafft, hat mir richtig gut gefallen.

Insofern gibt es eine klare Leseempfehlung an alle, die Annika Büsings Debüt noch nicht kennen.

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Veröffentlicht am 02.06.2024

Schriftstellerinnen und Schwestern

Mary & Claire
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Mary Shelley und Claire Clairmont sind Stiefschwestern, angehende Schriftstellerinnen und lieben denselben Mann, Percy Shelley.
Percy ist Dichter und verliebt in beide Frauen. Er ermöglicht ihnen die Flucht ...

Mary Shelley und Claire Clairmont sind Stiefschwestern, angehende Schriftstellerinnen und lieben denselben Mann, Percy Shelley.
Percy ist Dichter und verliebt in beide Frauen. Er ermöglicht ihnen die Flucht aus ihrem engstirnigen und konservativen Elternhaus Anfang des 19. Jahrhunderts in England. Diese Flucht ist der Auftakt ihrer jahrelangen, gemeinsamen Beziehung und führt später zu der schicksalhaften Nacht am Genfer See, in der Mary Shelley die Idee zu „Frankenstein“ hatte.
 
Markus Orths erzählt hier aber nicht die Entstehungsgeschichte „Frankensteins“, sondern schreibt über die beiden Schwestern und ihre Verbindung zueinander.
Dabei hat er einen eingängigen Schreibstil, der manchmal fast poetisch anmutetet und immer wieder einen herrlich feinen Humor aufblitzen lässt. Gleichzeitig wirken seine Charaktere absolut modern in ihren Gesprächen und ich hatte mühelos ihr Bild vor Augen.
Beide Frauen werden als selbstbewusste und fortschrittliche Frauen beschrieben, die ihrer Zeit weit voraus sind und in Percy einen Mann finden, der diesen Weg mitgeht und sie respektiert. Sie setzen sich somit über gesellschaftliche Konventionen hinweg und stehen zu ihren Gefühlen. Besonders gefreut hat mich dabei, dass ihre Schwestern-Beziehung über der Liebesbeziehung stand.
Beide Lebenswege habe ich mit Interesse gelesen und ihre Schicksalsschläge ließen mich nicht kalt, auch wenn ich mich Mary immer ein Stück näher gefühlt habe. Bei Claire fand ich es sehr bedauerlich, dass sie sich später in Lord Byron verliebt und hierbei eine – für sie – toxische Beziehung eingeht.
 
Immer wieder gibt es auch Szenen mit magischem Realismus. Dieses Stilmittel setzt der Autor geschickt ein um emotionale Bindungen zu veranschaulichen und gibt dem Roman zusätzlich Tiefe.
 
Bezüglich des Wahrheitsgehaltes des Romans, weist der Markus Orths am Ende darauf hin, dass er sich bei Orten und Handlungen auf überprüfbare Fakten bezieht, bei Aussagen und Gedanken der Personen, nimmt er sich allerdings auch ein gewisses Maß an schriftstellerischer Freiheit heraus.
 
Für mich war es ein gelungener Roman, über reale Personen, der mir ein kurzweiliges Lesevergnügen beschert hat.

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